BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
xxx,
Klägerin,
Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Sven Adam
Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen,
gegen
Land Hessen,
vertreten durch das Hessische Amt für Versorgung,
und Soziales -Gießen-,
Südanlage 14 A, 35390 Gießen,
Beklagte,
hat die 22. Kammer des Sozialgerichts Marburg am 17. Dezember 2024 durch den Vorsitzenden, Richter am Sozialgericht xxx, beschlossen:
Der Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt.
Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
GRÜNDE
In dem am 06.11.2024 durch übereinstimmende Erledigungserklärung beendeten Verfahren war gemäß § 193 Abs. 1 S. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) noch über die Kosten zu entscheiden.
Die Entscheidung über die Kostenerstattung erfolgt nach billigem Ermessen (vgl. BSG, SozR Nr. 3 und 42 zu § 193 SGG; Hess. LSG, Beschlüsse vom 10.02.1992 – L 5 B 117/91 – und vom 28.09.2001 – L 14 B 94/97 KR – m. w. N.), wobei das Gericht an die Anträge der Beteiligten nicht gebunden ist und die Rechtsgedanken der §§ 91 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) herangezogen werden. Das Gericht hat folglich das Ergebnis des Rechtsstreits, wie er sich im Zeitpunkt der Erledigung darstellt, unter Berücksichtigung des sich aus den Akten ergebenden Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu würdigen. Maßgeblich für die Entscheidung sind demnach alle Umstände des Einzelfalls unter Zugrundelegung des aus der Akte ersichtlichen Sach- und Streitstands (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/u.a., Sozialgerichtsgesetz, 13. Aufl. 2020, § 193 Rn. 12 ff. m. w. N.; Hess. LSG, Beschluss vom 07.02.2003 – L 12 B 93/02 RJ).
Dabei kommt im Wesentlichen zwei Bewertungskriterien Bedeutung zu, nämlich den Erfolgsaussichten der Klage zum Zeitpunkt der Erledigung sowie den Gründen für die Klageerhebung und die Erledigung des Rechtsstreits. Es muss mithin neben der Berücksichtigung der Erfolgsaussicht auch darauf abgestellt werden, wer Anlass zum Rechtsstreit gegeben hat. Danach kann es für die zu fällende Kostenentscheidung von entscheidender Bedeutung sein, wen die Verantwortung dafür trifft, dass ein von vornherein vermeidbarer und daher überflüssiger Prozess überhaupt geführt werden musste (vgl. B. Schmidt, a.a.O.).
Bei der Anwendung dieser beiden Kriterien ist zu beachten, dass es sich um Abwägungskriterien einer Ermessensentscheidung handelt und beide Kriterien gegenseitig als Korrektur des jeweils anderen dienen. Es kann daher in Betracht kommen, dass, wenn sich die Rechtslage auf Grund einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach der Klageerhebung ändert und nunmehr Erfolgsaussichten der Klage bestehen, dem Beklagten wegen des Überwiegens des Veranlassungs- gegenüber dem Erfolgsgesichtspunkt im Rahmen der Ermessenabwägung keine außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen sind. Dies setzt voraus, dass der zuständige Verwaltungsträger einer tatsächlichen oder rechtlichen Veränderung unverzüglich nach Kenntniserlangung Rechnung trägt (Rechtsgedanke des § 93 ZPO, siehe zum Ganzen etwa Hess. LSG, Beschluss vom 13.05.1996 – L-5/B-64/94 – NZS 1997, 48; B. Schmidt, a.a.O., Rn. 12c m. w. N.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe entspricht es sachgemäßem Ermessen, dass die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Denn der Beklagte hat durch seine unzureichenden Ermittlungen Anlass zur Klageerhebung gegeben. Entgegen seiner Auffassung ergaben sich bereits aus der Akte im Verwaltungsverfahren genügend Hinweise auf eine psychische Störung der Klägerin. Im Reha-Entlassungsbrief vom 19.04.2023 wird eine psychologisch-therapeutische Behandlung geschildert sowie die Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) gestellt. Ebenso wird dort geschildert, dass sich die Klägerin zu Hause in ambulanter Psychotherapie befindet. Weiter findet sich die Diagnose der PTBS in den Befundberichten der Gemeinschaftspraxis A. Geiger & Dr. med. A. Purkl vom 23.02.2024 sowie vom 12.06.2024. Die dadurch aktenkundigen psychologischen Unfallfolgen hätten den Beklagten veranlassen müssen, auch in diese Richtung zu ermitteln. Zwar hat der Beklagte nach Vorlage der Befundberichte im Gerichtsverfahren zeitnah den Abhilfebescheid erlassen, der Umstand, dass er sich dabei aber auch auf medizinische Unterlagen stützt, die bereits im Verwaltungsverfahren vorlagen – etwa die Information über die psychotherapeutischen Gespräche bei der Psychiaterin Dr. Wenzel-Voß von Februar bis November 2023 – zeigt jedoch, dass der Prozess von vorneherein vermeidbar gewesen wäre, wenn der Beklagte die in der Verwaltungsakte befindlichen medizinischen Unterlagen bzgl. der psychischen Erkrankungen ausgewertet und in diese Richtung weitere Ermittlungen vorgenommen hätte.
Durch die Nichtberücksichtigung der psychischen Störung der Klägerin stellt sich der Bescheid der Beklagten vom 19.09.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2024 als rechtswidrig dar, weshalb das Begehren der Klägerin Aussicht auf Erfolg hatte. In dieser Konstellation ist es sachgerecht, dass der Beklagte die Kosten des Verfahrens trägt.
Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen § 172 Abs. 3 Nr. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG).