Sozialgericht Würzburg – Beschluss vom 19.06.2024 – Az.: S 4 AY 30/24

SOZIALGERICHT WÜRZBURG

In dem Rechtsstreit

xxx,
– Kläger –

Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange-Geismar-Straße 55,
37073 Göttingen

gegen

1. Landkreis Rhön-Grabfeld -SHV- 2.3. Amt für soz. Angelegenheiten
vertreten durch den Landrat,
Spörleinstraße 11, 97616 Bad Neustadt
– Beklagter –

2. Freistaat Bayern, vertreten durch. d. Regierung von Unterfranken,
diese vertreten durch d. Regierungspräsidenten,
Peterplatz 9, 97070 Würzburg
– Beklagter –

Angelegenheiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz

erlässt die Vorsitzende der 4. Kammer, Richterin am Sozialgericht xxx, ohne mündliche Verhandlung am 19. Juni 2024 folgenden

BESCHLUSS

Der Beklagte zu 1. hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

GRÜNDE
I.

Zwischen den Beteiligten sind nach erledigter Untätigkeitsklage noch die außergerichtlichen Kosten streitig.

Die am 07.03.2024 erhobene Untätigkeitsklage wurde mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 17.05.2024 für erledigt erklärt, nachdem der Beklagte zu 2. am 15.05.2024 den Widerspruchsbescheid erlassen hat.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 17.05.2024 nach § 193 SGG beantragt, dem Beklagten zu 1. die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte gegen den Bescheid des Beklagten zu 1. vom 14.11.2023 mit Schreiben vom 16.11.2023 Widerspruch erhoben.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers erhob am 07.03.2024 Untätigkeitsklage gegen die Beklagten vor dem Sozialgericht, weil über den Widerspruch des Klägers noch immer nicht entschieden worden sei; Gründe hierfür seien nicht bekannt, jedenfalls sei die Sperrfrist des § 88 SGG abgelaufen und ohne zureichenden Grund nicht über den Widerspruch entschieden worden.

Mit Schriftsatz vom 20.03.2024 teilte der Beklagte zu 1. mit, dass dem Widerspruch des Klägers nicht abgeholfen werden konnte und der Widerspruch mit Schreiben vom 21.03.2024 dem Beklagten zu 2. zur Entscheidung vorgelegt worden sei. Es liege ein zureichender Grund vor, warum innerhalb der gesetzlichen Frist nicht über den Widerspruch entschieden worden sei. Der klägerische Prozessbevollmächtigte habe den Beklagten mit einer Vielzahl von Anträgen und Verfahren überhäuft, so dass die verzögerte Entscheidung in der Person des Klägers liege.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.05.2024 entschied der Beklagte zu 2. über den streitigen Widerspruch.

Mit Schreiben vom 17.05.2024 erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte, nach § 193 SGG dem Beklagten zu 1. die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers geht davon aus, dass der Beklagte zu 1. ohne zureichenden Grund nicht innerhalb der Frist entschieden und daher die Kosten zu tragen haben.

Der Kläger beantragt,
den Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Der Beklagte beantragt, zu entscheiden,
dass Kosten nicht zu erstatten sind.

Der Beklagte zu 2. teilte mit Schriftsatz vom 15.05.2024 mit, dass der Widerspruch erst am 27.03.2024 und damit nach Erhebung der Untätigkeitsklage bei ihm eingegangen sei und daher keine Bereitschaft bestehe, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Der Beklagte zu 1. teilte mit Schriftsatz vom 03.06.2024 mit, dass keine Bereitschaft bestehe, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Es habe einen zureichenden Grund für die Verzögerung wegen vorübergehender Überlastung der Sozialverwaltung gegeben. Die Fallzahlen im Bereich AsylbLG seien seit Jahren exorbitant – in der drastischen Form seit 2022 – angestiegen. Die Überlastung der Behörde sei ein zureichender Grund.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

II.

Da die Hauptsache durch Erledigterklärung beendet wurde, eine Einigung über die Kosten jedoch nicht erfolgte und Antrag auf Kostenscheidung gestellt wurde, ist das Gericht berufen, gemäß § 193 SGG über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen (Leitherer in: Mayer-Ladewig/ Keller/Leitherer, 10. Aufl. SGG, § 193 Rn. 13) zu entscheiden.

Maßgebend sind dabei grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Hauptsache, bei Ungewissheit kommt Teilung in Betracht (Mayer-Ladewig, a.a.O.). Zu berücksichtigen ist jedoch auch, wer die Ursache für die Klageerhebung gesetzt hat.

Auf Grundlage der vorstehenden Grundsätze erscheint es daher billig, den Beklagten zu 1. zur Erstattung der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu verpflichten.

Die Untätigkeitsklage war zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch zulässig und auch begründet.

Denn der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte gegen den Bescheid des Beklagten zu 1. vom 14.11.2023 mit Schreiben vom 16.11.2023 Widerspruch erhoben. Der Widerspruch wurde von dem Beklagten zu 1. jedoch erst mit Schreiben vom 20.03.2024 dem Beklagten zu 2. zur Entscheidung vorgelegt.

Die Klage konnte gemäß § 88 Abs. 2 SGG i. V. m. § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG erhoben werden, nachdem die Beklagten ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist entschieden hatten. Die dreimonatige Entscheidungsfrist für den mit Schreiben vom 16.11.2023, eingegangen am 22.11.2023, erhobenen Widerspruch war bei Klageerhebung bereits abgelaufen.

Die Vorlage erfolgte durch den Beklagten zu 1. erst am 20.03.2024. Der Widerspruchsbescheid erging erst am 15.05.2024.

Bei Erledigung einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG hat der Beklagte in der Regel die außergerichtlichen Kosten zu erstatten, wenn die Klage nach der Sperrfrist erhoben worden ist und später der begehrte Verwaltungsakt ergeht (Meyer-Ladewig, a.a.O., 12. Aufl., § 193 Rn. 11). Denn jeder darf darauf vertrauen, dass innerhalb der in § 88 SGG genannten Fristen über seinen Antrag bzw. Widerspruch entschieden wird.

Die beklagte Behörde trifft nur dann nicht die Kostenlast, wenn der Betroffene etwa aus Mitteilungen der Behörde wusste, dass diese aus einem zureichenden Grund im Sinne von § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht fristgemäß entscheiden kann. Das folgt aus dem hier anzuwendenden Rechtsgedanken des§ 161 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Nach dieser Vorschrift fallen bei einer erledigten Untätigkeitsklage die Kosten stets dem Beklagten zu Last, wenn der Kläger mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen konnte. Damit wird sichergestellt, dass ein Kläger nach der Bescheiderteilung nicht deshalb die Kosten der Untätigkeitsklage zu tragen hat, weil die Behörde mit zureichendem Grund nicht in angemessener Frist entschieden hat.

Einem Kläger ist die Klärung dieser verwaltungsinternen Voraussetzung regelmäßig nicht möglich. Darum lässt§ 161 Abs. 3 VwGO es ausreichen, wenn der Kläger nach den ihm bekannten Umständen des Falles mit einer früheren Bescheidung rechnen durfte. Erst wenn ein zureichender Grund vorliegt, ist es von Bedeutung, ob dem Kläger der Grund der Verzögerung bekannt war oder bekannt sein musste. Ob ein solcher Grund hier vorlag, kann mangels Mitteilung des Beklagten zu 1. desselben vor Klageerhebung an den Kläger bereits dahinstehen.

Nach Ansicht des Gerichts gibt es aber vorliegend auch keinen zureichenden Grund.

Im Klageverfahren hat der Beklagte zu 1. zunächst mitgeteilt, der klägerische Prozessbevollmächtigte habe den Beklagten zu 1. mit einer Vielzahl von Anträgen und Verfahren überhäuft, sodass die verzögerte Entscheidung in der Person des Klägers liege.

Ein zureichender Grund für die Überschreitung der Regelbearbeitungsfrist kann zwar bei einer Verursachung der Verzögerung durch ein (vorwerfbares) Verhalten des Klägers bzw. seines Bevollmächtigten angenommen werden. Dies wird angenommen, wenn aufgrund einer Vielzahl von Anträgen und Widersprüchen desselben Klägers eine vorübergehende besondere Belastungssituation bei der angegangenen Behörde eintritt (Diehm in Roos/Wahrendorf/Müller, Stand: 01.05.2024, § 88 SGG, Rn. 60). Allerdings liegt hier – in Anbetracht der bisherigen gerichtlichen Entscheidungen dazu (vgl. etwa LSG Hessen, Beschluss vom 15.07.2008, L 9 B 39/08 SO – 33 Verfahren) – kein vergleichbarer Fall vor. Denn vorliegend kann nach Ansicht des Gerichts bereits nicht von einer „Vielzahl von Anträgen und Widersprüchen“ ausgegangen werden.

Später hat der Beklagte zu 1. vorgetragen, es habe einen zureichenden Grund für die Verzögerung wegen vorübergehender Überlastung der Sozialverwaltung gegeben. Die Fallzahlen im Bereich AsylbLG seien seit Jahren exorbitant – in der drastischen Form seit 2022 – angestiegen.

Kurzfristig auftretende personelle Engpässe durch vorübergehende Mehrarbeit nach Gesetzesänderungen oder einer Neuregelung von Zuständigkeiten können zwar ein „zureichender Grund” im Sinne des § 88 SGG sein. Kein zureichender Grund sind hingegen Verzögerungen aufgrund dauerhafter Organisationsmängel (Diehm in Roos/Wahrendorf/Müller, Stand: 01.05.2024, § 88 SGG, Rn. 55-57).

Nach Ansicht des Gerichts ergibt sich bereits aus dem Vortrag des Beklagten zu 1. selbst, dass nicht von einer „vorübergehenden Überlastung der Sozialverwaltung” ausgegangen werden kann, denn der Beklagte trägt selbst vor, dass die Fallzahlen im Bereich AsylbLG seit Jahren – in der drastischen Form seit 2022 – exorbitant angestiegen sind.

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ist ein zutreffender Grund für das Gericht nicht erkennbar, sodass es die Kostenauferlegung an den Beklagten zu 1. für angemessen hält.

Dieser Beschluss ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG nicht anfechtbar.