BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
xxx,
Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55,
37073 Göttingen
– Kläger –
gegen
Land Sachsen-Anhalt, vertreten durch das Landesverwaltungsamt,
vertreten durch den Präsidenten,
Ernst-Kamieth-Straße 2, 06112 Halle
– Beklagter –
hat die 25. Kammer des Sozialgerichts Magdeburg am 28. Juni 2024 durch die Vorsitzende, die Richterin am Sozialgericht xxx, beschlossen:
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
GRÜNDE
Gemäß § 193 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das Verfahren anders als durch Urteil beendet wird. Das Gericht entscheidet unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Maßgebend sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Antrags sowie die Gründe für die Antragstellung und die Erledigung des Rechtsstreits (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage, § 193 Rnr. 13).
Nach diesen Grundsätzen trägt der Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers. Der Kläger hat mit der am 12.03.2023 erhobenen Untätigkeitsklage gem. § 88 Abs. 2 SGG die Bescheidung seines Widerspruchs vom 04.10.2022 gegen den Bescheid vom 09.09.2022 betreffend die Leistungseinschränkung für den Zeitraum September 2022 bis einschließlich Februar 2023 begehrt. Bereits mit Änderungsbescheid vom 29.09.2022 half der Altmarkkreis Salzwedel dem Widerspruch für die Zeit vom 20.09.2022 bis 28.02.2023 sowie mit weiteren Änderungsbescheid vom 01.03.2023 für die Zeit vom 08.09.2022 bis 19.09.2022 ab. Somit war nur noch eine Leistungseinschränkung für den Zeitraum 01.09. bis 07.09.2022 streitig.
Mit Schreiben vom 15.02.2023 informierte die Widerspruchsbehörde den Kläger darüber, dass der Landkreis das Widerspruchsverfahren nicht entscheidungsreif vorgelegt habe und daher die Anforderung von Unterlagen von dem zuständigen Landkreis erforderlich sei. Sobald das Verfahren der Widerspruchsbehörde vollständig und entscheidungsreif vorliege, werde über den eingelegten Widerspruch entschieden werden. Ein konkretes Datum, bis wann über den Widerspruch entschieden werde, enthielt das Schreiben vom 15.02.2023 nicht. Der Beklagten wurde der Widerspruch vom 04.10.2022 von dem zuständigen Landkreis bereits am 19.10.2022 vorgelegt; jedoch erst im Februar 2023 forderte die Beklagte den Landkreis zur Vorlage der fehlenden Unterlagen und entsprechende Zuarbeit auf.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2023 hat der Beklagte den Widerspruch zurückgewiesen. Nach Erlass des Widerspruchsbescheides hat der Kläger mit Schreiben vom 25.04.2023 das Klageverfahren für erledigt erklärt und beantragt, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Der Beklagte beantragt zu entscheiden, dass Kosten nicht zu erstatten sind. Die Untätigkeitsklage sei rechtsmissbräuchlich, da der Kläger gewusst habe, dass in absehbarer Zeit entschieden werde und nur noch 7 Tage (01.09. bis 07.09.2022) streitig gewesen seien.
Die Untätigkeitsklage war zulässig und begründet; sie hätte also Erfolg gehabt, wenn das Gericht zum Zeitpunkt ihrer anderweitigen Erledigung durch Urteil über sie hätte entscheiden müssen. Gemäß § 88 Abs. 2 SGG ist eine Untätigkeitsklage zulässig, wenn über einen Widerspruch nicht binnen einer Frist von 3 Monaten entschieden worden ist.
Bei Erledigung einer Untätigkeitsklage ist unter dem Gesichtspunkt der Veranlassung des Rechtsstreits der Rechtsgedanke des § 161 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) heranzuziehen, wonach die Kosten in der Regel der Beklagten zur Last fallen, wenn der Kläger nach den ihm bekannten Umständen mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte (Meyer-Ladewig § 193 SGG Rn 13 c mwN). Dies gilt insbesondere dann, wenn innerhalb angemessener Frist kein Bescheid ergangen ist und für den Kläger aufgrund des Verhaltens der Beklagten nicht erkennbar ist, welche Gründe für die Verzögerung bestehen und ob in absehbarer Zeit eine Entscheidung getroffen wird. In diesem Fall soll dem Bürger das Kostenrisiko für die Erhebung einer Untätigkeitsklage abgenommen werden, da es für ihn in der Regel nur schwer erkennbar ist, ob und welche Gründe den Beklagten von einer zeitig früheren Entscheidung abgehalten haben (vgl. BVerwGE 42, 108, 110). Andererseits besteht in der Regel keine Kostenerstattungspflicht der Beklagten, wenn sie mit einem zureichenden Grund nicht innerhalb der gesetzlichen 3-Monats-Frist gem. § 88 Abs. 2 SGG entschieden hat und diesen Grund dem Kläger mitgeteilt hat oder dem Kläger dieser Grund bekannt war (Meyer-Ladewig § 193 SGG Rn 13 c; LSG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 16.04.1998, Az. L 3 SB 84/97; SG Freiburg Beschluss vom 30.06.2011 Az. S 21 AS 577/11, SG Duisburg Beschluss vom 13.02.2009, Az. S 10 R 193/07).
Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des Widerspruchs innerhalb der Frist von 3 Monaten ist nicht vorgetragen worden und auch in der Sache nicht ersichtlich. Der Beklagte verkennt, dass ihm nach seinen eigenen Angaben bereits zeitnah nach Erhebung des Widerspruchs dieser vom Landkreis zugeleitet wurde. Eine Bearbeitung des Widerspruchs seit Oktober 2022 bis Mitte Februar 2023 ist jedoch nach den Ausführungen des Beklagten nicht erfolgt. Vielmehr stellte der Beklagte erstmals Mitte Februar 2023 fest, dass Unterlagen fehlten, und forderte diese erst in der zweiten Februarhälfte vom Landkreis ab. Zu diesem Zeitpunkt war die gesetzliche 3-Monats-Frist gem. § 88 Abs. 2 SGG bereits abgelaufen ohne das ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung in den drei Monaten nach Widerspruchseinlegung seitens des Beklagten mitgeteilt oder sonst ersichtlich ist.
Sofern der Beklagte darauf abstellt, dass er am 15.02.2023 dem Kläger mitteilte, dass Unterlagen einzuholen seien und bei Entscheidungsreife ein Widerspruch ergehe, ändert dies nichts an der vorherigen Untätigkeit des Beklagten. Außerdem war für den Kläger auch aufgrund des Schreibens vom 15.02.2023 nicht ersichtlich, wann bzw. zumindest ob in absehbarer Zeit eine Entscheidung getroffen wird. Einen zeitlichen Rahmen nannte der Beklagte dem Kläger in dem Schreiben nämlich nicht.
An der rechtlichen Einschätzung ändert auch nicht, dass vor Klageerhebung zwei Änderungsbescheide ergangen sind und damit letztlich nur noch eine Leistungseinschränkung für 7 Tage streitig waren. Das Gesetz unterscheidet mit seinen Fristen in § 88 SGG nicht, hinsichtlich der „Wichtigkeit“ eines Widerspruchs.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Untätigkeitsklageverfahren zu tragen. Weitere, sich aus der Prozessgeschichte ergebende Umstände, welche eine andere Verteilung der Kosten rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht vorgetragen.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.