BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
xxx,
Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55,
37073 Göttingen
– Antragsteller –
gegen
Altmarkkreis Salzwedel, vertreten durch den Landrat,
Karl-Marx-Straße 32, 29410 Salzwedel
– Antragsgegner –
hat die 25. Kammer des Sozialgerichts Magdeburg am 5. April 2024 durch die Vorsitzende, die Richterin am Sozialgericht xxx, beschlossen:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 07.03.2024 gegen den Bescheid vom 22.02.2024 wird angeordnet.
2. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 13.03.2024 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15.02.2024, längstens bis zum 31.12.2024, Leistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 für den Zeitraum ab dem 10.03.2024 unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen zu gewähren.
3. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
4. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 3⁄4 zu erstatten.
5. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen, bewilligt.
GRÜNDE
I.
Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Verfahrens über einen Bescheid des Antragsgegners vom 22.02.2024, durch welchen die dem Antragsteller durch Bescheid vom 15.02.2024 nach §§ 3, 3a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bewilligten Leistungen auf solche nach § 1a Abs. 7 AsylbLG beschränkt worden sind. Des Weiteren begehrt der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung die Gewährung von sog. Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1.
Der am xx.xx.1994 geborene Antragsteller ist nach eigenen Angaben syrischer Nationalität. Derzeit wohnt er in einer Gemeinschaftsunterkunft. Zuletzt gewährte ihm der Antragsgegner mit Bescheid vom 15.02.2024 Grundleistungen gem. § 3 AsylbLG für den Zeitraum ab dem 01.01.2024 in Höhe von monatlich 413 Euro unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 2. Mit Schreiben vom 13.03.2024 legte der Antragsteller dagegen Widerspruch ein und begehrt Leistungen nach § 2 AsylbLG. Die Bedarfssätze nach § 3a AsylbLG seien ihm zudem in Höhe von 100% zu gewähren. Die Regelungen der §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG seien evident verfassungswidrig, da sie das durch Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfG vom 09.02.2010 – Az.: 1 BvL 1/09, BVerfGE 125, 175) verletzten und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstießen, Art. 3 Abs. 1 GG. Über den Widerspruch ist bislang nicht entschieden.
Der Antragsteller reiste nach eigenen Angaben am 23.05.2022 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 27.05.2022 stellte er einen förmlichen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 08.08.2022 als unzulässig abgelehnt wurde, da Litauen entsprechend der Dublin-III-VO für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig geworden sei. Die Abschiebung nach Litauen wurde angeordnet. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Magdeburg (VG) vom 05.09.2022 zum Az. 3 B 262/22 MD wurde die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 22.08.2022 gegen die Abschiebungsanordnung im Bescheid des BAMF vom 08.08.2022 zunächst angeordnet. Mit weiterem Beschluss des VG vom 29.01.2024 wurde unter Abänderung des Beschlusses des Gerichts vom 05.09.2022 der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des BAMF vom 08.08.2020 abgelehnt. Dieser unanfechtbare Beschluss des VG mit dem Az. 3 B 24/24 MD erging von Amts wegen nach § 80 Abs. 7 VwGO wegen veränderter Umstände.
Mit Statusmitteilung der Ausländerbehörde vom 01.02.2024 wurde dem Antragsgegner mitgeteilt, dass bei dem Antragsteller der Tatbestand des § 1a Abs. 7 AsylbLG vorliegen könne: Durch den Bescheid des BAMF vom 08.08.2022 sei festgestellt, dass dem Antragsteller kein Asylrecht zustehe, die Aufenthaltsgestattung seit dem 29.01.2024 gem. § 67 Abs. 1 AsylG erloschen sei und die Abschiebungsanordnung seit dem 29.01.2024 vollziehbar sei. Eine Überstellung nach Litauen sei eingeleitet.
Daraufhin hörte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 01.02.2024 zu einer beabsichtigten Leistungskürzung gem. § 1a Abs. 7 AsylbLG ab dem 16.02.2024 an. Der Antragsteller äußerte sich nicht.
Mit Bescheid vom 22.02.2024 hob der Antragsgegner die bisher gewährten Leistungen nach dem AsylbLG mit Wirkung ab dem 01.03.2024 auf und gewährte dem Antragsteller für den Zeitraum vom 01.03.2024 bis 31.08.2024 Leistungen gemäß § 1a Abs. 7 AsylbLG in Höhe von monatlich 206 Euro. Dagegen legte der Antragsteller am 07.03.2024 Widerspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden wurde.
Am 10.03.2024 hat der Antragsteller das erkennende Gericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Ursprünglich hatte sein Antrag lediglich das Ziel, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 07.03.2024 anzuordnen. Mit weiterem Schreiben vom 13.03.2024 begehrt der Antragsteller nun zudem auch, ihm Leistungen gem. § 2 AsylbLG zu gewähren. Der Antragsteller meint, dass die Norm des § 1a Abs. 7 AsylbLG verfassungswidrig sei. Im Rahmen einer verfassungskonformen Auslegung sei das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal einer individuell vorwerfbaren Pflichtverletzung zusätzlich zu fordern. Eine solche individuelle Pflichtverletzung sei jedoch dem Antragsteller nicht vorwerfbar. Der Antragsteller hätte zudem seit dem 23.11.2023 auf Leistungen nach § 2 AsylbLG umgestellt werden müssen, da er seit dem 23.05.2022 in Deutschland sei. Hilfsweise trägt der Antragsteller vor, dass hinsichtlich der Leistungen gemäß der §§3, 3a AsylbLG dem Antragsteller anstelle der Regelbedarfsstufe 2 solche der Regelbedarfsstufe 1 zu bewilligen seien. Die Regelungen der §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG seien evident verfassungswidrig, da sie das durch Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzten und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstießen. Er verwies neben zahlreichen sozialgerichtlichen erstinstanzlichen Entscheidungen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch auf den am 23.11.2022 veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 19.10.2022 zu dem Az. 1 BvL 3/21. Darin hat das BVerfG § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG mit Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt werde. Die Entscheidung des BVerfG sei auch auf die Normen des § 3a Abs. 1 Nr. 2 b AsylbLG bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG anzuwenden.
Der Antragsteller beantragt wortwörtlich,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruches des Antragstellers vom 07.03.2024 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.02.2024 wiederherzustellen und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 07.03.2024 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.02.2024 und über den Widerspruch vom 13.03.2024 gegen den Bescheid vom 15.02.2024 sog. Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 07.03.2024 seien nicht gegeben. Der Antragsteller erfülle die Tatbestandsmerkmale des § 1a Abs. 7 AsylbLG. Dem Antragsgegner sei daher keine andere Entscheidung möglich.
Für Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften lebten und Leistungen gem. §§ 3 und 3a AsylbLG erhalten, basiere die Leistungsgewährung für den notwendigen persönlichen Bedarf sowie den notwendigen Bedarf auf der Regelbedarfsstufe 2. Eine analoge Anwendung der Entscheidung des BVerfG zum Az. 1 BvL 3/21 sei von der Fachaufsichtsbehörde nicht verfügt. Daher verbleibe es bei der gesetzlichen Regelung.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners und die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
II.
Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und weit überwiegend begründet.
Nach Auslegung des Antrages im Sinne des Meistbegünstigungsprinzips ist der Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zum einen auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 07.03.2024 gegen den Bescheid vom 22.02.2024 (s.u. Punkt 1) und zum anderen auf die Verpflichtung des Antragsgegners gerichtet, dem Antragsteller Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren; hilfsweise jedoch die Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren (s.u. Punkt 2). Insofern erhält der Antrag des rechtskundig vertretenen Antragstellers zwar keinen expliziten Hilfsantrag. Es ist jedoch aus dem Schriftsatz des Antragstellerbevollmächtigen vom 13.03.2024 deutlich herauszulesen, dass der Antragsteller hilfsweise die gewährten Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 begehrt.
Das Gericht ist an den schriftsätzlich gestellten Antrag des Antragstellers nicht gebunden (§ 123 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Sein Begehren kommt jedoch hinreichend deutlich zum Ausdruck.
1.
Im Hinblick auf den begehrten Zweck ist die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 07.03.2024 gegen den Bescheid vom 22.02.2024 anzuordnen. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs kommt insofern – entgegen des Antrags des Antragstellerbevollmächtigten – nicht in Betracht. Gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Das Begehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist statthaft. Nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, eine Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a AsylbLG festgestellt wird, keine aufschiebende Wirkung. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist möglich. Der angegriffene Bescheid vom 22.02.2024 ist aufgrund form- und fristgerechter Widerspruchseinlegung vom 07.03.2024 noch nicht bestandskräftig geworden (§ 77 SGG).
Der Antrag ist auch hinsichtlich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung begründet, weil das private Aufschubinteresse das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug überwiegt. Das private Aufschubinteresse überwiegt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Adressaten eine unbillige nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (Meyer-Ladewig, SGG, 8. Aufl., § 86a Rn. 27). Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten sind umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme wirkt oder rückgängig gemacht werden kann (vgl. Binder in Hk-SGG, § 86b Rn. 13 ff.). Abzuwägen sind bei offenem Ausgang die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung zugunsten des Antragstellers nicht erginge, die Klage aber später Erfolg hätte, mit denen die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erginge, die Klage aber erfolglos bliebe.
Aufgrund ungeklärter und schwieriger verfassungsrechtlicher Fragen, die im Eilverfahren nicht abschließen geklärt werden können und müssen (BVerfG, Beschluss vom 14.02.2017 – 1 BvR 2507/16 Rn. 19), ist im Ergebnis der vorzunehmenden Folgenabwägung die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 22.02.2024 anzuordnen.
Rechtsgrundlagen der Leistungseinschränkung sind §§ 1a Abs. 7 Satz 1, 14 Abs. 2 AsylbLG: Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 5 AsylbLG, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des BAMF nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 31 Abs. 6 AsylG als unzulässig abgelehnt wurde und für die eine Abschiebung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG angeordnet wurde, erhalten nur Leistungen entsprechend § 1a Abs. 1 AsylbLG, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist (§ 1a Abs. 7 Satz 1 AsylbLG). Dies gilt nicht, sofern ein Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung angeordnet hat (§ 1a Abs. 7 Satz 2 AsylbLG). Die Anspruchseinschränkungen nach diesem Gesetz sind auf sechs Monate zu befristen (§ 14 Abs. 1 AsylbLG). Unstreitig erfüllt der Antragsteller diese geschriebenen Voraussetzungen: Der Antragsteller ist grds. leistungsberechtigt nach dem AsylbLG. Außerdem hat das BAMF mit Bescheid vom 08.08.2022 den Asylantrag als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Klägers nach Litauen gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG angeordnet, weil Litauen gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchstabe c der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Dublin III-VO) für das weitere Asylverfahren des Klägers zuständig ist. Allerdings ist höchstrichterlich ungeklärt, ob im Wege einer teleologisch-systematischen Reduktion der Vorschrift als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal außerdem zu fordern sein dürfte, dass ein pflichtwidriges Verhalten des betreffenden Leistungsberechtigten gegeben ist. Dies dürfte wiederum ggf. voraussetzen, dass mit Fristsetzung auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise zur Vermeidung leistungsrechtlicher Konsequenzen seitens des Antragsgegners hingewiesen wird – was vorliegend nicht erfolgte. Die Kammer verweist diesbezüglich lediglich auf die Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgericht, in der ausgeführt wird, dass eine Anspruchseinschränkung ohne Anknüpfung an ein Fehlverhalten den bisherigen Sanktionssystemen sowohl im Asylbewerberleistungsgesetz als auch in der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe, wonach die Kürzung von Leistungen stets ein bestimmtes, vorwerfbares Verhalten oder Unterlassen des Leistungsberechtigten zur Voraussetzung hat, widerspreche. Deshalb sei für die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 7 AsylbLG im Wege der normerhaltenden, teleologischen Reduktion zu fordern, dass dem Leistungsberechtigten ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei (BayLSG, Beschlüsse vom 6.9.2022 Az. L 8 AY 73/22 B ER, vom 11.04.2022 Az. L 8 AY 34/22 B ER, vom 15.03.2022 Az. L 8 AY 7/22 B ER und vom 18.01.2022 Az. L 8 AY 103/21 B ER sowie Urteil vom 31.05.2023, Az. L 8 AY 7/23). Diese Rechtsfrage ist derzeit beim BSG unter dem Aktenzeichen B 8 AY 6/23 R (Revision zum Urteil des Bayerischen LSG vom 31.05.2023) anhängig.
Die Folgenabwägung ist zugunsten des Antragstellers vorzunehmen, da existenzsichernde Leistungen in Streit stehen und bei Fortsetzung der Anspruchseinschränkung die Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung des Existenzminimums zu befürchten ist (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG), sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass Leistungen zu Unrecht nicht gewährt wurden. Nach den Vorgaben des BVerfG ist gerade eine Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG zu verhindern. Die Dringlichkeit der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ergeben sich aus der existenzsichernden Funktion der beantragten Sozialleistungen.
Nach alledem war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 07.03.2024 gegen den Bescheid vom 22.02.2024 anzuordnen.
2.
Der Antragsteller hat zudem Anspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 und nicht wie bisher lediglich gewährt in der Regelbedarfsstufe 2. Insofern hat der Antrag des Antragstellers auf einstweilige Anordnung Erfolg. Keinen Erfolg hat der Antrag auf eine einstweilige Anordnung, soweit der Antragsteller sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG begehrt.
Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m.§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsanspruchs (also eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) als auch eines Anordnungsgrunds (also der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile). Ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn ihre tatsächlichen Voraussetzungen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rn. 41).
Je gewichtiger die drohende Grundrechtsverletzung und je höher ihre Eintrittswahrscheinlichkeit ist, desto intensiver hat die tatsächliche und rechtliche Durchdringung der Sache bereits im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu erfolgen. Ist eine der drohenden Grundrechtsverletzung entsprechende Klärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich – etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte –, kann eine Entscheidung aufgrund einer Folgenabwägung ergehen (Bundesverfassungsgericht <BVerfG>, Beschluss vom 14. März 2019 – 1 BvR 169/19 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Zur Überzeugung der Kammer hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1, nicht jedoch auf sog. Analogleistungen gem. § 2 AsylbLG, glaubhaft gemacht.
a)
Nach summarischer Prüfung hat der Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG. Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG sind abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch und Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit mehreren Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. In der ab dem 27.02.2024 geltenden Neufassung des § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gilt nunmehr eine Wartezeit von 36 Monaten, anstelle der zuvor geltenden Wartezeit von 18 Monaten. Die Übergangsregelung in § 20 AsylbLG bestimmt, dass für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, die bis zum 26.02.2024 Analogleistungen (§ 2 Abs. 1 AsylbLG) erhalten haben, § 2 AsylbLG in der Normfassung aufgrund des Änderungsgesetzes vom 23.05.2022 weiter anzuwenden ist. § 20 AsylbLG trifft jedoch lediglich eine Übergangsregelung für die Personen, die bereits vor dem 27.02.2024 Analogleistungen nach § 2 AsylbLG erhalten haben. Voraussetzung ist damit folglich eine bisherige tatsächliche Leistungsgewährung (vgl. Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 20 AsylbLG [Stand: 08.03.2024], Rn. 13), die im hier zu entscheidenden Fall jedoch nicht vorliegt. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG durch Verwaltungsakt (entweder als schriftlicher Bescheid oder konkludent durch Zahlung) sind dem Antragsteller bislang nicht bewilligt.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller vor der Neufassung des § 2 AsylbLG dem Antragsgegner zur Kenntnis gebracht hat, dass er Analogleistungen begehre (Kenntnisgrundsatz gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG i.V.m. § 18 SGB XII) oder er Analogleistungen sogar ausdrücklich beantragte und durch die AsylbLG-Leistungsbehörde jedoch in beiden Alternativen keine Bewilligung vor dem 27.02.2024 erfolgt ist. Vielmehr hat der Antragsteller sein Begehren auf Leistungen nach § 2 AsylbLG erstmals mit Widerspruch vom 13.03.2024 zur Kenntnis gebracht und damit nach der Neufassung des Gesetzes. Selbst bei Einlegung des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz hat der Antragsteller in seiner Antragsbegründung vom 07.03.2024 darauf nicht abgestellt.
Der Eilantrag war diesbezüglich abzulehnen.
b)
Der Antragsteller hat jedoch nach summarischer Prüfung Anspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in Höhe der Regelbedarfsstufe 1.
Der Antragsteller lebt in einer Gemeinschaftsunterkunft i.S.v. § 53 Abs. 1 AsylbLG und bezieht unstreitig Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG. Unter Berücksichtigung des Beschlusses des BVerfG vom 19.10.2022 stehen ihm diese allerdings im Umfang der Regelbedarfsstufe 1 zu. Das BVerfG hat mit dem am 23.11.2022 veröffentlichten Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21 – entschieden, dass die Sonderbedarfsstufe 2 für eine in einer Sammelunterkunft untergebrachte alleinstehende erwachsene Person nach der Parallelvorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG mit dem Grundgesetz (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) unvereinbar ist (Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums). Die Annahme des Gesetzgebers, den Leistungsberechtigten sei es möglich und zumutbar, in den Unterkünften eröffnete Möglichkeiten zu gemeinsamem Wirtschaften zu nutzen, sowie die Berücksichtigung von dadurch erzielbaren Einsparungen bei der Bemessung des existenznotwendigen Bedarfs (vgl. BT-Drs. 19/10052, S. 24 f.), sei zwar im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich nach dem Nachranggrundsatz nicht zu beanstanden. Diese Obliegenheit gemeinsamen Wirtschaftens sei aber nur dann verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn hinreichend gesichert ist, dass in den Sammelunterkünften auch tatsächlich die Voraussetzungen dafür vorliegen, diese erfüllen und so Einsparungen in entsprechender Höhe erzielen zu können. Dafür müssen sich jedoch ausdrücklich bei einem gemeinsamen Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft (§ 53 AsylG) oder Aufnahmeeinrichtung (§ 44 AsylG) Anhaltspunkte ergeben (vgl. BVerfG v. 19.10.2022 – 1 BvL 3/21 – juris Rn. 74 ff.).
Das BVerfG hat eine Übergangsregelung angeordnet, nach der für alleinstehende Erwachsene, die in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht sind, unter den Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 S. 1 und S. 4 Nr. 1 AsylbLG ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anstatt 2 anerkannt wird.
Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass diese Überlegung des BVerfG auch auf die Parallelvorschriften für Leistungsberechtigte in Sammelunterkünften nach § 3a AsylbLG Anwendung zu finden haben, da mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass auch die §3a Abs. 1 Nr. 2b AsylbLG bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG verfassungswidrig sind (vgl. Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 3a AsylbLG (Stand: 28.11.2022),Rn. 44_18). Die Sachverhalte sind vergleichbar, denn es bestehen keine Anhaltspunkte, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächliche Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt wird oder werden könne.
Insofern hat bereits die Bundesregierung über das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bekannt gegeben, dass der Beschluss des BVerfG auch bei der Gewährung von Grundleistungen nach §§ 3 bzw. 3a AsylbLG angewandt werden sollte. Die der Verfassungswidrigkeit der Norm zugrundeliegende Begründung, es gäbe keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können, die eine Absenkung der Leistungen um 10 % rechtfertigen würden, sei von grundsätzlicher Natur. Das BMAS geht daher von einer Anwendbarkeit des Beschlusses auch auf die Parallelregelungen in § 3a Absatz 1 Nummer 2 und Absatz 2 Nummer 2 AsylbLG für Leistungen im Grundleistungsbezug aus. So haben bereits einzelne Länder (z.B. Berlin) verfügt, dass künftig alle erwachsenen alleinstehenden Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG, die in einer Gemeinschaftsunterkunft, Aufnahmeeinrichtung oder ggf. Notunterkunft untergebracht sind, Anspruch auf den Bedarfssatz bzw. die Regelbedarfsstufe für alleinstehende Erwachsene nach der Regelbedarfsstufe 1, soweit sie nicht als junge Erwachsene im elterlichen Haushalt (unabhängig von der Art der Unterbringung) leben (vgl. beispielsweise Rundschreiben der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales, Soz Nr. 01/2023 zur Umsetzung der §§ 2 und 3, 3a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Es ist zudem ein Anordnungsgrund gegeben. Vor dem Hintergrund der dargestellten überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache unter Verweis auf die Entscheidung des BVerfG vom 19.10.2022 ist eine restriktive, an der Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit ausgerichtete Rechtsprechung im einstweiligen Rechtsschutz nicht angezeigt (Frerichs, a.a.O., Rn. 44.19).
In zeitlicher Hinsicht ist der Anordnungsgrund jedoch auf Leistungen ab Antragstellung – vorliegend am 10.03.2024 – zu begrenzen. Dies folgt daraus, dass die Gewährung von Sozialleistungen im Wege der einstweiligen Anordnung nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage dienen soll. Es fehlt daher grundsätzlich an einem Anordnungsgrund, wenn Leistungen für die Vergangenheit, d.h. für Zeiträume vor Eingang des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht begehrt werden (LSG NRW, Beschlüsse vom 05.11.2008, Az. L 19 B 95/08 AS ER; vom 04.02.2009, Az. L 9 B 211/08 AS ER; vom 29.08.2006, Az. L 20 B 77/06 SO ER).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Verfahrens. Dabei ist zu beachten, dass der Antragssteller mit seinem Eilantrag weit überwiegend Erfolg hat.
Voraussetzung für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gemäß § 73a SGG in Verbindung mit § 114 ZPO unter anderem, das die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes besteht nach den ausgeführten Darlegungen. Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Adam ist somit für den vorliegenden Rechtstreit zu bewilligen.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.