Tacheles Rechtsprechungsticker KW 15/2024

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung / Bürgergeld (SGB 2)

1.1 – BSG, Urt. v. 27.09.2023 – B 7 AS 10/22 R

Grundsicherung für Arbeitssuchende – Widerspruchsverfahren – Rechtsbehelfsbelehrung – elektronische Form – fehlende Zugangseröffnung – Jahresfrist

Bundessozialgericht: Ein Leistungsträger hat über die Möglichkeit, einen Widerspruch in elektronischer Form nach § 36a Abs. 2 SGB I einzureichen, in der Rechtsmittelbelehrung zu belehren.

Leitsatz Verein Tacheles e. V.
1. Jobcenter müssen über die Möglichkeit, Widerspruch auch in elektronischer Form einlegen zu können, belehren.

2. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die entgegen dem Wortlaut des § 84 Abs. 1 S. 1 SGG in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Einreichung des Widerspruchs hinweist, ist unrichtig i. S. des § 66 Abs. 2 S. 1 SGG.

Orientierungshilfe Redakteur v. Tacheles e. V.
Eine Rechtsbehelfsbelehrung nach dem 1.1.2018 ist unrichtig erteilt, wenn sie keinen Hinweis auf die Möglichkeit der Widerspruchseinlegung in elektronischer Form enthält, auch wenn die Behörde bei Bescheiderlass den Zugang zum elektronischen Rechtsverkehr tatsächlich noch gar nicht eröffnet hatte und nicht in das Adressverzeichnis des elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP) aufgenommen war.

Volltext: www.sozialgerichtsbarkeit.de

Lesetipp v. Tacheles e. V.:
Die Rechtsbehelfsbelehrung der JobCenter nach dem 01.01.2018 – von RA Kay Füßlein, Berlin und hier: abermals: die elektronische Erreichbarkeit der JobCenter

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung/Bürgergeld (SGB II)

2.1 – LSG Hessen, Urt. v. 28.02.2024 – L 6 AS 8/24 – Revision zugelassen

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. § 13 Abs. 1 Satz 3 SGB X dient dem Nachweis der Vollmacht. Dieser Zusammenhang rechtfertigt es, dass sich die Behörde im konkreten Einzelfall, sofern dies zum Nachweis notwendig ist, nicht mit einer Übersendung per Fax begnügt, sondern die Übermittlung eines Originals fordert (wobei es sich bei dem Schriftstück nicht notwendig um eine schriftliche Vollmachtsurkunde handeln muss, sondern ebenso ein anderweitig zum Nachweis der Vollmacht geeignetes Schriftstück genügt).

2. Zur hinreichend eindeutigen Verfügung des Vorläufigkeitsvorbehalts bei einer vorläufigen Entscheidung nach § 41a SGB II.

Rechtstipp Tacheles e. V.
LSG NSB, Urt. v. 25.01.2023 – L 13 AS 137/22 ZVW – Ein ohne Vollmachtsvorlage erhobener Widerspruch ist unzulässig, wenn die Vollmacht auch nach behördlicher Aufforderung zur Vorlage nicht vorgelegt wird.

2.2 – LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 09.11.2023 – L 2 AS 328/18

Kosten der Unterkunft und Heizung – schlüssiges Konzept – Fortschreibung – KdU-Konzept der Stadt Halle (Saale

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Die vom Grundsicherungsträger für das Jahr 2015 ermittelten angemessenen Unterkunftskosten in der Stadt Halle (Saale) beruhen für einen Dreipersonenhaushalt auf einem schlüssigen Konzept.

2. Die für die Stichprobe erhobenen Mietwerte sind nach dem durchgeführten Gewichtungsverfahren zwischen Mietverhältnissen mit institutionellen (Groß-)Vermietern und solchen mit privaten (Klein-)Vermietern entsprechend ihrem tatsächlichen Anteil am Mietmarkt repräsentativ für den Wohnungsmarkt der Stadt Halle (Saale).

2.3 – LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 29.02.2024 – L 2 AS 479/22 NZB

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. In der Regel hat die Klärung von Rechtsfragen zu einer nicht mehr anwendbaren Vorschrift, hier die Aussetzung der abschließenden Entscheidung über den Leistungsanspruch von Amts wegen während der Corona-Pandemie (§ 67 Abs 1 SGB II), keine grundsätzliche Bedeutung mehr.

2. Den Regelungen in bzw zu § 41a SGB II über die vorläufige Bewilligung ist nicht zu entnehmen, dass die Leistungsberechtigten die abschließende Entscheidung erst nach Beginn bzw nach Ablauf des Bewilligungszeitraums wirksam beantragen können.

2.4 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 25.01.2024 – L 4 AS 181/21

Zuweisung Arbeitsgelegenheit – Wertgrenze – keine Erledigung – öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Bei dem Streit um die Rechtmäßigkeit der Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II steht die Wertgrenze des § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG der Statthaftigkeit der Berufung nicht entgegen, weil es sich nicht um eine Klage handelt, die eine Geld- Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft.

2. Ein Verwaltungsakt über die Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit nach § 16d SGB II erledigt sich nicht durch Zeitablauf oder andere Weise, wenn von ihm weiterhin rechtliche Wirkungen ausgehen. Dies ist der Fall, wenn der Zuweisungsbescheid weiterhin den Rechtsgrund für die im Rahmen der Arbeitsgelegenheit geleistete Arbeit und die hierfür gezahlte Mehraufwandsentschädigung bildet und damit einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ausschließt.

2.5 – LSG NSB, Urteil vom 27. Februar 2024 – L 11 AS 330/22

Verschulden; Vertreter – Bevollmächtigung; unrichtige Angaben – unvollständige Angaben; Anscheinsvollmacht – Erstattungsanspruch – Rückforderung – Einkommen

Dazu der Verein Tacheles e. V.
1. Wer die Vollmacht nicht widerruft, kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen und muss haften.

2. Alleinerziehende Mutter haftet für Sozialleistungsbetrug ihres früheren Lebensgefährten.

Aus der Pressemitteilung des LSG NSB v. 02.04.2024:
Die Frau könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, da sie sich das Verhalten ihres Lebensgefährten als Vertreter zurechnen lassen müsse. Sie habe dessen Vollmacht nie widerrufen. Wer den Rechtsschein dazu setze, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftrete, müsse sich nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht dessen Verhalten zurechnen lassen, selbst wenn er keinen Bevollmächtigungswillen mehr hatte. Es sei der Rechtsfigur einer solchen Vollmacht immanent, zum Schutz des Rechtsverkehres ein im Außenverhältnis wirksames Handeln des Vertreters herzustellen, wenn die Grenzen im Innenverhältnis überschritten seien.

Quelle: landessozialgericht.niedersachsen.de

Rechtstipp Tacheles e. V.:
Amtlicher Leitsatz voris.wolterskluwer-online.de

1. Das Verschulden eines Bevollmächtigten (hier: unrichtige bzw. unvollständige Angaben i.S.d. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) kann nach den allgemeinen Regeln (§§ 166, 278 BGB) dem Vollmachtgeber zugerechnet werden, wenn dieser eine Vollmacht zur Abmeldung aus dem Leistungsbezug erteilt hat, der Bevollmächtigte aber im Innenverhältnis gegenüber dem Vollmachtgeber seine Pflichten verletzt.

2. Eine zuvor erteilte Vollmacht sowie eine über Jahre gelebte Bevollmächtigung kann dazu führen, dass dem Bevollmächtigten weitere Handlungen, des (mittlerweile) vollmachtlosen Vertreters – wie z.B. das Stellen weiterer Anträge – im Rahmen sogenannter Anscheinsvollmacht zugerechnet werden, wenn der Vollmachtgeber dem von ihm gesetzten Rechtsschein nicht entgegentritt.

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)

3.1 – SG Frankfurt (Oder), Beschluss v. 25.03.2024 – S 14 AS 82/24 ER

Dazu Dr. Jur. Jens-Torsten Lehmann
Sanktionierung sui generis?: keine Einstellung von KdU-Leistungen bei geringen Strom- und Wasserverbrauchswerten

Quelle: ra-jtlehmann.de

3.2 – SG Leipzig, Beschluss v. 08.03.2024 – S 24 AS 232/24 ER

Bürgergeld (SGB II) – Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse – Umzug des Leistungsberechtigten – Wechsel der örtlichen Zuständigkeit

SG Leipzig: Keine Einstellung der Leistung beim Wechsel der örtlichen Zuständigkeit (Verein Tacheles e. V.)

Dazu der Verein Tacheles e. V.
1. Nach § 2 Abs 3 S 1 SGB X soll bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit im Interesse des Leistungsberechtigten eine nahtlose Leistungsgewährung erfolgen.

2. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X hat bei einem örtlichen Zuständigkeitswechsel die bisher zuständige Behörde die Leistungen noch so lange zu erbringen, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden. Die Norm gewährt damit dem Leistungsempfänger einen Anspruch gegen den unzuständig gewordenen Leistungsträger (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. September 2017 – L 2 AS 397/17 B ER).

Quelle: RA Volker Gerloff

Rechtstipp v. Tacheles e. V.:
Ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. Juli 2021 – L 3 AS 785/21 B ER –; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Mai 2019 – L 7 SO 1311/19 ER-B –; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. September 2017 – L 2 AS 397/17 B ER –, SG Berlin, Beschluss vom 11. September 2014 – S 147 AS 20920/14 ER

3.3 – SG Berlin, Beschluss vom 15.03.2024- S 142 AS 951/24 ER – Besprechung dazu vom RA Kay Füßlein, Berlin – Urheberrechtsschutz – beim Zitieren ist auf RA Kay Füßlein oder Verein Tacheles e. V. zu verweisen!

Übernahme der Miete nach Mietvertragsverlängerung – von RA Kay Füßlein

Die Antragsteller in dem hier entschiedenen Fall hatten allerlei aufeinanderfolgenden Zeitmietverträge abschließen müssen (mit recht hohem Mietzins). Dies ist erst mal zivilrechtlich ein sehr dubioses Unterfangen von Seiten des Vermieters (einmal wegen der Befristungen und andererseits wegen der damit einhergehenden Mieterhöhungen).

Das JobCenter weigerte sich jedoch nach dem Abschluss (also praktisch einer Verlängerung des Zeitmietvertrages) die neue Miete als Bedarf anzuerkennen.

Es stütze sich hierbei auf eine Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg aus dem Jahr 2015 (27.8.2015 – L 5 AS 3259/12). In diesem Fall hatten die Kläger erst den Mietvertrag gekündigt und dann einen neuen Vertrag (mit höherer Miete) abgeschlossen. Das LSG hatte in diesem Fall die Übernahme der „neuen“ Miete abgelehnt und dabei § 22 SGB II analog angewendet.

Nach Ansicht des SG Berlin ist diese Rechtsprechung jedoch nicht auf den hier vorliegenden Fall nicht anwendbar:

1. Es sind – wie bis Januar 2024 – die tatsächlichen Aufwendungen zu berücksichtigen, denn die Regelung des § 22 Abs. 1 S. 6 SGB II, auf die sich der Antragsgegner (allerdings unter Benennung des inhaltsgleichen § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II in der bis 31.12.2022 geltenden alten Fassung -aF-) beruft, ist vorliegend nicht einschlägig. Diese Regelung erfordert das Vorliegen eines „Umzugs“.

2. Wie der Antragsgegner selbst in der Begründung des Widerspruchsbescheids vom 29.2.2024 (W 1165/24) ausgeführt hat, ist im hiesigen Fall ein „Umzug“ in diesem Sinne, mithin ein Auszug aus der bisherigen Wohnung und ein Einzug in eine neue Wohnung nicht gegeben. Darüber hinaus liegen auch die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Norm auf einen Fall wie den vorliegenden, mithin bei Auslaufen eines befristeten Mietvertrags und nahtlosem Abschluss eines neuen Mietvertrags für dieselbe Wohnung, nicht vor.

Quelle: RA Kay Füßlein, Berlin

Dazu der Verein Tacheles e. V. – Urheberrechtsschutz
Bürgergeld: § 22 Abs. 1 S. 6 SGB II (Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt)

Leitsatz Verein Tacheles e. V.
1. Die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 6 SGB II ist nicht analog anzuwenden, denn diese Regelung erfordert das Vorliegen eines Umzugs.

Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.
1. Bei Auslaufen eines befristeten Mietvertrags und nahtlosem Abschluss eines neuen Mietvertrags für dieselbe Wohnung sind vom JobCenter weiterhin die tatsächlichen Mietkosten zu übernehmen, denn ein Umzug im S. d. § 22 Abs. 1 Satz 6 SGB II ist nicht gegeben.

2. Bei Auslaufen eines befristeten Mietvertrags und nahtlosem Abschluss eines neuen Mietvertrags für dieselbe Wohnung liegen die Voraussetzungen für die Norm des § 22 Abs. 1 S. 6 SGB II nicht vor!

4. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – SG Freiburg, Urt. v. 11.03.2024 – S 9 SO 2527/22

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de

1. Die erweiterte Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII ist einerseits von den Fällen auf zuschussweise vorbehaltlose Sozialhilfe, andererseits von § 91 SGB XII abzugrenzen. § 91 SGB XII ist einschlägig, wenn sich die Verwertung dem Grunde nach feststehenden Einkommens oder Vermögens ausschließlich zeitlich verzögert, erweiterte Hilfe setzt dagegen objektive Zweifel an Vorhandensein oder Höhe voraus. Ein Wahlrecht steht dem Sozialhilfeträger insoweit nicht zu.

2. Nach den Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts ist § 82 Abs. 1 Satz 2 Nr. 9 SGB XII auf bis einschließlich November 2022 eingetretene Erbfälle und Bedarfszeiträume bis zum 31.12.2022 nicht anzuwenden. Dies gilt sowohl für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen als auch für die Modalitäten der Anrechnung.

3. Bei voraussichtlich lebenslangen Hilfefällen der Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII ist für die Prognose, ob die hilfebedürftige Person innerhalb eines angemessenen Zeitraums über Vermögen verfügen kann und darf, nicht vom einjährigen Regelbewilligungszeitraum nach dem 4. Kapitel, sondern von der verbleibenden Lebenserwartung auszugehen.

Rechtstipp Verein Tacheles e. V. :
Stehe im Streit, ob ein Vermögensgegenstand nach seiner Verwertung überhaupt einzusetzen sei und inwieweit dieser Vermögenswert habe, und werde die abschließende Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts voraussichtlich längere Zeit in Anspruch nehmen oder die Verwertung des Vermögensgegenstands sich verzögern, sei der Träger der Sozialhilfe regelmäßig nach § 19 Abs. 5 SGB XII zur Vorausleistung verpflichtet (Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschl. v. 14.02.2017 – L 9 SO 7/17 B ER-).

4.2 – SG Nürnberg, Beschluss v. 01.12.2023 – S 13 SO 166/23 ER

Kostenübernahme für den Besuch einer heilpädagogischen Tagesstätte als Leistung der Eingliederungshilfe für Ausländer

Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.
1. Bezirk muss vorläufig Kosten für den Besuch der heilpädagogischen Tagesstätte für ein ukrainisches Mädchen tragen.

Dazu RA Volker Gerloff in Newsletter – 17/2023 –
1. § 100 Abs. 1 S. 1 SGB IX beschränkt den Zugang für Ausländer:innen zu Leistungen der Eingliederungshilfe (EGH) auf das Ermessen der Behörde. Das gilt aber nach § 100 Abs. 1 S. 1 SGB IX nicht, wenn bspw. bei Bestehen einer befristeten Aufenthaltserlaubnis mit einem dauerhaften Aufenthalt zu rechnen ist; dann besteht ein Anspruch auf EGH, sobald ein entsprechender Bedarf besteht.

Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de

5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

5.1 – Sozialgericht Stuttgart – Beschluss vom 22.03.2024 – Az.: S 11 AY 919/24 ER

Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Regelbedarfsstufe 2, Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG, Sozialgericht Stuttgart

Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.
1. Gewährung von Leistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1.

2. Die hier streitige monatliche Differenz von 47,- Euro, die etwa 11 % des derzeit bewilligten Regelbedarfs ausmacht, ist ausreichend, um eine Eilbedürftigkeit zu begründen (vgl. auch Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21. Januar 2021 – L 9 AY 27/20 B ER).

weiter bei RA Sven Adam, Göttingen

5.2 – Sozialgericht Hildesheim – Urteil vom 06.02.2024 – Az.: S 27 AY 70/21

Normen: § 2 AsylbLG, § 55 SGG – Schlagworte: Endgültige Feststellung, AsylbLG, vorläufige Leistungen, Sozialgericht Hildesheim

Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.
1. Für die vorläufige Bewilligung von Leistungen nach dem AsylbLG existiert keine explizite Rechtsgrundlage, wie beispielsweise nach dem SGB II oder dem SGB XII.

2. Die Behörde darf eine zulässigerweise vorläufig getroffene Regelung nicht beliebig lange aufrechterhalten (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 19. November 2009, 3 C 7/09).

weiter bei RA Sven Adam, Göttingen

6. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher

6.1 – LSG NRW, Urt. v. 30.01.2024 – L 18 R 707/22 – Revision zugelassen

Grundrente: Anrechnung des Ehegatteneinkommens verfassungsgemäß

Das Einkommen des Ehegattens darf auf die Grundrente der Ehefrau angerechnet werden.

weiter: rsw.beck.de

6.2 – Newsletter – 05/2024 – von RA Volker Gerloff, Berlin

Wieder mal gibt RA V. Gerloff brisante Urteile bekannt wie:

1. SG Leipzig: Keine Leistungslücke durch (örtlichen) Zuständigkeitswechsel

Eine wichtige Entscheidung aus Leipzig (SG Leipzig, Beschluss vom 8.3.2024 – S 24 AS 232/24 ER; vgl. auch BSG, Urteil vom 1.3.2018 – B 8 SO 22/16 R, Rn. 27), die (mal wieder) eine Selbstverständlichkeit (vgl. auch Weisung der Bundesagentur für Arbeit zu § 36 SGB II, 36.29) klarstellt, wobei es damit in der Praxis offenbar immer wieder ein Problem gibt:

Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 SGB X hat bei einem örtlichen Zuständigkeitswechsel die bisher zuständige

Behörde die Leistungen noch so lange zu erbringen, bis sie von der nunmehr zuständigen Behörde fortgesetzt werden. Es darf durch den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit also keine Leistungslücke entstehen!

Schauen Sie selbst: www.ra-gerloff.de

7. Fragen zum Bürgergeld, Sozialhilfe und anderen Gesetzesbüchern – Urheberrechtsschutz

7.1 – Bürgergeld: Kann von dem Einkommen eines Selbstständigen eine Nachzahlung auf die Einkommensteuer für einen zurückliegenden Zeitraum von dem im aktuellen Bewilligungszeitraum erzielten Einkommen als Betriebsausgabe abgesetzt werden? (höchst richterlich umstritten)

Nach einer neuen höchstrichterlichen Entscheidung ist das nicht möglich, so Tacheles e. V.

Dazu der Verein Tacheles e. V.:
Keine Absetzbarkeit einer Einkommensteuernachzahlung

Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.
1. Nach § 11b Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II abzugsfähig ist nur die auf das im Bewilligungszeitraum erzielte Einkommen eines Selbstständigen entrichtete Einkommensteuer, nicht eine Steuernachzahlung.

Leitsatz Redakteur v. Tacheles e. V.
1. Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II können nur solche zu entrichtenden Steuern vom Einkommen im Bewilligungszeitraum abgesetzt werden können, die sich auch auf das im Bewilligungszeitraum erzielte Einkommen beziehen.

2. Nicht unter die Vorschrift fallen Steuernachforderungen für zurückliegende Zeiträume, denn diese werden nicht auf das aktuelle Einkommen entrichtet (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.12.2018, L 31 AS 402/18 NZB; LSG Sachsen, Urteil vom 10.11.2020, L 8 AS 701/16). Solche Nachzahlungen stehen Schulden gleich, deren Tilgung nicht die Hilfebedürftigkeit zu begründen vermag (Söhngen in juris-PK-SGB II, Stand 07.03.2023, § 11b Rn. 19 m.w.N.).

3. Die Anwendung des § 11b Abs. 1 Satz Nr. 5 SGB II scheidet insoweit ebenfalls aus.

4. Eine Entscheidung des Bundessozialgerichts zu dieser Frage liegt noch nicht vor, doch sollte wohl das BSG diese Rechtsfrage noch in diesem Jahr klären, denn anhängig beim BSG.

Rechtstipp v. Tacheles e. V.:
ebenso Sächsisches LSG, Urt. v. 06.04.2023 – L 7 AS 629/20 – Revision zugelassen; Sächsisches LSG, Urteil vom 10.11.2020 – L 8 AS 701/16; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2020 – L 9 AS 785/20; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 06.12.2018 – L 31 AS 402/18 NZB, LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 20.06.2017 – L 18 AS 1812/16, a. Auffassung: SG Chemnitz, Urteil vom 25.05.2016, S 35 AS 3984/14; SG Kiel, Vergleich vom 14.11.2016, S 40 AS 100/15)

Lesetipp:
Einkommensteuernachzahlung ist Betriebsausgabe, Beitrag von RA Helge Hildebrandt, Kiel

Hinweis:
Dieser Beitrag wurde vom Verein Tacheles e. v. Erarbeitet und stützt dabei seine Meinung auf höchstrichterliche Rechtsprechung. Zitieren des Beitrags ist nur mit Quellenangabe: Verein Tacheles e. V. Erlaubt.

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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker