BESCHLUSS
L 8 AY 8/24 B
S 5 AY 6/23 ER Sozialgericht Stade
In dem Beschwerdeverfahren
xxx,
vertreten durch:
xxx,
– Antragstellerin und Beschwerdeführerin –
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen
gegen
Landkreis Stade,
vertreten durch den Landrat,
Am Sande 2, 21682 Stade
– Antragsgegner und Beschwerdegegner –
hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 21. Juni 2024 in Celle durch den Richter xxx sowie die Richterinnen xxx und xxx beschlossen:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 19. Januar 2024, soweit durch diesen der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, aufgehoben.
Der Klägerin wird zur Durchführung des erstinstanzlichen Eilverfahrens Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Adam, Göttingen, gewährt. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
GRÜNDE
Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§ 172 Abs. 3 Nr. 2 lit. b SGG i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) zur Durchführung des Eilverfahrens zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung ausgeht (Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 73a Rn. 7a m.w.N.). Eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit genügt (Schmidt, a.a.O., § 73a Rn. 7).
Der auf eine vorläufige Versorgung mit dem Medikament Metreleptin gerichtete Eilantrag vom 21.11.2023 der zu diesem Zeitpunkt sechsjährigen Antragstellerin zur Behandlung der Erkrankung Lipodystrophie (Bernardineili-Selp-Syndrom – AGPAT2-Mutation), einer schwerwiegenden und lebenslimitierenden Stoffwechselerkrankung (vgl. den Bericht des Altonaer Kinderkrankenhaus vom 5.5.2023 und den Entlassungsbericht des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vom 27.3.2023), hat erstinstanzlich hinreichende Erfolgsaussichten aufgewiesen. Die Rechtsverfolgung ist auch nicht mutwillig gewesen. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Senats gebieten die Wertung aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Alt. 3 AsylbLG, wonach sonstige Leistungen gewährt werden können, die zur Deckung besonderer Bedürfnisse von Kindern geboten sind, und Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention, wonach bei allen Regelungen das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist, bei der Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylbLG eine besondere Rechtfertigung, wenn eine nach den hiesigen Lebensverhältnissen medizinisch an sich erforderliche Behandlungsmaßnahme für Kinder bzw. minderjährige Grundleistungsberechtigte als nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich abgelehnt wird (Senatsurteil vom 1.6.2023 – L 8 AY 19/22 – juris Rn. 27 und Senatsbeschluss vom 20.6.2023 – L 8 AY 16/23 B ER – juris Rn. 20). Auf Grundlage dieser Rechtsprechung hat ein Anordnungsanspruch auf medikamentöse Behandlung der chronischen Erkrankung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylbLG mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bestanden. Auch wenn den mit dem Eilantrag eingereichten medizinischen Unterlagen nicht mit Gewissheit entnommen werden kann, dass die begehrte Medikamentengabe bei der Erkrankung der Antragstellerin medizinisch indiziert ist, ist es nicht von vorneherein ausgeschlossen gewesen, dass eine entsprechende Glaubhaftmachung im weiteren Verfahren – ggf. durch gerichtliche und/oder behördliche Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen – hätte erfolgen können. Angesichts der sehr schwerwiegenden Erkrankung der Antragstellerin gilt dies auch bezogen auf die Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit der Sache (Anordnungsgrund). Immerhin ist eine entsprechende medizinische Indikation bei ihrer an der gleichen Krankheit leidenden Schwester bejaht worden und auch die Antragstellerin soll bereits vor ihrer Flucht aus Kolumbien mit dem Medikament behandelt worden sein (vgl. den Bericht des Altonaer Kinderkrankenhaus vom 5.5.2023). Schließlich spricht der weitere Verlauf des Eilverfahrens für diese Annahme. Die Beschwerde gegen die den Eilantrag ablehnende Entscheidung des Sozialgerichts Stade vom 19.1.2024 (S 5 AY 6/23 ER) ist allein aufgrund des Anfang Februar 2024 eingetretenen Leistungsbezugs nach § 2 AsylbLG und der damit einhergehenden Gesundheitsversorgung auf dem Niveau der Gesetzlichen Krankenversicherung nach § 264 Abs. 2 SGB V (sog. Quasi-Versicherung) zurückgenommen worden (vgl. den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 20.2.2024 in dem Parallelverfahren B 8 AY 7/24 B ER).
Der Antragstellerin ist es nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, die Kosten der Prozessführung aus eigenen Mitteln zu bestreiten, auch nicht zum Teil oder in Raten.
Die Beiordnung des Rechtsanwaltes beruht auf § 73a SGG i.V.m. §121 Abs. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist für die Verfahrensbeteiligten unanfechtbar, § 177 SGG.