1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II) und zur Sozialhilfe (SGB XII)
1.1 – BSG, Urt. v. 06.06.2023 – B 4 AS 86/21 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Ausschluss von SGB II-Leistungen als Auszubildender – Abbruch der Ausbildung – Aufhebung und Rückforderung von BaföG – Wirkung der Antragstellung
Orientierungshilfe Redakteur von Tacheles e. V.
1. Der gemäß § 37 SGB II erforderliche Leistungsantrag liegt vor.
2. Denn für die Anwendung von § 28 SGB X genügt es, dass die zunächst beantragten, nunmehr zu erstattenden Leistungen nach dem BAföG und das (vorerst) nicht beantragte Arbeitslosengeld II nach ihren jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen in einem Ausschließlichkeitsverhältnis stehen und der Kläger aus diesem Grund zunächst nur die Leistungen nach dem BAföG geltend gemacht hat.
Quelle: www.bsg.bund.de
Hinweis:
Nachholende Antragstellung auf ALG II: Ein hohler Zahn? Eine Anmerkung v. RA Helge Hildebrandt zur Vorinstanz
1.2 – BSG, Urt. v. 06.06.2023 – B 4 AS 4/22 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – EU-Bürger – Freizügigkeitsrecht – Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche – Aufenthaltsrecht als Familienangehörige – wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis – Überbrückungsleistungen
Muss für ein – dem Leistungsausschluss gemäß § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 SGB II entgegen stehendes – abgeleitetes Freizügigkeitsrecht nach § 3 Absatz 1, Absatz 2 Nummer 2 FreizügG/EU 2004 in der bis zum 23.11.2020 geltenden Fassung ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis bereits vor der Einreise nach Deutschland bestanden haben und eine Gewährung von Unterhalt nachgewiesen werden?
Unter welchen Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Absatz 3 Satz 3 SGB XII idF vom 22.12.2016
Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
Eine Unterhaltsgewährung im Sinne des § 3 Absatz 2 Nummer 2 Freizügigkeitsgesetz/EU alter Fassung setzt voraus, dass ein tatsächliches Abhängigkeitsverhältnis nachgewiesen wird. Eine solche Abhängigkeit liegt nur vor, wenn der Verwandte in Anbetracht seiner wirtschaftlichen und sozialen Lage unter Berücksichtigung der Situation im Herkunfts- oder Heimatland nicht selbst für die Deckung seiner Grundbedürfnisse aufkommt und deshalb einen nicht unwesentlichen Unterhaltsbetrag erhält.
Daran fehlt es hier, denn die Mutter der Klägerin wendete dieser im Zeitraum von zwölf Monaten vor der Einreise in das Bundesgebiet lediglich Zahlungen in Höhe von monatlich weniger als 37 Euro zu.
Quelle: www.bsg.bund.de
1.3 – BSG, Urt. v. 08.12.2022 – B 8 SO 4/21 R
Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Unterhaltszahlungen
Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
Tatsächlich zufließenden Unterhaltszahlungen sind als Einkommen zu berücksichtigen.
Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Im Recht der Grundsicherung (bzw ab dem 1.1.2020 in der Sozialhilfe allgemein) sind lediglich die Ansprüche von Kindern gegenüber den Eltern auf Unterhalt (und Unterhaltsansprüche von Eltern gegenüber ihren Kindern) im Grundsatz nicht zu berücksichtigen. Ein allgemeiner Vorrang von Grundsicherungsleistungen gegenüber Unterhalt besteht aber nicht.
2. Setzt das erwachsene Kind seinen Unterhaltsanspruch erfolgreich durch und fließt Unterhalt zu, ist sein Grundsicherungsanspruch insoweit gemindert bzw ausgeschlossen.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Hinweis:
BSG zu Unterhaltszahlungen als Einkommen und deren Verhältnis zu Grundsicherungsleistungen
weiter: www.wolterskluwer.com
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)
2.1 – LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 02.06.2023 – L 7 AS 880/23 ER-B
Bürgergeld: Ferienwohnung ist Unterkunft
Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Eine Ferienwohnung kann eine Unterkunft im Sinne v. § 22 Abs. 1 SGB II sein, hier bejaht.
2. Ob eine voraussichtlich nur vorübergehende Nutzung beabsichtigt oder die Nutzung eines Objekts zu Wohnzwecken im Vergleich mit anderen Leistungsberechtigten nach dem SGB II üblich ist, ist insoweit nicht entscheidend (BSG, Urteil vom 19. Mai 2021 – B 14 AS 19/20 R).
3. Die Unterkunftskosten, in denen auch Stromkosten enthalten sind, sind auch nicht um einen aus der Regelleistung ermittelten Anteil für Haushaltsenergie zu kürzen (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2011 – B 14 AS 151/10 R). Das Leistungssystem des SGB II lässt eine individuelle Bedarfsermittlung bei den in der Regelleistung enthaltenen Verbrauchspositionen grundsätzlich nicht zu (BSG, Urteil vom 24. November 2011 – B 14 AS 151/10 R).
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)
3.1 – SG München, Gerichtsbescheid v. 17.02.2023 – S 13 AS 783/21
Leitsätze
I. Die Gebühren erhöhen sich nach Nr. 1008 VV RVG, wenn der Rechtsanwalt der Kläger Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X ausdrücklich im Namen aller Kläger eingelegt und damit für eine Auftraggebermehrheit tätig geworden ist. Abgestellt wird nur auf die Zahl der Auftraggeber unabhängig davon, wer von ihnen gegenüber dem Anwalt auftritt. Dass einzelne Kläger minderjährig waren und von einem Elternteil vertreten wurden, steht der Anwendung der Nr. 1008 VV RVG nicht entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 21.12.2019 B 14 AS 83/08 R)
II. Auf eine konkrete Mehrbelastung des Anwalts kommt es nicht an, denn Nr. 1008 VV RVG ist keine Erfolgsgebühr, sondern honoriert pauschal, dass typischerweise eine Mehrbelastung anfällt. Da der Gesetzgeber von einer ausgleichenden Mischkalkulation ausgeht, darf das Gericht nicht die Gesetzgebungskompetenz durch Anfordern engerer Tatbestände, als die Norm verlangt, aushebeln.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 – LSG Bayern, Urt. v. 26.04.2023 – L 8 SO 214/22
Leitsätze
Bei einer Änderung der Verhältnisse nach einem längeren Zeitraum (hier: mehrere Jahre), in dem die Unterkunftskosten des Leistungsberechtigten in tatsächlicher Höhe berücksichtigt worden sind, bedarf es einer (nochmaligen) Kostensenkungsaufforderung, um die Unterkunftskosten erneut nur mehr in dem als angemessen erachteten Umfang zu berücksichtigen.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
4.2 – LSG Hessen, Urt. v. 17.05.2023 – L 4 SO 205/20
Leitsätze
1. Die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers i. S. v. § 14 SGB IX i. d. F. bis 31. Dezember 2017 bzgl. Leistungen für Zeiträume ab 1. Januar 2020 stellt eine Klageänderung i. S. v. § 99 Abs. 1 SGG auch dann dar, wenn der bis zum 31. Dezember 2019 für die Eingliederungshilfe nach dem 6. Kapitel des SGB XII zuständige Träger der Sozialhilfe seit 1. Januar 2020 nach landesgesetzlichen Regelungen Träger der Eingliederungshilfe geworden ist.
2. Der im Rehabilitationsrecht geltende Grundsatz der Leistungskontinuität, wird durch die Neuregelung des Rechts der Eingliederungshilfe ab 1. Januar 2020 als wesentliche Änderung des Teilhabegeschehens in rechtlicher Hinsicht mit der Folge durchbrochen, dass innerhalb der Regelung des § 14 SGB IX nicht von einer fortgesetzten Zuständigkeit ausgegangen werden kann
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
4.3 – SG Marburg, Urt. v. 23.05.2023 – S 9 SO 27/22
Leitsätze
Die Regelungen in § 82 Abs. 4, 5 SGB XII und in § 82a SGB XII zur Absetzung von Freibeträgen von Einkommen aus zusätzlicher Altersvorsorge und von Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bei ausreichend Grundrentenzeiten verstoßen nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Grundgesetzes.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
5.1 – Sozialgericht Darmstadt – Beschluss vom 18.04.23 – Az.: S 16 AY 33/23
Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 193 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG, Kostenentscheidung, Anerkenntnis, Sozialgericht Darmstadt
Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
Auch bei Grundleistungen (§ 3a AsylbLG) ist für Alleinstehende Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Quelle: RA Sven Adam
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker