Tacheles Rechtsprechungsticker KW 13/2025

1. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II/ Bürgergeld

1.1 – LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.01.2025 – L 34 AS 495/22 –

Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Eine mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Mitteilung des Grundsicherungsträgers nach § 33 Abs. 3 Satz 1 SGB II an den Schuldner des Leistungsberechtigten stellt einen Formalverwaltungsakt dar und kann (auch) vom Leistungsberechtigten mit Widerspruch und Anfechtungsklage angefochten werden.

2. Gleichzeitigkeit zwischen Leistungsbezug und Anspruch des Leistungsberechtigten gegen den verpflichteten Dritten ist im Rahmen des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB II gegeben, wenn der Anspruch des Leistungsberechtigten gegen den Dritten zu Beginn des Bewilligungszeitraums fällig geworden ist oder zuvor bereits fällig war.

Auch in der Vergangenheit entstandene Ansprüche sind somit übergangsfähig, wenn und soweit sie im Zeitpunkt der Leistungsgewährung noch nicht erfüllt sind.

2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)

2.1 – SG Osnabrück, Beschluss v. 31.05.2024 – S 16 AS 136/24 ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Karenzzeit; Nicht geschütztes Grundstück; Vermögensverwertung; Bürgergeld; Vermögensumschichtung

Bürgergeld: Die Karenzzeit bezieht sich nur auf den Schutz bestehenden Vermögens

Orientierungssatz Detlef Brock
Bürgergeldbezieher können sich nicht auf den Schutz ihres Vermögens während der letzten 2 Monate der Karenzzeit berufen, wenn sie ihr angemessenes Haus während des Leistungsbezugs verkaufen und sich stattdessen eine Luxushütte von 254 qm kaufen.

Leitsatz SG Osnabrück
1. Ein Berufen auf die Karenzzeit des § 12 Abs. 3 SGB II ist nicht möglich, wenn nach § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB II grundsätzlich nicht geschütztes Vermögen (hier: ein nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB II nicht geschütztes Grundstück) durch Vermögensumschichtung in der Karenzzeit erst geschaffen wird.

2. Die Karenzzeit soll sich auf den Schutz bestehenden Vermögens beziehen. Auch das BSG hat die Möglichkeit eingeräumt, ein Berufen die die Schutzvorschrift des § 67 SGB II zu verwehren, wenn Rechtsmissbrauch vorliegt (BSG, Urteil vom 14.12.2023 – B 4 AS 4/23 R, Rn. 31).

Praxistipp
SG Osnabrück, Beschluss v. 31.05.2024 – S 16 AS 136/24 ER – so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 7. Januar 2025 – L 11 AS 372/24 B ER –

Jobcenter muss Immobilienvermögen von Bürgergeldempfängern nicht optimieren

www.gegen-hartz.de

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

3.1 – LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 18.03.2025 – L 13 AL 3327/23 – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Keine Gewährung höheren Arbeitslosengeldes unter Berücksichtigung eines Inflationsausgleichs in den Jahren 2022/2023

Orientierungssatz Detlef Brock
1. Die Berücksichtigung einer Inflationsrate bei der Leistungsgewährung findet in den gesetzlichen Regelungen der Höhe des Arbeitslosengeldes keine Stütze. Das Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Regelung ist verfassungsrechtlich, insb. im Lichte des Art 3 GG nicht zu beanstanden.

2. Wenn das Arbeitslosengeld so gering ist, dass es zum Leben nicht reicht, besteht die Möglichkeit, ergänzend bzw. aufstockend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II/ Bürgergeld zu beantragen.

3. Arbeitslose, die in den Jahren 2022 und 2023 Arbeitslosengeld bezogen haben, haben keinen Anspruch darauf, dass dieses um einen Inflationsausgleich zu erhöhen ist.

Das Fehlen einer entsprechenden gesetzlichen Regelung ist verfassungsrechtlich, insb. im Lichte des Art 3 GG nicht zu beanstanden.

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.12.2024 – L 7 SO 3119/24 ER-B – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Sozialhilfe: Sehhilfen bezahlt das Sozialamt im Eilverfahren nur bei nachgewiesener Hilfebedürftigkeit und auch – nur als ergänzendes Darlehen

1. Als Anspruchsgrundlage für die begehrte Sehhilfe kommt nur § 37 Abs. 1 SGB XII in Betracht, mithin ein Anspruch auf ein ergänzendes Darlehen für einen von den Regelbedarfen umfassten und nach den Umständen unabweisbar gebotenen Bedarf als Leistung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Betracht. Denn bei einer Brille handelt es sich um Kosten für ein langlebiges Gebrauchsgut, die vom Regelbedarf umfasst sind (BSG, Urteil vom 18. Juli 2019 – B 8 SO 4/18 R -).

2. Das Sozialamt gewährt dem Hilfebedürftigem aber kein Darlehen, wenn der Antragsteller bereits seit Juni 2019 – wegen ungeklärter Vermögensfragen – Grundsicherungsleistungen entzogen sind bzw. von dem Sozialamt nicht wieder gewährt wurden und insofern erhebliche Unklarheiten dazu bestehen, wie der Antragsteller in der Zwischenzeit seinen Lebensunterhalt bestritten hat.

Somit genügt dies im vorliegenden Fall auch unter Berücksichtigung der abgesenkten Beweismaßmaßstäbe im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zur Glaubhaftmachung der wirtschaftlichen Hilfebedürftigkeit des Antragstellers.

Praxistipp
Ein geistig behinderter Mensch hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten einer Brille als Leistung der Eingliederungshilfe, wenn sich aus der Sehbehinderung selbst keine spezifische Teilhabeeinschränkung ergibt und aus der Korrektur der Sehschwäche nur mittelbar folgt, dass die übrigen körperlichen und geistigen Fähigkeiten optimal genutzt werden können (BSG, Urt. v. 18.07.2019 – B 8 SO 4/18 R -).

5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

5.1 – Sozialgericht Hannover – Beschluss vom 21.03.2025 – Az.: S 54 AY 4/25 ER

Normen: § 2 AsylbLG, § 3 AsylbLG – Schlagworte: Mitwirkungshandlungen, Konkretisierung durch Ausländerbehörde, Analogleistungen, Stadt Ronnenberg, Region Hannover, Sozialgericht Hannover

Antragstellerin steht eine Leistungsbewilligung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit SGB XII analog zu

Orientierungssatz Detlef Brock
1. Die Antragstellerin hat die Dauer ihres Aufenthalts im Bundesgebiet nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Denn die Ausländerbehörde gesetzliche Mitwirkungspflichten z.B. zur Beschaffung von Identitätspapieren (§ 48 Abs. 3 AufenthG) konkret gegenüber dem Betroffenen aktualisiert haben, um aus der mangelnden Mitwirkung negative aufenthaltsrechtliche Folgen ziehen zu können (BVerwG, Urteil vom 26.10.2010 – 1 C 18/09 – juris Rn. 17; SG München, Beschluss vom 31.1.2017 – S 51 AY 122/16 ER-).

2. Ferner folgt aus § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eine Hinweispflicht für die Ausländerbehörde, die in aller Regel über bessere Kontakte und Kenntnisse hinsichtlich der bestehenden Möglichkeiten zur Beschaffung von Heimreisepapieren verfügt (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.2.2017 – OVG 3 B 14.16 – juris Rn. 24 m.w.N.). Diese Grundsätze sind auf die Beurteilung eines leistungsrechtlich nach § 1a Abs. 3 AsylbLG relevanten Verhaltens zu übertragen, allerdings mit der Maßgabe einer restriktiven Auslegung bezogen auf eindeutige und nachhaltige Verstöße gegen aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflichten (vgl. etwa LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 6.6.2019 – L 8 AY 17/19 B ER -; Oppermann in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 1a Rn. 133).

3. Eine Beschränkung von Leistungen kommt wegen der Auswirkungen der Leistungskürzung nur in Betracht, wenn die Behörde einem Antragsteller eine konkrete, erfüllbare und zumutbare Mitwirkungshandlung aufgibt, die dieser aus von ihm zu vertretenden Umständen nicht befolgt.

Eine solche Konkretisierung der (weiteren) der Antragstellerin im Einzelfall zumutbaren Mitwirkungshandlungen zur Beschaffung von Identitätspapieren ist den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin aber – nicht zu entnehmen.

Quelle: RA Sven Adam

5.2 – Auch Sozialgericht Stuttgart hält „Minusrunde“ im AsylbLG für rechtswidrig – S 9 AY 4251/23

Auch das Sozialgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 25.03.2025 (Az.: S 9 AY 4251/23 mit verbundenem Verfahren Az.: S 9 AY 413/25) in einem Hauptsacheverfahren festgestellt, dass die Nichtanwendung des § 28a Absatz 5 SGB XII im AsylbLG rechtswidrig ist und daher die Leistungen wie im Jahr 2024 zu gewähren sind. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor.

Weitere Information zur „Minusrunde“ im AsylbLG ab 01.01.2025

5.3 – Sozialgericht Stuttgart – Urteil vom 25.03.2025 – Az.: S 9 AY 4251/23

Normen: § 3 Abs. 4 AsylbLG, § 28a Abs. 5 SGB XII – Schlagworte: Minusrunde, Fortschreibung, Grundleistungen, Stadt Stuttgart, Sozialgericht Stuttgart

Orientierungssatz Detlef Brock
Die Nichtanwendung des § 28a Absatz 5 SGB XII im AsylbLG rechtswidrig.

Quelle: RA Sven Adam

6. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem SGB II

6.1 – BSG, Urteil v. 26.03.2025 – B 4 AS 4/24 R –

Grundsicherung für Arbeitssuchende – Optionskommune – Widerspruchssachbearbeitung – Kostenerstattung – Bund

BSG: Bundessozialgericht klärt Streit um Personalkosten bei Grundsicherungsträgern nach dem SGB II/ Jobcentern

Aufwendungen einer Optionskommune für Widerspruchssachbearbeiter im SGB II sind vom Bund in tatsächlicher Höhe zu erstatten.

Orientierungssatz www.evangelisch.de
Kommunen können für die Betreuung von Bürgergeldbeziehern vom Bund die Erstattung der hierfür angefallenen tatsächlichen Kosten verlangen. Dazu gehören auch Personalkosten, die allein für die Bearbeitung der Leistungsanträge und möglicher Widerspruchsverfahren anfallen.

Siehe auch dazu Pressemitteilung des BSG vom 27.03.2025

7. Verschiedenes zum Bürgergeld, Sozialhilfe, Wohngeld und anderen Gesetzesbüchern

7.1 – BVerwG, Urteil vom 27.03.2025 – 5 C 8.23

Bafög: Mitverschulden des BAföG-Amts mindert den Rückzahlungsanspruch um die Hälfte

Fehler beim BAföG-Antrag kann durch Mitverschulden des BAföG-Amts den Rückzahlungsanspruch mindern

1. Besteht gegen die Eltern eines Auszubildenden ein Schadensersatzanspruch des Förderungsamtes nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) wegen zu Unrecht gewährter Förderung, kann ein Mitverschulden des Förderungsamtes bei der Bearbeitung des Antrags diesen Anspruch mindern.

2. Denn die Mutter einer Studentin gab fälschlich Renteneinkünfte beim Bafög Antrag nicht an. Aus den Anlagen hätte die Mutter dies aber problemlos erkennen können.

3. Bafög Rückforderung war wegen der Mitverschuldensregel (des § 254 Abs. 1 BGB) zu mindern

4. Das Bafög Amt forderte 1 Jahr später das Geld zurück. Weil aber auch das Bafög Amt einen Fehler gemacht hatte, muss die Mutter nur die Hälfte zurückzahlen.

5. Die Anwendung dieser Regel sei bei einer Verletzung der Rechtspflicht des Förderungsamtes zur Sachverhaltsaufklärung, die das BVerwG hier bejaht, nicht ausgeschlossen.

6. Denn das Förderungsamt hätte sich nicht auf die Angaben der Mutter zu ihren Einkommensverhältnissen im Formblatt 3 verlassen dürfen, weil es ihre privaten Renteneinkünfte schließlich auch dem vorgelegten Einkommensteuerbescheid entnehmen konnte, so die Leipziger Richterinnen und Richter.

Fazit
Fehler beim BAföG-Antrag kann durch Mitverschulden des BAföG-Amts den Rückzahlungsanspruch mindern.

Quelle: www.bverwg.de

Hinweis in eigener Sache und das liegt mir wirklich sehr am Herzen
Seit 1 Jahr werden zum Bürgergeld/ Sozialhilfe kaum noch aktuelle Entscheidungen veröffentlicht. Nur mit viel zeitlichem Aufwand und bestem Recherchieren ist es möglich, noch Entscheidungen zu finden und wöchentlich hier – kostenlos – einen Rechtsprechungsticker anzubieten.

Leider muss ich feststellen, dass mal wieder die „Abschreiber“ unterwegs sind.

Besitzen diese Menschen keinen Ehrgeiz, ich empfinde für solche Menschen einfach nur Abneigung, darum mein freundlicher Aufruf

Der Rechtsprechungsticker von Tacheles e. V. Ist keine Daten oder Infobank, die man nutzt, um sich selbst im Internet zu profilieren!

BITTE suchen sie sich ihre Urteile selbst!

Sollte das nicht ab SOFORT unterbleiben, den wir reden nach anwaltlicher Auskunft von keinem Zufall mehr, werden wir juristisch gegen Sie vorgehen.

Vielen Dank für Ihr Verständnis!

Wichtiger Hinweis:
Nicht veröffentlichte Urteile (gekennzeichnet durch n. v.), Anmerkungen bzw. Urteilsbesprechungen von Rechtsanwälten, welche wir von Gerichten, Rechtsanwälten oder Privatkunden erhalten, dürfen zitiert werden, aber nur mit Quellhinweis Verein Tacheles, alles andere stellt eine Urheberrechtsverletzung dar. Danke!

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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker


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