1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)
1.1 – LSG BW, Urt. v. 29.11.2024 – L 12 AS 2865/24 –
Bürgergeld: Jobcenter zahlt keinen PC/ Drucker für die Erstellung von Bewerbungen
Die Anschaffung eines PCs sowie Druckers für die berufliche Eingliederung ist nicht notwendig, denn die Selbstinformationseinrichtungen im Berufsinformationszentrum der Agentur für Arbeit würden kostenlos zur Verfügung stehen und könnten für die Erstellung von Bewerbungen verwendet werden.
Eine Erstausstattung (§ 24 Abs. 3 SGB II) kommt nicht in Betracht und ein Härtefallmehrbedarf (§ 21 Abs. 6 SGB II) scheidet aus, wenn der Antragsteller nicht nachweist, warum eine darlehensweise Gewährung unzumutbar wäre.
Quelle: www.sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp zu Hartz IV – Zeiten – gilt auch heute beim Bürgergeld
LSG Nordrhein-Westfalen, 23.04.2010 – L 6 AS 297/10 B – Hartz-IV-Empfänger bekommen keinen PC bezahlt, weil keine Wohnungserstausstattung
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 28.06.2018 – L 4 AS 886/17 NZB – rechtskräftig – Die Anschaffung eines Druckers begründet keinen Mehrbedarf iSv § 21 Abs 6 SGB II
1.2 – LSG Bayern, Beschluss v. 22.11.2024 – L 7 AS 318/24 NZB –
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
I. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Beteiligter „gehört“, nicht jedoch „erhört“ wird (vgl. u.a. BSG vom 16.4.2024, B 12 BA 17/24 B, Rn 14 m.w.N.).
II. Eine Abweichung von einer Entscheidung des Landessozialgerichts i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG erfasst nur eine Abweichung von Entscheidungen des zuständigen Berufungsgerichts. III. Wird geltend gemacht, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides nicht vorgelegen haben, so ist dies kein die Zulassung begründender Verfahrensfehler; vielmehr ist Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung nach § 105 Abs. 3 SGG zu stellen.
1.3 – LSG NRW, Urt. v. 27.02.2024 – L 2 AS 760/23 – B 4 AS 40/24 AR – www.sozialgerichtsbarkeit.de
ALG 2: Kein Anspruch auf SGB 2 – Leistungen bei Nachzahlung von ALG 1 in Höhe von 5000, 00 €
1. Nachzahlung des Arbeitslosengeldes in Höhe von 5.255,12 €, aufgeteilt auf 6 Monate, war als Einkommen zu berücksichtigen.
2. Eine in § 11a SGB II a.F. genannte Ausnahme ist nicht gegeben.
3. Auch die von ihm geltend gemachte Regelung des § 11a Abs. 3 S. 1 SGB II a.F. ist vorliegend nicht einschlägig.
4. Schulden in Höhe von 13.000 € aus einem Studienkredit können nicht von der Nachzahlung abgesetzt werden (vgl. B 14/7b AS 10/07 R).
Anmerkung:
Entscheidung zu Hartz IV ergangen – beim Bürgergeld wäre eine andere Anrechnung vorzunehmen
Praxistipp – auch zu Hartz IV ergangen
LSG BB, Urt. v. 13.06.2018 – L 18 AS 784/17 – Anrechnung von Nachzahlungen von Arbeitslosengeld auf Leistungen nach dem SGB II
Bei der Alg-Nachzahlung handelt es sich um laufendes Einkommen, das in voller Höhe anzurechnen und nicht nach § 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II auf einen Zeitraum von 6 Monaten gleichmäßig aufzuteilen ist.
Laufende Einnahmen sind nach ständiger Rechtsprechung des BSG solche, die auf demselben Rechtsgrund beruhen und regelmäßig erbracht werden. Bei einmaligen Einnahmen erschöpft sich das Geschehen in einer einzigen Leistung (BSG, Urteile vom 24. April 2015 – B 4 AS 32/14 R –, vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 154/11 R, vom 07. Mai 2009 – B 14 AS 4/08 R –, vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 70/07 R und vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 26/07 R -).
Bürgergeldtipp
Mit Einführung des Bürgergeldes wird ab dem 01.07.2023 auf die Unterscheidung von laufenden und einmaligen Einnahmen, verzichtet. Laufende wie auch einmalige Einnahmen sind im Monat ihres Zuflusses als Einkommen zu berücksichtigen.
Bedarfsübersteigende Beträge im Monat des Zuflusses sind im Folgemonat dem Vermögen zuzuschlagen.
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld
2.1 – SG München, Urt. v. 21.11.2024 – S 46 AS 1243/23 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Bürgergeld: Ablösezahlung für ein Lokal als Vermögensumwandlung im SGB 2 (mit Hinweis auf BSG, vom 28.02.2024 – B 4 AS 22/22 R – dort Verkauf von Wertpapieren zu einem inzwischen gestiegenen Kurswert)
1. Vor dem Erstantrag auf ALG 2 verkauftes Lokal eines Selbstständigen ist Vermögen
2. Gibt ein Gastwirt sein Lokal auf, und verkauft es vor dem Erstantrag auf ALG 2, ist die Ablösezahlung ein Vermögenstausch für den Wert des Lokals und kein Einkommen.
3. Die Umwandlung des in dem Lokal gebundenen Vermögens in eine Ablösezahlung führte zu einem Geldvermögen von 30.000,- Euro und zusammen mit dem beim Erstantrag vorhandenen Vermögen von 1.720,- Euro zu einem Gesamtvermögen, das unter dem Vermögensfreibetrag von § 67 Abs. 2 SGB II lag und damit die Hilfebedürftigkeit nicht beseitigte.
2.2 – SG Karlsruhe, Urt. v. 12.11.2024 – S 12 AS 45/23-
Bürgergeld: Reparaturkosten für den PKW als Eingliederungsleistung vom Jobcenter
Keine freien Leistungen zur Eingliederung in Arbeit durch das Jobcenter bei zu niedrigem Verdienst von Bürgergeldempfängern
Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
Aus Sicht der Solidargemeinschaft mindert erst ein Erwerbseinkommen über 130 € monatlich die „Hilfebedürftigkeit“ eines volljährigen Menschen im Bezug von Bürgergeld.
Niedrigere Monatseinkommen bis 130 € können keine freien Leistungen zur Eingliederung in Arbeit durch Jobcenter an Volljährige rechtfertigen.
Anmerkung:
Wann hätte das Jobcenter die Reparaturkosten des Bürgergeldbeziehers übernommen?
Das wäre nur der Fall gewesen, wenn die Reparatur vom mit hinreichender Wahrscheinlichkeit geeignet gewesen wäre, die Erzielung eines Erwerbseinkommens zu bewirken, welches mindestens so hoch ist, dass es den Leistungsanspruch des Hilfebedürftigen auf Existenzsicherung mindert.
Dies hätte im Fall des volljährigen Klägers vorausgesetzt, dass er dank der Reparatur mehr als 130,- € pro Monat verdient.
Andernfalls hätte seine grundsicherungsrechtliche Hilfebedürftigkeit unvermindert fortbestanden.
Aus Sicht der Solidargemeinschaft mindert erst ein Erwerbseinkommen über 130 € monatlich die Hilfebedürftigkeit eines volljährigen Menschen im Bezug von Bürgergeld.
Niedrigere Monatseinkommen bis 130 € können keine freien Leistungen zur Eingliederung in Arbeit durch Jobcenter an Volljährige rechtfertigen.
Sie sind wegen des Erwerbseinkommensfreibetrags von 100,- € aus § 11 b Abs. 2 Satz 1 SGB II und der zusätzlich absetzbaren Versicherungspauschale in Höhe von 30,- € aus § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V stets zu gering, um Eingliederungsleistungen als geeignet bzw. erforderlich zu erachten.
Praxistipp
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 13.05.2015 – L 11 AS 676/15 B ER – Jobcenter muss im Einzelfall bei drohendem Arbeitsplatzverlust Darlehen für PKW gewähren
1. Bei § 16f SGB II handelt es sich um eine eigenständige Anspruchsgrundlage, die als Generalklausel ausgestaltet ist.
2. Hinsichtlich des möglichen Leistungsinhalts sind die nach § 16f SGB II denkbaren Leistungen allerdings an § 20 SGB II zu messen.
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)
3.1 – LSG Nordrhein-Westfalen, 13.05.2024 – L 20 AL 201/22 – Revision zugelassen
Kurzarbeitergeld: Arbeitgeberrisiko in der Pandemie
Der Arbeitgeber trägt das Risiko des rechtzeitigen Zugangs der Anzeige über Arbeitsausfall bei der Agentur für Arbeit bei Postversand.
Quelle: Presseinfo des LSG NRW: www.lsg.nrw.de
Volltext hier: www.sozialgerichtsbarkeit.de
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
4.1 – LSG BW, Beschluss v. 13.07.2023 – L 2 SO 3173/22 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Sozialhilfe: Kürzung des Regelsatzes um eine Energiepauschale gemäß § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII bei Unterbringung in einer Notunterkunft
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung: Wer in einer Notunterkunft lebt, dem darf der Sozialhilfeträger den Regelsatz um eine Energiepauschale kürzen (hier monatlich 33,31 Euro)
Denn die Kosten der Unterkunft und Heizung enthielten hier einen eigentlich vom Regelsatz umfassten Bedarf. Der Bedarf von Haushalts- und Kochenergie falle typischerweise monatsweise an und werde auch im Regelsatz in voller Höhe und nicht nur mit Ansparanteilen berücksichtigt.
Weiterer Behandlungspunkt im Beschluss: Einkommenserzielung, Anrechnung und Bereinigung des Einkommens
Nach § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 SGB XII Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, und vor allem die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen.
Es begegne zunächst keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass Erwerbseinkommen bei Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII infolge geringerer gesetzlicher Freibeträge umfassender berücksichtigt, werde als bei Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BSG, Urteil vom 25.04.2018 – B 8 SO 24/16 R -).
4.2 – LSG Hessen, Beschluss v. 27.11.2024 – L 4 SO 95/24 B ER –
Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX)
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Zu den Anforderungen an einen wichtigen Grund zur Kündigung einer Zielvereinbarung i.S.d. § 29 Abs. 4 SGB IX.
2. Aufgrund der in § 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX geregelten zwingenden Aufhebung der Leistungsbewilligung als Folge der Kündigung der Zielvereinbarung kann nach wirksamer Kündigung für den nachfolgenden Zeitraum ein Anspruch auf ein persönliches Budget ohne Zielvereinbarung jedenfalls dann nicht entstehen, wenn die die Kündigung tragenden Gründe noch fortbestehen.
Anmerkung Gericht:
Der vorherige Abschluss einer Zielvereinbarung mit dem Mindestinhalt ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur alten Rechtslage allenfalls „formale Voraussetzung“ für den anschließenden Erlass eines Verwaltungsakts über das persönliche Budget (BSG, Urteil vom 28. Januar 2021 – B 8 SO 9/19 R –). Welche Konsequenzen sich für den Anspruch ergeben, wenn wegen des Streits um den Inhalt der Zielvereinbarung eine solche nicht zustande kommt, hat das Bundessozialgericht aber ausdrücklich offengelassen.
Aufgrund der gesetzlich in § 29 Abs. 4 Satz 7 SGB IX geregelten zwingenden Aufhebung der Leistungsbewilligung als Folge der Kündigung der Zielvereinbarung kann jedenfalls nach wirksamer Kündigung ein Anspruch auf ein persönliches Budget ohne Zielvereinbarung nicht entstehen, wenn – wie hier – die die Kündigung tragenden Gründe noch fortbestehen bzw. nicht widerlegt worden sind.
5. Verschiedenes zum Bürgergeld, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Kinderzuschlag, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
5.1 – Neue Richtwerte für angemessene Kosten der Unterkunft in Dresden – Mietobergrenzen erhöhen sich in Dresden ab Januar 2025 für Bürgergeld/Sozialhilfeempfänger
Zum 1. Januar 2025 werden die Dresdner Mietobergrenzen, bis zu denen das Jobcenter und das Sozialamt die Wohnkosten für Empfängerinnen und Empfänger von Bürgergeld und Sozialhilfe übernehmen, angehoben. Ab dem neuen Jahr sind die Kosten der Unterkunft in Dresden bis zu den folgenden Beträgen angemessen:
Anzahl der Personen im Haushalt
angemessene Bruttokaltmiete
(Grundmiete plus kalte Betriebskosten)
zum Vergleich:
bisherige Richtwerte
1-Personen-Haushalt
449,25 Euro
368,93 Euro
2-Personen-Haushalt
556,02 Euro
464,93 Euro
weiter: www.dresden.de
6. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung (SGB II)
6.1 – BSG, Urt. v. 11.07.2024 – B 4 AS 11/23 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss für Auszubildende bei Ausbildungsförderung – rückwirkende Beurlaubung vom Studium wegen Krankheit – rückwirkende Aufhebung der Bewilligung und Rückforderung von Leistungen nach dem BAföG – Nachholung der Beantragung von Arbeitslosengeld II – Rückwirkung des Antrags
Kann ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB 2 gemäß § 28 SGB 10 zurückwirken, wenn der Betroffene rückwirkend vom Studium beurlaubt worden ist und deswegen die Bewilligung der Leistungen nach dem BAföG aufgehoben und deren Erstattung verlangt worden ist?
BSG: Keine Zurückwirkung des Antrags auf ALG II bei Leistungsausschluss und fehlendem Kausalzusammenhang
Wortlaut des § 28 SGB X
Nach dessen Wortlaut muss der Leistungsempfänger deshalb von der Stellung eines Antrags abgesehen haben, weil er sich die Gewährung einer anderen Sozialleistung versprochen hat. Dies setzt zunächst einen Kausalzusammenhang zwischen der Nichtbeantragung der einen und der Geltendmachung der anderen Sozialleistung voraus. Darüber hinaus muss dieser Zusammenhang auf einer bewussten Nichtbeantragung beruhen.
Kausalzusammenhang zwischen der Nichtbeantragung der einen und der Geltendmachung der anderen Sozialleistung
An dieser bewussten Entscheidung, die im Zeitpunkt der Beantragung der – anderen Sozialleistung vorliegen muss, fehlt es hier, so ausdrücklich die Richter des BSG. Denn der Antragsteller hat nicht von der Beantragung der ALG 2 Leistungen abgesehen, weil er einen Anspruch auf eine andere Sozialleistung geltend gemacht hat.
Insofern unterscheidet sich der Fall in tatsächlicher Hinsicht von demjenigen, über den der Senat im Urteil vom 6. Juni 2023 (B 4 AS 86/21 R) zu befinden hatte.
Volltext jetzt da: www.rechtsprechung-im-internet.de
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker