1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)
1.1 – LSG NSB, Urteil vom 25.09.2024 – L 13 AS 21/23 –
Bürgergeld: Delmenhorst verfügt über ein schlüssiges Konzept i. S. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (2020)
Orientierungssatz Redakteur Detlef Brock
1. Bei dem „Schlüssigen Konzept zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft Delmenhorst 2020 handelt es sich um ein schlüssiges Konzept i. S. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Praxistipp:
ebenso für das Jahr 2015 – LSG NSB, Urt. vom 8. Dezember 2021 – L 13 AS 264/19 –
1.2 – LSG NRW, Beschluss v. 16.09.2024 – L 7 AS 719/24 B – www.sozialgerichtsbarkeit.de
SGB II: Keine Bewilligung von Prozesskostenhilfe für höheren Regelsatz für Bürgergeldempfänger in 2023/2024 – kein Regelbedarf i.H.v. 725 € „zuzüglich Stromkosten“
Es besteht auch keine Veranlassung, das Klageverfahren auszusetzen und dem BVerfG vorzulegen, denn die Regelbedarfssätze in den Zeiträumen von Oktober 2023 bis Dezember 2023 und von Januar 2024 bis September 2024 waren am Maßstab der Verfassung nicht evident unzureichend (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, 17.04.2024 – L 2 AS 39/24 B -).
Praxistipp: Regelsatzklagen zum SGB II
LSG NRW, Urt. v. 13.12.2023 – L 12 AS 1814/22 – Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (B 7 AS 56/24 B) und vom BSG zugelassen – Termin unbekannt
LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.10.2023 – L 18 AS 279/23 – Revision anhängig beim BSG unter dem Az.: B 7 AS 20/24 R – Termin unbekannt
SG Karlsruhe, Urteil vom 28.08.2024 – S 12 AS 2069/22 – Das Verfahren S 12 AS 2069/22 wird ausgesetzt, bis das Bundessverfassungsgericht im Normkontrollverfahren 1 BvL 2/23 entschieden hat (, ob §§ 70, 73 des SGB II mit dem Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und dem Allgemeinen Gleichheitssatz vereinbar sind).
Hier muss das SG Karlsruhe in der Sache eine neue Entscheidung treffen.
Zur Sperrwirkung der Einmalzahlungen aus §§ 70, 73 SGB II gegenüber dem Auffangtatbestand aus § 21 Abs. 6 SGB II und dessen verfassungskonformer Auslegung anlässlich der in 2021 und 2022 trabenden Inflation
1.3 – LSG BW, Urteil v. 30.11.2023 – L 3 AS 840/23 –
Bürgergeld: Garagenzuschlag erst ab der Rechtsprechung des BSG vom 19.05.2021 – B 14 AS 39/20 R -.
Erst ab den Zeitpunkt des Bestehens einer ständigen Rechtsprechung des BSG (hier der 19.05.2021) können Bürgergeld – Bezieher Garagenkosten geltend machen, weil sie nicht aufgrund des allgemeinen Nachranggrundsatzes zur Untervermietung eines PKW-Stellplatzes verpflichtet sind, wenn Wohnung und Stellplatz Bestandteile eines einheitlichen Mietverhältnisses sind und die Gesamtmiete angemessen ist.
Das Bundessozialgericht hat mit BSG, Beschluss vom 17.07.2024 – Aktenzeichen B 7 AS 110/23 B – die Auffassung des LSG BW bestätigt und die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.
siehe auch dazu: www.gegen-hartz.de
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld
2.1 – SG Karlsruhe, Urteil vom 01.10.2024 – S 12 AS 2387/22 –
Zur Angemessenheit von Umzugskosten für ein Umzugsunternehmen im Bezug existenzsichernder Leistungen nach dem Bürgergeld
SGB II: Jobcenter verwehrt einer Alleinerziehenden Umzugskosten zu Unrecht – Gericht übt heftige Kritik und macht dem Jobcenter den Vorwurf des Sozialneids
Das SG Karlsruhe machte dem JobCenter den Vorwurf, dass die Übernahme abgelehnt hatte, missgünstigen Sozialneid öffentlich Bediensteter
Bürgergeld: Jobcenter muss einer Alleinerziehenden mit 2 pflegebedürftigen Kindern Umzugsfirma bezahlen
Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Umzug unter Heranziehung studentischer Umzugshelfer stets kostengünstiger wäre als die Beauftragung eines Umzugsunternehmens mit dem gesamten Umzug (a. A. SG Hamburg, Urteil vom 22.08.2022 – S 62 AS 1988/19; LSG Hamburg, Urteil vom 22.12.2022 – L 4 AS 202/22 D -).
Als notwendige Umzugskosten zu übernehmen sind insbesondere Aufwendungen für einen Transportwagen, Benzin, die Anmietung von Umzugskartons, die Kosten für Verpackungsmaterial, etwa erforderliche Versicherungen, Sperrmüllentsorgung und die üblichen Kosten für die Versorgung der Mithelfer.
Der Anspruch auf Übernahme von Umzugskosten nach § 22 Abs 6 SGB 2 kann auch solche Aufwendungen umfassen, die im Zusammenhang mit einem Aus- und Einbau einer Einbauküche entstehen.
Das Jobcenter muss einer alleinerziehenden Mutter mit 2 kranken, pflegebedürftigen Kindern die Kosten für ihren Umzug aus Karlsruhe nach Ettlingen mit 2.200,- € bezahlen, denn
ein Umzug ist erforderlich, wenn dadurch die Kosten der Unterkunft gesenkt werden
1. der Umzug war erforderlich, weil durch den Umzug minderten die drei Grundsicherungsleistungsberechtigten die öffentlichen Grundsicherungsleistungen für ihre Kosten für Unterkunft und Heizung um 126,11 € monatlich von 1.014,01 € in Karlsruhe auf angemessene 887,90 € in Ettlingen.
Mobbing als Umzugsgrund
2. Es war es zum Schutze der psychischen Gesundheit der pflegebedürftigen Tochter der Alleinerziehenden erforderlich, aus dem in Karlsruhe-Nordstadt bewohnten Mehrfamilienmietshaus wegzuziehen, weil sie unter dortigen Streitigkeiten mit Nachbarskindern dermaßen litt, dass polizeiliche Ermittlungen wegen Beleidigung, Körperverletzung, Diebstahl und Stalking rechtsanwaltlich eingeleitet und eine therapeutische Behandlung der seelischen Folgen veranlasst worden war.
Großmutter beaufsichtigte zeitweise die Kinder während des Umzugs- Aufsichts -und Betreuungsleistungen durch die Großmutter
3. Ein Zuzug nach Ettlingen war besonders zweckförderlich, weil die hier wohnhafte Großmutter der Kinder der Mutter zeitweilig unterstützend deren Aufsicht und Betreuung (zum Beispiel auch stundenweise während des Umzugs übernehmen konnte).
Leitsätze des Gerichts
1. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Umzug unter Heranziehung studentischer Umzugshelfer stets kostengünstiger wäre als die Beauftragung eines Umzugsunternehmens mit dem gesamten Umzug.
2. Die Verwaltungspraxis des Jobcenters Karlsruhe, als Tageslohn für (studentische) Umzugshelfer pauschal nur 50,- € zu übernehmen, ist evident rechtswidrig, weil der Mindestlohn 12,50 € beträgt und ein regulärer Arbeitstag acht Stunden dauert, sodass die Tagespauschale mindestens doppelt so hoch sein muss.
3. Der Abbau und das Entfernen der eigenen Einbauküche sind beim Auszug aus einer angemieteten Wohnung vom Mieter geschuldet und die dadurch entstehenden Kosten als wirtschaftliche Umzugskosten im Sinne von § 22 Abs. 6 SGB II anzusehen, wenn durch die Mitnahme der Einbauküche verhindert werden kann, dass in der neuen Wohnung eine neue Einbauküche zulasten der öffentlichen Hand in kostspieligerer Weise angeschafft werden muss.
4. Das Jobcenter kann nicht mit Erfolg einwenden, es wäre zur Minderung der Leistungen nach § 22 SGB II regelmäßig zweckdienlich und angemessen, absichtlich einen Monat lang umzuziehen und hierfür doppelt Miete zu zahlen, anstatt die doppelte Mietzahlung für die alte und die neue Wohnung zu vermeiden und innerhalb weniger Tage zum Monatswechsel umzuziehen.
5. Das Jobcenter kann nicht mit Erfolg einwenden, es wäre zur Minderung der Leistungen für Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II zweckdienlich und angemessen, sich bei der Beförderung von Umzugsgut von einem rechtsanwaltlichen Prozessbevollmächtigten unter die Arme greifen zu lassen.
6. Die Angemessenheit von Umzugskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II bemisst sich nicht nach dem im Einzelfall missgünstigen Sozialneid öffentlich Bediensteter.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
3.1 – LSG BW, Urteil vom 19.09.2024 – L 7 SO 2479/23 –
Sozialhilfe: Der Sozialhilfeträger muss auch Leistungen für die Vergangenheit erbringen
Denn wird ein Antrag auf Sozialhilfeleistungen gestellt, wirkt die Kenntnis des Sozialhilfeträgers von der Bedarfslage bei späterem Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück, auch wenn der Antrag unvollständig gewesen ist.
Leistungen der Sozialhilfe setzen antragsunabhängig ab Kenntnis des Sozialhilfeträgers ein
Die Kenntnis vom Bedarfsfall nach § 18 SGB XII als auslösendes Moment soll einen niederschwelligen Zugang zur Sozialhilfe gewährleisten. Die Sozialhilfe soll also u.a. nicht von dem formellen Erfordernis einer Antragstellung als Leistungsvoraussetzung abhängig sein.
Das schließt jedoch die Möglichkeit einer Antragstellung § 16 SGB 1 keineswegs aus (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 26. August 2008 – B 8/9b SO 18/07 R –).
Stellung eines formlosen Antrages auf Sozialhilfeleistungen – Unvollständiger Antrag reicht für die Kenntnis aus
Wird ein formloser Antrag auf Sozialhilfeleistungen gestellt, der die Behörde ohne weitere Angaben des Antragstellers noch nicht in die Lage versetzt, die Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen, sind – soweit die Voraussetzungen im Weiteren erwiesen werden – Leistungen für die Vergangenheit (ab Antragstellung) zu zahlen.
Die zum Einsetzen der Sozialhilfe führende Kenntnis im Sinne von § 18 Abs. 1 SGB XII erlangt die Behörde damit bereits mit dem Antrag. Der im Hinblick auf den Personenkreis der Leistungsberechtigten nach dem SGB XII bewusste Verzicht auf einen Antrag würde sonst ebenso wie der Begriff des Einsetzens der Sozialhilfe ad absurdum geführt und etwa der Leistungsberechtigte von antragsgebundenen Leistungen gegen den Willen des Gesetzgebers bevorzugt.
So wäre es widersinnig, müssten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach den §§ 41 ff. SGB XII bei einem unvollständigen Antrag bereits ab Antragstellung gewährt werden, während die Sozialhilfe im Übrigen trotz gleicher Ausgangslage erst später einsetzen würde.
Leitsätze Gericht
Wird ein Antrag auf Sozialhilfeleistungen gestellt, wirkt die Kenntnis des Sozialhilfeträgers von der Bedarfslage bei späterem Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen auf den Zeitpunkt der Antragstellung zurück, auch wenn der Antrag unvollständig gewesen ist.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Hinweis
Sozialhilfe gibt es ab Kenntnis: Unvollständiger Antrag reicht
weiter: landessozialgericht-baden-wuerttemberg.justiz-bw.de
3.2 – LSG Bayern, Urt. v. 10.09.2024 – L 8 SO 226/22-
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Hat ein Bevollmächtigter im Widerspruchsverfahren seine Vollmacht auf Verlangen des Leistungsträgers innerhalb der ihm gesetzten Frist nicht nachgewiesen, kann der Widerspruch als unzulässig verworfen werden.
2. Der Mangel der Vollmacht im Widerspruchsverfahren kann nicht durch die nachträgliche Vorlage einer Vollmacht im Klageverfahren geheilt werden.
3. Die Anforderung des Nachweises der Vollmacht muss regelmäßig mit einer angemessenen Frist und dem Hinweis verbunden sein, dass anderenfalls der Widerspruch als unzulässig verworfen wird.
Rechtstipp zum SGB II:
LSG Rheinland-Pfalz vom 30.04.2013 – L 3 AS 98/13 –
Abzustellen ist darauf, ob der Bevollmächtigte die Folgen des Fehlens des Nachweises einer Vollmacht kannte und ob er in der konkreten Situation die behördlichen Hinweise dahin verstehen musste, dass keine Sachentscheidung ergehen, sondern sein Widerspruch als unzulässig verworfen würde.
4. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Kinderzuschlag, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
4.1 – Newsletter von Rechtsanwalt Volker Gerloff – 12/2024 –
weiter: www.ra-gerloff.de
5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
5.1 – LSG Bayern, Urt. v. 29.03.2023 – L 8 AY 76/22 –
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Die verglichen mit den anderen existenzsichernden Leistungssystemen reduzierten Leistungen des AsylbLG gebieten eine restriktive Auslegung der Tatbestände des § 1a AsylbLG.
2. Vor einer Anspruchseinschränkung muss die Leistungsbehörde den Ausländer konkret darauf hinweisen, welche Schritte zur Ermöglichung der Ausreise von ihm erwartet werden.
Praxistipp:
Das Grundrecht auf die Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wegen der verglichen mit anderen existenzsichernden Leistungssystemen reduzierten Leistungen des AsylbLG gebieten nach der Rechtsprechung des Senats eine restriktive Auslegung aller Tatbestände des § 1a AsylbLG (vgl. Beschlüsse vom 28.10.2022 – L 8 AY 66/22 B ER und vom 17.09.2018 – L 8 AY 13/18 B ER – juris; Siefert, AsylbLG, 2. Aufl., § 1a Rn. 7).
Die Anwendung des § 1a AsylbLG ist nur dann unbedenklich, wenn es der Leistungsberechtigte in der Hand hat, durch sein Verhalten die Leistungsvoraussetzungen zu erfüllen und eine Kürzung zu vermeiden. Insoweit ist zumindest ein persönliches (im Sinne von: eigenes) Fehlverhalten des Leistungsberechtigten zu verlangen (BSG vom 12.05.2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rn. 17).
Nach § 1a AsylbLG zu „sanktionieren“ ist nur ein bestimmtes Verhalten, wenn nämlich der Betreffende eine konkrete, zumutbare und erfüllbare Mitwirkungshandlung nicht vornimmt.
Nur eine solche einschränkende Auslegung wird der erheblichen Beeinträchtigung gerecht, die mit der Leistungskürzung nach § 1a AsylbLG verbunden ist (SG München vom 31.01.2017 – S 51 AY 122/16 ER – juris Rn. 40; Oppermann in jurisPK-SGB XII, Stand 27.02.2023, § 1a AsylbLG Rn. 81).
Wichtiger Hinweis:
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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker