Tacheles Rechtsprechungsticker KW 26/2023

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

1.1 – BSG, Urt. v. 21.06.2023 – B 7 AS 14/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Vermögensberücksichtigung – selbst bewohntes Wohneigentum – Aufwendungen für Dachreparatur

Urteil: Jobcenter kommt für Dachreparatur bei Eigenheim auf
Jobcenter dürfen die Kostenübernahme für eine notwendige Dachreparatur eines selbst bewohnten Eigenheims nicht pauschal ablehnen. Kann der Erhalt der Unterkunft bei einem hilfebedürftigen Grundsicherungsbezieher sonst nicht gesichert werden und handelt es sich um angemessene und erforderliche Aufwendungen, spielt eine zu große Wohnfläche keine Rolle

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lesenswert:
Jobcenter muss für Reparaturen beim Eigenheim aufkommen

1.2 – BSG, Urt. v. 21.06.2023 – B 7 AS 11/22 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss – duales Studium – BAföG

Bundessozialgericht: Kein Hartz IV bei dualem Studium
Die rund 100.000 Auszubildenden eines dualen Studiums in Deutschland haben keinen Anspruch auf aufstockende Hartz-IV- oder Bürgergeld-Leistungen. Denn das duale Studium kann mit Bafög-Mitteln gefördert werden, so dass nach dem Willen des Gesetzgebers Arbeitslosengeld II oder das heutige Bürgergeld nicht verlangt werden könne.

Quelle: www.evangelisch.de

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

2.1 – LSG NRW, Beschl. v. 07.06.2023 – L 7 AS 586/23 B ER, L 7 AS 571/23 B

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. § 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG findet auf minderjährige Unionsbürger und ihre Eltern entsprechend Anwendung.

2. Eine Anwendung des § 28 AufenthG dergestalt, dass ein die Unionsbürgerschaft besitzendes aufenthaltsberechtigtes Kind verlangen kann, so gestellt zu werden, wie ein deutsches Kind, ist darüber hinaus jedenfalls aus grundrechtlichen Erwägungen geboten. Denn bei der Beantwortung der Frage, ob dem sorgeberechtigten Elternteil eines wegen der Begleitung des anderen Elternteils freizügigkeitsberechtigten minderjährigen Unionsbürgers ein Aufenthaltsrecht nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vermittelt werden kann, müssen die Wertungen von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK berücksichtigt werden (vgl. BVerfGE, Beschlüsse vom 04.10.2019 – 1 BvR 1719/18 –).

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
vgl. hierzu Beschluss des Senats vom 25.02.2019 – L 7 AS 136/19 B ER – ebenso: LSG NRW, Urteil vom 23.11.2022 – L 12 AS 452/20 ; Sächsisches LSG, Urteil vom 06.12.2022 – L 4 AS 939/20; LSG NRW, Beschluss vom 01.08.2017 – L 19 AS 1131/17 B ER ; Beschluss vom 30.10.2018 – L 19 AS 1472/18 B ER ; Saarländisches LSG, Beschluss vom 07.09.20121 –L 4 AS 23/20 WA; im Ergebnis auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.01.2023 – L 3 AS 3922/20; Dienelt in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 11 FreizügG/EU Rn. 103; vgl. auch Brinkmann in: Huber/Mantel, Aufenthaltsgesetz, 3. Aufl. 2021, § 11 FreizügG/EU, Rn. 37; Oberhäuser in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 11 FreizügG/EU Rn. 76; andere Ansicht z.B.: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 07.04.2022 – L 18 AS 312/22 B ER; LSG NRW, Beschluss vom 27.07.2017 – L 21 AS 782/17 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 29.07.2021 – L 6 AS 209/ 2 B ER –).

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung nach dem (SGB II)

3.1 – SG Karlsruhe, Urt. v. 06.10.2021 – S 9 AS 350/21

Leitsätze
Die Aussage eines Leistungsbeziehers, Arbeitslosengeld II nur deswegen beantragt zu haben, sodass er gesetzlich krankenversichert sei, erhöht die Anforderungen an den Nachweis der Bedürftigkeit.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

3.2 – SG Altenburg, Urt. v. 20.03.2023 – S 42 AS 876/19

Leitsätze
1. Ob ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II wegen Krankenhausunterbringung besteht oder dieser aufgrund der Rückausnahme nach § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II deshalb nicht eingreift, weil die Unterbringung eine Krankenhausversorgung von voraussichtlich weniger als sechs Monaten Dauer betrifft, beurteilt sich grundsätzlich nach den Umständen bei der Aufnahme in die Klinik (vgl. BSG, Urteil vom 12. November 2015 – B 14 AS 6/15 R, BSG, Urteil vom 2. Dezember 2014 – B 14 AS 66/13 R).

2. Eine Überprüfung der im Rahmen einer Bewilligungsentscheidung getroffenen Prognose über die Dauer der stationären Unterbringung in einem Krankenhaus sieht § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II während eines laufenden Bewilligungszeitraums nicht vor.

3. Eine neue Prognoseentscheidung nach § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II unter Berücksichtigung der aktuellen Umstände ist dann nicht ausgeschlossen, wenn der Träger der Leistungen nach dem SGB II bei andauernder stationärer Unterbringung in einem Krankenhaus über die Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II für einen neuen (weiteren) Bewilligungszeitraum zu entscheiden hat. Ein genereller bewilligungsabschnittsübergreifender Ausschluss einer neuen Prognoseentscheidung lässt sich weder dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II entnehmen, noch mit dem Zweck der Vorschrift begründen.

4. In die nach § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 SGB II zu treffende Prognoseentscheidung ist auch einzubeziehen, ob ein Wechsel vom Leistungssystem des SGB II in das des SGB XII wegen einer sich an den Krankenhausaufenthalt anschließenden unbefristeten stationären Unterbringung im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II bereits konkret absehbar ist.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – LSG NRW, Beschluss v. 23.02.2023 – L 12 SO 19/23 B ER

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Keine Kostenübernahme für die von ihm angemietete Wohnung in der Wohnanlage des Studentenwerks V. während der Dauer seiner Inhaftierung, denn Das Studentenwerk als Vermieterin des Antragstellers hat bestätigt, dass eine Verlängerung der Mietzeit über den 31.01.2023 hinaus entgegen der mietvertraglich vorgesehenen Befristung der Mietzeit auf vier Jahre nicht in Betracht kommt.

2. Da eine Sicherung der Unterkunft bis zur Haftentlassung nicht möglich ist, besteht auch kein Anordnungsgrund für die Übernahme etwaiger während der Inhaftierung aufgelaufener Mietschulden.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – SG München, Beschluss v. 15.05.2023 – S 48 SO 131/23 ER

Behinderte Menschen haben das Recht von einer stationären Einrichtung in eine Mietwohnung zu ziehen und dafür vom Sozialamt die Übernahme der angemessenen Kosten für Pflege und Betreuung zu verlangen (Leitsatz Redakteur Tacheles e. V.)

Leitsätze
1. Der Antrag eines behinderten Menschen, der bislang in einer stationären Einrichtung gelebt hat und nunmehr in eine private Mietwohnung umziehen möchte, auf Leistungen der sozialen Teilhabe (einschließlich Leistungen der häuslichen Pflege) kann nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass die dafür anfallenden Kosten erheblich höher sind, als die der bisherigen stationären Versorgung.

2. Nach den Vorgaben in § 104 Abs. 3 Satz 3 SGB IX, die sich an Art. 19 UN-BRK orientieren, ist der Wunsch des behinderten Menschen, außerhalb von besonderen Wohnformen zu leben, grundsätzlich angemessen im Sinne von § 104 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. In solchen Fällen kann der behinderte Mensch nicht auf die Inanspruchnahme stationärer Leistungen verwiesen werden, da es sich dabei nicht um eine vergleichbare Leistung im Sinne von § 104 Abs. 2 Satz 2 SGB IX handelt.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

5.1 – SG Karlsruhe: Versagungssbescheide des Jobcenters wegen fehlender Mitwirkung rechtswidrig!

Ein Beitrag v. RA Dr. Robin v. Eltz

1. Entziehungs- oder Versagungsbescheide
Menschen, die Hartz4/Bürgergeld beantragt haben oder bereits beziehen, werden von den Jobcentern regelmäßig aufgefordert, zahlreiche Unterlagen vorlegen.
Erfolgt diese Mitwirkung nicht so wie sich das Jobcenter das vorstellt, wird häufig ein Versagung- oder Entziehungsbescheid erlassen, mit dem die Leistungen aufgrund mangelnder Mitwirkung entzogen werden.
Dies ist auch deshalb problematisch, weil die angeforderten Unterlagen in vielen Fällen bereits (mehrfach) eingereicht worden sind, das Jobcenter diese aber verloren hatte.

2. Die Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe
Das Sozialgericht Karlsruhe hat nun mit Urteil vom 09.05.2023 – S 12 AS 2046/22 entschieden, dass diese Bescheide, mit denen regelmäßig 100% der Leistungen entzogen werden, nur ausnahmsweise rechtmäßig sein können.

weiter: www.anwalt.de

Hinweis:
veröffentlicht im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 23/2023

5.2 – Bundesverfassungsgericht: Mini-Löhne für Häftlinge verfassungswidrig, ein Beitrag v. Laura Kress

In Deutschland gilt der Mindestlohn von 12 Euro – außer für Gefangene. Sie erhalten maximal 2,30 Euro pro Stunde. Das ist zu wenig, entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht

weiter: www.zdf.de

5.3 – SG Hannover, Urt. v. 17.05.2023 – S 38 AS 1052/22

JobCenter hat höhere Heizkosten zu übernehmen, wenn diese auf außergewöhnlich stark gestiegenen Heizölpreisen beruhen

Das Sozialgericht (SG) Hannover hat entschieden, dass das JobCenter im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitsuchende die tatsächlichen Heizölkosten zu übernehmen hat, wenn die höheren Aufwendungen für Heizöl nicht auf unwirtschaftlichem und unangemessenem Heizverhalten beruhen, sondern auf zwischenzeitlich außergewöhnlich stark gestiegenen Heizölpreisen.

weiter: sozialgericht-hannover.niedersachsen.de

Volltext hier (ganz unten): sozialgericht-hannover.niedersachsen.de

Hinweis:
Kurzanmerkung dazu veröffentlicht im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 25/2023

5.4 – Bürgerinnen und Bürger können nicht unmittelbar gegen Bundesgesetze klagen. Dies entschied das Sozialgericht Karlsruhe im Fall einer Rentnerin, die eine Änderung des Steuerentlastungsgesetzes 2022 erstreiten wollte.

weiter: sozialgericht-karlsruhe.justiz-bw.de

5.5 – Evident unzureichender Regelbedarf nach dem SGB II für die Jahre 2021 und 2022?LSG NRW, L 12 AS 668/23 u. L 12 AS 741/23

Dazu RA Lars Schulte- Bräucker auf www.anwalt.de

5.6 – LSG Baden-Württemberg: Lebensmittelvorrat und Gefrierschrank als Grundsicherungsleistung?

Redaktion eGovPraxis Sozialhilfe
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe rät, Lebensmittel und Getränke für zehn Tage zu bevorraten, um für Notsituationen gewappnet zu sein. Das LSG Baden-Württemberg hatte nun den Fall zu entscheiden, ob die Kosten der Bevorratung vom Gesetzgeber zu übernehmen sind.

Fazit
Die Ablehnung der Kostenübernahme einer Notbevorratung und eines Gefrierschranks dazu begründet sich wie folgt:

Die einmalige Leistung für eine Erstausstattung der Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten (§ 31 SGB XII) umfasst nur Gegenstände, die für einen einfachen Wohnstandard und eine bescheidene Haushaltsführung unverzichtbar sind. Dazu reicht bei einem Einpersonenhaushalt ein handelsüblicher Kühlschrank mit integriertem Gefrierfach.

Die abweichende Regelbedarfsfestsetzung (§ 27a SGB XII) verlangt einen unausweichlich höheren Bedarf als im pauschalierten Regelsatz vorgesehen. Ein Notvorrat, wie er vom Bundesamt vorgeschlagen wird, lässt sich sukzessive aus der laufenden Regelleistung finanzieren.

Die Hilfe in sonstigen Lebenslagen (§ 73 SGB XII) wird nur gewährt, wenn die begehrte Leistung nicht bereits von einer anderen Leistungsart des SGB XII, wie hier von der Regelleistung, erfasst ist.

Quelle: Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 02.03.2023 – L 7 SO 3464/22

Quelle: www.wolterskluwer.com

Hinweis:
Urteil veröffentlicht im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 13/2023

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker