BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
xxx,
– Antragsteller –
Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen
gegen
Landratsamt Greiz
vertr. d.d. Landrat,
– Rechtsamt –
Dr. Rathenau-Platz 11, 07973 Greiz
– Antragsgegner –
hat die 21. Kammer des Sozialgerichts Altenburg durch ihre Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht xxx, ohne mündliche Verhandlung am 13. Januar 2025 beschlossen:
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung ab dem 24.11.2024 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 22.11.2024 Grundleistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Dem Antragsteller wird zur Durchführung des Verfahrens Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 24.11.2024 bewilligt und antragsgemäß Rechtsanwalt Sven Adam, Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen beigeordnet.
GRÜNDE
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 streitig.
Der im Jahr 1975 geborene, alleinstehende Antragsteller (im Folgenden: AS) ist iranischer Staatsbürger. Mit Zuweisungsbescheid des Thüringer Landesverwaltungsamts vom 12.08.2024 wurde der AS ab dem 13.08.2014 dem Landkreis Greiz zugewiesen. Seitdem ist er in der vom Antragsgegner (AG) betriebenen Gemeinschaftsunterkunft in der Reichenbacher Straße in Greiz untergebracht.
Mit Bescheid vom 08.08.2024 (dem AS ausgehändigt am 13.08.2024) bewilligte der AG dem AS ab dem 13.08.2024 Leistungen für Verpflegung, Bekleidung und Gesundheitspflege i. H. v. monatlich 229 Euro und zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens (Taschengeld) i. H. v. 184 Euro monatlich als Barleistung (Regelbedarfsstufe 2). Die Bewilligung gelte so lange keine Änderungen in den wirtschaftlichen oder persönlichen Verhältnissen des AS eintrete bzw. längstens bis zur Neufestsetzung. Die Leistungshöhe ergebe sich aus § 3 i. V. m. § 3a Abs. 1, 2 AsylbLG. In der Rechtsbehelfsbelehrung heißt es u. a., dass der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift oder mittels elektronischen Dokuments, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, an das im SAFE-Verzeichnis (sichere Verzeichnisdienste) gelistete besondere Behördenpostfach (beBPo) der im Briefkopf genannten Stelle übermittelt werden könne. Am 25.11.2024 erging ein weiterer Bescheid, womit dem AS ab dem 01.01.2025 Leistungen für Verpflegung, Bekleidung und Gesundheitspflege i. H. v. 220 Euro und für persönliche Bedürfnisse i. H. v. 177 Euro bewilligt wurden.
Mit Bescheid vom 07.11.2024 wies der AG den AS beginnend ab 18.11.2024 einer Arbeitsgelegenheit nach § 5 AsylbLG im Kreiskrankenhaus Greiz-Ronneburg GmbH mit einem Stundenumfang von maximal 25 Stunden/Woche bei einer Dauer von sechs Monaten und Aufwandsentschädigung von 0,80 Euro/Stunde zu.
Am 22.11.2024 legte der AS über seinen Bevollmächtigten Widerspruch gegen die Gewährung der Leistungen nach dem AsylbLG im Zeitraum ab 13.08.2024 ein, außerdem gegen den Bescheid vom 07.11.2024.
Am 24.11.2024 hat der AS Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht gestellt und auf die Verfassungswidrigkeit der Leistungen gemäß §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG nach Regelbedarfsstufe 2 (für Alleinstehende in einer Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft) verwiesen. Der Gesetzgeber habe hinsichtlich des Bedarfs der von dieser Regelung Betroffenen keinerlei Ermittlungen angestellt bzw. die existenznotwendigen Aufwendungen nicht in einem transparenten und sachgerechten Verfahren festgestellt. Deren Bedarf weiche nicht signifikant vom Bedarf alleinstehender erwachsener Leistungsberechtigter ab, die in einer Wohnung leben. Die Begründung des Gesetzgebers zur Vergleichbarkeit der Synergieeffekte bei Unterbringung in Sammelunterkünften halte einer Prüfung anhand der tatsächlichen Gegebenheiten nicht Stand. Ein gemeinsames Wirtschaften, das dem von Partnern gleiche, finde in Flüchtlingsunterkünften nicht statt.
Er hat auf eine Reihe von Entscheidungen verschiedener Sozialgerichte und Landessozialgerichte verwiesen, die u. a. davon ausgingen, dass § 3a AsylbLG nur im Wege einer verfassungskonform einschränkenden Auslegung den Anforderungen des grundrechtlich in Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG gesicherten Anspruches auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums gerecht werde. Danach seien Leistungen für alleinstehende Leistungsberechtigte in einer Gemeinschaftsunterkunft nur dann nach der Regelbedarfsstufe 2 zu bemessen, wenn tatsächlich und nachweisbar eine gemeinschaftliche Haushaltsführung mit anderen in der Sammelunterkunft Untergebrachten vorliegt, mit anderen zusammengelebt und gewirtschaftet werde und hierdurch geringere Bedarfe etwa an Lebensmitteln, aber auch an Freizeit, Unterhaltung und Kultur bestehen (u. a. SG Leipzig, Beschl. v. 08.01.2020 – S 10 AY 40/19 ER; SG Kassel, Urt. v. 19.11.2020 – S 12 AY 22/20, SG Marburg, GB vom 31.12.2020 – S 9 AY 1/20; Bayerisches LSG, Urt. v. 30.10.2023 – L 8 A 33/23, Rn. 63f). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erscheine daher im Rahmen der Folgenabwägung eine Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 1 sachgerecht (vgl. Sächsisches LSG, Beschl. v. 23.03.2020 – L 8 AY 4/20 B ER; SG Dresden, Beschl. v. 04.02.2020 – S 20 AY 86/19 ER).
Zudem hat er auf den Beschluss des BVerfG vom 24.11.2022 – 1 BvL 3/21 – verwiesen, in dem dieses § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG mit Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 2 GG unvereinbar erklärt hat, soweit für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt wird, und bis zu einer Neuregelung angeordnet hat, dass auch für alleinstehende erwachsene Personen die Regelbedarfsstufe 1 zugrunde gelegt wird.
Die Frist zur Einlegung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 08.08.2024 betrage nach § 84 Abs. 2 S. 3 i. V. m. § 66 SGG ein Jahr nach Bekanntgabe, da die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig bzw. unvollständig gewesen sei.
Ein Anordnungsgrund sei ebenfalls gegeben, da dem AS aktuell existenzsichernde Mittel nicht zur Verfügung stünden.
Die Zuweisung zur Arbeitsgelegenheit erachtet der AS für rechtswidrig, so dass eine Nichtteilnahme daran keine Auswirkungen auf Anordnungsgrund oder -anspruch im vorliegenden Verfahren haben könne. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der AG nur die Regelbedarfsstufe 2 gewährt, wenn doch z. B. die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Thüringen oder die Stadt Erfurt die Regelbedarfsstufe 1 anerkennen.
Der AS beantragt,
den AG im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem AS vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des AS vom 22.11.2024 gegen den Bescheid vom 08.08.2024 i. d. F. des Bescheides vom 25.11.2024 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen in verfassungsgemäßer Höhe in der Regelbedarfsstufe 1 ab Eingang dieses Antrages bei Gericht zu gewähren.
Der AG beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er hat ausgeführt, es sprächen gute Gründe dafür, die Rechtsprechung des BVerfG zu § 2 AsylbLG „Analogleistungen“ auch auf die Parallelvorschriften der §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG anzuwenden. Allerdings habe das BVerfG auch darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz dem Gesetzgeber nicht verwehre, die Leistungsgewährung an den Nachranggrundsatz zu binden, d. h. auch von zumutbaren Anstrengungen zur Einkommenserzielung abhängig zu machen. Da dem AS mit Bescheid vom 07.11.2024 eine Arbeitsgelegenheit mit einer Aufwandsentschädigung für bis zu 25 Stunden zugewiesen wurde, könne dieser durch Einsatz seiner Erwerbskräfte 80 Euro im Monat hinzubekommen und die Schere zwischen den Regelbedarfsstufen 1 und 2 schließen. Der AS habe somit die Möglichkeit, sich selbst zu helfen und durch Zuverdienst den behaupteten Mangel an staatlicher Alimentierung bezogen auf die Sicherung seines Existenzminimums zu beheben. Dies habe der AS nicht genutzt.
Zudem hat der AG auf die ab 1/2025 sinkenden Regelsätze hingewiesen, was auf die in 2024 wegen überschätzter Inflation übersetzten Regelsätze zurückgehe. Insofern vermöge der AG eine Verletzung des Rechts auf menschenwürdige Existenz nicht festzustellen. Ob dem AS der Regelbedarfssatz 2 zustehe, obliege letztlich der Entscheidung des BVerfG.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO sind Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. Vom Bestehen eines Anordnungsanspruchs ist auszugehen, wenn nach summarischer Prüfung die Hauptsache Erfolgsaussicht hat. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn dem Antragsteller unter Abwägung seiner sowie der Interessen Dritter und des öffentlichen Interesses nicht zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Es muss demnach eine besondere Eilbedürftigkeit vorliegen (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b Rn. 27ff).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System. Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringer sind die Anforderungen an den Anforderungsgrund und umgekehrt (vg. Keller, a. a. O., Rn. 27, mwN).
1. Nach diesen Maßgaben ist ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
a) Zunächst steht einem Anordnungsanspruch für den Zeitraum 24.11.2024 – 31.12.2024 nicht etwa die Bestandskraft des Bewilligungsbescheides vom 08.08.2024 entgegen. Der Widerspruch vom 22.11.2024 war zulässig, insbesondere fristgemäß eingereicht worden, da die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 S. 1 SGG maßgeblich war. Die Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 08.08.2024 war – nach der gebotenen summarischen Prüfung – unrichtig, da der AG auch über die einzuhaltende Form des Widerspruchs belehrt und dabei mit dem Verweis auf das Dokument mit qualifizierter elektronischen Signatur an das beBPo nicht vollständig alle Möglichkeiten der Einreichung auf elektronischem Wege erfasst hat (vgl. Hessisches LSG, Beschl. v. 11.11.2024 – L 4 AY 13/24 B ER, Rn. 32ff). § 84 Abs. 1 SGG verweist hinsichtlich der Formanforderungen für einen Widerspruch auch auf § 36a Abs. 2 und Abs. 2a SGG, wonach u. a. die Einreichung eines elektronischen Dokuments genügt, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist bzw. wo weitere schriftformersetzende Abgabemöglichkeiten genannt werden. Durch die unvollständige Aufzählung kann bei dem Betroffenen ein Irrtum herbeigeführt werden, der ihn davon abhalten könnte, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. BSG, Urt. v. 27.09.2023 – B 7 AS 10/22 R, Rn. 14).
Unabhängig davon könnte der Widerspruch hier jedenfalls als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X angesehen werden. Auch in seinem solchen Fall kann ein Eilantrag zulässig sein (vgl. Keller, a. a. O., § 86b Rn. 26d), wenn auch wegen der (möglichen) Bestandskraft besonders strenge Anforderungen an den Anordnungsgrund zu stellen wären. Eine einstweilige Anordnung wäre möglich, wenn der frühere Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 11.08.2021 – L 23 AY 10/21 B ER, Rn. 5; Burkiczak in: jurisPK-SGG, 2. Aufl. Stand 07.01.2025, § 86b Rn. 397).
b) Die Kammer sieht eine solche offensichtliche Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide vom 08.08.2024 und 25.11.2024 hinsichtlich der Leistungshöhe als gegeben. Der AS hat einen Erfolg in der Hauptsache glaubhaft gemacht. Es ist davon auszugehen, dass ein Anspruch auf Leistungen der Regelbedarfsstufe 1 nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 sowie Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG besteht, auch wenn der AS in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Abs. 1 AsylG unterbracht ist und für ihn vom Wortlaut des Gesetzes her die Bedarfe in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 einschlägig sind.
Die Kammer teilt die vielfach in Rechtsprechung und Kommentierung ausgedrückten erheblichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vom Gesetzgeber in § 3a AsylbLG geregelten besonderen Bedarfsstufe für erwachsene Leistungsberechtigte, die in Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftseinkünften oder vergleichbaren Unterkünften untergebracht sind (als nur einige Beispiele: LSG Mecklenburg-Vorpommern; Beschl. v. 11.05.2020 – L 9 AY 22/19 B ER und 21..01.2021 – L 9 AY 27/20 B ER; SG Gelsenkirchen, Urt. v. 08.04.2021 – S 32 AY 30/20, Rn. 16f; SG Kassel, Beschl. v 13.07.2020 – S 12 AY 20/20 ER, Rn. 19f; Hessisches LSG, Beschl. v. 20.12.2022 – L 4 AY 28/22 B ER; SG Stuttgart, Beschl. v. 15.05.2024 – S 9 AY 1438/24 ER; Leupold in: Grube/Wahrendorf/Flint, 8. Aufl. 2024, AsylbLG, § 3a Rn. 12, Frerichs in: jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 3a AsylbLG (Stand: 23.12.2024), Rn. 53). Unabhängig davon, ob von einer notwendigen verfassungskonformen Auslegung ausgegangen wird in dem Sinne, dass ein gemeinsames Wirtschaften nachgewiesen sein muss, oder von einer direkten Ableitung aus der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung, nimmt die überwiegende Rechtsprechung und Literatur auch hier einen bestehenden Anspruch in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 an. Das Hessische LSG führt z. B. hierzu aus (a. a. O., Rn. 39):
„Soweit das BVerfG seine Anordnung auf Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AsylbLG beschränkt hat und Leistungsberechtigte nach § 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 b) und Abs. 2 Nr. 2 b) AsylbLG von der Anordnung nicht umfasst sind, stellt sich die verfassungsrechtliche Problematik der Regelungen in § 3a AsylbLG als vergleichbar dar, denn auch insoweit bestehen keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass in den Sammelunterkünften regelmäßig tatsächlich Einsparungen durch gemeinsames Wirtschaften erzielt werden oder werden können, die eine Absenkung der Leistungen um 10% rechtfertigen würden. Ebenso wie offenkundig nunmehr der Antragsgegner selbst ausweislich seines Teilanerkenntnisses geht der Senat daher davon aus, dass auch im Anwendungsbereich der Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG die Anordnung des BVerfG entsprechend umzusetzen ist.“
Beim LSG Niedersachsen-Bremen (Beschl. v. 29.06.2023 – L 8 AY 18/23 B ER, Rn. 10) heißt es:
„Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie [die AS] in der Hauptsache statt dieser Leistungen erfolgreich solche nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG (…) geltend machen kann. (…) Das BVerfG hat eine Übergangsregelung angeordnet, nach der für alleinstehende Erwachsene, die in einer Gemeinschaftsunterkunft oder in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht sind, unter den Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 S. 1 und S. 4 Nr. 1 AsylbLG ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anerkannt wird und nicht in Höhe der Regelbedarfsstufe 2. Daraus ergibt sich ohne Zweifel auch die Verfassungswidrigkeit des § 3a Abs. 1 Nr. 2b AsylbLG bzw. § 3a Abs. 2 Nr. 2 b AsylbLG und die Notwendigkeit, in diesen Fällen die Leistungssätze von § 3a Abs. 1 Nr. 1 und § 3a Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG anzuwenden. Es ist zu erwarten, dass der Gesetzgeber eine entsprechende verfassungskonforme Regelung schaffen wird.“
Die vom BVerfG getroffenen Aussagen lassen sich ohne weiteres auf § 3a AsylbLG übertragen. Für die Parallelregelungen in § 3a Abs. 1 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 2b gilt dasselbe, zumal die Einführung der Sonderbedarfsstufe in § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 nur eine Folgeänderung zu diesen Vorschriften war (BT-Drs. 19/10052, 19 f.); beide Vorschriften sind daher ebenfalls verfassungswidrig (vgl. Spitzlei in: BeckOK AuslR, 42. Ed. 1.7.2024, AsylbLG, § 3a Rn. 10; Leupold in: Grube/Wahrendorf, a. a. O., Rn. 12; Frerichs in: jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 3a AsylbLG (Stand: 23.12.2024), Rn. 53).
Eine Vorlagepflicht an das BVerfG besteht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nicht (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 24.8.2022 – L 8 SO 56/22 B ER, Rn. 15; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, a. a. O., § 86b Rn. 39). Die abschließende Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der angewendeten Vorschriften hat dem Hauptsacheverfahren vorbehalten zu bleiben (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 21.01.2021 – L 9 AY 27/20 B ER, Rn. 26)
Zur streitigen Rechtsfrage ist beim BSG das Revisionsverfahren Az.: B 8 AY 1/22 R anhängig, in dem am 26.09.2024 eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergangen ist, deren Gründe noch nicht vorliegen. Insofern dürfte von einer Vorlage zum BVerfG auszugehen sein.
2. Auch ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht.
a) Allein der Umstand, dass Grundleistungen der sozialen Sicherung betroffen sind, genügt zwar nicht, um generell einen im Hauptsacheverfahren nicht mehr korrigierbaren, irreparablen Nachteil anzunehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.09.2017 – 1 BvR 1719/17, Rn. 8; LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 28.08.2019 – L 7 AY 2735/19 ER-B, Rn. 8).
Angesichts der dargestellten klar überwiegenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache unter Berücksichtigung der Entscheidung des BVerfG vom 19.10.2022 – Az. 1 BvL 3/21 – sind nach Auffassung der Kammer jedoch keine hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit zu stellen (ebenso: LSG Niedersachsen, Beschl. v. 29.06.2023 – L 8 AY 18/23 B ER, Rn. 10).
Schon vor dem Hintergrund, dass die hier streitige monatliche Differenz von 47 Euro (bzw. ab 1/2025 von 44 Euro) etwa 11 % des Regelbedarfs ausmacht, ist angesichts der Betroffenheit des verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimums eine Eilbedürftigkeit zu begründen (vgl. z. B. SG Stuttgart, Beschl. v. 15.05.2024 – S 9 AY 1438/24 E, Rn. 21, Hessisches LSG, Beschl. v. 20.12.2022 – L 4 AY 28/22 B ER, Rn. 40).
b) Der AG vermag auch mit seinem Verweis auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Arbeitsgelegenheit das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht in Frage zu stellen.
Zum einen ist nicht ersichtlich, ob nicht – zumindest zeitweise – ein zureichender, wichtiger Grund des AS zur Nichtaufnahme der Tätigkeit im Krankenhaus bestand oder auch weiterhin besteht. Der AG hat im parallel geführten ER-Verfahren (Az.: S 21 SO 1327/24 ER) lediglich mitgeteilt, dass der AS am 18.11.2024 pünktlich im Krankenhaus erschienen sei, sich dann jedoch unter Verweis auf Fieber abgemeldet habe. Seitdem sei er nicht mehr im Krankenhaus erschienen. Weitere Erkenntnisse zum Gesundheitszustand oder einer ggf. nach § 5 Abs. 3 AsylbLG i. V. m. § 11 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, 3 SGB XII (idF bis 31.12.2022) bestehenden Unzumutbarkeit liegen dem Gericht nicht vor. Nach der Mitteilung des AG vom 07.01.2025 steht die Arbeitsgelegenheit dem AS wohl aktuell auch nicht mehr offen, da der Einsatz des AS im Krankenhaus nicht mehr in Betracht komme.
Davon abgesehen vermag sich die Kammer der Argumentation des AG nicht anzuschließen, dass mit der Wahrnehmung der Arbeitsgelegenheit ein Zuverdienst möglich sei, der die Schere zwischen den Regelbedarfsstufen – vorläufig – schließen könne, was die Eilbedürftigkeit entfallen lasse. Zum einen ist zu bedenken, dass auch in Partnerschaft lebende Asylbewerber genauso zu Arbeitsgelegenheiten herangezogen werden und damit wiederum gleiche Leistungen trotz fehlender Vergleichbarkeit (fehlende Synergie- bzw. Einspareffekte beim AS) zur Verfügung stünden. Zum anderen handelt es sich bei den 0,80 Euro/Stunde explizit um eine Aufwandsentschädigung. Die Entschädigung wird nicht deshalb gezahlt, weil der Leistungsberechtigte Tätigkeiten verrichtet, sondern weil ihm durch die Wahrnehmung der Arbeitsgelegenheit Mehraufwendungen entstehen (vgl. Siefert in: Siefert, 2. Aufl. 2020, AsylbLG, § 5 Rn. 46). Durch diesen Betrag sollen die zusätzlichen Aufwendungen des Leistungsberechtigten gedeckt werden, die durch den arbeitsbedingten Bedarf, etwa in der Gestalt von Fahrtkosten, Arbeitskleidung, entstehen (vgl. Frerichs, a. a. O., § 5 Rn. 88). Insofern können mögliche Zahlungen nach § 5 Abs. 2 AsylbLG nicht als „Zuverdienst“ angesehen werden. Ein Verweis hierauf zur Überbrückung unzumutbarer Nachteile aufgrund der tatsächlich bestehenden Unterdeckung des Existenzminimums (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.2022 – 1 BvL 3/21, Rn. 86) erscheint dem Gericht nicht gerechtfertigt. Eine Einordnung bzw. Anrechnung als Einkommen wird bereits durch das Gesetz selbst ausgeschlossen, § 7 Abs. 2 S. 2 AsylbLG.
Soweit der AG auf die Entscheidung des BVerfG, Beschl. v. 19.10.2022 – 1 BvL 3/21, Rn. 60ff – abhebt, um unter Verweis auf das Gebot zur Selbsthilfe eine vorläufige höhere Leistungsgewährung auszuschließen, so ist festzustellen, dass die Ausführungen des BVerfG die Argumentation des AG gerade nicht tragen. Diese beziehen sich zum einen lediglich auf die Möglichkeiten des Gesetzgebers im Rahmen der Leistungsgesetzgebung, nicht auf unmittelbare individuelle Bedarfe oder Pflichten. Zum anderen wird der Nachranggrundsatz gerade dadurch definiert, dass vorhandenes Einkommen oder Einsparmöglichkeiten wegen gemeinschaftlichen Wirtschaftens vorrangig in Anspruch genommen werden sollen (was hier nicht vorliegt), wobei auch Mitwirkungsobliegenheiten gesetzlich geregelt werden könnten. Selbst wenn man in der Verpflichtung nach § 5 Abs. 4 AsylbLG eine solche Mitwirkungsobliegenheit sehen würde, so soll diese jedenfalls nicht der Überwindung, Vermeidung oder Verringerung der Bedürftigkeit dienen (offensichtlich schon wegen § 7 Abs. 2 S. 2 AsylbLG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.
Die Beschwerde ist nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. In der Hauptsache wäre die Berufung zulässig (§ 144 Abs. 1 SGG). Zwar ist nur die Differenz der Leistung i. H. v. monatlich 47 Euro bzw. 44 Euro ab August 2024 streitig. Der AG hat jedoch mit seinen Bescheiden vom 08.08.2024 bzw. 25.11.2024 Dauerverwaltungsakte auf unbestimmte Zeit erlassen und die Leistungsdauer nicht begrenzt (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG; vgl. z. B. LSB Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 21.01.2021 – L 9 AY 27/20 B ER, Rn. 20; SG Stuttgart, Beschl. v. 15.05.2024 – S 9 AY 1438/24 ER, Rn. 23).
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) erfolgt gemäß § 73a Abs. 1 S 1 SGG i. V. m. §§ 114 Abs. 1 S. 1, 121 Abs. 2 ZPO. Die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht des nicht mutwilligen Antrages ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.