1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung/ Bürgergeld (SGB 2)
1.1 – BSG, Urt. v. 26.10.2023 – B 10 ÜG 1/22 R
Überlanges Gerichtsverfahren – unangemessene Verfahrensdauer – keine Geldentschädigung bei objektiv bedeutungsloser Ausgangsklage – Klage gegen einen vor Geburt erlassenen Aufhebungsbescheid über Grundsicherungsleistungen für andere Familienmitglieder – sozialgerichtliches Verfahren – Besetzung des Entschädigungsgerichts – Mitwirkung eines Richters als Berufungsrichter im Ausgangsverfahren – kein Ausschluss bei Beschränkung der Entschädigungsklage auf die erste Instanz
Leitsatz Verein Tacheles e. V.
1. Vielkläger hat Anspruch auf Entschädigung für lange Prozessdauer.
Quelle: www.rechtsprechung-im-internet.de
1.2 – BSG, Urt. v. 14.12.2023 – B 4 AS 4/23 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Unterkunfts- und Heizungskosten – Neuanmietung – Corona-Pandemie
Bundessozialgericht: Neuanmietungen im ALG II-Leistungsbezug waren von § 67 Abs. 3 SGB II erfasst.
Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung konnte auf § 67 Absatz 1, Absatz 3 SGB II gestützt werden.
Leitsatz Verein Tacheles e. V.
1. § 67 Absatz 1 und Absatz 3 SGB II erfasst nicht nur erstmalige Bewilligungen, sondern auch Weiterbewilligungszeiträume.
2. Die sich aus § 67 Absatz 3 Satz 1 SGB II ergebende Rechtsfolge der unwiderlegbaren Vermutung, dass die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung angemessen sind, tritt zudem in jedem Bewilligungszeitraum erneut ein, der innerhalb des in § 67 Absatz 1 SGB II genannten Zeitraums beginnt.
3. § 67 Absatz 3 Satz 1 SGB II ist auch einschlägig, wenn der Leistungsberechtigte während des Leistungsbezugs umgezogen ist.
4. Allerdings greift die Fiktionswirkung dann nicht ein, wenn ein Leistungsbezieher rechtsmissbräuchlich gehandelt hat. Dies kann im vorliegenden Kontext etwa der Fall sein, wenn eine offensichtlich unangemessen teure Wohnung allein deswegen angemietet wurde, um die eigenen Wohnverhältnisse unter Ausnutzung der Corona-Sonderregelung des § 67 Absatz 3 SGB II zu Lasten der Allgemeinheit zu verbessern.
Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.
1. Die Angemessenheitsfiktion des § 67 Absatz 3 Satz 1 SGB II findet Anwendung, wenn der Leistungsberechtigte in dem in § 67 Absatz 1 SGB II genannten Zeitraum in eine teurere Wohnung außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des bisherigen Grundsicherungsträgers ohne Zusicherung umzieht.
Quelle: Nachtrag zum Terminbericht Nummer 54/23
Rechtstipp Tacheles e. V.:
ebenso zum Bsp.: 1. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.3.2021, L 9 AS 233/21 ER-B –
Die Bestimmung des § 67 Abs. 3 Satz 1 SGB II, wonach die tatsächlichen Aufwendungen für einen Zeitraum von sechs Monaten als angemessen gelten, erfasst nicht nur Neubewilligungen, sondern auch Weiterbewilligungen, und zwar auch bei Umzug in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Trägers.
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung/Bürgergeld (SGB II)
2.1 – LSG Hessen, Beschluss v. 11.04.2024 – L 7 AS 131/24 B ER
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung für eine Zusicherung nach dem SGB II; Vorwegnahme der Hauptsache im engeren Sinne; kein Anordnungsanspruch wegen neuer unangemessener Wohnung
Bürgergeld: 22 Abs. 4 SGB II, § 86b Abs. 2 S. 2 SGG
Aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes ist es unter engen Voraussetzungen zulässig, den zuständigen Träger bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Erteilung einer endgültig wirkenden Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II zu verpflichten (Verein Tacheles e. V.)
Leitsatz Verein Tacheles e. V.
1. Selbständige Immobilienmaklerin hat Anspruch auf Erteilung der Zusicherung für eine neue – angemessene Wohnung – nach Zwangsräumung im einstweiligen Rechtsschutz.
2. Es ist verfahrensrechtlich unbedenklich, einen Leistungsträger in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Erteilung einer endgültig wirkenden Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 4 SGB II zu verpflichten (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – L 10 AS 1386/21 B ER – und LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. Oktober 2023 – L 13 AS 185/23 B ER).
3. Die Zwangsräumung der derzeit bewohnten Wohnung begründet zwar die Eilbedürftigkeit, nicht aber ein Anordnungsanspruch gegen das Jobcenter, denn die neue Unterkunft ist nicht angemessen i. S. d. § 22 Abs. 1 SGB 2.
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Dem Antrag der Antragstellerin auf Erteilung der Zusicherung im einstweiligen Rechtsschutz steht nicht entgegen, dass damit die Vorwegnahme der Hauptsache erfolgen würde.
2. Die Zwangsräumung der derzeit bewohnten Wohnung begründet zwar die Eilbedürftigkeit, nicht aber ein Anordnungsanspruch gegen den Antragsgegner. Zwar ist der Schutz der Wohnung auch in Form des Behalts der Wohnung verfassungsrechtlich beachtlich, allerdings kann die drohende Wohnungslosigkeit keinen unbegrenzten Kostenübernahmeanspruch gegen den Antragsgegner begründen. Hierbei ist beachtlich, dass die Antragstellerin zwar von Wohnungslosigkeit bedroht ist, nicht aber von Obdachlosigkeit. Denn bzgl. der Obdachlosigkeit besteht ein Einweisungsanspruch gegen die zuständige Kommune.
Hinweis Tacheles e. V. :
vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.09.2023 – L 9 AS 916/23B ER –
Zur einstweiligen Anordnung der Erteilung einer Zusicherung gemäß § 22 Abs 4 SGB 2 für eine konkret nachgewiesene, noch nicht angemietete, aber noch verfügbare neue Unterkunft unter Berücksichtigung der Rechtsschutzgarantie des Art 19 Abs 4 GG bei existenzsichernden Leistungen, wenn die Anmietung der konkreten Unterkunft auch nach Aussage des Vermieters nur unter Zusicherung möglich ist (Redakteur v. Tacheles e. V., erwähnt im Tacheles Rechtsprechungsticker KW 49/2023 mit Anmerkung von RA Kay Füßlein, Berlin sowie weiteren Rechtsprechungshinweisen).
2.2 – LSG Hamburg, Urt. v. 18.01.2024 – L 4 AS 6/23 D
Aufhebung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung wegen verschwiegenen Vermögens – Wertpapierdepot
Orientierungssatz www.landesrecht-hamburg.de
1. Hilfebedürftig i. S. von § 9 Abs. 1 SGB 2 ist nicht, wer seinen Lebensunterhalt u. a. aus verwertbarem Vermögen sichern kann. (Rn.27)
2. Sind Wertpapiere in einem Depot ohne Auflage i. S. des § 525 BGB dem Hilfebedürftigen vermacht worden, so stehen rechtliche Hindernisse der Verwertung dieses Vermögens nicht entgegen. (Rn.30)
3. Für die Annahme einer besonderen Härte als Voraussetzung einer Nichtverwertbarkeit sind besondere, bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende Umstände erforderlich. (Rn.36)
4. Das Verschweigen vorhandenen Vermögens ist grob fahrlässig und hat gemäß § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB 10 die Aufhebung der bewilligten Leistungen zur Folge. (Rn.41)
2.3 – LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 24.01.2024 – L 2 AS 3163/22
Bürgergeld: § 22 Abs. 2 SGB II – Instandhaltung und Reparatur bei selbstbewohntem Wohneigentum
Kostenübernahme für die Reparatur/Erneuerung einer Haustürschließanlage – Einholung von Kostenvoranschlägen – Angemessenheit der Aufwendungen für die Reparatur
JobCenter: Mehere schriftliche Kostenvoranschläge (2-3) sind Pflicht – mündlicher Kostenvoranschlag begründet keinen Anspruch auf Reparaturkosten
Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.
1. Als Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Übernahme der Reparaturkosten der Haustürschließanlage kommt § 22 Abs. 2 SGB II in Betracht.
2. Ein mündliche Kostenvoranschlag ist nicht geeignet, einen Anspruch zu begründen. Reparaturkosten oder andere Kosten können nur dann geltend gemacht werden, wenn diese konkret anfallen und belegt werden (BSG, Urteil vom 17.06.2010 – B 14 AS 79/09 R).
3. Die Aufwendungen für die Reparatur müssen angemessen sein, hier verneint.
Rechtstipp Tacheles e. V.
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.01.2011 – L 5 AS 423/09 B ER – Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 02/2011
Wer als Eigenheimbesitzer Leistungen nach dem SGB II bezieht, hat nur Anspruch auf preiswerte Baumarkt-Tür, denn auch kostenbewusste und sparsame Hausbesitzer mit geringen eigenen Einkünften würden zu einer einfachen Haustür greifen.
Anmerkung Verein Tacheles e. V.:
In der Regel fordern die JobCenter 2-3 Kostenvoranschläge, wenn es um Reparaturkosten, Umzugskosten und anderem geht.
2.4 – Sächsisches LSG, Urt. v. 05.02.2024 – L 10 AS 449/21
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Für einen 1-Personen-Haushalt in der Stadt Leipzig liegt nach Nachbesserung durch den Senat im Hinblick auf das Konfidenzintervall und nach Fortschreibung durch den Senat für den Zeitraum Januar 2017 bis März 2018 ein schlüssiges Konzept vor (KdU-Richtlinie 2014). Die Fortschreibung erfolgt bezogen auf den Anwendungszeitraum Januar 2017 bis Dezember 2017 nicht anhand des Verbraucherpreisindex, sondern anhand geeigneterer, zum Zeitpunkt der Fortschreibung bereits vorliegender Daten. Die weitere Fortschreibung für den Anwendungszeitraum Januar bis März 2018 erfolgt mangels anderweitiger geeigneter Datengrundlage anhand des Verbraucherpreisindexes.
2. Für einen 1-Personenhaushalt in der Stadt Leipzig liegt nach Nachbesserung durch den Senat im Hinblick auf das Konfidenzintervall und die Aktualität der Datengrundlage für den Zeitraum ab April 2018 ein schlüssiges Konzept vor (KdU-Richtlinie 2018).
Anschluss an das Urteil des 4. Senates vom 19. Dezember 2023, L 4 AS 107/20, juris.
Bemerkung
Schlüssiges Konzept Stadt Leipzig
2.5 – LSG BB, Urteil vom 24. April 2024 – L 18 AS 684/22 – nicht veröffentlicht
Bürgergeld: § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II – Zuwendungen
Eine teure Reise nach Mekka (55.600,- €)– Jobcenter darf Geldgeschenk für Pilger-Reise auf Bürgergeld anrechnen
1. Bezieher von Bürgergeld sind grundsätzlich verpflichtet, im Rahmen der Selbsthilfe jegliche Einnahmen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zu verwenden.
2. Anders verhalte es sich zwar in Fällen, in denen – wie hier – eine Geldzuwendung mit einem objektivierbaren Zweck verknüpft sei, dessen Verwirklichung durch die Berücksichtigung bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vereitelt würde. Indes seien auch solche Geldzuwendungen nicht in unbegrenzter Höhe privilegiert.
3. Obergrenze für die Nichtberücksichtigung derartiger Zuwendungen seien nach den Gesetzgebungsmaterialien die geltenden Vermögensfreibeträge, die im damaligen Zeitraum für die Kläger insgesamt 16.500,- € betragen hätten.
Quelle: LSG BB
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)
3.1 – Sozialgericht Hildesheim – Urteil vom 11.04.2024 – Az.: S 26 AS 39/23
Normen: § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II – Schlagworte: Kosten der Heizung, ausgebliebene Kostensenkungsaufforderung, Winterbrandbeihilfe, Sozialgericht Hildesheim
Bürgergeld: § 22 Abs. 1 SGB II – Winterbrandbeihilfe (Heizöl) – ausgebliebene Kostensenkungsaufforderung
Leitsatz Verein Tacheles e. V.:
1. Mangels Absenkungsaufforderung sind grundsätzlich die tatsächlichen Heizkosten im Rahmen des Bürgergeldes zu gewähren.
2. Eine fiktive Bewilligung widerspräche dem Bedarfsdeckungsgrundsatz.
Rechtstipp v. Tacheles e. V.
SG Hannover, Urt. v. 17.05.2023 – S 38 AS 1052/22 – rechtskräftig
Bürgergeld: Jobcenter muss Eigentümern extreme Heizöl-Kosten zahlen
Das Jobcenter muss deutlich gestiegene Heizkosten übernehmen, wenn diese auf höhere Ölpreise zurückzuführen sind.
weiter auf www.evangelisch.de
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 – Sächsisches LSG, Beschluss v. 11.12.2023 – L 8 SO 61/23 B ER
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
Reduziert sich der Bedarf an Leistungen der Eingliederungshilfe und ist der Umzug in eine Außenwohngruppe mit einem geringeren Personalschlüssel in Aussicht genommen, ist dem behinderten Menschen bei nur eingeschränkter Umstellungsfähigkeit eine angemessene Übergangszeit einzuräumen, um die Erfolge der erbrachten Rehabilitationsleistungen nicht zu gefährden. Zusätzlich sind die notwendigen Umzugshilfen zu gewähren.
4.2 – LSG NRW, Beschluss v. 09.04.2024 – L 12 SO 87/22 – veröffentlicht auf www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit dahin auszulegen, dass die Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen (SGB IX) in Gestalt von Schulassistenzleistungen eine Leistung im Sinne dieses Art. 3 darstellt und daher in den sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt?
Wenn Frage 1 verneint wird:
2. Ist Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union dahin auszulegen, dass er einer Vorschrift des nationalen Rechts entgegensteht, die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX in Gestalt von Schulassistenzleistungen von einem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland abhängig macht?
3. Liegt eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des Rechts der Unionsbürger gemäß Art. 20 und Art. 21 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vor, wenn die Gewährung der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX in Gestalt von Schulassistenzleistungen für Unionsbürger versagt wird, die ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen (grenznahen) Mitgliedstaat haben, die Sachleistung aber im Aufenthaltsstaat erbracht wird?
5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
5.1 – Sozialgericht Trier – Beschluss vom 15.04.2024 – Az.: S 3 AY 7/24 ER
Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Regelbedarfsstufe 2, Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG, Sozialgericht Trier
Orientierungssatz Verein Tacheles e. V.
1. Marokkanischer Staatsbürger hat Anspruch auf Gewährung des hier in Rede stehenden notwendigen persönlichen Bedarfs nach Bedarfsstufe 1 gemäß § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG, obwohl er in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht ist und damit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3a Abs. 1 Nr. 2b AsylbLG erfüllt.
2. Das bloße gemeinsame Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft bzw. Aufnahmeeinrichtung vermag die Annahme von Einsparungen weder zu belegen noch zu begründen. § 3a Abs. 1 Nr. 2b AsylbLG ist daher verfassungskonform auszulegen und im Wege der normerhaltenden teleologischen Reduktion ist als ungeschriebene Voraussetzung ein tatsächliches “Füreinandereinstehen” in die Vorschrift hineinzulesen. Das erkennende Gericht schließt sich insoweit ausdrücklich der Rechtsauffassung des Bayerischen Landessozialgerichts (Urteile vom 30.10.2023 – L 8 AY 33/23, vom 31.05.2023 – L 8 AY 7/23, vom 29.04.2021 – L 8 AY 122/20, alle juris) an.
3. § 3a Abs. 1 Nr. 2b AsylbLG greift mithin nur dann ein, wenn sich ein tatsächliches „Füreinandereinstehen“ wie in der Konstellation des § 3a Abs. 1 Nr. 2a AsylbLG feststellen lässt.
Quelle: RA Sven Adam, Göttingen
Rechtstipp Tacheles e. V. :
Eine Reihe von Gerichten haben Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Leistungsgewährung entsprechend der Bedarfsstufe 2 im Fall des Bezugs von Leistungen nach § 2 AsylbLG und § 3a AsylbLG bei Personen, die in Gemeinschaftsunterkünften lebten, geäußert
(Verweis auf SG Landshut, Beschluss vom 24.10.2019 – S 11 AY 64/19 ER; SG Freiburg vom 03.12.2019 – S 9 AY 4605/19 ER; SG München, Hinweis vom 31.01.2020 – S 42 AY 4/20 ER; SG Hannover, Beschluss vom 20.12.2019 – S 53 AY 107/19 ER; SG Leipzig, Beschluss vom 08.01.2020 – S 10 AY 40/19 ER; Sächsisches LSG, Beschluss vom 23.03.2020 – L 8 AY 4/20 B ER; SG Kassel, Urteil vom 19.11.2020 – S 12 AY 22/20; SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 31.12.2020 – S 9 AY 1/20; SG Frankfurt, Beschluss vom 14.01.2020 – S 30 AY 26/19 ER; SG Dresden, Beschluss vom 04.02.2020 – S 20 AY 86/19 ER; LSG Hessen, Beschluss vom 13.04.2021 – L 4 AY 3/21 B ER).
6. Fragen zum Bürgergeld, Sozialhilfe und anderen Gesetzesbüchern – Urheberrechtsschutz – Zitieren nur mit Verweis auf Tacheles e. V. Gestattet!
6.1 – Sozialhilfefrage: § 35 Abs. 2 SGB XII
Haben ältere chronisch, kranke Menschen mit Sozialhilfebezug mit deutlicher Einschränkung der Mobilität und nachvollziehbarem Umzug in den Innenstadtbereich und Bestätigung des Gesundheitsamts, dass eine Erdgeschoßwohnung notwendig gewesen ist, Anspruch auf Übernahme ihrer tatsächlichen Miete, wenn diese für das Sozialamt nicht angemessen ist?
2. Muss das Sozialamt dem Leistungsberechtigten einen Verbleib in der Wohnung ermöglichen?
Vorbemerkung vom Verein Tacheles, unter der Führung von Herrn Harald Thome:
Sozialhilfeempfänger sind nicht nur kranke Menschen, sie sind auch arm. Sind sie deshalb hinsichtlich ihrer Mietkosten der Willkür der Sozialämter ausgesetzt?
Definitiv NEIN meint der Verein Tacheles e. v.,
denn inzwischen liegt eine Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, wie die „Angemessenheit von Unterkunftskosten bei individuellen Zugangshemmnissen zum Wohnungsmarkt zu behandeln ist“.
1. Beim SGB XII (Sozialhilfe), welches für ältere Menschen gilt, sind zu berücksichtigen besondere Umstände wie u.a. Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, soweit diese Faktoren nach den Umständen des Einzelfalls Auswirkungen auf den Unterkunftsbedarf haben.
2. Der Träger der Sozialhilfe darf Hilfeempfänger, die individuelle Zugangshemmnisse zum Wohnungsmarkt aufweisen, nicht ohne Weiteres auf den allgemeinen Wohnungsmarkt verweisen, sondern hat sie bei der Wohnungssuche bedarfsgerecht zu unterstützen.
Die Entscheidung des BSG lautet wie folgt: Orientierungssatz RA Niklas Sander, Moormerland
1. Der Zugang zum Wohnungsmarkt gestaltet sich für Personen mit geistigen, psychischen oder seelischen Behinderungen grundsätzlich schwieriger. Vermieter können Vorbehalte gegenüber dieser Gruppe haben. Erkennbare Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten können daher die Chancen auf angemessenen Wohnraum mindern.
2. Wenn diese Beeinträchtigungen zu einer erheblichen Einschränkung oder Verschlossenheit des Wohnungsmarkts führen, ist in der Regel eine individuelle Unterstützung durch den Leistungsträger notwendig, um eine Wohnung zu finden.
3. Wenn der Leistungsträger dieser Verpflichtung nicht nachkommt, ist grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der Wohnung auszugehen. Die Betroffenen müssen dann keine konkreten Suchaktivitäten nachweisen.
Sie haben Fragen zu diesem Thema, Sie brauchen Unterstützung? Wenden Sie sich vertrauensvoll an den Verein Tacheles e. V., wie helfen Ihnen gerne!
Kosten der Unterkunft in der Sozialhilfe – Wohnungssuche bei individuellen Zugangshemmnissen zum Wohnungsmarkt – ein Beitrag vom Verein Tacheles e. V. – Urheberrechtsschutz
Leitsatz Verein Tacheles e. V.
1. Die beiden über siebzigjährigen chronisch kranken Klägern mit deutlicher Einschränkung der Mobilität und nachvollziehbarem Umzug in den Innenstadtbereich und Bestätigung des Gesundheitsamts, dass eine Erdgeschoßwohnung notwendig gewesen ist, haben Anspruch auf Übernahme ihrer tatsächlichen Miete bei Verschlossenheit des Wohnungsmarkts.
2. Bei Verschlossenheit des Wohnungsmarkts (Beschränkung auf Wohnungen im Erdgeschoss oder Parterre) muss der Sozialhilfeträger im Einzelfall die tatsächlichen Kosten der Unterkunft übernehmen (Anlehnung an BSG, Urteil vom 06.10.2022 – B 8 SO 7/21 R).
Sozialhilfe: Liegen Besonderheiten (Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit) vor, können tatsächliche Aufwendungen über das abstrakte Maß hinaus im Rahmen des § 35 Abs. 2 SGB XII a.F. angemessen sein und dem Leistungsberechtigten einen Verbleib in der Wohnung ermöglichen (BSG Urteil vom 06.10.2022 – B 8 SO 7/21 R -, zum SGB II: Urteil vom 21.07.2021 – B 14 AS 31/20 R -).
Dazu der Verein Tacheles e. V.
1. Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung, weil relevante Besonderheiten ihres Einzelfalls vorliegen und sie individuelle Zugangshindernisse zum Wohnungsmarkt hatten und im Übrigen auch immer noch haben.
2. Führen – wie hier – die Beeinträchtigungen zu einer erheblichen Einschränkung oder sogar Verschlossenheit des Wohnungsmarkts, ist regelmäßig eine individuelle Hilfestellung des Leistungsträgers geboten, um eine Wohnung zu finden.
3. Kommt der Leistungsträger dieser Obliegenheit nicht nach, ist grundsätzlich von der konkreten Angemessenheit der Wohnung auszugehen. Konkrete Suchaktivitäten müssen die Betroffenen dann nicht nachweisen.
4. Soweit der Sozialhilfeträger (ST) der Auffassung sein sollte, dass die Kläger ihre KdU für die Zukunft senken müssen, was vorliegend allein durch einen erneuten Umzug möglich sein dürfte, wird darauf hingewiesen, dass die Beklagte (ST) die Obliegenheit trifft, den Klägern individuell zu helfen, eine nach Auffassung der Beklagten abstrakt angemessene und den Mobilitätseinschränkungen der Kläger gerecht werdende Wohnung zu finden.
Rechtstipp Tacheles e. V. zum SGB II:
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 13. Oktober 2023 – L 13 AS 185/23 B ER – Tacheles Rechtsprechungsticker KW 44/2023 (m. w. Rechtsprechungshinweisen)
LSG Niedersachsen-Bremen:
Jobcenter müssen für Schwerbehinderte, Pflegebedürftige oder Rollstuhlfahrer im Einzelfall höhere Mieten anerkennen, wenn der Wohnungsmarkt zu eng ist (Tacheles e. V.).
2. Höheren Kosten aufgrund der familiären Besonderheiten (z. Bsp, wenn die Mutter den schwerbehinderten Sohn durch das Treppenhaus tragen muss) führen im Einzelfall nicht zu – unangemessen – Kosten der Unterkunft (Tacheles e. V.)
Hinweis vom Verein Tacheles e. V.:
1. Diese Urteil, ergangen zum SGB XII, lässt sich anstandslos auf das Bürgergeld übertragen.
2. Soll heißen: Wenn der Wohnungsmarkt eng ist, sie Besonderheiten des Einzelfalls aufweisen, wie Krankheit, Behinderung, Rollstuhl (man beachte Vorausschau BSG, Urt. v. 08.05.2024 -B 8 SO 18/22 R), Pflegebedürftigkeit, Beschränkung auf Wohnungen im Erdgeschoss oder Parterre aufgrund v. Krankheit, barrierefreie Wohnung aufgrund psychischer Störungen, eingeschränkte Mobilität wegen Krankheit u. Behinderung bei der Wohnungssuche, Schwierigkeiten beim Treppensteigen, wenn die Mutter den schwerbehinderten Sohn durch das Treppenhaus tragen muss, Störungen des Ganges – Merkzeichen G – und vielem mehr, (Einzelpunkte stammen alle aus den Urteilen zu diesem Thema) – können Sie im Einzelfall Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Miete haben.
3. Viel Glück wünschen wir Ihnen!
7. Neue Rubrik im Rechtsprechungsticker von Tacheles e. V. – Wir erinnern uns
Hier werde ich ab sofort brisante Urteile posten, welche zu Zeiten von Hartz IV ergangen sind, sich aber anstandslos auf das Bürgergeld übertragen lassen.
7.1 – SG Dortmund, Urteil v. 19.09.2016 – S 19 AS 1803/15 – Tacheles Rechtsprechungsticker KW 40/2016
Hartz IV: Leistungsbegrenzung wegen unangemessener Wohnkosten für Hauseigentümer nur nach vorheriger Kostensenkungsaufforderung
Leitsatz (Redakteur)
Das Jobcenter muss die Kosten für die Erneuerung einer defekten Gasheizung ungeachtet der Frage der Angemessenheit der Wohnkosten tragen, wenn es zuvor der langzeitarbeitslosen Hauseigentümerin keine Kostensenkungsaufforderung zugestellt hat.
Hinweis Tacheles e. V.
Zwar ist am 01.01.2011 die heutige Fassung des § 22 Abs. 2 SGB II in Kraft getreten. Durch das In-Kraft-Treten von § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II hat sich jedoch nichts an dem Erfordernis einer Kostensenkungsaufforderung geändert.
7.2 – SG Halle (Saale), Urt. v- 19.12.2017 – S 5 AS 2197/16 – Tacheles Rechtsprechungsticker KW 04/2018
Arbeitslosengeld II – Mehrbedarf für Alleinerziehende – Drei-Generationen-Bedarfsgemeinschaft
Dazu der Verein Tacheles e. V.
Die Zugehörigkeit der Tochter zur Bedarfsgemeinschaft der alleinerziehenden Mutter ist nicht Voraussetzung für die Gewährung des Mehrbedarfs für Alleinerziehende, denn dass bei einem Kind, welches selbst Mutter eines Kindes ist, kein Mehrbedarf für Alleinerziehende mehr verursacht werde, verfängt nicht.
2. Der Mehrbedarf für Alleinerziehende gemäß § 21 Abs. 3 SGB II ist auch dann zu gewähren, wenn das minderjährige Kind, mit dem leistungsberechtigte Personen zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, selbst ein eigenes Kind hat.
7.3 – SG Leipzig, Urteil v. 18.05.2016 – S 22 AS 3350/12 – Tacheles Rechtsprechungsticker KW 33/2016
Leitsatz (Redakteur)
1. Ein Mehrbedarf für Alleinerziehende kommt auch für eine Person unter 25 Jahren in Betracht, wenn sie mit einem minderjährigen Kind und einem eigenen Elternteil zusammenlebt.
2. Denn allein die (potentielle) Möglichkeit des Rückgriffs auf andere Personen oder Einrichtungen führt nicht zum Anspruchsausschluss (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 23.8.2012 – B 4 AS 167/11 R).
7.4 – SG Mainz, Beschl. v. 14.03.2018 – S 10 AS 164/18 ER – Tacheles Rechtsprechungsticker KW 12/2018
Kein Anspruch auf Wechsel des Sachbearbeiters beim Jobcenter
Das SG Mainz hat entschieden, dass Arbeitslosengeld-II-Empfänger keinen Anspruch darauf haben, ihre Sachbearbeiter bei den Jobcentern selbst zu bestimmen oder auszuwechseln.
Quelle: Pressemitteilung des SG Mainz Nr. 4/2018 v. 15.03.2018
Anmerkung:
Passend dazu: LSG Essen, Beschl. v. 16.02.2012 – L 19 AS 91/12 B ER – Tacheles Rechtsprechungsticker KW 12/2018
Es existiert kein subjektives öffentliches Recht einer Leistungsberechtigten, den Sachbearbeiter ihrer Leistungsangelegenheit (mit)zu bestimmen.
Rechtstipp v. Verein Tacheles e. V.
Etwas kritischer und nach meiner Meinung auch ein sehr guter Beitrag dieser: Punkt 8.2 Tacheles Rechtsprechungsticker KW 17/2024
Ich will einen anderen Sachbearbeiter beim Amt! Meiner ist befangen! Ein Beitrag von RA Christin Böse, veröffentlicht auf www.anwalt.de
Wichtiger Hinweis:
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Danke!
Für Urteile, die der Verein Tacheles von Rechtsanwälten veröffentlicht, haben wir eine Erlaubnis.
Im Umkehrschluss heißt das, das, wenn Urteile von einer Homepage eines Rechtsanwalts stammen, ist ein Link zu dieser Homepage zu setzen oder als Quelle der Verein Tacheles bekannt zu geben, die Nichtnennung der Quelle stellt einen Urheberrechtsverstoß dar, diesbezüglich gab es schon Beschwerden von Rechtsanwälten. Bitte berücksichtigen Sie das ab sofort.
Danke!
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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker