Sozialgericht Trier – Beschluss vom 31.05.2024 – Az.: S 5 AY 76/24 ER

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

xxx

– Antragsteller –

Prozessbevollmächtigte/r:
Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55,
37073 Göttingen

gegen

Land Rheinland-Pfalz, vertreten durch den Präsidenten der Aufsichts- und
Dienstleistungsdirektion, Willy-Brandt-Platz 3, 54290 Trier

– Antragsgegner –

hat die 5. Kammer des Sozialgerichts Trier am 31. Mai 2024 durch die Richterin xxx beschlossen:

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit ab dem 05.05.2024 bis zur Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 03.05.2024 Leistungen gemäß §§ 3, 3a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Der darüberhinausgehende Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

3. Dem Antragsteller wird zur Wahrnehmung seiner Rechte in der ersten Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam, Göttingen, zu den Bedingungen eines im Bezirk des Sozialgerichts Trier ansässigen Rechtsanwalts bewilligt.

GRÜNDE
I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der am xx.xx.1980 geborene Antragsteller ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste nach eigenen Angaben am 15.02.2024 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seit Februar 2024 ist er in einer Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende des Antragsgegners untergebracht, zunächst in der AfA Trier, seit dem 23.02.2024 in der AfA Bitburg und zuletzt, aufgrund der (teilweisen) Schließung der AfA Bitburg, in der AfA Trier. Der Antragsteller ist im Besitz einer Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Asylgesetz (AsylG). Über seinen Asylantrag wurde bisher durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) noch nicht entschieden. Den Akten des BAMF ist ein Aufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 b Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) gegenüber Griechenland zu entnehmen, da der Antragsteller bereits unter dem 25.10.2023 dort internationalen Schutz oder die Anerkennung als Flüchtling beantragt habe. Das BAMF vermerkte sodann am 20.03.2024, dass es im vorliegenden Fall gegenwärtig zu keiner Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens kommen könne, da der ersuchte Mitgliedsstaat Griechenland, über welchen der Antragsteller nach eigenen Angaben in die Bundesrepublik Deutschland einreiste, das Übernahmeersuchen unter dem 20.03.2024 abgelehnt habe und deshalb eine Entscheidung im nationalen Verfahren zu treffen sei.

Der Antragsteller erhält vom Antragsgegner Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in Höhe der Regelbedarfsstufe 2. Ein (schriftlicher) Bescheid über die Leistungsgewährung wird nicht erteilt; es erfolgt eine faktische Leistungsgewährung. Unter Berücksichtigung der im Rahmen des Verfahrens seitens des Antragsgegners vorgelegten Auszahlungsübersicht (Bl. 36 d. Gerichtsakte) zahlte dieser an den Antragsteller als Barbetrag beginnend ab dem 27.02.2024 im Monat Februar 2024 einen Betrag in Höhe von 153,30 € aus, im Monat März 2024 in Höhe von 85,90 € und 67,50 € sowie im Monat April 2024 in Höhe von zweimal 85,90 €. Im Übrigen werden Sachleistungen gewährt.

Gegen die faktische Leistungsgewährung im Zeitraum ab Zuweisung in die AfA legte der Antragsteller, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, mit Schriftsatz vom 03.05.2024 Widerspruch ein mit dem Ziel der Gewährung höherer Leistungen nach dem AsylbLG.

Unter dem 05.05.2024 hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten beim angerufenen Gericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und begehrt die vorläufige Gewährung höherer Leistungen nach dem AsylbLG unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1.
Zur Begründung trägt er vor, ihm stünden statt der gewährten Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 zu. Die Regelungen der §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 2 Nr. 2 b AsylbLG seien evident verfassungswidrig, da sie das durch Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantierte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzten und gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG resultierenden allgemeinen Gleichheitssatz verstießen. Das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums stehe dabei deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu. Um eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Nachvollziehbarkeit des Umfangs der gesetzlichen Hilfeleistungen sowie deren gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten, müssten die Festsetzungen der Leistungen auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigen sein. Hinsichtlich des spezifischen Bedarfs von Leistungen gemäß §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 2 Nr. 2 b AsylbLG habe der Gesetzgeber keinerlei Ermittlungen angestellt, sondern sich damit begnügt, zu behaupten, es sei davon auszugehen, dass eine Gemeinschaftsunterbringung für die Bewohner solcher Unterkünfte Einspareffekte zur Folge habe, die mit denen in Paarhaushalten im Ergebnis vergleichbar seien. Der Grund für die Leistungsreduzierung solle unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 19/10052, S. 25) eine behauptete „Solidarisierung in der Gemeinschaftsunterbringung“ und sich daraus ergebende Synergie- und Einspareffekte sein. Mangels gemeinsamen Wirtschaftens, das dem von Partnern gleiche, profitierten Personen, die gemeinsam untergebracht sind, aber gerade nicht von mit Paarhaushalten vergleichbaren Einspareffekten. Der Gesetzgeber könne die Leistungsberechtigten nicht auf Einsparmöglichkeiten verweisen, welche für diese nicht realisierbar seien. Bezüglich des Bedarfs von Leistungsberechtigten nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 2 Nr. 2 b AsylbLG seien keine Unterschiede im Bedarf zu alleinstehenden erwachsenen Leistungsberechtigten erkennbar, die in einer Wohnung im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes lebten oder zu alleinstehenden erwachsenen Leistungsberechtigten nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII), die in einer Unterkunft lebten. Der Gesetzgeber stelle diese Personengruppen trotz gleichen Hilfebedarfs besser als ihn. Diverse Gerichte hätten bereits Bedenken im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Leistungsgewährung nach Bedarfsstufe 2 im Fall des Bezugs von Leistungen nach §§ 2, 3, 3a AsylbLG bei Personen, welche in Gemeinschaftsunterkünften lebten, geäußert (beispielsweise Verweis auf Sozialgericht <SG> Landshut, Beschluss vom 24.10.2019 – S 11 AY 64/19 ER; SG Kassel, Beschluss vom 26.11.2019 – S 11 AY 19/19 ER; SG Freiburg, Beschluss vom 03.12.2019 – S 9 AY 4605/19 ER; SG München, Hinweis vom 31.01.2020 – S 42 AY 4/20 ER; SG Hannover, Beschluss vom 20.12.2019 – S 53 AY 107/19 ER; SG Leipzig, Beschluss vom 08.01.2020 – S 10 AY 40/19 ER; SG Frankfurt, Beschluss vom 14.01.2020 – S 30 AY 26/19 ER; SG Dresden, Beschluss vom 04.02.2020 – S 20 AY 86/19 ER; Landessozialgericht <LSG> Sachsen, Beschluss vom 23.03.2020 – L 8 AY 4/20 B ER; SG Kassel, Urteil vom 19.11.2020 – S 12 AY22/20; SG Marburg, Gerichtsbescheid vom 31.12.2020 – S 9 AY 1/20; LSG Hessen, Beschluss vom 13.04.2021 – L 4 AY 3/21 B ER).
Zudem habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 19.10.2022 (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21, juris) § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG mit Art. 1 Abs. 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 1 GG für unvereinbar erklärt, soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt werde. Das BVerfG habe in diesem Zusammenhang entschieden, dass bis zu einer Neuregelung auf alle nicht bestandskräftigen Bescheide von Leistungsberechtigten nach § 2 Abs. 1 S. 1 AsylbLG bei der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft oder in einer Aufnahmeeinrichtung für jede alleinstehende erwachsene Person bei der Leistungsbemessung ein Regelbedarf in Höhe der jeweils aktuellen Regelbedarfsstufe 1 zugrunde zu legen sei. Nach seiner Auffassung spreche alles dafür, dass sich der Bedarf von Leistungsberechtigten gemäß §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 2 Nr. 2 b AsylbLG nicht von dem anderer alleinstehender erwachsener Leistungsberechtigter gemäß § 2 AsylbLG unterscheide.
Das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum sei daher aktuell nicht mehr gesichert. Stünden existenzsichernde Leistungen nicht zur Verfügung, sei regelmäßig vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes im Sinne des § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszugehen.

Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch vom 03.05.2024 gegen die faktische Leistungsgewährung durch den Antragsgegner unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen in verfassungsgemäßer Höhe in der Regelbedarfsstufe 1 ab dem 05.05.2024 zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Die seitens des Antragstellers vorgetragenen Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit der streitgegenständlichen Regelungen teile er nicht. Insbesondere die Entscheidung des BVerfG vom 19.10.2022 (vgl. BverfG, Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21, juris) sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar, da diese sich mit der Situation von Analogleistungsberechtigten gemäß § 2 AsylbLG in Gemeinschaftsunterkünften beschäftige; im vorliegenden Fall handele es sich jedoch um einen Leistungsberechtigten nach § 3 AsylbLG, wohnhaft in einer Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende, sodass ein anderer Sachverhalt gegeben sei. Anders als in anderen kommunalen Gemeinschaftsunterkünften werde in Aufnahmeeinrichtungen der notwendige Bedarf an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege sowie Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts bereits durch Sachleistungen gedeckt. Die Entscheidung des BVerfG entfalte auf den Anwendungsbereich des § 3a Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 2 Nr. 2 b AsylbLG keine Gesetzeskraft. Dies habe das Ministerium für Familie, Frauen, Kultur und Integration Rheinland-Pfalz mit seinem Rundschreiben vom 04.01.2023 (Az.:3314-0012#2022/0002-0701 725-4.0031) ausdrücklich festgestellt. Bemerkenswert sei in diesem Zusammenhang ferner, dass der Gesetzgeber, trotz der seitens des Antragstellers zitierten Entscheidungen, bisher keine andere gesetzliche Regelung erlassen habe. Da eine Normverwerfungskompetenz der Verwaltung nicht gegeben sei, fände § 3a Abs. 1 Nr. 2 b und Abs. 2 Nr. 2 b AsylbLG grundsätzlich weiterhin Anwendung.

Der Antragsteller hat mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung am 05.05.2024 unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam, Göttingen, beantragt.

Der Antragsteller hat mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung am 05.05.2024 unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam, Göttingen, beantragt.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Der einstweilige Rechtsschutz richtet sich vorliegend nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist der Fall, wenn dem Antragsteller bei summarischer Prüfung ein Anspruch auf die begehrte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und die Durchsetzung des Anspruchs wegen besonderer Eilbedürftigkeit nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache warten kann (Anordnungsgrund). Das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache darf nicht mit wesentlichen Nachteilen verbunden sein, d.h. es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert (vgl. LSG Hessen, Beschluss vom 22.6.2011 – L 7 AS 700/10 B ER, beck-online). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG iVm § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung <ZPO>). Im Regelfall soll eine einstweilige Anordnung die Hauptsache nicht vorwegnehmen. Lediglich ausnahmsweise kann es unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) erforderlich sein, der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn sonst ein zumutbarer und angemessener Rechtsschutz nicht erreichbar und dies für den Antragsteller unzumutbar wäre.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander, sondern es besteht eine Wechselbeziehung dergestalt, dass an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes dann weniger strenge Anforderungen zu stellen sind, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung grundsätzlich ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu (vgl. zum vorgegebenen Umfang bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage: BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05, juris).

Zudem müssen auch für den Erlass einer einstweiligen Anordnung die allgemeinen Prozessvoraussetzungen vorliegen, welche in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen überprüft werden, wozu auch das Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers zählt. Das Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben, wenn die gerichtliche Eilentscheidung dem Antragsteller einen tatsächlichen oder rechtlichen Vorteil bringt und der Antragsteller sein Begehren nicht auf einfachere, schnellere und billigere Art durchsetzen kann (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Auflage 2023, SGG, § 86b Rn 26b). Ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung besteht in der Regel nur, wenn sich der Antragsteller zuvor an die Verwaltung gewandt, dort einen Antrag auf Leistung gestellt und die normale Bearbeitungszeit abgewartet hat; ausnahmsweise kann bereits ohne förmlichen Antrag bei der Verwaltung auf die Leistung ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen, wenn die Sache sehr eilig ist und der Antragsteller aus besonderen Gründen mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, bei der Verwaltung kein Gehör zu finden (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Auflage 2023, SGG, § 86b Rn 26, 26b).
Vorliegend hat sich der Antragsteller am 03.05.2024 (Widerspruch) an die Verwaltung gewandt und bereits am 05.05.2024 den streitgegenständlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, sodass davon auszugehen ist, dass eine übliche Bearbeitungszeit durch die Verwaltung vor Anstreben gerichtlichen Eilrechtsschutzes nicht abgewartet wurde und ein Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen wäre. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch zulässig geworden, da der Antragsgegner in der Sache die Gewährung höherer Leistungen nach dem AsylbLG allgemein ablehnte und nicht allein unter Verweis auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis mangels ausreichender Bearbeitungszeit (vgl. so auch SG Trier, Beschluss vom 14.05.2024 – S 3 AY 66/24 ER). Damit ist der Antrag im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht zulässig.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet, da sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht wurden. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG entsprechend der Regelbedarfsstufe 1.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 AsylbLG werden ihnen zusätzlich Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf).
Nach § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG wird bei einer Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen im Sinne von § 44 Abs. 1 des Asylgesetzes der notwendige Bedarf durch Sachleistungen gedeckt.
Wird der notwendige persönliche Bedarf nach § 3 Abs. 1 S. 2 AsylbLG vollständig durch Geldleistungen gedeckt, so beträgt dieser gemäß § 3a Abs. 1 AsylbLG (in der Fassung der Bekanntmachung über die Höhe der Leistungssätze nach § 3a Abs. 4 des AsylbLG für die Zeit ab 01.01.2024 <vom 19. Oktober 2023, BGBl. 2023 I Nr. 288>) monatlich für

  1. erwachsene Leistungsberechtigte, die in einer Wohnung im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes leben und für die nicht Nummer 2 Buchstabe a oder Nummer 3 Buchstabe a gelten, sowie für jugendliche Leistungsberechtigte, die nicht mit mindestens einem Elternteil in einer Wohnung leben, je 162 Euro;
  2. erwachsene Leistungsberechtigte je 146 Euro, wenn sie
    a) in einer Wohnung im Sinne von § 8 Absatz 1 Satz 2 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes mit einem Ehegatten oder Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft mit einem Partner zusammenleben;
    b) nicht in einer Wohnung leben, weil sie in einer Aufnahmeeinrichtung im Sinne von § 44 Absatz 1 des Asylgesetzes oder in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Absatz 1 des Asylgesetzes oder nicht nur kurzfristig in einer vergleichbaren sonstigen Unterkunft untergebracht sind;
    […]

Der Antragsteller ist nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG leistungsberechtigt, da er über eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 AsylG verfügt und sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhält. Ferner ist er hilfebedürftig im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 1 AsylbLG, denn er verfügt, wie er in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Gewährung von Prozesskostenhilfe versichert hat, über kein Einkommen und Vermögen. Auch Umstände für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nach §§ 1 Abs. 2 bis Abs. 4, 11Abs. 2, Abs. 2a AsylbLG sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Derzeit erhält der Antragsteller Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG entsprechend der Regelbedarfsstufe 2. Nach Auffassung des Gerichts hat der Antragsteller jedoch einen Anspruch auf Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1, obwohl er in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht ist und damit grundsätzlich die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 3a Abs. 1 Nr. 2 b AsylbLG erfüllt. Denn den Regelungen in § 3a AsylbLG stehen in Anbetracht des Vortrags des Antragstellers und der Entscheidung des BVerfG vom 19.10.2022 (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21, juris) zur Überzeugung des Gerichts erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken entgegen.

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 19.10.2022 ausgeführt, dass die Regelung des § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG (idF von Art. 1 Nr. 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG vom 13.08.2019 <BGBl. I S. 1290>) mit Art. 1 Abs. 1 GG iVm Art. 20 Abs. 1 GG unvereinbar ist, soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird. Die Annahme des Gesetzgebers, den Leistungsberechtigten sei es möglich und zumutbar, in den Unterkünften eröffnete Möglichkeiten zu gemeinsamem Wirtschaften zu nutzen, sowie die Berücksichtigung von dadurch erzielbaren Einsparungen bei der Bemessung des existenznotwendigen Bedarfs (vgl. BT-Drs. 19/10052, S. 24 f.), sei zwar im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich nach dem Nachranggrundsatz nicht zu beanstanden. Diese Obliegenheit gemeinsamen Wirtschaftens sei aber nur dann verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn hinreichend gesichert ist, dass in den Sammelunterkünften auch tatsächlich die Voraussetzungen dafür vorliegen, diese erfüllen und so Einsparungen in entsprechender Höhe erzielen zu können. Hierfür müssten sich jedoch ausdrücklich bei einem gemeinsamen Aufenthalt in einer Gemeinschaftsunterkunft (§ 53 AsylG) oder Aufnahmeeinrichtung (§ 44 AsylG) Anhaltspunkte ergeben. Vorliegend fehlten tragfähige Erkenntnisse und Anhaltspunkte dafür, dass die in Sammelunterkünften wohnenden alleinstehenden Bedürftigen regelmäßig tatsächliche Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern erzielten, die einer Absenkung der Leistungshöhe gegenüber der Regelbedarfsstufe 1 entsprächen und tatsächlich im Regelfall ein geringerer Bedarf als der für Alleinstehende in einer eigenen Wohnung resultiere. Der Gesetzgeber habe zu den tatsächlichen Bedarfen in Sammelunterkünften keine Erhebungen angestellt. Anders als bei in einer Wohnung zusammenlebenden Paaren könne der Gesetzgeber bei Alleinstehenden in Sammelunterkünften nicht im Regelfall davon ausgehen, dass sie mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern tatsächlich „aus einem Topf“ wirtschafteten und damit eine Vergleichbarkeit mit Paarhaushalten gegeben wäre. Vor allem die persönliche Nähe fehle in diesen Konstellationen, da die Personen in Sammelunterkünften nicht aufgrund eines eigenen Entschlusses zusammenlebten (vgl. zum Vorgenannten BVerfG, Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/21, juris).
Die Entscheidung des BVerfG betrifft zwar die Parallelvorschrift in § 2 Abs. 1 S. 4 AsylbLG. Die dargestellten Überlegungen und Ausführungen des BVerfG müssen jedoch aus Sicht des Gerichts auch für die Absenkung des hier in Rede stehenden Bedarfs für alleinstehende Leistungsberechtige in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften im Rahmen des § 3a AsylbLG gelten, denn die oben dargelegte verfassungsrechtliche Problematik stellt sich hier ebenso.
Auch für die Anwendung der §§ 3, 3a AsylbLG besteht bei Unterbringung der Leistungsberechtigten in Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften bisher keine ausreichende Basis für eine Vergleichbarkeit mit der Situation in Paarhaushalten und die darauf gestützte Annahme tatsächlicher Einspareffekte, sodass mangels tragfähiger Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Betroffenen in der Regel verlässliche Möglichkeiten haben, ihre Ausgaben für existenzsichernde Bedarfe durch ein gemeinsames Wirtschaften mit Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern in dem vom Gesetzgeber angenommenen Maße zu verringern. Die Annahme von Einsparungen dürfte bei lebensnaher Auslegung der tatsächlichen Situation in den Unterkünften, welche durch zufällige vorübergehende Unterbringung fremder Menschen gekennzeichnet ist, allenfalls nur bei besonderen Nähebeziehungen in Betracht kommen und nicht pauschal angenommen werden. Eine solche Bindung kann regelmäßig nicht mit derjenigen von Lebenspartnern, die füreinander einstehen (wollen) und sich vertrauensvoll untereinander absprechen, vergleichbar sein (vgl. SG Frankfurt, Beschluss vom 14.01.2020 – S 30 AY 26/19 ER, juris). Das bloße gemeinsame Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft bzw. Aufnahmeeinrichtung vermag die Annahme von tatsächlichen Einspareffekten und somit eines geringen lebensnotwendigen Bedarfs weder zu belegen noch zu begründen.
Daher ist § 3a Abs. 1 Nr. 2 b AsylbLG verfassungskonform auszulegen und im Wege der normerhaltenden teleologischen Reduktion ein „Füreinandereinstehen“ als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung in die Vorschrift hineinzulesen. Das Gericht schließt sich damit ausdrücklich der Rechtsauffassung des Bayerischen Landessozialgerichts und des Sozialgerichts Trier sowie des Sozialgerichts Heilbronn an (vgl. LSG Bayern, Urteil vom 29.04.2021 – L 8 AY 122/20, juris; LSG Bayern, Urteil vom 31.05.2023 – L 8 AY 7/23; LSG Bayern, Urteil vom 30.10.2023 – L 8 AY33/23, juris; SG Trier,Beschluss vom 15.04.2024 – S 3 AY7/24 ER; SG Trier, Beschluss vom 07.05.2024 – S 3 AY65/24 ER; SG Trier,Beschluss vom 14.05.2024 – S 3 AY 66/24 ER; SG Heilbronn, Beschluss vom 05.03.2024 – S 16 AY 395/24 ER).
§ 3a Abs. 1 Nr. 2 b AsylbLG greift mithin nur dann ein, wenn sich ein tatsächliches „Füreinandereinstehen“, wie der Konstellation des § 3a Abs. 1 Nr. 2 a AsylbLG immanent, feststellen lässt. Zu den anerkannten Auslegungsmethoden des Gesetzes zählt neben der Auslegung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Gesamtzusammenhang und Sinn und Zweck der Gesetzesregelung ebenfalls eine sogenannte verfassungskonforme Auslegung (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.01.2021 – L 9 AY 27/20 B ER juris; BVerfG, Beschluss vom 19.06.1973 – 1 BvL 39/69, juris). Dabei gehört auch eine teleologische Reduktion von Vorschriften zu den anerkannten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.06.1973 – 1 BvL 39/69, juris). Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die auszulegende Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für unanwendbar hält, weil deren Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen; bei einem nach wortlautgetreuer Auslegung drohenden Grundrechtsverstoß kann eine zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung der Norm entgegen deren Wortlaut sogar geboten sein (vgl. BSG, Urteil vom 19.12.2013 – B 2 U 17/12 R, juris; BSG, Urteil vom 04.12.2014 – B 2 U 18/13 R, juris).

Im vorliegenden Fall ist ein „Füreinandereinstehen“ als ungeschriebene Voraussetzung weder aus dem Vortrag der Beteiligten noch unter Zugrundelegung der Aktenlage erkennbar. Auch unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung teilweise vertretenen Auffassung, dass für die Anwendung der Regelbedarfsstufe 2 des § 3a AsylbLG als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal „die tatsächliche und nachweisbare gemeinschaftliche Haushaltsführung des Leistungsberechtigten mit anderen in der Sammelunterkunft Untergebrachten“ vorauszusetzen ist (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 11.05.2020 – L 9 AY 22/19 B ER, juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.01.2021 – L 9 AY 27/20 B ER, beck-online; LSG Hessen, Beschluss vom 13.04.2021 – L 4 AY 3/21 B ER, beck-online; SG Bremen, Beschluss vom 03.07.2020 – S 39 AY 55/20 ER, juris) resultiert kein anderes Ergebnis. Denn auch hierfür sind weder Anhaltspunkte ersichtlich, noch vorgetragen.
Der Einwand des Antragsgegners, dass die dargelegte Rechtsprechung des BVerfG auf die vorliegende Fallkonstellation mangels Vergleichbarkeit keine Anwendung finden kann, überzeugt nicht. Insbesondere ergibt sich aus der seitens des Antragsgegners vorgenommenen Differenzierung zwischen kommunalen Gemeinschaftseinkünften und Aufnahmeeinrichtungen für Asylbegehrende keine andere Bewertung, da sich die dargelegte Problematik in beiden Konstellationen aus den obigen Erwägungen stellt. In § 3a AsylbLG differenziert der Gesetzgeber ferner wegen der Höhe der zu gewährenden Leistungen zwischen Gemeinschaftsunterkunft und Aufnahmeeinrichtungen nicht, sondern stellt beide erkennbar gleich. Allein die Tatsache, dass der Gesetzgeber bisher keine andere gesetzliche Regelung veranlasst hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Dem Antragsteller steht damit der geltend gemachte Anspruch auf Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 zu.

Es liegt auch ein Anordnungsgrund vor, da wegen des Vorliegens des Anordnungsanspruchs weniger strenge Anforderungen an den Anordnungsgrund zu stellen sind. Zwar genügt allein der Umstand, dass Grundleistungen betroffen sind grundsätzlich nicht für die Annahme eines nicht mehr korrigierbaren Nachteils (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.09.2017 – 1 BvR 1719/17, juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.08.2019 – L 7 AY2735/19 ER-B, juris). Im Hinblick auf die konkrete Höhe der streitgegenständlichen Leistungen und den Umstand, dass der Antragsteller auf diese zur Deckung seines Lebensunterhaltes angewiesen ist, ist die hier begehrte Leistungserhöhung jedoch als relevant anzusehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

III.

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe erfolgt gemäß § 73a Abs. 1 S. 1 SGG iVm § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht des nicht mutwilligen Antrags ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen. Der Antragsteller erfüllt unter Beachtung der vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Die Beiordnung von Rechtsanwalt Adam erfolgt nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG iVm § 121 Abs. 2 ZPO unter Berücksichtigung von § 121 Abs. 3 ZPO.

Der Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist für die Beteiligten unanfechtbar (§ 73a Abs. 1 SGG iVm § 127 ZPO). Er kann von der Staatskasse innerhalb von drei Monaten mit der Beschwerde angefochten werden (§ 127 Abs. 3 ZPO).

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.