GERICHTSBESCHEID
In dem Rechtsstreit
xxx,
– Kläger –
Prozessbevollm.:
Anwaltskanzlei Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen
gegen
Jobcenter Weimar,
vertreten durch den Geschäftsführer,
Eduard-Rosenthal-Straße 43, 99423 Weimar
– Beklagter –
hat die 26. Kammer des Sozialgerichts Gotha durch ihren Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx, ohne mündliche Verhandlung am 7. November 2024 für Recht erkannt:
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 13.12.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2023 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.10.2022 bis zum 31.03.2023 Leistungen nach dem SGB II in der Regelbedarfsstufe I statt in der Regelbedarfsstufe III zu gewähren. Weiter sind dem Kläger die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung, gegebenenfalls unter Abzug erhaltener Leistungen nach dem Wohngeldgesetz zu gewähren.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
TATBESTAND
Der Kläger am xx.xx.2000 geboren. Er hat noch zwei jüngere Geschwister. Seine Mutter verstarb am xx.xx.2007. Seit Dezember 2014 lebte der Vater mit seiner Familie zusammen mit einer neuen Frau und zwei weiteren Kindern in einer Wohnung. Im Laufe des Jahres 2019 zog der Kläger aus der elterlichen Wohnung aus. Er war dann für ca. ein Jahr lang obdachlos. Der Beklagte hat einen umfangreichen Mail-Verkehr zwischen ihm und dem Kläger aus dem Zeitraum vom 01.08.2020 bis Mitte Oktober 2020 vorgelegt, vgl. Bl. 44 – 54 der Prozessakte. Aus diesem Mail-Verkehr geht hervor, dass der Kläger eine eigene Wohnung finanziert haben wollte, die Beklagte dies jedoch ablehnte, weil er ja weiter bei seinem Vater habe wohnen können. Eine schriftliche Ablehnung mit Rechtsmittelbelehrung lässt sich allerdings weder aus der Verwaltungsakte noch aus dem Mail-Verkehr entnehmen. Zum 15.08.2021 mietete der Kläger dann eine Wohnung, wohl zur Untermiete, an. Die Kosten betrugen 265,00 € Grundmiete, 66,00 € Nebenkosten und 66,00 € Heizkosten monatlich. Am 14.10.2022 stellte er einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Nachdem Leistungen zunächst einmal vorläufig bewilligt worden waren, gewährte der Beklagte dem Kläger mit einer abschließenden Bewilligung vom 13.12.2022 für den Zeitraum vom 1. Oktober 2022 bis zum 30. November 2022 Leistungen in einer monatlichen Höhe von 140,00 €, für den 1. Dezember 2022 bis zum 31. März 2023 wurde dem Kläger nichts gewährt. Dabei ging der Beklagte davon aus, dass er dem Kläger keinerlei Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) gewähren müsse, da der ohne Genehmigung von zu Hause ausgezogen sei und auch hierfür keine schwerwiegenden sozialen Gründe gehabt habe. Eine Genehmigung für den Auszug sei ihm vom Beklagten auch nicht erteilt worden. Aus dem gleichen Grund erhalte er lediglich die Regelbedarfsstufe III, vgl. § 20 Absatz 3 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 SGB II. Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 13. Dezember 2022 Widerspruch einlegt, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2023 als unbegründet zurückwies.
Mit Schriftsatz vom 16.01.2023 hat der anwaltlich vertretene Kläger Klage vor dem SG Gotha erhoben.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat vorgebracht, dass es sehr wohl schwerwiegende soziale Gründe gegeben habe, die einen Auszug aus dem elterlichen Haushalt gerechtfertigt hätten.
Der Kläger beantragt,
dem Beklagten zu verurteilen, ihm unter Abänderung des Bescheides vom 13.12.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2023 zu verurteilen, für den Zeitraum vom 01.10.2022 bis zum 31.03.2023 Leistungen nach dem SGB II in der Regelbedarfsstufe I statt der III zu gewähren und weiter die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung gegebenenfalls unter Abzug gewährter Leistungen nach dem Wohngeldgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass nicht festgestellt werden kann, dass schwerwiegende soziale Gründe bestehen, die einen Verweis auf die elterliche Wohnung nicht erlauben.
In der Sache selbst fand am 01.08.2024 eine mündliche Verhandlung statt. Im Ergebnis der mündlichen Verhandlung wurde der Vater des Klägers Johannes Prieß schriftlich befragt, welche Umstände genau zum Auszug seines Sohnes aus dem elterlichen Haushalt geführt hätten. Der Vater hat zu den Fragen des Gerichtes mit Schriftsatz vom 03.09.2024 ausführlich Stellung bezogen, vgl. Bl. 72 der Prozessakte. Auf die Stellungnahme wird im Folgenden Bezug genommen werden.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Die Klage ist zulässig und begründet.
Dem Kläger sind für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.10.2022 bis zum 23.03.2023 Leistungen nach dem SGB in der Regelbedarfsstufe I zu gewähren. Ferner hat der Beklagte bei den von ihm neu vorzunehmenden Berechnungen, die tatsächlichen KdU des Klägers zu berücksichtigen. Etwaige im gesetzlichen Rahmen von ihm vorgesehene Abzüge, etwa die Zahlung von Wohngeld, bleiben hiervon unberührt.
Die gerichtliche Entscheidung ergibt sich aus dem Folgenden:
§ 22 Abs. 5 SGB II bestimmt, dass, sofern Personen die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt werden, wenn der Kommunalträger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der Kommunalträger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen, Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteiles verwiesen werden kann oder ein sonstiger ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt. Weiter bestimmt die Vorschrift, dass unter diesen Voraussetzungen vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden kann, wenn es dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Für die Einstufung von unter 25-Jährigen in die Regelbedarfsstufe III gilt entsprechendes, vgl. § 20 Absatz 2 Nr. 2 in Verbindung mit Abs. 3 SGB II.
Das Gericht hat zur Frage, welche Gründe zum Auszug des Klägers aus der elterlichen Wohnung geführt haben, durch eine schriftliche Befragung des leiblichen Vaters Beweis erhoben. Aus dessen Stellungnahme vom 03.09.2024 ergibt sich dreierlei.
Zum ersten waren die Verhältnisse in der Wohnung äußerst beengt, zum zweiten war das Verhältnis des Klägers zu seinem Vater und vor allen Dingen zu den Stiefgeschwistern äußerst zerrüttet und drittens wurde der Sohn von seinem Vater – sicherlich mit guten Gründen – der Wohnung verwiesen. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme des Vaters verwiesen. Wie der Beklagte, übrigens ohne jegliche Begründung, nach wie vor zu der Auffassung gelangt, dass der Kläger auf die Wohnung der Eltern verwiesen werden könne, wird wohl das Geheimnis des Beklagten bleiben. Zu berücksichtigen ist hier auch, dass es sich ja streng genommen noch nicht mal um die Wohnung seiner Eltern handelt, zumindest nicht ausschließlich, denn die Wohnung wurde ja auch von einer Stiefmutter und Stiefgeschwistern bewohnt. Die Stiefmutter ist, da ja wohl keine Adoption vorliegt, im familienrechtlichen Sinne eben nicht Elternteil des Klägers. Dem Kläger war es auch nicht mehr zumutbar ein Einverständnis abzuholen, denn aus dem Mail-Verkehr ergibt sich ganz klar, dass der Beklagte dem Kläger eindeutig zu verstehen gegeben hatte, dass solch ein Einverständnis niemals erteilt werden würde.
Nach den gemachten Darlegungen war der Klage stattzugeben.
Die Entscheidung zu den Kosten ergibt sich aus § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.