Tacheles Rechtsprechungsticker KW 01/2025

1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)

1.1 – LSG BB, Urt. v. 14.08.2024 – L 1 AS 382/21- www.berlin.de

Nachweis der Ernsthaftigkeit vertraglicher Beziehungen zwischen Verwandten als Voraussetzung der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung/ Bürgergeld

Bürgergeld: Nur Schuldner der Mietzahlungen können beim Jobcenter Bedarfe für Unterkunft und Heizung beanspruchen (§ 22 Abs. 1 SGB II)

Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind zu verneinen bzw. vom Jobcenter nicht zu übernehmen, weil Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Sinne einer Verpflichtung zur Mietzahlung nicht entstanden sind.

Ist Schuldner der Mietzahlungen alleine der geschiedene Ehemann bzw. Vater, der der Zahlungspflicht auch nachkomme, kann die Ex-Ehefrau bzw. Tochter keine Bedarfe für Unterkunft beim Jobcenter geltend machen, auch wenn der Ex-Mann die gezahlte Miete mit dem Unterhalt der Tochter verrechnet.

Vielmehr handele es sich hierbei um eine rechtswidrige Kürzung der Unterhaltszahlung, die nicht auf einer wirksamen zivilrechtlichen Forderung basiere.

Dass die Tochter diese Kürzung hinnehme, lasse die Rechtswidrigkeit der Verrechnung nicht entfallen.

Eine Zahlungsverpflichtung der Tochter gegenüber folge hieraus nicht. Auch für ein Untermietverhältnis zwischen dem Ex-Ehemann/Kindesvater und seiner Ex-Ehefrau bzw. Tochter, aus welchem eine wirksame Untermietzahlungspflicht resultieren könne, liege nichts vor.

Somit gilt:
Für die Annahme tatsächlicher Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ist es erforderlich, dass sich der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietforderung ausgesetzt gesehen hat (BSG, Urteile vom 5. Juni 2014 – B 4 AS 32/13 R –, vom 7. Mai 2009 -B 14 AS 31/07 R- mit Bezugnahme auf Urteil vom 3. März 2009 – B 4 AS 37/08 R; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. September 2021 – L 1 AS 702/19 –).

Es verstößt dabei nicht gegen Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Artikel 3 Abs. 1 GG, wenn Vertragsverhältnisse zwischen Familienangehörigen einem Fremdvergleich unterzogen werde (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG, Beschluss vom 7. September 2000 – 1 BvR 444/00 –).

Praxistipp: LSG Berlin-Brandenburg, 06.03.2024 – L 32 AS 39/24 B ER –

Keine grundsätzliche Nichtigkeit von Mietverträgen unter nahen Angehörigen

1.2 – LSG BB, Urt. v. 20.11.2024 – L 18 AS 447/23 –

SGB II-Leistungen – Rücknahme – Vermögen – Sparbuch – Großeltern/Eltern-Kind-Verhältnis – Forderungsberechtigung

JobCenter: Sparbuch des Vaters/Großvaters 450.000 € kein Vermögen beim Bürgergeld

3 prall gefüllte Sparbücher des Vaters/Großvaters mindern das Bürgergeld – Vermögen des erwachsenen Sohnes und seiner 2 Enkel nicht, denn die Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) war nicht entfallen. Die Vermögensgrenzen (§ 12 SGB II) wurden nicht überschritten, trotz der eingezahlten Spareinlagen vom Großvater in Höhe von 450.000 € auf 3 Sparbücher.

Bürgergeld: Bei Sparbüchern muss sich der Hilfebedürftige nicht am Rechtsschein der Kontoinhaberschaft festhalten lassen.

Hat der Vater eines erwachsenen Bürgergeld – Empfängers und zugleich Großvater seiner Enkel erhebliche Bargeldbeträge auf mehrere Sparkassenbücher eingezahlt, ist es nicht anrechenbares Vermögen und mindert nicht die Hilfebedürftigkeit der Bedarfsgemeinschaft, wenn sie allesamt nicht über das Vermögen verfügen konnten und es zum Lebensunterhalt nicht bereitstand.

Legt nämlich ein naher Angehöriger ein Sparbuch auf den Namen eines Kindes oder eines Enkels an, ohne das Sparbuch selbst aus der Hand zu geben, so ist aus diesem Verhalten in der Regel zu schließen, dass der Zuwendende sich die Verfügung über das Sparguthaben bis zu seinem Tode vorbehalten wolle.

Dieser zivilrechtlichen Rechtsprechung hat sich auch das Bundessozialgericht angeschlossen und diese Grundsätze gälten durchgehend seither (BSG, Urteil vom 24.05.2006 – B 11a/AL 7/05 R – Orientierungssatz Detlef Brock).

Fazit: Großvater räumt die Konten ab wegen befürchteter Ansprüche des JobCenters

Dass die Sparbücher – leergeräumt wurden -, nachdem den Hilfebedürftigen durch das JobCenter mitgeteilt worden war, dass Zinserträge auf diesen Sparbüchern gutgeschrieben worden waren, ist im Übrigen eher ein Beleg dafür, dass den Hilfebedürftigen diese Guthaben eben nicht zustehen sollten, denn sie wurden offenbar wegen befürchteter Ansprüche des JobCenters vom Vater bzw. Großvater von den Konten „abgezogen“.

Praxistipp: Besitz nicht entscheidend für Kontoinhaberschaft
Es existiert kein Rechtsgrundsatz, nach dem sich ein Leistungsbezieher am Rechtsschein der Kontoinhaberschaft festhalten lassen muss. Dem SGB II lässt sich weder eine Regelung noch ein Anhalt dafür entnehmen, dass fiktives Vermögen, also solches, dass dem Inhaber nicht zusteht, im Rahmen des § 12 SGB II zu berücksichtigen ist.

Rechtstipp:
Die Prüfung der Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II) bei vorhandenem Sparvermögen hat sich an der Verfügungsberechtigung zu orientieren.

Bei Sparbüchern muss sich der Hilfebedürftige nicht am Rechtsschein der Kontoinhaberschaft festhalten lassen (i. d. S. SG Karlsruhe, Urt. v. 16.10.2014 – S 13 AS 735/14; SG Gießen, Urteil vom 15.07.2014 – S 22 AS 341/12; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23.04.2012, L 9 AS 695/08 sowie LSG Hamburg, Urteil vom 25.08.2011- L 5 AS 33/08).

2. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

2.1 – LSG BW, Urt. v. 07.11.2024 – L 7 SO 3379/21 – Revision zugelassen

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
Eine ambulant betreute Wohnmöglichkeit kann auch bei Pflegestufe 0 gegeben sein, wenn demenzbedingte erhebliche Einschränkungen der Alltagskompetenz vorliegen (offen gelassen in BSG, Urteil vom 30. Juni 2016 – B 8 SO 6/15 R -). Örtlich zuständig ist der Sozialhilfeträger, in dessen Bereich sich der Leistungsberechtigte vor Eintritt in das ambulant betreute Wohnen tatsächlich aufgehalten hat.

Unerheblich ist dabei die Dauer des Aufenthaltes, sofern ein Rückkehrwille zum vorherigen Aufenthaltsort nicht vorhanden ist und ob dort auch ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet worden ist.

3. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

3.1 – SG Magdeburg, Urt. v. 02.12.2024 – S 20 AL 193/21 – und S 20 AL 222/20

Leitsatz www.sachsen-anhalt.de
Es entspricht dem Wesen der Stellung eines GmbH-Geschäftsführers, dass es den Gesellschaftern, die dem Geschäftsführer das Wohl und Wehe der Gesellschaft in besonderer Weise anvertrauen, nicht vorrangig auf die Ableistung einer bestimmten Zahl an Arbeitsstunden, sondern auf das Ergebnis des Arbeitseinsatzes des Geschäftsführers ankommt.

Ist in dem Anstellungsvertrag eines GmbH-Geschäftsführers eine bestimmte Arbeitszeitdauer nicht vereinbart, so lässt sich im Rahmen der Regelungen über das Kurzarbeitergeld mangels Bezugspunkt ein Arbeitsausfall und daraus resultierend ein arbeitsausfallbedingter Entgeltausfall nicht feststellen.

4. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

4.1 – Sozialgericht Stuttgart – Beschluss vom 20.12.2024 – Az.: S 11 AY 3017/24 ER

Normen: § 86a SGG, § 2 AsylbLG – Schlagworte: Analogleistungen, Rechtsmissbrauch, Mitwirkungspflichten, Sozialgericht Stuttgart

Gewährung von Analogleistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG im einstweiligen Rechtsschutz

1. Alleine der Umstand, dass einem Leistungsberechtigten – wie hier – nach dem AsylbLG eine Duldung für Personen mit ungeklärter Identität gemäß § 60b AufenthG erteilt wurde, nicht rechtsmissbräuchlich. Vielmehr ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Rechtsmissbräuchlichkeit nach den durch das BSG entwickelten Grundsätzen im jeweiligen Einzelfall vorliegen.

2. Zwar ist eine über Jahre hinaus verzögerte Mitwirkung bei der Beschaffung von Passersatzpapieren grundsätzlich als sozialwidrig anzusehen (vgl. Filges in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 2 AsylbLG (Stand: 19.11.2024), Rn. 161), aber eine solche ist für die Kammer hier gerade nicht zweifelsfrei erkennbar.

3. Unabhängig davon erscheint der Kammer auch die subjektive Komponente (Verschulden) des Rechtsmissbrauchs äußerst fragwürdig. Diese ist nur dann erfüllt, wenn Vorsatz sowohl bezüglich der tatsächlichen Umstände als auch hinsichtlich der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes vorliegt.

4. Eine persönliche Befragung wäre nach Auffassung der Kammer jedoch unerlässlich, da es um die Feststellung eines persönlichen Schuldvorwurfs geht, von dem der Tatrichter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überzeugt sein muss.

In diesem Zusammenhang liegt auch die Darlegungs- und Beweislast sowohl für die subjektive als auch die objektive Komponente bei der Behörde, mithin der Antragsgegnerin (vgl. Grube/Wahrendorf/Flint/Leopold, 8. Aufl. 2024, AsylbLG § 2 Rn. 34, beck-online; BeckOK SozR/Korff, 74. Ed. 1.9.2024, AsylbLG § 2 Rn. 12, beck-online). Verbleibende Zweifel gehen daher zulasten der Antragsgegnerin.

Quelle: RA Sven Adam

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker


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