Sozialgericht Karlsruhe – Beschluss vom 26.08.2024 – Az.: S 12 AY 541/24

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

xxx,

– Kläger –

Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt Sven Adam
Lange-Geismar-Str. 55, 37073 Göttingen

gegen

Landratsamt Calw
vertreten durch den Landrat
Vogteistraße 42-46, 75365 Calw

– Beklagter –

Die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe
hat am 26.08.2024 in Karlsruhe
durch den Richter am Sozialgericht xxx
ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Rechtsstreit S 12 AY 541/24 zu erstatten

GRÜNDE

Nach Erledigung der Hauptsache entscheidet das Gericht durch Beschluss, ob und in welchem Umfang dem Grunde nach die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten zu erstatten haben (§ 193 Abs. 1 S. 3 SGG).

Das Verfahren S 12 AY 541/24 hat in der Sache seine Erledigung gefunden, denn die seitens des Klägers erfolgte Erledigungserklärung vom 21.03.2024 ist nach §§ 106 Abs. 1, 123 SGG sachdienlich als Klagerücknahme auszulegen.

Die hiernach gebotene Entscheidung über die Kostenerstattung erfolgt ohne Rücksicht auf Anträge der Beteiligten, wobei § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGG keine Vorgaben für den Inhalt der Kostenentscheidung enthält, weshalb das Sozialgericht nach billigem Ermessen aufgrund allgemeiner Grundsätze entscheidet. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere auch der Anlass für die Klageerhebung und der bisherige Sach- und Streitstand (vgl. z. B. Beschlüsse des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17.06.1999, L 11 SB 2062/99 AK-B u. vom 24.01.2000, L 11 SB 4587/99 AK-B).

Auch im Spezialfall der Erledigung einer Untätigkeitsklage besagen die allgemeinen Grundsätze, dass der Ausgang des Verfahrens auf Grundlage des Sach- und Streitstands zum Zeitpunkt der Erledigung maßgeblich ist. Dies beruht auf einer Anwendung der Rechtsgedanken der § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 154 Abs. 1, 2 und 4 VwGO, § 155 Abs. 1 und 2 VwGO. Indes erfolgt keine Kostenerstattung, weil die Klage unzulässig geblieben ist, falls die Klage vor Ablauf der gesetzlichen Wartefrist erhoben worden war und die Behörde den begehrten Bescheid noch innerhalb der Frist erlässt. Hingegen kommt eine Kostenerstattung grundsätzlich in Betracht, falls die Untätigkeitsklage während ihrer Rechtshängigkeit zulässig und begründet war. Dies ist namentlich der Fall, wenn die Behörde entgegen § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht innerhalb der gesetzlichen Sperr- beziehungsweise Wartefrist über den Antrag entscheidet und kein zureichender Grund für die Verspätung vorlag (BVerfG, 08.02.2023 – 1 BvR 311/22 –, Rn. 13, juris).

Wiederum umgekehrt sind im Falle einer für erledigt erklärten Untätigkeitsklage die Kosten unter dem Gesichtspunkt des Erfolgs- und Veranlassungsprinzips auch dann nicht zu erstatten, falls ein Grund für die Verzögerung bestand und dieser entweder durch die Behörde mitgeteilt wurde oder nicht mitgeteilt werden musste, da dieser Grund ohnedies bekannt war. Insoweit kann die Kostenentscheidung nämlich auch auf Verschuldensgesichtspunkte gestützt werden, was insbesondere gilt, wenn die Verzögerung auf ein Verhalten des Antragstellers oder Widerspruchsführers zurückzuführen ist bzw. wenn er bei objektiver Betrachtung den Grund für die Verzögerung kennen konnte; in Fallkonstellationen dieser Art ist eine Zwischenmitteilung entbehrlich (BeckOGK/Diehm, 1.8.2022, SGG § 88 Rn. 104).

Gemessen hieran hat der Beklagte im Verfahren S 12 AY 541/24 die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Die am 26.02.2024 erhobene Untätigkeitsklage war seit ihrer Rechtshängigkeit zulässig und begründet. Der Beklagte hatte binnen der im Widerspruchsverfahren gemäß § 88 Abs. 1 und 2 SGG dreimonatigen Sperrfrist den Widerspruch des Klägers vom 10.10.2023 gegen den Bescheid vom 19.09.2023 wegen der Asylbewerberleistungen ab 01.10.2023 ohne zureichenden Grund nicht beschieden. Der Klägerin hatte daher Anlass zur Erhebung der Untätigkeitsklage, welcher der Beklagte erst prozessbegleitend am 15.03.2024 abhalf, indem er den Widerspruch der Klägerin im Wege des Erlasses eines Widerspruchsbescheides beschied.

Die zur Rechtsverteidigung gegen die Pflicht zur Erstattung außergerichtlicher Kosten behördlich vorgetragenen Argumente vermögen das Gericht nicht zu überzeugen, dass ein zureichender Grund für die Verzögerung vorgelegen habe. Namentlich steht der Kostenerstattungspflicht im Außenverhältnis der Behörde zum Kläger nicht entgegen, dass behördenorganisatorische Gründe einer schnelleren Sachbearbeitung entgegenstanden. Der Beklagte kann deshalb nicht damit durchdringen, dass es bei ihrer Widerspruchsstelle durch den Weggang einer Kollegin zu personellen Änderungen gekommen ist. Ebenso wenig geht es zulasten des Untätigkeitsklägers, dass aufgrund der hohen Anzahl von Zuweisungen von Flüchtlingen in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten dessen Personalausstattung im Herbst/Winter 2023 unzureichend geworden war.

Die Verzögerung beruhte auch nicht auf der Unkenntnis des Aufenthaltsortes des rechtsanwaltlich vertretenen Klägers, da die Zustellung des Widerspruchsbescheides ohnehin beim Bevollmächtigten erfolgen musste und nicht beim Kläger persönlich.

Schließlich verweist der Beklagte auch zu Unrecht auf die fehlende Dringlichkeit ab Oktober 2023. Umgekehrt war die Angelegenheit gerade dadurch umso dringlicher geworden, dass der Kläger ab dann überhaupt keine existenzsichernden Leistungen mehr erhielt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 193 SGG.