Sozialgericht Kassel – Gerichtsbescheid vom 28.03.2025 – Az.: S 8 AS 313/22

GERICHTSBESCHEID

In dem Rechtsstreit

xxx,

Klägerin,

Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Sven Adam
Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Jobcenter Werra-Meißner,
vertreten durch den/die Geschäftsführer/in,
Fuldaer Straße 6, 37269 Eschwege,

Beklagter,

hat die 8. Kammer des Sozialgerichts Kassel ohne mündliche Verhandlung am 28. März 2025 durch die Vorsitzende, Richterin am Sozialgericht xxx, für Recht erkannt:

Der Bescheid des Beklagten vom 21.07.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2022 sowie der Bescheid vom 17.12.2022 werden abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung zusätzlicher Kosten der Unterkunft i.H.v. monatlich 20,80 € für die Zeit vom 01.08.2022 bis 31.01.2023 zu gewähren.

Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

TATBESTAND

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten für die Zeit von August 2022 bis Januar 2023 höhere Leistungen für Bedarfe für Unterkunft nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die am xx 1965 geborene Klägerin bezieht von dem Beklagten seit Jahren Arbeitslosengeld II. Sie bewohnt eine Wohnung in Eschwege für die im streitgegenständlichen Zeitraum eine Nettokaltmiete i.H.v. 356, 28 € zzgl. Kalten Nebenkosten i.H.v. 82 €, dementsprechend eine Bruttokaltmiete i.Hv. 438,28 € zzgl. Kosten für die Heizung i.H.v. 75 € anfielen.

Der Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 08.12.2015 erstmals zur Senkung der Unterkunftskosten auf und bewilligte nach Ablauf der gesetzten Frist Leistungen lediglich in Höhe der seiner Auffassung nach angemessenen Bedarfe. Ab Mai 2018 hatte der Beklagte neue Angemessenheitswerte für die Unterkunftskosten ermittelt und die sich nach dem neuen Konzept ergebenden Angemessenheitswerte ohne erneute Kostensenkungsaufforderung berücksichtigt. Nachdem das Hessische LSG Ende 2018/Anfang 2019 entschieden hatte, dass das Konzept des Beklagten für die Zeit ab Januar 2016 nicht schlüssig sei, und die Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos gewesen war, wurden für die Zeit bis April 2018 die Leistungen mit Bescheid vom 11.2.2022 zur Umsetzung eines Urteils des SG Kassel auf die Werte nach der Wohngeldtabelle zzgl. 10-%-Zuschlag erhöht. Für die Zeit ab Mai 2018 wurden die Bedarfe aufgrund eines Vergleichs im Jahr 2022 nachträglich erhöht.

Ab dem 1.1.2020 hatte der Beklagte neue Angemessenheitswerte ermittelt und diese ohne neuerliche Kostensenkungsaufforderung zugrunde gelegt.

Auf ihren Weiterbewilligungsantrag bewilligte der Beklagte der Klägerin mit Bewilligungsbescheid vom 21.07.2022 vorläufig für den Zeitraum vom 01.08.2022 bis 31.01.2023 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Bedarfes für die Kosten der Unterkunft in Höhe von 351 € sowie die Kosten der Heizung i.H.v. 75 €. Dem Wert von 351 € für die Unterkunftskosten lag das Konzept des Beklagten (Bericht der Firma Analyse & Konzepte aus Dezember 2021, gültig ab 01.01.2022) zugrunde.

Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom 17.08.2022 Widerspruch. Zur Begründung führte er aus, dass das Konzept vom 18.05.2018 unschlüssig sei und Unterkunftskosten nach der Wohngeldtabelle zuzüglich 10 %-Zuschlag zu berücksichtigen seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2022 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 21.07.2022 als unbegründet zurück. Die Unterkunftskosten überschritten die Angemessenheitsgrenze von 351 € für die Bruttokaltmiete im Vergleichsraum III.

Hiergegen richtet sich die am 07.11.2022 zum Sozialgericht Kassel erhobenen Klage, die unter dem Az.: S 6 AS 313/22 angelegt wurde und die zum 01.01.2024 in die Zuständigkeit der 8. Kammer des Sozialgerichts Kassel übergegangen ist. Seitdem wird es unter dem Az.: S 8 AS 313/22 fortgeführt.

Die Klägerin trägt unter Verweis auf ein Urteil der 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel – Az. S 12 SO 22/21 – vor, dass die fehlerhaft unterbliebene Kostensenkungsaufforderung einen Anspruch auf Bedarfe für Unterkunft nach der Wohngeldtabelle zuzüglich 10 %-Zuschlag begründe, und zwar in der jeweils aktuellen Fassung.

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 21.07.2022 (Az.: 763 43520//0004661) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2022 (Az.: 98.D – 43520//0004661 – W-43520-00275/22) zu verurteilen, der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen im Zeitraum 01.08.2022-31.01.2023 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, dass die Werte der Wohngeldtabelle nicht zu dynamisieren seien, wenn bei einer Anpassung grundsätzlich ein schlüssiges Konzept bestehe, dieses aber mangels neuer Kostensenkungsaufforderung nicht zugrunde gelegt werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die zulässige Klage ist im austenorierten Umfang erfolgreich.

Das Gericht konnte gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art aufweist und die Beteiligten zuvor zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden sind.

Die Klage ist begründet, weil die Klägerin mangels Kostensenkungsaufforderung einen Anspruch auf Berücksichtigung von Kosten jedenfalls in Höhe der aktuellen Werte nach der Wohngeldtabelle zzgl. Sicherheitszuschlag für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.08.2022 bis 31.01.2023 hat.

Die Klage ist begründet, weil die Klägerin mangels Kostensenkungsaufforderung einen Anspruch auf Berücksichtigung von Kosten jedenfalls in Höhe der aktuellen Werte nach der Wohngeldtabelle zzgl. Sicherheitszuschlag für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.08.2022 bis 31.01.2023 hat.

Rechtsgrundlage ist insoweit § 22 SGB II, wonach die tatsächlichen Kosten der
Unterkunft als Bedarf berücksichtigt werden, soweit sie angemessen sind. Nach §
22 Abs. 1 Satz 3 SGB II gilt: Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Voraussetzung einer Absenkung der tatsächlichen Kosten auf das angemessene Maß ist eine Kostensenkungsaufforderung (Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rn. 181; Senger/Piepenstock in jurisPK-SGB II, § 22 Rn. 147 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen). Erforderlich ist, dass die nach Auffassung des Jobcenters angemessenen Kosten genannt und eine Frist für die Senkung der Kosten gesetzt wird (Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rn. 181).

Daran fehlt es hier, weil sich zwar aus der vorläufigen Bewilligung die nach Auffassung des Beklagten maßgeblichen Werte ableiten lassen. Eine Kostensenkungsaufforderung stellt dies jedoch nicht dar. Der Widerspruchsbescheid enthält zwar eine Darstellung der Kosten, nicht jedoch eine Aufforderung unter Fristsetzung, die Kosten zu senken.

Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen verweist das Gericht insofern auf die Entscheidung der 14. Kammer des Sozialgericht Kassel vom 13. Juni 2024 zum Az.: S 14 AS 97/22, wo diese wir folgt ausgeführt hat:

Dass der Beklagte in der Vergangenheit auf die Senkung der Kosten hingewiesen hat, ist unerheblich. Zwar ist nicht Voraussetzung für eine wirksame Kostensenkung, dass die vom Beklagten ermittelten und mitgeteilten Werte richtig sind. Denn die Kostensenkungsaufforderung ist nur ein Angebot an den Leistungsempfänger und ein Einstieg in einen Dialog über die richtige Höhe der Kosten (vgl. BSG vom 30.01.2019 – B 14 AS 11/18 R SozR 4-4200 § 22 Nr. 100 Rn. 33 f.). Jedoch können nach der Rechtsprechung des BSG spätere Konzepte nicht als nachgeschobene Gründe für vergangene Kostensenkungsverfahren herangezogen werden (BSG vom 30.1.2019 – B 14 AS 11/18 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 100 Rn. 33 f.). Da das Konzept des Beklagten durch das HLSG kassiert wurde und danach methodisch offenbar neue bzw. andersartige Konzepte entwickelt wurden und schließlich zur Grundlage der Angemessenheitsbewertung im hier streitigen Fall sein sollten, ist die Kostensenkungsaufforderung aus dem Jahr 2015 veraltet und nicht mehr heranzuziehen. Die späteren Konzepte können jedenfalls nicht im Sinne der Rechtsprechung des BSG Grundlage für die Kostensenkung im Jahr 2015 und einen sich daran anschließenden „Dialog“ über die richtige Höhe der Unterkunftskosten sein.

Angesichts dessen besteht kein Raum, nur die angemessenen Werte zu berücksichtigen. Soweit der Beklagte meint, dass ab dem 1.1.2020 das Konzept für die Angemessenheitswerte maßgeblich sei, führt dies nicht weiter. Denn dies ist nur relevant, soweit überhaupt auf die angemessenen Kosten abgestellt werden kann. Dies ist mangels Kostensenkung nicht der Fall. Wegen § 123 SGG kann jedoch nicht mehr zugesprochen werden als verlangt wird.

Nach der WogV in der Fassung ab dem 1.1.2022 gilt für die Stadt Eschwege die Mietstufe I. Nach der Anlage zu § 12 WoGG in der Fassung vom 1.1.2021 bis zum 31.12.2022 gilt ein Höchstbetrag von 338 Euro, der um 10 % zu erhöhen ist, insgesamt 371,80 Euro. Es ergeben sich höhere Leistungen in Höhe von 20,80 Euro pro Monat (371,80 – 351 €).

Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer vollumfänglich, macht sie sich zu eigen und hat ihnen nichts hinzuzufügen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.


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