Sozialgericht Trier – Beschluss vom 20.02.2025 – Az.: S 3 AY 4/25 ER

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

xxx,

– Antragsteller –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam, Lange Geismarstraße 55,
37073 Göttingen

gegen

Verbandsgemeindeverwaltung Hermeskeil, vertreten durch den Bürgermeister,
Langer Markt 17, 54411 Hermeskeil

– Antragsgegnerin –

hat die 3. Kammer des Sozialgerichts Trier am 20. Februar 2025 durch die Vizepräsidentin des Sozialgerichts xxx beschlossen:

1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 27.01.2025 bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch, längstens bis zum 18.05.2025 unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen vorläufig Leistungen nach §§ 3, 3a Asylbewerberleistungsgesetz nach Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren. Der darüberhinausgehende Antrag wird abgelehnt.

2. Die Antragsgegnerin trägt 4/5 der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

3. Dem Antragsteller wird zur Wahrnehmung seiner Rechte in der ersten Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam, Göttingen, zu den Bedingungen eines im Bezirk des Sozialgerichts Trier ansässigen Rechtsanwalts bewilligt.

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der im xxx 1986 geborene Antragsteller ist syrischer Staatsbürger. Er reiste am 24.07.2024 mit einem Asylgesuch in das Bundesgebiet ein und stellte am 07.08.2024 einen Asylantrag. Nach seinen Angaben hat er sich 9 Tage in Italien aufgehalten, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben, und ist anschließend über die Schweiz und Frankreich nach Deutschland weitergereist.

Der Landkreis Trier-Saarburg, dem der Antragsteller zur Aufnahme und Unterbringung zugewiesen worden ist, verfügte mit Schreiben an die Antragsgegnerin vom 05.11.2024, die Unterbringung des Antragstellers in der Gemeinschaftsunterkunft Reinsfeld, xxx, für die Zeit vom 19.11.2024 bis 18.05.2025. Ab dem 19.05.2025 ist er der Verbandsgemeinde Saarburg-Kell zugewiesen (Bescheid des Landkreises Trier-Saarburg vom 05.11.2024).

Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller durch Bescheid vom 19.11.2024 laufende Leistungen nach dem AsylbLG ab dem 19.11.2024. Sie berechnete und bezifferte die Leistungen für die Monate November 2024 (anteilig) und Dezember 2024 auf folgender Grundlage:

Bedarfsberechnung
Soziokulturelles Existenzminimum204,00 €
Physisches Existenzminimum256,00 €
Kosten der Unterkunft
Kaltmiete380,00 €
Heizkosten inkl Warmwasseranteile50,00 €
Einzusetzendes Einkommen0,00 €

In dem Bescheid findet sich folgender Zusatz: „Die Beträge werden jeweils monatlich im Voraus an die in der Anlage aufgeführten Zahlungsempfänger ausgezahlt, solange sich Ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geändert haben.

Den Asylantrag des Antragstellers lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durch Bescheid vom 29.11.2024 als unzulässig ab. Es stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Außerdem ordnete das BAMF das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete es auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Asylgesetz (AsylG) unzulässig, da Italien auf Grund der illegalen Einreise über die Dublin-Außengrenze sowie der Zustimmungsfiktion gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Das BAMF führte aus, nach seinen Erkenntnissen lägen keine Abschiebungsverbote lägen vor. Der Antragsteller werde auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise hingewiesen, sofern dies mit allen beteiligten Stellen abgestimmt sei. Die Anordnung der Abschiebung nach Italien beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG.

Durch Bescheid vom 10.01.2025 stellte die Antragsgegnerin die gewährten Leistungen mit Wirkung ab dem 01.01.2025 ein. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin an, die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG träfen nach dem Bescheid des BAMF vom 29.11.2024 auf den Antragsteller zu. Der Antragsteller habe danach keinen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG, die Leistungen würden daher eingestellt. Sie forderte den Antragsteller auf, seiner Ausreisepflicht umgehend nachzukommen und das Zimmer in der Gemeinschaftsunterkunft umgehend, spätestens bis zum 31.01.2025 zu räumen. Bis zur Ausreise gewähre sie ihm einmalig innerhalb von 2 Jahren eingeschränkte Hilfen gemäß § 1 Abs. 4 Satz 2 bis 4 AsylbLG, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken (Überbrückungsleistungen). Soweit besondere Umstände dies erforderten, könnten dem Antragsteller zur Überwindung einer besonderen Härte andere Leistungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 4 AsylbLG oder Leistungen über einen Zeitraum von zwei Wochen hinaus gewährt werden, soweit dies auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten sei (Härtefallleistungen gemäß § 1 Abs. 4 Satz 6 AsylbLG).

Gegen den Bescheid legte der Antragsteller am 27.01.2025 Widerspruch ein, über den erkennbar noch nicht entschieden ist.
Er beantragte außerdem beim angerufenen Gericht einstweiligen Rechtschutz. Seinen Antrag begründet er mit verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 1 Abs. 4 AsylbLG. Er trägt vor,
die Regelung verstoße gegen das durch Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewährleistete menschenwürdige Existenzminimum. Daraus ergebe sich ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Leistungsanspruch, durch den die physische und soziokulturelle Existenz gesichert werden müsse. Der Staat sei im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zur Verfügung stünden. § 1 Abs. 4 AsylbLG schließe die Betroffenen vollständig von Leistungen aus und enthalte damit eine generalisierende Einschränkung, die mit den durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestimmten verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar sei. Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde sei migrationspolitisch nicht zu relativieren. Der Leistungsausschluss des § 1 Abs. 4 AsylbLG verfolge kein legitimes Ziel, denn es sollten keine asyl- oder aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflichten durchgesetzt werden. Vielmehr gehe es offenkundig um die repressive Sanktionierung eines Verhaltens der Betroffenen im Einzelfall, unerwünschte Sekundärmigration solle eingedämmt werden. Darüber hinaus verstoße § 1 Abs. 4 AslybLG gegen Unionsrecht, denn eine Leistungskürzung sei nur bei Stellung eines Folgeantrags oder dem Vorwurf eines pflichtwidrigen Verhaltens zulässig. Beides sei nicht der Fall. Das auch durch das Unionsrecht gewährleistete Mindestniveau an Leistungen werde nicht gewahrt.
Im Übrigen seien die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 AsylbLG nicht erfüllt, denn das BAMF habe nicht festgestellt, dass die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich sei. Der Antragsgegnerin sei überdies bekannt, dass Abschiebungen nach Italien aktuell nicht möglich seien.

Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruches vom 27.01.2025 gegen den Bescheid vom 10.01.2025 wiederherzustellen und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen in gesetzlicher Höhe ab Eingang des Antrages bei Gericht zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung trägt sie vor,
die Einstellung der Leistungen und die Bewilligung der Überbrückungsleistungen sei gemäß § 1 Abs. 4 AsylbLG und dem Rundschreiben des Ministeriums für Familie, Frauen, Kultur und Integration vom 05.12.2024 erfolgt. Das BAMF habe in seinem Bescheid auf die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise hingewiesen, sofern diese mit den beteiligten Stellen abgestimmt sei. Sofern die tatsächliche oder rechtliche Ausreisemöglichkeit nicht gegeben wäre, hätte das BAMF diese Ausführungen nicht getätigt, die Möglichkeit der Ausreise sei damit festgestellt. Abschiebungen nach Italien seien auch aktuell grundsätzlich möglich. Darauf komme es aber auch nicht an, vielmehr sei vorausgesetzt, dass die Abschiebung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 2. Altern. AsylG angeordnet sei, was vorliegend der Fall sei.

Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Antragsteller unter Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam, Göttingen, beantragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig und überwiegend begründet. Der Antragsteller hat Anspruch auf vorläufige Gewährung von Leistungen nach §§ 3,3a AsylbLG.

Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz die vorläufige Gewährung von Leistungen. Dieses Begehren kann er vorliegend zulässig allein mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erreichen. Maßgebend für die Bestimmung, in welcher Weise vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, ist der im Hauptsacheverfahren statthafte Rechtsbehelf. Dies wäre vorliegend eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Damit ist kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG gegeben. Zwar sind dem Antragsteller für Januar Leistungen lediglich in dem von der Antragsgegnerin bestimmten Umfang als Überbrückungshilfe bewilligt worden und der Widerspruch gegen diesen Bescheid vom 10.01.2025 hat aufschiebende Wirkung. Die durch den Widerspruch gemäß § 86a Abs. 1 SGG grundsätzlich eintretende aufschiebende Wirkung entfällt vorliegend auch nicht gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG iVm § 11 Abs. 4 AsylbLG. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung, mit dem
1. eine Leistung nach diesem Gesetz ganz oder teilweise entzogen oder die Leistungsbewilligung aufgehoben wird oder
2. eine Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a oder § 11 Absatz 2a festgestellt wird.

Diese Voraussetzungen erfüllt der Bescheid vom 10.01.2025 nicht. Weder entzieht er eine Leistung nach dem AsylbLG ganz oder teilweise noch hebt er eine Leistungsbewilligung auf oder stellt eine Leistungseinschränkung nach § 1a oder § 11 Abs. 2a AsylbLG fest.
Entziehung einer Leistung bedeutet, dass eine bereits bewilligte laufende, d. h. regelmäßig wiederkehrende Leistung ganz oder teilweise nicht mehr erbracht wird. Die Leistungsansprüche gehen „vom Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entziehungsentscheidung an, d. h. zukunftsgerichtet, für die Dauer der Wirksamkeit der Entziehungsentscheidung unter“ (Markus Sichert in: Hauck/Noftz SGB I, § 66 Rn. 26; Stephan Gutzler in: Lilge/Gutzler, SGB I, § 66 Rn. 27). Vorliegend fehlt es an einer vorgehenden laufenden Leistungsbewilligung.

Der Bescheid vom 19.11.2024 ist kein Dauerverwaltungsakt. Ob und in welchem Umfang eine Leistungsbewilligung einen Dauerverwaltungsakt darstellt, ist durch Auslegung am Maßstab des objektiven Empfängerhorizonts zu ermitteln (vgl. mwN BSG, Urteil vom 27.05.2014 – B 8 SO 26/12 R -, juris). Dabei kann der objektive Regelungsgehalt eines Bescheids im Bereich des AsylbLG zeitlich auf einen Monat beschränkt sein, wenn die Bewilligung z.B. „ab dem 1. Juli 2003″ erfolgt, die Bewilligung aber auf den Monat beschränkt und mit einem entsprechenden Zusatz versehen ist (BSG, Urteil vom 17.06.2008 – B 8/9b AY 1/07 R -, juris).

Gemessen hieran hat die Antragsgegnerin in dem Bescheid die Leistungen zwar ab dem 19.11.2024, aber beschränkt für die Monate November (anteilig) und Dezember 2024 bewilligt. Für den sich anschließenden Zeitraum hat sie keine Entscheidung getroffen. Die Bewilligung für die Folgemonate sollte ausweislich des im Bescheid aufgenommenen Zusatzes bei gleichbleibenden Verhältnissen vielmehr erst noch erfolgen. Für den Fall der unveränderten Verhältnisse ist diese Entscheidung durch Zahlung im Sinne einer konkludenten Entscheidung gemäß § 33 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) angekündigt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 17.06.2008 – B 8/9b AY 1/07 R -, juris). Diese Praxis entspricht dem Charakter der Leistungen nach dem AsylbLG, die keine rentenähnliche Dauerleistungen darstellen und die es der Verwaltung erlaubt, auf die in diesem Leistungsbereich fast regelhaft eintretenden kurzfristigen Veränderungen unmittelbar reagieren zu können.

Es ist auch keine Leistungsbewilligung nach Maßgabe von §§ 45, 48 SGB X aufgehoben worden. Für die Zukunft wäre dies nur möglich, wenn es sich um einen Dauerverwaltungsakt gehandelt hätte, was, wie soeben dargelegt, nicht der Fall ist. Die Leistungsgewährung für die Vergangenheit ist durch den Bescheid vom 10.01.2025 nicht berührt.

Bei der Gewährung der Überbrückungsleistungen handelt es sich nicht um eine Einschränkung des Leistungsanspruchs nach § 1a oder § 11 Abs. 2a AsylbLG. Bereits nach dem Wortlaut handelt es sich bei der Gewährung der Überbrückungsleistungen nicht um eine Leistungseinschränkung, sondern sie knüpft an einen Leistungsausschluss, der ausdrücklich in § 1 Abs. 4 AsylbLG normiert ist, an. § 1a AsylbLG, der den Fall des § 1 Abs. 4 AsylbLG nicht aufnimmt, ist damit tatbestandlich ebenso wenig einschlägig wie § 11 Abs. 2a AsylbLG. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs entfällt damit auch nicht nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG.

Mit der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 10.01.2025, die zwar deklaratorisch festgestellt werden könnte, weil die Antragsgegnerin vom Entfallen dieser nach § 11 Abs. 4 AsylbLG ausgeht, könnte aber weder das Rechtsschutzziel des Antragstellers erreicht noch seine Rechtsposition verbessert werden. Einstweiliger Rechtsschutz kann daher allein nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG gewährt werden, da der Antragsteller eine Erweiterung seiner Rechtsposition anstrebt. Einer vorherigen oder gleichzeitigen Anordnung der aufschiebenden Wirkung bedarf es dabei nicht. Für den hier streitigen Zeitraum ab dem 27.01.2025 liegt keine vorgehende (höhere) Leistungsbewilligung vor.

Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).

Vorliegend kommt eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht, da die vorläufige Begründung einer Rechtsposition begehrt wird. Der begehrte Rechtsschutz kann dann gewährt werden, wenn die Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Hierzu muss glaubhaft gemacht sein, dass das geltend gemachte Recht des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin besteht (Anordnungsanspruch) und dass der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung wesentliche Nachteile erleidet (Anordnungsgrund). Nach dem Sinn und Zweck des § 86b Abs. 2 SGG sollen mittels des dort geregelten Instrumentes des einstweiligen Rechtsschutzes irreparable Entscheidungen durch die Verwaltung und damit endgültige, vom Gericht nicht mehr zu korrigierende Umstände, verhindert werden. Demzufolge kann eine einstweilige Anordnung vor einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache nur erlangt werden, wenn ohne die begehrte Anordnung für den Antragsteller schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden und diese auch nicht durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache beseitigt werden könnten. Zudem muss der Erfolg in der Hauptsache wahrscheinlich sein und diese darf nicht durch die einstweilige Anordnung erledigt oder vorweggenommen werden. Lässt also die im Eilverfahren durchgeführte Prüfung bereits erkennen, dass das von dem Antragsteller behauptete Recht zu seinen Gunsten nicht besteht, so ist auch nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung nicht möglich, weil dann eine sicherungsfähige und sicherungswürdige Rechtsposition fehlt.
Sind Grundrechte tangiert, ist die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – , juris). Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn eine – nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende – Rechtmäßigkeitsprüfung auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13 -, juris) Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung.

Gemessen hieran besteht zur Überzeugung des Gerichts sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund. Bei der gegebenen Sach- und Rechtslage wird das Begehren des Antragstellers auf Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in der Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben.

Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 AsylbLG Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf). Werden diese Bedarfe, mit Ausnahme der Bedarfe für Unterkunft, Heizung, Hausrat, Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie, vollständig durch Geldleistungen gedeckt, ist der monatliche Betrag in § 3a Abs. 1 und 2 AsylbLG in der jeweiligen Fassung der Bekanntmachung über die Höhe der Leistungssätze nach § 3a Absatz 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes bestimmt.

Der Antragsteller gehört gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG zum Kreis der nach dem Gesetz Leistungsberechtigten. Infolge der Ablehnung seines Asylantrags durch die Entscheidung des BAMF vom 29.11.2024 ist der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer. Er ist auch hilfebedürftig (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG), denn er verfügt, wie er in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Gewährung von Prozesskostenhilfe versichert hat – die Antragsgegnerin hat keine Einkommens- und Vermögensabfrage durchgeführt – nicht über Einkommen und Vermögen.

Das Gericht hat erhebliche Zweifel daran, ob der Antragsteller gemäß § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG von Leistungen ausgeschlossen werden kann. Danach haben vollziehbar Ausreisepflichtige, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des BAMF nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 31 Abs. 6 AsylG als unzulässig abgelehnt wurde, für die eine Abschiebung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 2. Altn AsylG angeordnet wurde und für die nach der Feststellung des BAMF die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem AsylbLG, auch wenn die Entscheidung des BAMF noch nicht unanfechtbar ist.

Das Gericht kann bereits eine (positive) Feststellung des BAMF, dass die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist, nicht erkennen. Das BAMF hat zwar festgestellt, dass keine Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegt und hat die Abschiebung nach § 34a Abs. 1 AsylG angeordnet. Dass damit auch die Feststellung durch das BAMF erfolgt, dass die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist, erscheint zweifelhaft. Das Gesetz unterscheidet zwischen den Abschiebeverboten und der Aussetzung der Abschiebung, weil tatsächliche und rechtliche Gründe diese unmöglich machen (vgl. insoweit § 60a Abs. 2 AufenthG). Trotz fehlendem Abschiebungsverbot kann die Abschiebung aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen unmöglich sein. Unbeschadet des Umstandes, dass Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG andere tatbestandliche Voraussetzungen normieren, als die tatsächliche und rechtliche Unmöglichkeit der Ausreise (vgl. insoweit auch § 60a Abs. 2 AufenthG, der das Tatbestandsmerkmal der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeit normiert), fordert das Gesetz ausdrücklich eine positive Feststellung mit dem benannten Inhalt. Nach dem Wortlaut des Gesetzes soll eine ausdrückliche Feststellung des BAMF erfolgen, dass die Ausreise (auch) aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen möglich ist. Allein die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylbG, die nach Satz 1 der Vorschrift erfolgt, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, ersetzt diese Feststellung nicht. Andernfalls wäre § 1 Abs. 4 AsylbLG auch redundant, denn die Abschiebungsandrohung ist bereits Voraussetzung für den Leistungsausschluss. Für eine Absicht des Gesetzgebers, Tatbestandsmerkmale mehrfach in einer Norm aufzunehmen, hat das Gericht keine Anhaltspunkte. Die in § 1 Abs. 4 AsylbLG normierte Feststellung des BAMF versteht das Gericht daher als eigenständiges Tatbestandsmerkmal, das bisher erkennbar nicht vorliegt.

Darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel an der Europarechtskonformität des hier herangezogenen § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG, jedenfalls ist offen, ob die Regelung mit Art. 17 Richtlinie 2013/33 EU vereinbar ist (vgl. auch Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, § 1 AsylbLG Rn. 199ff).

Nach Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, sorgen die Mitgliedsstaaten dafür, dass die im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen einem angemessenen Lebensstandard entsprechen, der den Lebensunterhalt sowie den Schutz der physischen und psychischen Gesundheit von Antragstellern gewährleistet.

Der Antragsteller gehört auf Grund des von ihm gestellten Asylantrages, über den noch nicht endgültig entschieden ist, zu dem nach Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2013/33 EU berechtigten Personenkreis. In den Fällen, in denen der Asylbewerber (noch) nicht tatsächlich an einen anderen, als zuständig angesehenen Mitgliedsstaat überstellt ist, ist der Anwendungsbereich der Richtlinie offensichtlich eröffnet (vgl. Vorlagebeschluss des BSG vom 25.07.2024 – B 8 AY 6/23 R -, juris).

Der Umfang der zu gewährenden Leistungen bemisst sich auf der Grundlage eines Leistungsniveaus wie bei eigenen Staatsangehörigen. Zwar räumt Art. 17 Abs. 5 Satz 2 der Richtlinie 2013/33 EU den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit ein, Antragstellern auf internationalen Schutz eine weniger günstige Behandlung als eigenen Staatsangehörigen zuteilwerden zu lassen. Die Leistungen müssen aber einem angemessenen Lebensstandard entsprechen (Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 2013/33 EU). Dabei bemisst sich der Umfang von materiellen Leistungen in Form von Geldleistungen oder Gutscheinen durch die Mitgliedsstaaten, auf der Grundlage des Leistungsniveaus, das der betreffende Mitgliedsstaat nach Maßgabe der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder nach den Gepflogenheiten anwendet, um eigenen Staatsangehörigen einen angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten (Art. 17 Abs. 5 der Richtlinie 2013/33 EU). Erlaubt ist eine weniger günstige Behandlung im Vergleich mit eigenen Staatsangehörigen, insbesondere wenn materielle Unterstützung teilweise in Form von Sachleistungen gewährt wird oder wenn das, auf eigene Staatsangehörige anzuwendende Leistungsniveau darauf abzielt, einen Lebensstandard zu gewährleisten, der über dem nach dieser Richtlinie für Antragsteller vorgeschriebenen Lebensstandard liegt (Art. 17 Abs. 5 Satz 2 Richtlinie 2013/33 EU).
Eingeschränkt oder entzogen werden dürfen gewährte Leistungen im Rahmen der Aufnahme nach Maßgabe von Art. 20 der Richtlinie 2013/33 EU. Dass § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG diesem Maßstab abstrakt gerecht wird, jedenfalls ist nicht zu erkennen, dass die Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt werden. Der Antragsteller hat nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht gegen die Unterbringungszuweisung verstoßen oder ist seinen Auskunfts- und Meldepflichten nicht nachgekommen. Ebenso wenig hat er einen Folgeantrag nach Art. 2 Buchstabe q Richtlinie 2013/32 EU gestellt. Vielmehr hat der Antragsteller in Italien gerade keinen Asylantrag gestellt, so dass dieser auch nicht bestandskräftig abgelehnt ist, er hat einen solchen Antrag nicht ausdrücklich zurückgenommen und er ist auch nicht von der Asylbehörde abgelehnt worden, nachdem er ihn stillschweigend zurückgenommen hat. Damit fehlt es bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen nach Art. 20 Abs. 1 Richtlinie 2013/33 EU, die eine Normierung von Leistungseinschränkungen bzw. Entziehung rechtfertigen können.

Unabhängig von den oben aufgezeigten Zweifeln an der Europarechtskonformität von § 1 Abs. 4 AsylbLG ist die Frage der Europarechtskonformität von Leistungseinschränkungen nach dem AsylbLG unter Berücksichtigung des Vorlagebeschlusses des BSG jedenfalls als offen anzusehen. Das BSG hat dem EuGH durch Beschluss vom 25.07.2024 – B 8 AY 6/23 R – die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob eine Regelung eines Mitgliedstaats, die Antragstellern auf internationalen Schutz abhängig von ihrem Status als vollziehbar Ausreisepflichtige innerhalb der Überstellungsfrist nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ausschließlich einen Anspruch auf Unterkunft, Ernährung, Körper- und Gesundheitspflege und Behandlung im Krankheitsfall sowie nach den Umständen im Einzelfall Kleidung und Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haushalts gewährt, das in Art. 17 Abs. 2 und Abs. 5 Richtlinie 2013/33/EU beschriebene Mindestniveau ab deckt. Die Frage nach der Vereinbarkeit mit Europarecht muss sich dann erst recht stellen, wenn nicht nur die Einschränkung von Leistungen, sondern wie hier ein Leistungsausschluss für den benannten Personenkreis, zu dem der Antragsteller gehört, normiert ist.

Die ernstlichen Zweifel jedenfalls an der Europarechtskonformität von § 1 Abs. 4 AsylbLG müssen im vorliegenden Fall im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung zur Gewährung effektiven vorläufigen Rechtsschutzes zu Gunsten des Antragstellers ausfallen und zu einer vorläufigen Leistungsverpflichtung der Antragsgegnerin führen (BeckOK/Wahrendorf, SGG, § 86b Rn. 28, 30). Nur so kann vorliegend der Funktion der begehrten Leistungen als existenzsichernde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -, juris) effektiv Rechnung getragen werden.

In diesem Sinn besteht auch ein Anordnungsgrund. Die begehrten existenzsichernden Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG werden dem Antragsteller nicht erbracht, so dass von einem durch die Regelungsanordnung abzuwendenden existenziellen Nachteil auszugehen ist.

Die Leistungen sind dem Antragsteller vorläufig ab Antragstellung bei Gericht zu gewähren. Die Befristung orientiert sich an der Zuweisung des Antragstellers in den Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin. Nach derzeitigem Sachstand besteht über den 18.05.2025 hinaus keine Zuständigkeit der Antragsgegnerin mehr.

Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Unterliegen und Obsiegen.

III.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgt gemäß § 73a SGG, §§ 114 ff ZPO, weil der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Sache, wie zuvor dargelegt, hinreichend Aussicht auf Erfolg hat und der Antragsteller unter Berücksichtigung der Angaben in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Mittel zum Führen des Rechtsstreits nicht selbst aufbringen kann. Die Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam erfolgt gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs. 2 ZPO mit der Maßgabe, dass durch seine Beiordnung keine weiteren Kosten entstehen (§ 121 Abs. 3 ZPO).

Dieser Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist für die Beteiligten unanfechtbar – § 73a Abs. 1 SGG iVm § 127 Abs. 2 ZPO. Er kann jedoch mit der Beschwerde der Staatskasse innerhalb von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung angefochten werden (§ 127 Abs. 3 ZPO).

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.


Kontakt aufnehmen

eMail: kontakt@anwaltskanzlei-adam.de
Telefon: 0551/4883169

Montag bis Freitag: 09:00 bis 12:30 Uhr
Montag, Dienstag und Donnerstag: 14:00 bis 17:00 Uhr.

Für die Einreichung von Dokumenten, Terminsvereinbarung etc. erreichen Sie unser Sekretariat auch über verschiedene Messenger unter der Mobilfunknummer +491706001309 für die Apps WhatsApp, Telegramm, Signal, Threema-ID: BP2TVD4X und Wire: SekretariatRASvA.

... oder uns direkt schreiben:

Name(erforderlich)
Dieses Feld dient zur Validierung und sollte nicht verändert werden.