Sozialgericht Heilbronn – Beschluss vom 25.09.2023 – Az.: S 16 AY 1786/23

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

xxx,

– Kläger –

Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Sven Adam
Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis Ludwigsburg
vertreten durch das Landratsamt Ludwigsburg Fachbereich Asyl
Hindenburgstr. 40, 71638 Ludwigsburg

– Beklagter –

Die 16. Kammer des Sozialgerichts Heilbronn
hat am 25.09.2023 in Heilbronn
durch den Richter am Sozialgericht xxx
ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

GRÜNDE
I.

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Übernahme seiner außergerichtlichen Kosten, die ihm im vorliegenden Verfahren, der am 27. August 2023 erhobenen Untätigkeitsklage entstanden sind.

Der Beklagte erließ am 10. Mai 2023 einen Bescheid über die Rücknahme eines Bescheids gemäß § 44 SGB X sowie die Leistungsgewährung für April 2023. Hiergegen erhob der Bevollmächtigte des Klägers am 19. Mai 2023 Widerspruch.

Am 27. August 2023 hat der Bevollmächtigte des Klägers Untätigkeitsklage erhoben. Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 28. August 2023 über den Widerspruch entschieden. Zugleich hat der Beklagte vorgetragen, es läge ein zureichender Grund für die verzögerte Bearbeitung vor, der Kläger verhandele weitere Verfahren vor dem Sozialgericht. Seit dem 19. Mai 2023 sei die Klage mit AZ S 9 AY 1043/23 gegen einen Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2023 anhängig. Hintergrund dieser Klage sei die Auffassung des Klägers, dass Leistungen nach § 1a AsylbLG verfassungswidrig seien. Da auch in der hier begehrten Entscheidung verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht worden seien, habe der Beklagte die Entscheidung wegen Verfassungswidrigkeit von Leistungen nach § 3 AsylbLG zunächst zurückgestellt.

Der Kläger hat die Untätigkeitsklage nach Erlass des Widerspruchsbescheids für erledigt erklärt.

II.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Nach § 193 Abs. 1 SGG hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben; es entscheidet auf Antrag durch Beschluss, wenn das Verfahren – wie hier – anders als durch Urteil beendet worden ist. Der Inhalt dieser Entscheidung richtet sich nach billigem Ermessen ohne Rücksicht auf die Anträge der Beteiligten (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 13. Aufl. 2020, § 193 Rn. 13 ff.). Grundsätzlich hat das Gericht bei der Ausübung des sachgemäßen oder billigen Ermessens alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Bei Erledigung einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG gilt: Ist die Klage vor Ablauf der Sperrfrist erhoben worden und ergeht der maßgebliche Verwaltungsakt bzw. der Widerspruchsbescheid vor deren Ablauf, wird der Kläger in der Regel keinen Kostenersatz erhalten. Ist die Klage nach Sperrfristablauf erhoben, muss der Beklagte in der Regel die außergerichtlichen Kosten des Klägers erstatten, weil dieser mit dem Bescheid bzw. dem Widerspruchsbescheid vor Fristablauf rechnen durfte. Etwas anderes gilt, wenn der Beklagte einen zureichenden Grund für seine Untätigkeit hatte und diesen Grund dem Kläger mitgeteilt hat oder er ihm bekannt war (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz § 193 Rn. 13c).

Bei Sachverhalten, in denen keine besonderen Umstände vorliegen, die für den Kläger eine länger andauernde Ermittlung der Behörde oder eine sonstige Verzögerung der Bearbeitung nahelegen, besteht kein Anlass, über die gesetzlichen Anforderungen des § 88 SGG hinausgehend von dem Kläger zu verlangen, bei der Behörde vor Erhebung einer Untätigkeitsklage nach dem Verfahrensstand nachzufragen (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.12.2004, L 10 LW 4563/04 AK-B, juris Rn. 32). Anders ist aber dann zu entscheiden, wenn dem Kläger bereits im Zeitpunkt der Erhebung der Untätigkeitsklage bekannt war, dass seine Klage unbegründet ist, weil ein zureichender Grund für die Untätigkeit vorlag. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Behörde die sachlichen Gründe, die die Entscheidung verzögern, dem Kläger mitgeteilt hat oder ihm diese Gründe bekannt gewesen sind (vgl. Bay. LSG vom 09.06.2009 – L 19 B 125/08 R – und LSG Sachsen-Anhalt vom 04.04.2011 – L 8 B 13/07 AY -; Hess. LSG, ASR 2008, 165 und LSG Baden-Württemberg vom 14.12.2005 – L 10 LW 4563/04 AK-B- m.w.N. – jeweils Juris – sowie LSG Rheinland-Pfalz, Breithaupt 1998, 943, 945 m.w.N.).

Die vom Beklagten angeführten Gründe, die Entscheidung wegen der Vorgreiflichkeit eines gerichtlichen Verfahrens zurückzustellen, sind kein zureichender Grund im Sinne des § 88 SGG. Stünde es der Verwaltung frei, die Entscheidung bei ungeklärten Rechtsfragen hinauszuschieben, liefe die Garantie des effektiven Rechtsschutzes in Bereichen mit zahlreichen ungeklärten Rechtsfragen, etwa dem SGB II, weitgehend leer. (vgl. Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 88 SGG (Stand: 15.06.2022 Rn. 37 mw.N.)

Dieser Beschluss ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG unanfechtbar.