Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt – Beschluss vom 26.11.2024 – Az.: 4 L 138/24

BESCHLUSS

In der Verwaltungsrechtssache

des minderjährigen xxx,
vertreten durch seine in der Ukraine lebenden Eltern
Herrn xxx und Frau xxx,
xxx,

Klägers und Antragsgegners,

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen,

gegen

das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt,
vertreten durch den Präsidenten,
Ernst-Kamieth-Straße 2, 06112 Halle (Saale),

Beklagten und Antragsteller,

beigeladen:

  1. die Stadt Kassel,
    vertreten durch den Magistrat,
    Obere Königstraße 8, 34117 Kassel,
  2. der Burgenlandkreis,
    vertreten durch den Landrat,
    Schönburger Straße 41, 06618 Naumburg,

wegen

Kinder- und Jugendhilferechts
(Verteilung ausländischer Jugendlicher)
– Antrag auf Zulassung der Berufung –

hat das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt – 4. Senat – am 26. November 2024 beschlossen:

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 5. September 2024 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Halle – 5. Kammer – wird abgelehnt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

GRÜNDE

Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg, weil die Darlegungen, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO), nicht geeignet sind, die Annahme der geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO zu rechtfertigen.

1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, wenn der Rechtsmittelführer im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage stellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 –, BVerfGE 110, 77 <83>). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinn liegen dann vor, wenn substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände dargelegt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung (im Ergebnis) unrichtig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2010 – 1 BvR 2011/10 –, juris, Rn. 19). Daran fehlt es hier.

Das Verwaltungsgericht hat auf die entsprechende Klageänderung durch den Kläger festgestellt, dass das – ursprünglich auf Aufhebung des Zuweisungsbescheids des Beklagten vom 18. September 2023 gerichtete – Verfahren in der Hauptsache erledigt ist. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, es liege ein wirksamer Übergang in einen Erledigungsfeststellungsrechtsstreit vor. Vorliegend sei Erledigung eingetreten, weil der Zuweisungsbescheid des Beklagten vom 18. September 2023, mit dem der Kläger zur Inobhutnahme an das Jugendamt des Beigeladenen zu 2. zugewiesen worden sei, keine Regelungswirkung mehr entfalte. Darüber hinaus sei die Klage auch bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses zulässig gewesen. Für den Erfolg des Klageverfahrens nicht maßgeblich sei, ob die ursprünglich erhobene Anfechtungsklage bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses auch begründet gewesen sei; einer dahingehenden Prüfung bedürfe es danach hier nicht.

Ernstliche Richtigkeitszweifel daran werden durch das Zulassungsvorbringen nicht aufgezeigt. Der Beklagte tritt weder der angenommenen Erledigung des Rechtsstreits entgegen, noch bestreitet er die (ursprüngliche) Zulässigkeit der Klage, sondern führt eingehend aus, weshalb er formell und materiell rechtmäßig gehandelt habe. Die insoweit angesprochenen Aspekte, insbesondere die Rechtmäßigkeit der Verteilungsanmeldung der Beigeladenen zu 1. und deren Bindungswirkung für den Beklagten, betreffen allerdings die (ursprüngliche) Begründetheit der Klage, auf die es nach Auffassung des Verwaltungsgerichts nach der Änderung des Streitgegenstandes durch den Kläger nicht (mehr) ankommt. Dem tritt das Zulassungsvorbringen bereits nicht entgegen. Es entspricht im Übrigen auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass im Verwaltungsprozess beim sog. Erledigungsfeststellungsrechtsstreit die Begründetheit der Klage mit dem ursprünglichen Antrag grundsätzlich nicht zu prüfen ist (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1990 – 4 C 7.88 –, NVwZ 1991, S. 162 <163>; Clausing, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 161 VwGO Rn. 28 m.w.N.). Hiervon wird zwar eine Ausnahme gemacht, wenn der Beklagte ein beachtenswertes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO an einer Klärung zum Ausdruck bringt, dass die Klage von Anfang an keinen Erfolg haben konnte (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1990 – 4 C 7.88 –, NVwZ 1991, S. 162 <163>; Wysk, in: Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2025, § 161 Rn. 45 m.w.N.). Ein solches Interesse hat der Beklagte allerdings nicht dargelegt. Zwar macht er im Zulassungsvorbringen mit der Wiederholungsgefahr einen Aspekt geltend, der zur Annahme eines sog. Fortsetzungsfeststellungsinteresses im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO führen kann. Allerdings muss es sich dabei um eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr handeln, wovon auszugehen ist, wenn in absehbarer Zeit bei im Wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mit einer gleichartigen negativen Entscheidung zu rechnen ist oder sich die in Bezug auf den erledigten Verwaltungsakt kontroversen Rechtsfragen zwischen den Beteiligten in anderer Weise erneut stellen werden (vgl. Wolff, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 113 Rn. 271 m.w.N.). Eine in diesem Sinne konkrete Gefahr zeigt der Beklagte nicht auf, sofern er darauf hinweist, dass er durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts künftig in vergleichbaren Fällen der Klagefreudigkeit der umA bzw. der sie vertretenden Anwälte ausgeliefert sein werde und mithin auch der Gefahr der Kostentragung, ohne Handlungsalternativen zu haben.

Abgesehen davon, dass sich dem Vorbringen bereits keine konkreten Anhaltspunkte für den tatsächlichen Eintritt einer vergleichbaren Belastung entnehmen lassen, besteht in diesem Zusammenhang grundsätzlich kein anerkennenswertes Interesse an einer Klärung von Rechtsfragen, die sich für den Beklagten nicht in seinem Verhältnis zum Kläger, sondern zu Dritten stellen könnten (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 1989 – 9 C 61.88 –, NVwZ 1989, S. 862 <863>).

2. Der Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist. Seine entsprechenden Ausführungen betreffen die (ursprüngliche) Begründetheit der Klage, worauf es – wie ausgeführt (s. oben 1.) – für den Erfolg des nunmehr anhängigen Feststellungsantrags nicht ankommt. Unabhängig davon lässt sich dem Vorbringen des Beklagten nicht entnehmen, worin die besonderen Schwierigkeiten bei der Beurteilung der (ursprünglichen) Begründetheit der Klage liegen sollten. Dafür genügt nicht der Hinweis darauf, dass der Beklagte trotz rechtmäßigen Handelns (dauerhaft) in eine Unterlegenenposition mit für ihn nachteiligen Kostenfolgen gedrängt werde.

3. Schließlich ist die Berufung auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen. Der Beklagte wirft keine rechtliche oder tatsächliche Frage auf, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich und im Sinne der Rechtseinheit klärungsbedürftig ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Februar 2008 – 2 BvR 2575/07 –, juris, Rn. 12; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28. November 2016 – 4 L 46/16 –, juris, Rn. 9). Sein Vorbringen erschöpft sich in einer allgemeinen Kritik an den (Kosten-)Folgen der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, ohne eine konkrete Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.

Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang rügt, das Verwaltungsgericht habe bei seiner Entscheidung zur Kostentragung § 155 Abs. 4 VwGO völlig unberücksichtigt gelassen, vermag dies auch deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu begründen, weil nach § 158 Abs. 1 VwGO die Kostenentscheidung nur angefochten werden kann, wenn das Rechtsmittel zur Hauptsache zu einer Sachentscheidung führen kann, was bei Rechtsmitteln, die der Zulassung bedürfen, erst nach der – hier nicht in Betracht kommenden – Zulassung möglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 2002 – 4 BN 7.02 –, S. 1385 <1386> ; Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 158 Rn. 4 m.w.N.). Unabhängig davon genügt es auch dem Darlegungserfordernis gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht, der Begründung des Verwaltungsgerichts, weshalb vorliegend die Anwendung des § 155 Abs. 4 VwGO nicht geboten sei (UA S. 9), lediglich entgegenzuhalten, das VG Hannover habe in einem ähnlichen Fall die Kosten dem Jugendamt auferlegt, ohne auch nur ansatzweise aufzuführen, aus welchem Grund diese Entscheidung auf den vorliegenden Fall übertragbar und über zeugender sein soll als die im Ausgangsverfahren ergangene (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 –, NVwZ 2000, S. 1163 <1164>).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 188 Satz 2 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen dem Beklagten aufzuerlegen, weil diese im Zulassungsverfahren weder Anträge gestellt noch sonst den Prozess gefördert haben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Kontakt aufnehmen

eMail: kontakt@anwaltskanzlei-adam.de
Telefon: 0551/4883169

Montag bis Freitag: 09:00 bis 12:30 Uhr
Montag, Dienstag und Donnerstag: 14:00 bis 17:00 Uhr.

Für die Einreichung von Dokumenten, Terminsvereinbarung etc. erreichen Sie unser Sekretariat auch über verschiedene Messenger unter der Mobilfunknummer +491706001309 für die Apps WhatsApp, Telegramm, Signal, Threema-ID: BP2TVD4X und Wire: SekretariatRASvA.

... oder uns direkt schreiben:

Name(erforderlich)
Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.