BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
xxx
– Antragsteller –
Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen
gegen
Landkreis Gotha,
vertreten durch den Landrat,
18.-März-Straße 50, 99867 Gotha
– Antragsgegner –
hat die 6. Kammer des Sozialgerichts Gotha durch ihre Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht xxx, ohne mündliche Verhandlung am 26. Februar 2025 beschlossen:
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung ab dem 22. Dezember 2024 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 18. Dezember 2024 Grundleistungen gemäß §§ 3, 3a des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) in der Bedarfsstufe 1 zu gewähren, längstens aber solange der Antragsteller die weiteren Voraussetzungen der §§ 3, 3a AsylbLG erfüllt und keine Leistungseinschränkung nach § 1a AsylbLG erfolgt.
2. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
3. Dem Antragsteller wird zur Durchführung des Verfahrens Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung ab dem 22. Dezember 2024 bewilligt und antragsgemäß Rechtsanwalt Sven Adam, Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen beigeordnet.
GRÜNDE
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Der am xxx 1981 geborene Antragsteller war am 24. September 2023 aus seinem Heimatland Syrien in die Bundesrepublik Deutschland eingereist und beantragte Asyl. Für die Dauer des bislang nicht abgeschlossenen Asylverfahrens erhielt der Antragsteller eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 des Asylgesetzes (AsylG). Diese wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 14. April 2025.
Mit Zuweisungsbescheid vom 15. März 2024 wies das Thüringer Landesverwaltungsamt den Kläger nach den Bestimmungen des Asylgesetzes und des Thüringer Flüchtlingsaufnahmegesetzes dem Landkreis des Antragsgegners zu.
Mit Bescheid vom 20. März 2024 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller laufende Leistungen nach § 3 AsylbLG ab dem 18. März 2024
„bis auf weiteres
Für den Monat 3/2024: 137,54 €
Für den Monat 4/2024: 413,00 €“
Die Gewährung der Kosten der Unterkunft erfolgte als Sachleistung.
Der Bescheid war mit folgender Rechtbehelfsbelehrung versehen:
„Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach seiner Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift beim
Landratsamt Gotha 18.- März- Str. 50 99867 Gotha
Widerspruch eingelegt werden.
Der Widerspruch kann auch durch De-Mail in der Sendevariante mit bestätigter sicherer Anmeldung nach dem De- Mail- Gesetz erhoben werden. Die De-Mail-Adresse lautet: …“
Die Leistungen in der genannten Höhe wurden fortlaufend an den Antragsteller gezahlt.
Unter dem 18. Dezember 2024 legte der Antragsteller anwaltlich vertreten gegen den Bescheid vom 20. März 2024 Widerspruch gegen den Bescheid vom 20. März 2024 eingelegt.
Ebenfalls am 18. Dezember 2024 hat er vor dem Sozialgericht Gotha einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
Zur Begründung führt er aus, dass noch wirksam Widerspruch eingelegt worden sei, da die Rechtbehelfsbelehrung im Bescheid vom 20. März 2024 fehlerhaft bzw. unvollständig gewesen sei, sodass die Jahresfrist nach § 66 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gelte.
Es bestehe ein Anordnungsanspruch. Der Antragsteller habe nur Leistungen der Bedarfsstufe 2 (Alleinstehende in einer Aufnahmeeinrichtung oder Gemeinschaftsunterkunft nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 b, Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG) erhalten. Dieses sei aber verfassungswidrig. § 3a AsylbLG sei ausweislich der zitierten Rechtsprechung (siehe Schriftsatz vom 18. Dezember 2024) daher verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Leistungen für alleinstehende Leistungsberechtigte in einer Gemeinschaftsunterkunft nur dann nach der Bedarfsstufe 2 zu bemessen seien, wenn tatsächlich und nachweisbar eine gemeinschaftliche Haushaltsführung mit anderen in der Sammelunterkunft Untergebrachten vorliege, mit anderen zusammengelebt und gewirtschaftet werde und hierdurch geringere Bedarfe etwa an Lebensmitteln, aber auch an Freizeit, Unterhaltung und Kultur bestünden.
Auch habe das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 24. November 2022 (Az.: 1 BvL 3/21) § 2 Abs. 1 S. 4 Nr. 1 AsylbLG als mit Art. 1 Abs. 1 GG i. V. M. Art. 20 Abs. 2 GG unvereinbar erklärt, soweit dort für eine alleinstehende erwachsene Person ein Regelbedarf lediglich in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anerkannt werde, und bis zu einer Neuregelung angeordnet, dass auch für alleinstehende erwachsene Personen die Regelbedarfsstufe 1 zugrunde gelegt werden muss. Dieses müsse entsprechend für die inhaltsgleiche Regelung des § 3a AsylbLG gelten.
Ein Anordnungsgrund sei ebenfalls gegeben, da dem Antragsteller aktuell existenzsichernde Mittel nicht zur Verfügung stünden.
Es wird beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 18. Dezember 2024 gegen den Bescheid vom 4. März 2024 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen in verfassungsgemäßer Höhe in der Regelbedarfsstufe 1 ab Eingang dieses Antrages bei Gericht zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller habe Leistungen nach §§ 3, 3a Abs.1 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG in ungekürzter Höhe entsprechend der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekanntgemachten Leistungssätze ab 1. Januar 2024 erhalten.
Diese Bedarfssätze seien verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die vom Antragsteller zitierte Rechtsprechung beziehe sich allein auf die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen nach § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG. Der Antragsteller habe aber keinen Anspruch nach § 2 AsylbLG. Ein solcher Anspruch entstehe erst, wenn sich der Antragsteller seit 36 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufgehalten und die Dauer des Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hätte.
Damit habe der Gesetzgeber im Rahmen des ihm obliegenden Gestaltungsspielraums zwischen Leistungsberechtigten, die noch keine 36 Monate ununterbrochen im Bundesgebiet ihren Aufenthalt hatten und denen, deren Aufenthalt über 36 Monate andauerte. Dies würde dann keinen Sinn machen, wenn der Gesetzgeber beabsichtigt hätte, die Leistungsberechtigten nach § 2 AsylbLG mit denen nach §§ 3, 3a AsylbLG gleichzustellen.
Auch sei ein Anordnungsgrund ist nicht zu erkennen, Es liege keine Notlage beim Antragsteller vor. Er erhalte ungekürzte Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG in gesetzlicher Höhe.
Durch die jährlichen Erhöhungen in Anlehnung an die Erhöhung der Regelsätze nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) sei das Existenzminimum gesichert. Aufgrund der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft erfolge die Gewährung von Kosten der Unterkunft als Sachleistung. Diese beinhalte Grundmiete, Strom, Wasser, Heizung, Neben- und Betriebskosten, Instandhaltungskosten und Einrichtungsgegenstände. Die Abrechnung erfolge direkt zwischen dem Antragsgegner und dem Freistaat Thüringen. Ein Abzug der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben in Form eines Pauschalbetrages vom Regelsatz erfolgt bei Leistungen nach § 3 AsylbLG im Gegensatz zu Leistungen nach § 2 AsylbLG nicht, so auch nicht beim Antragsteller.
Ein Anordnungsgrund sei auch deshalb nicht zu erkennen, weil der Zeitraum zwischen Erhalt des Leistungsbescheides und Erhebung des Widerspruchs neun Monate betrage.
Des Weiteren sei das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache zu beachten. Das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme habe sich auf Entscheidungen zu beziehen, deren Folgen bei abweichender Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Dies komme insbesondere bei Geldleistungen in Betracht, deren Rückforderung nicht realisiert werden könne.
Aus dem Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts vom 26. September 2024 (Az.: B 8 AY 1/22 R) folge nichts anderes. Das Bundesverfassungsgericht habe festgestellt, dass §§ 3, 3a AsylbLG einer Auslegung entgegen dem eindeutigen gesetzgeberischen Willen nicht zugänglich und die danach bestimmten Leistungen in der Höhe nicht evident unzureichend seien. Solange das Bundesverfassungsgericht nicht die Verfassungswidrigkeit dieser Vorschriften feststelle, seien sie anzuwenden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes ist nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft.
Der Antrag ist auch zulässig, insbesondere steht ihm nicht nach § 77 SGG die Bindungswirkung des Bescheides vom 20. März 2024 entgegen.
Zwar wurde gegen den mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 20. März 2024 erst am 18. Dezember 2024 und damit nicht innerhalb der Monatsfrist nach § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch eingelegt. Jedoch gilt hier die Jahresfrist nach § 66 Abs. 2 SGG, denn die Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig, weil unvollständig (zu dem Erfordernis einer vollständigen Rechtsbehelfsbelehrung und den Anforderungen siehe beispielhaft Bundessozialgericht, Urteil vom 27. September 2023, Az.: B 7 AS 10/22 Rdnr. 16, 17, Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11. November 2024, Az.: L 4 AY 13/24 ER, Rdnr. 32 f, jeweils zitiert nach juris).
Nach § 84 Abs. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36 a Abs. 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I), schriftformersetzend nach § 36a Abs. 2a SGB I und § 9a Abs. 5 des Onlinezugangsgesetzes oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat.
In der Rechtsmittelbelehrung zum Bescheid vom 20. März 2024 wird neben der Möglichkeit, den Widerspruch schriftlich oder durch Erklärung zur Niederschrift einzulegen, auch ausgeführt, dass der Widerspruch auch durch mittels De-Mail in der Sendevariante mit bestätigter sicherer Anmeldung nach dem De-Mail-Gesetz erhoben werden könne. Diese ist eine Möglichkeit, mit der nach § 36a Abs. 2a Nr. 3b SGB I die Schriftform ersetzt werden kann. Auf die weiteren Möglichkeiten, mit denen die Schriftform nach § 36a Abs. 2a SGB I ersetzt werden kann, wurde ebenso wenig hingewiesen wie auf die Möglichkeit, nach § 36a Abs. 2 SGB I ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, einzureichen.
Durch die unvollständige Aufzählung kann aber bei dem Betroffenen ein Irrtum herbeigeführt werden, der ihn davon abhalten könnte, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (Bundessozialgericht, Urteil vom 27. September 2023, Az.: B 7 AS 10/22 R, Rdnr. 14, zitiert nach juris).
Der Antrag ist auch begründet.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall von § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn anders die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Der Antrag ist dann begründet, wenn das Gericht aufgrund hinreichender Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung oder im Wege der Amtsermittlung einen Anordnungsanspruch bejahen kann. Dieser liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren fragliche materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Darüber hinaus muss in Abwägung der für die Verwirklichung des Rechtes bestehenden Gefahr einerseits und der Notwendigkeit einer Regelung andererseits ein Anordnungsgrund zu bejahen sein.
Vorliegend hat der Antragsteller einen Erfolg in der Hauptsache glaubhaft gemacht.
Es ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Leistungen der Regelbedarfsstufe 1 nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG hat.
Zwar ist der Antragsteller als alleinstehender Erwachsener in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 AsylG untergebracht, sodass er nach dem Wortlaut des § 3a Abs. 2 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG nur Anspruch auf Bedarfe der Bedarfsstufe 2 hat. Die Kammer geht aber mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Vorlagebeschluss vom 26. September 2024, Az.: B 8 AY 1/22 R) davon aus, dass die entsprechenden Regelungen des § 3a Abs. 2 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG, wonach erwachsene Leistungsberechtigte nur Anspruch auf Bedarfe der Bedarfsstufe 2 haben, wenn sie in einer Gemeinschaftsunterkunft im Sinne von § 53 Abs. 1 AsylG untergebracht sind, verfassungswidrig sind.
Das Bundessozialgericht hat zwar ausgeführt, dass eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften ausscheide. Insbesondere lasse der eindeutige Wortlaut des § 3a Abs. 2 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG) eine – wie unter anderem der vom Antragsteller zitierten Rechtsprechung angenommene – Deutung, nach der als ungeschriebenes Tatbestandmerkmal ein tatsächliches und nachweisbar gemeinsames Wirtschaften mit anderen in der Sammelunterkunft Untergebrachten erforderlich sein soll, nicht zu (Bundessozialgericht a.a. O., Rdnr. 25, 26).
Das Bundessozialgericht hat in dem Vorlagebeschluss aber auch erklärt, dass die in § 3a Abs. 1 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 3b AsylbLG vorgenommene Bemessung von Leistungen für den regelmäßigen Bedarf zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz in Höhe der Bedarfsstufe 2, wenngleich in der Höhe nicht evident unzureichend, so aber doch derzeit nicht tragfähig begründbar sei (Bundessozialgericht, a. a. O, Rdnr. 33, 34). Es verweist dabei darauf, dass § 3a Abs. 1 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 3b AsylbLG dasselbe Regelungskonzept zugrunde liege wie § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG. Die tatbestandlichen Voraussetzungen und im Ausgangspunkt auch die Rechtsfolge seien im Grund- und Analogleistungsbezug für den Personenkreis der alleinstehenden Leistungsberechtigten in Sammelunterkünften identisch. Der Gesetzgeber begründe die Normen identisch. Er habe für die Begründung des § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG auf § 3a Abs. 1Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 AsylbLG Bezug genommen und erklärt, es handele sich bei § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG nur um eine Folgeänderung zu den Neuregelungen in § 3a AsylbLG (Bundessozialgericht, a. a. O., Rdnr 35 unter Verweis auf die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 19/10052, Seite 19f). Folglich habe sich auch die Kritik an der Regelung im Ausschuss des Bundesrates für Arbeit, Integration und Sozialpolitik in erster Linie gegen die Regelungen in § 3a AsylbLG gerichtet (Bundessozialgericht, a. a. O., Rdnr. 35 unter Verweis auf BR-Drs. 178/1/19, S. 6, 10).
Das Bundessozialgericht ist daher zu der Überzeugung gelangt, dass die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 19. Oktober 2022 (Az.: 1 BvL 3/21) zur Verfassungswidrigkeit in von § 2 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 AsylbLG der Fassung des Art. 1 Nr. 3 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes vom 13. August 2019 (BGBl. Teil I, Seite 1290) bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen zum Grundleistungsbezug in der Regelung des § 3a Abs. 2 Nr. 2b und Abs. 2 Nr. 2b AsylbLG in gleicher Weise Beachtung finden müssten und zur Verfassungswidrigkeit der Normen führen (Bundessozialgericht a. a. O.; Rdnr. 37).
Ausgehend davon, dass nach den vorstehenden Ausführungen im Hauptsacheverfahren das fragliche materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist, sind keine hohen Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Eilbedürftigkeit zu stellen (ebenso: Landessozialgericht Niedersachsen, Beschluss vom 29. Juni 2023, Az.: L 8 AY 18/23 B ER, Rdnr. 10, zitiert nach juris).
Zwar beträgt die hier streitige monatliche Differenz mit 47,00 in 2024 € (460,00 € der Bedarfsstufe 1 abzüglich 413,00 € der Bedarfsstufe 2) bzw. 44,00 € ab 1. Januar 2025 (441,00 € Bedarfsstufe 1 und 397,00 € Bedarfsstufe 2) nur rund 10%. Ungeachtet dessen aber, dass das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum betroffen ist, ist ein Abwarten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruchs nicht zuzumuten. Der Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts vom 26. September 2024 ist in der 7. Kalenderwoche 2025 veröffentlicht worden. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in den nächsten Monaten erfolgen wird. Eine Bedarfsunterdeckung des verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimums von rund 10% über einen längeren, unbestimmten Zeitraum ist aber nicht hinnehmbar. Der Umstand, dass der Antragsteller erst neun Monate nach Erlass des Bescheides vom 20. März 2024 um einstweiligen Rechtsschutz ersucht, schließt einen Anordnungsgrund für noch nicht zurückliegende Zeiträume nicht von vorherein aus.
Da das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 19. Oktober 2022 zudem rückwirkend ab 1. September 2019 eine Übergangsregelung angeordnet hat, nach der für alleinstehende Erwachsene, die in einer Gemeinschaftsunterkunft oder in einer Aufnahmeeinrichtung untergebracht sind, unter den Voraussetzungen von § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 4 Nr.1 AsylbLG ein Regelbedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anerkannt wird und nicht in Höhe der Regelbedarfsstufe 2, ist zu erwarten, dass auch für § 3a Abs. 1 Nr. 2b und Abs.2 Nr. 2b AsylbLG eine rückwirkende Übergangsregelung erfolgen wird und damit auch ohne Gesetzesänderung im Falle des Antragstellers für den hier streitgegenständlichen Zeitraum die Bedarfssätze der Bedarfsstufe 1 zugrunde zu legen sind.
Vor dem Hintergrund der auch nach Einschätzung des Bundessozialgerichts gegebenen Verfassungswidrigkeit der hier streitigen Regelungen und der im Hinblick auf vom Bundesverfassungsgericht bereits festgestellten Verfassungswidrigkeit des § 2 AsylbLG bezüglich der – inhaltsgleich vorgenommenen pauschalen Herabsetzung der Bedarfssätze für alleinstehende Erwachsene in Sammelunterkünften und der dazu angeordneten Übergangsregelung ist die mit der Anordnung des einstweiligen Rechtschutzes verbundene Vorwegnahme der Hauptsache hinzunehmen. Dabei ist eine echte Vorwegnahme der Hauptsache, die keiner Korrektur für die Vergangenheit mehr zugänglich ist, durch die vorläufige Gewährung von Geldleistungen aufgrund des Erstattungsanspruchs bei späterem Unterliegen in der Hauptsache in der Regel ohnehin nicht gegeben. Die Durchsetzbarkeit des Erstattungsanspruchs und dessen Vollstreckbarkeit sind in der Regel nicht zu prüfen (Schnitzer in: Ory/Weth, jurispk-ERV Band 3, 2. Aufl., §§ 86a, 86b SGG (Stand: 24. September 2024), Rdnr. 79, zitiert nach juris unter Verweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 13. Dezember 2016, Az.: B 1 KR 1/16 R, Rdnr. 8).
Die Anordnung war auch unbefristet auszusprechen. Zum einen hat der Antragsgegner die Leistungsbewilligung unbefristet ab 18. März 2024 ausgesprochen. Zum anderen rechtfertigt es der Vorlagebeschluss zum Bundesverfassungsgericht ausnahmsweise die einstweilige Anordnung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 20. März 2024 auszusprechen. Es ist davon auszugehen, dass im Hinblick auf den Vorlagebeschluss die Entscheidung über den Widerspruch oder aber eine anschließende Klage ruhend gestellt wird, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hat.
Allerdings ist sicherzustellen, dass die vorläufige Anordnung endet, wenn der Antragsteller die Voraussetzungen des § 3 AsylbLG nicht mehr erfüllt. Demensprechend war ein entsprechender Vorbehalt in der Anordnung aufzunehmen.
Ferner war klarzustellen, dass bei einem eventuellen Eintreten der Voraussetzungen Leistungseinschränkungen nach § 1a AsylbLG diese ungeachtet der vorläufigen Anordnung umgesetzt werden können.
Die Beschwerde ist nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. In der Hauptsache wäre die Berufung nach§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig. Zwar ist nur die Differenz der Leistung in Höhe von anteilig 21,23 € im Monat Dezember 2024 (der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist erst am 18. Dezember 2024 eingegangen) und 44,00 € ab Januar 2025. Der Antragsgegner hat jedoch mit seinem Bescheid vom 20. März 2024 Leistungen ab 18. März 2024 bis auf weiteres erlassen und damit die Leistungsdauer nicht begrenzt.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgt gemäß § 73a Abs. 1 S 1 SGG i. V. m. §§ 114 Abs. 1 S. 1, 121 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die hinreichende Erfolgsaussicht ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.