Sozialgericht Stuttgart – Beschluss vom 20.12.2024 – Az.: S 11 AY 3017/24 ER

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

1. xxx,

– Antragstellerin –

2. xxx,

– Antragstellerin –

Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Sven Adam
Lange-Geismar-Str. 55, 37073 Göttingen
– zu Kl. Ziff. 1, 2 –

gegen

Landeshauptstadt Stuttgart – Sozialamt –
vertreten durch den Oberbürgermeister
Eberhardstr. 33, 70173 Stuttgart

– Antragsgegnerin –

Die 11. Kammer des Sozialgerichts Stuttgart
hat am 20.12.2024 in Stuttgart
durch die Richterin am Sozialgericht xxx
ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellerinnen vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung Analogleistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG ab dem 14.08.2024 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerinnen vom 13.08.2024, längstens jedoch bis zum 30.06.2025 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

GRÜNDE

Die Antragstellerinnen begehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Gewährung von Analogleistungen gemäß § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Die Antragstellerin Ziff. 1 ist am xx.xx.1991 geboren und seit dem xx.xx.2018 in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) untergebracht. Die Antragstellerin Ziff. 1 erhält zusammen mit ihren 3 Kindern (xxx geb. xxx, xxx geb. xxx, xxx/Antragstellerin Ziff. 2 geb. xxx) Leistungen nach dem AsylbLG.

Der Asylantrag der Antragstellerin wurde am 14.08.2019 abgelehnt, unanfechtbar seit dem 01.02.2022 und die Abschiebung ist seit dem 20.11.2019 angedroht.

Die Antragstellerin war seit dem 20.01.2020 im Besitz einer Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG und ist seit dem 19.12.2023 im Besitz einer Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung nach § 60b Abs. 1 AufenthG (Duldung für Personen mit ungeklärter Identität), gültig bis 16.04.2025.

Mit den Bescheiden vom 17.05.2024 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellerinnen Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG für Februar 2024 bis April 2024.

Mit dem Ausführungsbescheid vom 25.06.2024 gewährte die Antragsgegnerin – entsprechend dem Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 14.06.2024 (Az. S 11 AY 2008/24 ER) für die Zeit ab dem 29.05.2024 Leistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1.

Gegen die konkludente Leistungsgewährung ab 01.08.2024 legte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin mit Schreiben vom 13.08.2024 Widerspruch ein und führte aus, dass eine Umstellung auf Leistungen nach § 2 AsylbLG bisher zu Unrecht unterblieben sei. Eine Widerspruchsentscheidung ist bisher nicht ergangen.

Die Antragstellerin hat zugleich mit Schriftsatz vom 13.08.2024, eingegangen am 14.08.2024, einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Stuttgart gestellt.

Die Antragstellerin trägt vor, dass die „Wartefrist“ des § 2 Abs. 1 AsylbLG bereits lange überschritten sei und die Dauer des Aufenthaltes der Antragstellerinnen nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst worden sei. Es bestehe mithin der Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG.

Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellerinnen vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerinnen vom 13.08.2024 gegen die faktische Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen in gesetzlicher Höhe nach § 2 AsylbLG ab Eingang dieses Antrages bei Gericht zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin trägt vor, dass ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG nicht bestehe. Die Antragstellerin habe ihre Aufenthaltsdauer selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst bzw. verlängert. Die Antragstellerin habe ihre Identität nicht nachgewiesen. Die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG seien nicht gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungs- und Ausländerakte der Beklagten verwiesen.

II.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist zulässig und begründet.

Der einstweilige Rechtschutz richtet sich im Streitfall nach § 86 Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Danach kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist der Fall, wenn dem Antragsteller bei summarischer Prüfung ein Anspruch auf die begehrte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und die Durchsetzung des Anspruchs wegen besonderer Eilbedürftigkeit nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache warten kann (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Absatz 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Absatz 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Dabei darf die einstweilige Anordnung mit Rücksicht auf ihren vorläufigen Charakter die endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorwegnehmen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen vom 26. Januar 2015 – L 7 AS 617/14 B; LSG Sachsen vom 19. Dezember 2016 – L 7 AS 1001/16 B ER; HK-SGG/Binder § 86b Rn. 45).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen dabei nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER, Rn. 18, juris; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER, Rn. 4, juris). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss vielmehr für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; das heißt es muss eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert. Eine solche Notlage ist bei einer Gefährdung der Existenz oder erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen zu bejahen (Keller in: MeyerLadewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 29a; Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b SGG (Stand: 03.02.2023), Rn. 412).

Davon ausgehend ist es nach summarischer Prüfung auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes überwiegend wahrscheinlich, dass sich im Hauptsacheverfahren feststellen lassen wird, dass die Antragstellerinnen einen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG haben.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG i. d. F. vom 08.05.2024 ist abweichend von den §§ 3, 4 sowie 6 und 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 36 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Die Antragstellerin Ziff. 1 ist seit dem 25.09.2018 in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht und hält sich seitdem unzweifelhaft mehr als 36 Monate ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet auf und hat die Dauer ihres Aufenthaltes auch nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst.

Der Begriff des Rechtsmissbrauchs i. S. v. § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG wird im AsylbLG an keiner Stelle definiert. Nach der Rechtsprechung des BSG zu § 2 AsylbLG in der bis zum 28.02.2015 geltenden Fassung beinhaltet er als vorwerfbares Fehlverhalten eine objektive – den Missbrauchstatbestand – und eine subjektive Komponente – das Verschulden. In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen im Anwendungsbereich des § 2 Abs. 1 AsylbLG so schwer, dass der Pflichtverletzung vor dem Hintergrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Rechtsmissbräuchlich ist ein Verhalten danach nur, wenn es unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar im Sinne von Sozialwidrigkeit ist (vgl. BSG vom 17.06.2008 – B 8/9b AY 1/07 R, Rn. 33 f., juris). An dieser Rechtsprechung hält das BSG auch weiterhin fest (vgl. etwa BSG, Urteil vom 24. Juni 2021 – B 7 AY 4/20 R, Rn. 16, juris).

Nach dem (auch insoweit unveränderten) Wortlaut des Gesetzes kann (weiterhin) weder durch Zeitablauf noch durch späteres Wohlverhalten des Ausländers bewirkt werden, dass Analogleistungen zu gewähren sind. Damit ist der Ausländer durch die Beschränkung auf Grundleistungen im Grundsatz dauerhaft von einer mit der Zahlung von Analogleistungen beabsichtigten, stärkeren Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse im Inland und besseren sozialen Integration ausgeschlossen (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juni 2021 – B 7 AY 4/20 R, Rn. 17, juris).

Um den Vorwurf der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer erheben zu können, bedarf es nachhaltiger – unter Umständen – jahrelanger Pflichtverletzungen; lediglich die verspätete Vorlage von Passbildern reicht hierfür z. B. nicht aus. Eine einmalige Pflichtverletzung – wenn kurze Zeit später die Mitwirkungshandlung erbracht wird – wird kaum den gravierenden Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit begründen können. Ebenso wenig darf die Behörde Handlungen abverlangen, die von vornherein keinen Erfolg bringen können. Vielmehr sind auch bei der Frage, welche Mitwirkungshandlungen konkret zumutbar sind, alle Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls zu berücksichtigen. Auch dem Verhalten der Behörde kommt hierbei Bedeutung zu, insbesondere ob sie den Ausländern klar und unmissverständlich mitgeteilt hat, welche Mitwirkungshandlungen konkret abverlangt werden. Erst unter Berücksichtigung der aufgezeigten Kriterien kann letztendlich beurteilt werden, ob ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten objektiv den Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit begründet. Berücksichtigt man die gravierenden Folgen eines dauerhaften Leistungsausschlusses von privilegierten Leistungen im Fall des Rechtsmissbrauches, so werden an die Feststellung von rechtsmissbräuchlichen Verhaltensweisen bei Mitwirkungshandlungen strenge Anforderungen zu stellen sein (vgl. Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 2 AsylbLG (Stand: 19.11.2024), Rn. 152).

Ausgehend von dem damit zugrunde zu legenden Maßstab ist allein der Umstand, dass einem Leistungsberechtigten – wie hier – nach dem AsylbLG eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität gemäß § 60b AufenthG erteilt wurde, nicht rechtsmissbräuchlich. Vielmehr ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Rechtsmissbräuchlichkeit nach den durch das BSG entwickelten Grundsätzen im jeweiligen Einzelfall vorliegen (vgl. auch Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 2 AsylbLG (Stand: 19.11.2024), Rn. 164).

Ausweislich der Ausländerakte hat das Regierungspräsidium Karlsruhe die zuständige Ausländerbehörde am 02.01.2023 aufgefordert, eine Duldung nach § 60b Abs. 1 AufenthG auszustellen, obwohl zuvor stets eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (familiäre Bindungen oder fehlende Reisedokumente) ausgestellt wurde. Die geänderte Duldungsgrundlage erschließt sich der Kammer bereits nach Aktenlage nicht. Zuvor wurde die Antragstellerin mit Verfügung vom 28.10.2022 vom Regierungspräsidium Karlsruhe aufgefordert, gültige Reisedokumente für ihr Kind xxx vorzulegen. Zudem ist der Ausländerakte zu entnehmen, dass die Antragstellerin Ziff. 1 ihre gambische Geburtsurkunde bereits am 20.01.2020 und ihren gambischen Pass, ausgestellt am 28.09.021 bei der Ausländerbehörde am 17.07.2024 vorgelegt hat. Zweifel an der Identität der Antragstellerinnen können der Ausländerakte mithin nicht entnommen werden. Für die Kammer bestehen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin Ziff. 1 eine falsche Identität (z. B. falscher Name oder Geburtsort) angegeben hat. Insoweit ist es angesichts der gravierenden Konsequenzen eines dauerhaften Leistungsausschlusses nicht ausreichend, dass die Antragsgegnerin aufgrund der bloßen Ausstellung einer Duldung nach § 60b AufenthG davon ausgeht, dass die Identität nicht abschließend geklärt sei. Vielmehr ist sie gehalten, eine eigenständige Prüfung im jeweiligen Einzelfall entsprechend den genannten Grundsätzen des BSG vorzunehmen.

Zwar ist eine über Jahre hinaus verzögerte Mitwirkung bei der Beschaffung von Passersatzpapieren grundsätzlich als sozialwidrig anzusehen (vgl. Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 2 AsylbLG (Stand: 19.11.2024), Rn. 161), aber eine solche ist für die Kammer hier gerade nicht zweifelsfrei erkennbar. Vielmehr hat die Antragstellerin ihre gambische Geburtsurkunde bereits am 20.01.2020 und ihren gambischen Pass am 17.07.2024 vorgelegt. Diesbezüglich hat sie gegenüber der Ausländerbehörde auch angegeben, dass sie den Pass schon deutlich früher beantragt hatte, aber es zu Verzögerungen gekommen sei, den Pass nach Deutschland zu bringen. Angesichts der Aktenlage und den schriftlichen Äußerungen der Antragstellerin in der Ausländerakte ist die Kammer davon überzeugt, dass sich die Antragstellerin um die Erfüllung ihrer Mitwirkungspflichten im Rahmen ihrer Möglichkeiten – insbesondere neben der Betreuung ihrer drei Kinder – bemüht hat. Dass es hierbei zu Verzögerungen kam, rechtfertigt nach Auffassung der Kammer nicht den gravierenden Vorwurf der Rechtsmissbräuchlichkeit und eines dauerhaften Leistungsausschlusses unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit. In diesem Zusammenhang wurde auch von Antragsgegnerin nicht geprüft, inwieweit die Antragstellerin Ziff. 1 ihren Mitwirkungspflichten bereits nachgekommen ist und ggf. welche weiteren Pflichten ihr konkret zumutbar gewesen wären.

Soweit die Antragsgegnerin auf die Passbeschaffung für die minderjährigen Kinder xxx und xxx verweist, sind der Ausländerakte hierzu keine hinreichenden Angaben zu entnehmen. Diesbezüglich ist insbesondere nicht bekannt, ob die Antragsgegnerin bereits etwaige Maßnahmen ergriffen. Dies wäre jedoch von der Antragsgegnerin – unter Hinweis auf die bestehende Amtsermittlungspflicht – entsprechend in Erfahrung zu bringen und mit einer persönlichen Befragung der Antragstellerin Ziff. 1 (ggf. unter Heranziehung eines Dolmetschers) auch ohne weiteres zu realisieren.

Unabhängig davon erscheint der Kammer auch die subjektive Komponente (Verschulden) des Rechtsmissbrauchs äußerst fragwürdig. Diese ist nur dann erfüllt, wenn Vorsatz sowohl bezüglich der tatsächlichen Umstände als auch hinsichtlich der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes vorliegt (sog. doppelter Vorsatz, vgl. Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 2 AsylbLG (Stand: 19.11.2024), Rn. 197). Diesbezüglich hat die Antragsgegnerin zur Aufklärung der subjektiven Komponente bereits keine persönliche Befragung der Antragstellerin vorgenommen, sodass hierzu jegliche Angaben fehlen. Eine persönliche Befragung wäre nach Auffassung der Kammer jedoch unerlässlich, da es um die Feststellung eines persönlichen Schuldvorwurfs geht, von dem der Tatrichter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt sein muss (vgl. Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 2 AsylbLG (Stand: 19.11.2024), Rn. 215).

In diesem Zusammenhang liegt auch die Darlegungs- und Beweislast sowohl für die subjektive als auch die objektive Komponente bei der Behörde, mithin der Antragsgegnerin (vgl. Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG § 2 Rn. 34, beck-online; BeckOK SozR/Korff, 74. Ed. 1.9.2024, AsylbLG § 2 Rn. 12, beck-online). Verbleibende Zweifel gehen daher zulasten der Antragsgegnerin.

Angesichts des existenzsichernden Charakters der Analogleistungen ist für die Antragstellerinnen auch der erforderliche Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Insoweit sind auch ausgehend von der Wechselwirkung zwischen dem Anordnungsanspruch und dem Anordnungsgrund (je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, desto geringer sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und umgekehrt, vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 27, beck-online) im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig höhere Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylblG zuzusprechen (vgl. Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29. Juni 2023 – L 8 AY 18/23 B ER, Rn. 10, juris)

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Es folgt die Rechtsbehelfsbelehrung.


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