Sozialgericht Trier – Beschluss vom 15.04.2024 – Az.: S 3 AY 7/24 ER

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

xxx,

– Antragsteller –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55,
37073 Göttingen

gegen

Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch den
Präsidenten der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion,
Willy-Brandt-Platz 3, 54290 Trier

– Antragsgegner –

hat die 3. Kammer des Sozialgerichts Trier am 15. April 2024 durch die Vizepräsidentin des Sozialgerichts xxx beschlossen:

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab dem 28.02.2024 bis zur Entscheidung über den Widerspruch vom 20.02.2024, längstens bis zur Entscheidung über den Asylantrag durch das BAMF, vorläufig höhere Leistungen nach Maßgabe von §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG zu erbringen. Der darüberhinausgehende Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

3. Dem Antragsteller wird zur Wahrnehmung seiner Rechte in der ersten Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam, Göttingen, zu den Bedingungen eines im Bezirk des Sozialgerichts Trier ansässigen Rechtsanwalts bewilligt.

GRÜNDE

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der im Juni 2005 geborene Antragsteller ist nach den Feststellungen des Bundsamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) marokkanischer Staatsbürger. Nach seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ist er seit dem 26.09.2023 in einer Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende (AfA) des Antragsgegners untergebracht, zunächst in der AfA Trier, inzwischen in Bitburg. Am 17.10.2023 stellte er einen förmlichen Asylantrag. Er ist im Besitz einer Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Asylgesetz (AsylG).

Der Antragsgegner gewährt dem Antragsteller Leistungen nach dem AsylbLG. Er zahlte auf entsprechende jeweilige Vorsprache des Antragstellers für den Zeitraum ab dem 12.10.2023 einen Barbetrag als notwendigen persönlichen Bedarf nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2b AsylbLG aus. Die monatlichen Leistungen werden dabei zum Zweck der taggenauen Auszahlung auf einen Tagessatz (1/30) berechnet und 14-tägig für den jeweiligen Zeitraum ausgezahlt. So zahlte der Antragsgegner am 22.02.2024 für den Zeitraum 15.01.2024 bis 25.02.2024 einen Betrag von 257,60 € und am 01.03.2024 für den Zeitraum 26.02.2024 bis 10.03.2024 den Betrag von 85,90 €. Im Übrigen werden Leistungen durch Sachleistung gewährt.

Mit Schreiben vom 20.02.2024 legte der Antragsteller Widerspruch gegen die ihm gewährten Leistungen nach dem AsylbLG im Zeitraum 01.03.2023 bzw. ab der Zuweisung in die AfA Bitburg und begehrte höhere Leistungen.

Am 28.02.2024 hat der Antragsteller beim angerufenen Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der er die vorläufige Gewährung von höheren Leistungen nach dem AsylbLG begehrt. Er trägt zur Begründung vor, die Leistungen seien nach Bedarfsstufe 1 des § 3 AsylbLG zu bestimmen und nicht nach Bedarfsstufe 2 wie vom Antragsgegner vorgenommen. Die Regelungen der §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG seien evident verfassungswidrig, da sie das durch Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm Art. 20 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzten und gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstießen. Der Gesetzgeber habe die zur Gewährleistung des Grundrechts erforderlichen Ermittlungen hinsichtlich des spezifischen Bedarfs von Leistungsberechtigten nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG nicht angestellt, sondern halte, wie die Gesetzesbegründung zeige, Einspar- und Synergieeffekte wie in Paarhaushalten lediglich für möglich und zumutbar. Anders als bei Partnern, die sich gegenseitig unterstützten, könnten Alleinstehende, die in einer Unterkunft lebten, nicht auf Einsparmöglichkeiten verwiesen werden. Insoweit sei bereits die Annahme eines gemeinsamen Wirtschaftens der Bewohner tatsächlich unzutreffend. Es bestünden keine Unterschiede im Bedarf zu alleinstehenden erwachsenen Leistungsberechtigten nach § 2 AsylbLG, die in einer Wohnung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes lebten, oder zu alleinstehenden erwachsenen Leistungsberechtigten nach dem SGB XII, die in einer Unterkunft lebten. Der Gesetzgeber stelle diese Personengruppen trotz gleichen Hilfebedarfs besser als ihn. Eine Ungleichbehandlung sei nicht gerechtfertigt. Inzwischen habe eine Reihe von Gerichten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Leistungsgewährung entsprechend der Bedarfsstufe 2 im Fall des Bezugs von Leistungen nach § 2 AsylbLG und § 3a AsylbLG bei Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften lebten, geäußert (Verweis auf SG Landshut, Beschluss vom 24.10.2019 – S 11 AY 64/19 ER; SG Freiburg vom 03.12.2019 – S 9 AY 4605/19 ER; SG München, Hinweis vom 31.01.2020 – S 42 AY 4/20 ER; SG Hannover, Beschluss vom 20.12.2019 – S 53 AY 107/19 ER; SG Leipzig, Beschluss vom 08.01.2020 – S 10 AY 40/19 ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 23.03.2020 – L 8 AY 4/20 B ER; SG Kassel, Urteil vom 19.11.2020 – S 12 AY 22/20; SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 31.12.2020 – S 9 AY 1/20; SG Frankfurt, Beschluss vom 14.01.2020 – S 30 AY 26/19 ER; SG Dresden, Beschluss vom 04.02.2020 – S 20 AY 86/19 ER; LSG Hessen, Beschluss vom 13.04.2021 – L 4 AY 3/21 B ER).
Das Bundesverfassungsgericht habe zudem die in § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG vorgesehene Reduzierung des Leistungssatzes für alleinstehende Asylsuchende in Sammelunterkünften für verfassungswidrig erklärt und entschieden, dass bis zu einer Neuregelung für alleinstehende Personen in Sammelunterkünften der Regelbedarf nach der Stufe 1 zu bestimmen sei (Bezugnahme auf Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21). §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG müssten unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfGs teleologisch eingeschränkt ausgelegt werden (Verweis auf Bayerisches LSG vom 31.05.2023 – L 8 AY 7/23). Auch ihm seien daher Leistungen nach Bedarfsstufe 1 zu gewähren. Da sein verfassungsrechtlich garantiertes Existenzminimum nicht gesichert sei, sei von einem Anordnungsgrund auszugehen.
Zur weiteren Begründung seines Antrags legt der Antragsteller Entscheidungen des SG Heilbronn vom 05.03.2024 – S 16 AY 395/24 ER, des SG Stuttgart vom 29.02.2024 – S 11 AY 551/24 ER, des SG Halle vom 28.02.2024 – S 17 AY 1/24 ER – und des SG Speyer vom 11.04.2024 – S 15 AY 3/24 ER – vor.

Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch vom 20.02.2024 gegen die faktische Leistungsgewährung durch den Antragsgegner unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen in verfassungsgemäßer Höhe in der Regelbedarfsstufe 1 ab 28.02.2024 zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt er vor,
die vom Antragsteller vorgebrachten Überlegungen zur Verfassungswidrigkeit von §§ 3, 3a AsylbLG teile er nicht. Die Entscheidung des BVerfG vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21 – könne zu Gunsten des Antragstellers keine Wirkung entfalten. Das BVerfG habe § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG für verfassungswidrig erklärt, zu dem nach dieser Norm berechtigten Personenkreis gehöre der Antragsteller jedoch nicht. Er erhalte vielmehr Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG und auf den Anwendungsbereich dieser Vorschriften entfalte die Entscheidung des BVerfG keine Gesetzeskraft. Der Gesetzgeber habe trotz der Entscheidung des BVerfG bis heute keine Notwendigkeit gesehen, eine andere gesetzliche Regelung zu erlassen. Da keine Normverwerfungskompetenz der Verwaltung gegeben sei, fänden § 3a Abs. 1 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG weiterhin grundsätzlich Anwendung. Die vom Antragsteller vorgelegten Entscheidungen entfalteten für das vorliegende Verfahren keine Bindungskraft, da es sich ausschließlich um erstinstanzliche Urteile von Sozialgerichten anderer Bundesländer handele. Darüber hinaus bestehe kein vergleichbarer Sachverhalt. Die vorgelegten Entscheidungen beträfen eine Unterbringung in einer kommunalen Gemeinschaftsunterkunft, die sich grundlegend von einer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung unterscheide. Der in einer Aufnahmeeinrichtung durch Sachleistungen abgedeckte notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege sowie Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushaltes sei weitaus umfangreicher als in einer kommunalen Gemeinschaftsunterkunft. Auch hinsichtlich des allein in Rede stehenden notwendigen persönlichen Bedarfs bestünden in den Unterbringungsformen deutliche Unterschiede.

So solle der notwendige persönliche Bedarf bei einer Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung durch Sachleistungen erbracht werden (§ 3 Abs. 2 AsylbLG). Lediglich aus Gründen der Vereinfachung werde der notwendige persönliche Bedarf in Form von Taschengeld ausgezahlt ohne eine nähere Differenzierung danach, ob der Bedarf nicht bereits teilweise in Form von Sachleistungen gedeckt werde. In kommunalen Gemeinschaftsunterkünften sei dagegen der notwendige persönliche Bedarf als Geldleistung zu gewähren. Das Existenzminimum und der existentielle Bedarf der Bewohner werde in Aufnahmeeinrichtungen durch Sachleistungen weitergehender gedeckt mit der Folge, dass die Regelbedarfsstufe 1 nicht anzuwenden sei. Aus diesem Grund komme es auch nicht darauf an, ob die Bewohner einer Einrichtung gemeinsam wirtschafteten und Synergieeffekte einträten. Die Regelbedarfsstufe 1 könne zu Gunsten des Antragstellers bei der Leistungsgewährung daher nicht zu Grunde gelegt werden. Die Empfehlung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), die im Beschluss des BVerfG vom 19.10.2022 getroffenen Anordnungen zu § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG auch in den Fällen der § 3a Abs. 1 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG anzuwenden (Schreiben vom 23.01.2023), und der Umlaufbeschluss 04/2023 der Arbeits- und Sozialministerkonferenz, der feststelle, dass der Empfehlung des BMAS Folge geleistet werden könne, habe für die Verwaltungspraxis in Rheinland-Pfalz keine Verbindlichkeit.
Es bestehe auch kein Anordnungsgrund. Es gehe um 20 € mehr im Monat, hierdurch werde keine Existenzbedrohung des Antragstellers bedingt, da der überwiegende Teil der Leistungen in Form von Sachleistungen gewährt werde.

Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Antragsteller unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam, Göttingen, beantragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die von dem Antragsgegner vorlegte Verwaltungsakte und die beigezogenen Akten des BAMF wie der Stadtverwaltung Trier – Ausländerbehörde – Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Hierzu muss glaubhaft gemacht sein, dass das geltend gemachte Recht des Antragstellers gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung wesentliche Nachteile erleidet (Anordnungsgrund). Nach dem Sinn und Zweck des § 86b Abs. 2 SGG sollen mittels des dort geregelten Instrumentes des einstweiligen Rechtsschutzes irreparable Entscheidungen durch die Verwaltung und damit endgültige, vom Gericht nicht mehr zu korrigierende Umstände, verhindert werden. Demzufolge kann eine einstweilige Anordnung vor einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache nur erlangt werden, wenn ohne die begehrte Anordnung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden und diese auch nicht durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache beseitigt werden könnten. Zudem muss der Erfolg in der Hauptsache wahrscheinlich sein und diese darf nicht durch die einstweilige Anordnung erledigt oder vorweggenommen werden. Lässt also die im Eilverfahren durchgeführte Prüfung bereits erkennen, dass das von dem Antragsteller behauptete Recht zu seinen Gunsten nicht besteht, so ist auch nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung nicht möglich, weil dann eine sicherungsfähige und sicherungswürdige Rechtsposition fehlt. Sowohl die hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit eines Anordnungsanspruchs als auch der Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht werden, § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG iVm §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 -, juris) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hingegen die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Gemessen hieran besteht zur Überzeugung des Gerichts sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsteller hat Anspruch auf höhere Leistungen.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf). Wird der notwendige persönliche Bedarf vollständig durch Geldleistungen gedeckt, so beträgt er gemäß § 3a Abs. 1 AsylbLG in der Fassung der Bekanntmachung über die Höhe der Leistungssätze nach § 3a Absatz 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes für die Zeit ab 1. Januar 2024 vom 19. Oktober 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 288) monatlich

  1. für erwachsene Leistungsberechtigte, die in einer Wohnung im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes leben und für die nicht Nummer 2 Buchstabe a oder Nummer 3 Buchstabe a gelten, sowie für jugendliche Leistungsberechtigte, die nicht mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung leben, je 204 Euro
  2. für erwachsene Leistungsberechtigte je 184 Euro, wenn sie
    a) in einer Wohnung im Sinne von § 8 des Regelbedarfsermittlungsgesetzes mit einem Ehegatten oder Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft mit einem Partner zusammenleben,
    b) nicht in einer Wohnung leben, weil sie in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder nicht nur kurzfristig in einer vergleichbaren sonstigen Unterkunft untergebracht sind;…….

Der Antragsteller, der im Besitz einer Aufenthaltsgestattung nach dem Asylgesetz ist, gehört gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG zum Kreis der Leistungsberechtigten. Er ist auch hilfebedürftig (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG), denn er verfügt, wie er in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Gewährung von Prozesskostenhilfe versichert hat – der Antragsgegner hat keine Einkommens- und Vermögensabfrage durchgeführt – nicht über Einkommen und Vermögen.

Zur Überzeugung des Gerichts hat der Antragsteller auch Anspruch auf Gewährung des hier in Rede stehenden notwendigen persönlichen Bedarfs nach Bedarfsstufe 1 gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG, obwohl er in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht ist und damit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3a Abs. 1 Nr. 2b AsylbLG erfüllt. Dieser Vorschrift begegnen unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21 – erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken. Das BVerfG hat für die Parallelvorschrift in § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG entschieden, dass die danach vorgesehene Leistungsgewährung nach Bedarfsstufe 2 für eine in einer Sammelunterkunft untergebrachte alleinstehende erwachsene Person mit Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Die Annahme des Gesetzgebers, den Leistungsberechtigten sei es möglich und zumutbar, in den Unterkünften eröffnete Möglichkeiten zu gemeinsamem Wirtschaften zu nutzen sowie die Berücksichtigung von dadurch erzielbaren Einsparungen bei der Bemessung des existenznotwenigen Bedarfs, ist zwar im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich nach dem Nachranggrundsatz nicht zu beanstanden. Eine pauschale Absenkung existenzsichernder Leistungen lässt sich auf eine solche Obliegenheit aber nur dann stützen, wenn in den Sammelunterkünften auch tatsächlich die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass die Obliegenheit erfüllt und so Einsparungen in tatsächlicher Höhe erzielen werden können. Die pauschale Absenkung stützt sich allerdings gerade nicht auf hinreichend tragfähige, empirische Erkenntnisse dazu, dass Bedarfe durch Verhalten der Betroffenen in diesem Umfang tatsächlich verringert werden könnten. Die Annahme, die Betroffenen bildeten eine „Schicksalsgemeinschaft“ reicht nicht. Auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Betroffenen in der Regel hinreichend verlässliche Möglichkeiten haben, ihre Ausgaben für existenzsichernde Bedarfe durch gemeinsames Wirtschaften mit Mitbewohnern in dem vom Gesetzgeber angenommenen Maße zu verringern. Die pauschale Absenkung des Regelbedarfs nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG ist unter Berücksichtigung ihrer Ausgestaltung insgesamt nicht angemessen (BVerfG, Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21 -, juris). Das BVerfG hat eine Übergangsregelung angeordnet, nach der für alleinstehende Erwachsene, die in einer Gemeinschaftsunterkunft oder in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht sind, unter den Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 Nr. 1 AsylbLG ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anerkannt wird.

Die Überlegungen und Ausführungen des BVerfG müssen zur Überzeugung des erkennenden Gerichts um so mehr für eine Absenkung des hier in Rede stehenden notwendigen persönlichen Bedarfs für alleinstehende Personen in Sammelunterkünften und Aufnahmeeinrichtungen gelten. In Bezug auf diesen Bedarf ist ein Einsparpotential in der Gemeinschaftsunterkunft schon denklogisch ungleich kleiner und tatsächlich nur in Nähebeziehungen zu realisieren. Auch hier besteht keine ausreichende Basis für eine Vergleichbarkeit mit der Situation von Paarhaushalten, die darauf gestützte Annahme (tatsächlicher) Einspareffekte und eines geringeren Bedarfs. Das bloße gemeinsame Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft bzw. Aufnahmeeinrichtung vermag die Annahme von Einsparungen weder zu belegen noch zu begründen. § 3a Abs. 1 Nr. 2b AsylbLG ist daher verfassungskonform auszulegen und im Wege der normerhaltenden teleologischen Reduktion ist als ungeschriebene Voraussetzung ein tatsächliches “Füreinandereinstehen” in die Vorschrift hineinzulesen. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit ausdrücklich der Rechtsauffassung des Bayerischen Landessozialgerichts (Urteile vom 30.10.2023 – L 8 AY 33/23, vom 31.05.2023 – L 8 AY 7/23, vom 29.04.2021 – L 8 AY 122/20, alle juris) an. § 3a Abs. 1 Nr. 2b AsylbLG greift mithin nur dann ein, wenn sich ein tatsächliches „Füreinandereinstehen“ wie in der Konstellation des § 3a Abs. 1 Nr. 2a AsylbLG feststellen lässt. Das ist hier jedoch nicht der Fall. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller sich mit einer anderen Person in der Aufnahmeeinrichtung in einem Verhältnis des „Füreinandereinstehens“, die ein gemeinsames Wirtschaften erlaubt, befindet.

Soweit der Antragsgegner aus der Entscheidung des BVerfGs für das vorliegende Verfahren keine erheblichen Schlüsse ziehen will, weil sich die Sachverhalte wegen der Unterbringung in einer Sammelunterkunft und nicht wie vorliegend in einer Aufnahmeeinrichtung maßgeblich unterscheiden, überzeugt diese Differenzierung nicht. Der Gesetzgeber unterscheidet in § 3a AsylbLG wegen der Höhe der zu gewährenden Geldleistungen gerade nicht zwischen Sammelunterkünften und Aufnahmeeinrichtungen, vielmehr stellt er diese gleich. Ebenso wenig verfängt der Hinweis, Bedarfe seien in der Aufnahmeeinrichtung in weitergehendem Umfang gesichert als in Sammelunterkünften. Das Gesetz unterscheidet in § 3 AsylbLG zwischen notwendigen Bedarfen (Abs. 1) und notwendigen persönlichen Bedarfen (Abs. 2). Werden letztere nicht als Sachleistungen zur Verfügung gestellt, sondern als Geldleistungen, bestimmt sich die Höhe nach § 3a AsylbLG, Mischformen sieht das Gesetz nicht vor. Unabhängig davon, dass der Antragsgegner bereits nicht konkretisiert hat, welche der dem notwendigen persönlichen Bedarfe unterfallenden Bedürfnisse in der AfA in Form einer Sachleistung tatsächlich befriedigt werden, sieht das Gesetz für den Fall einer anderweitigen Bedarfsdeckung aber keine Absenkung des zu gewährenden Geldbetrages vor.

Wegen des offensichtlichen Vorliegens eines Anordnungsanspruchs liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Der Antragsteller, der die Geldbeträge auch regelmäßig abholt, benötigt diese offensichtlich zur Deckung seines persönlichen Bedarfs. 10% der Leistung, wie sie hier in Rede stehen, sind im Hinblick auf die Höhe des Leistungsanspruchs auch durchaus relevant.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

III.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgt gemäß § 73a SGG, §§ 114 ff ZPO, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Sache, wie zuvor dargelegt, hinreichend Aussicht auf Erfolg hat und der Antragsteller unter Berücksichtigung der Angaben in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Mittel zum Führen des Rechtsstreits nicht selbst aufbringen kann. Die Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam erfolgt gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs. 2 ZPO mit der Maßgabe, dass durch seine Beiordnung keine weiteren Kosten entstehen (§ 121 Abs. 3 ZPO).

Dieser Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist für die Beteiligten unanfechtbar – § 73a Abs. 1 SGG iVm § 127 Abs. 2 ZPO. Er kann jedoch mit der Beschwerde der Staatskasse innerhalb von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung angefochten werden (§ 127 Abs. 3 ZPO).

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.