Tacheles Rechtsprechungsticker KW 14/2025

1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Grundsicherung nach dem SGB II- Bürgergeld

1.1 – BSG, Urt. v. 28.11.2024 – B 4 AS 16/23 R – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung und -berechnung – Einnahmen aus dem Betrieb der Photovoltaikanlage – Einspeisevergütung – Vermögen – Einkommen

BSG: Gewinne aus dem Betrieb einer Photovoltaik-Anlage sind als Einkommen zu berücksichtigen

Orientierungssatz Detlef Brock
1. Gewinne aus dem Betrieb einer Photovoltaik-Anlage sind bei der Grundsicherung nach dem SGB II als Einkommen zu berücksichtigen

2. Keine Absetzung von Erwerbstätigenfreibeträgen, denn es ist kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit.

3. Bei der Einspeisevergütung handelt es sich um zu berücksichtigendes Einkommen im Sinne des § 11 Absatz 1 Satz 1 SGB II. Absetzbar ist nur die 30 Euro Versicherungspauschale.

4. Offen gelassen hat das BSG die Frage, ob es sich bei der PVAnlage überhaupt um einen im Anwendungsbereich des SGB II geschützten Vermögensgegenstand handelt.

5. Grundrechte der Kläger stehen einer Berücksichtigung der Einspeisevergütung als Einkommen und der Nichtberücksichtigung der Erwerbstätigenfreibeträge nicht entgegen.

Insbesondere ist das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG (hierzu grundlegend BVerfG vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09 ua – BVerfGE 125, 175 = SozR 44200 § 20 Nr 12) nicht verletzt.

2. Entscheidungen der Sozialgerichte zum Bürgergeld (SGB II)

2.1 – SG Konstanz, Urteil vom 20.04.2024 – S 10 AS 245/23 –

Nichtberücksichtigung der Zinsrate für das Privatdarlehen als Unterkunftskosten bei selbstgenutztem Wohneigentum – Vereinbarung zwischen dem Vater (Hilfebedürftiger) und seinen 3 Kindern hält einen Fremdvergleich nicht stand

Bürgergeld: Zins-Zahlungen aus einem Privatdarlehen sind keine Kosten der Unterkunft

Orientierungssatz Detlef Brock
1. Bürgergeld- Bezieher hat – keinen Anspruch auf Übernahme weiterer Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 150,00 € als Zinszahlungen für ein ihm von seinen Kindern gewährten Darlehen.

2. Denn eine Regelung über die konkreten Rückzahlungsmodalitäten ist – Grundvoraussetzung für ein im Rahmen des § 22 SGB II berücksichtigungsfähiges Darlehen.

3. Darüber hinaus sei auch kein Nachweis über die zweckentsprechende Verwendung der vermeintlichen Darlehenssumme vorgelegt worden.

4. Ein wesentlicher Mangel ist bereits darin zu sehen, dass eine Schriftform als im Geschäftsverkehr üblicher Modalität vorliegend nicht besteht, denn Schriftliche Darlehensverträge über die Summe von insgesamt 150.000,00 € und auch eine Vereinbarung über die Rückzahlung existieren nicht.

5. Eine Übernahme der Zahlungen des Leistungsempfängers in Höhe von monatlich jeweils 50,00 € an seine drei Kinder im Rahmen der KdU war vorliegend nicht möglich, da eine Einordnung der Zahlungen entweder als Zinsen, wie vom Kläger behauptet, oder aber als Tilgungszahlungen, mangels Regelung im Rahmen der nach dem Vortrag des Klägers bestehenden Darlehensverträge nicht möglich ist.

Auch bestehen Zweifel daran, dass ein zur Durchführung bestimmter Darlehensvertrag tatsächlich geschlossen wurde.

Praxistipp:
LSG Hamburg, Urteil v. 09.09.2021 – L 4 AS 279/20 – nachgehend BSG, 9. Juni 2023, B 7/14 AS 87/21 R, sonstige Erledigung: Rücknahme

Zinsraten für ein – neben dem Finanzierungsdarlehen für eine selbst genutzte Eigentumswohnung – zu einem späteren Zeitpunkt zusätzlich aufgenommenes Privatdarlehen können nicht als Unterkunftsbedarf im Sinne des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 berücksichtigt werden, wenn das Privatdarlehen weder dem Erwerb noch dem Erhalt der Unterkunft, sondern der Finanzierung der Tilgungsraten des ursprünglichen Immobiliendarlehens dient.

Anmerkung Detlef Brock
Dieser Feststellung des Richters der 10. Kammer des SG Konstanz folge ich nicht, wo man urteilte, dass Darlehensverträge der – Schriftform – bedürfen

Denn das Bundessozialgericht hatte mit Urteil vom 17.06.2010 – B 14 AS 46/09 R – zu Darlehen von Verwandten – Rückzahlungsverpflichtung – Anforderungen an den Nachweis wie folgt geurteilt:

1. Nach Meinung des BSG ist es – nicht erforderlich, dass sowohl die Gestaltung (zB Schriftform, Zinsabrede oder Gestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkte dem zwischen Fremden – insbesondere mit einem Kreditinstitut – Üblichen zu entsprechen hat.

Denn ein solches gesondertes, neben die zivilrechtlichen Anforderungen tretendes Erfordernis (als weitere Tatbestandsvoraussetzung) ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus oder in Verbindung mit allgemeinen Grundsätzen.

Vielmehr würden die mit dem strengen Fremdvergleich verbundenen Beschränkungen für die Vertragsgestaltung bei Darlehensgewährung, der im Übrigen auch in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nur auf bestimmte Fallgruppen angewendet wird, weder den tatsächlichen Verhältnissen noch der grundsätzlich gebotenen Respektierung familiärer Vertrauensbeziehungen gerecht.

In diesem Sinne auch viele Landessozialgerichte und ganz aktuell SG Karlsruhe, Urt. v. 29.10.2024 – S 12 AS 1592/23 –

1. Es ist nicht erforderlich, dass sowohl die Gestaltung (z.B. Schriftform, Zinsabrede oder Gestellung von Sicherheiten) als auch die Durchführung des Vereinbarten in jedem Punkt dem zwischen Fremden – insbesondere mit einem Kreditinstitut – Üblichen zu entsprechen hat (Bezugnehmend mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 17.06.2010 – B 14 AS 46/09 R -).

2.2 – SG Reutlingen, Beschluss v. 25.04.20218 – S 7 AS 179/18 –

Sozialrecht – Leistungsentziehung wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten – Rechtswidrigkeit bei Erzwingung von Angaben ohne Relevanz für den aktuellen Anspruch

Orientierungssatz Detlef Brock
1. Jobcenter dürfen Versagung – bzw. Entziehungsbescheide gegenüber Bürgergeld- Beziehern – nicht als Strafnorm mit anschließender Sanktionierung benutzen.

Leitsatz www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Ein von der Behörde auf § 66 SGB 1 gestützter Entzug laufender Leistungen ist rechtswidrig, wenn auch ohne die gewünschten Angaben des Betroffenen die Voraussetzungen für den Leistungsanspruch bestehen.

2. § 66 SGB 1 ist keine Strafbestimmung, mit der das Unterlassen sonstiger Angaben sanktioniert werden kann.

Entscheidung aufgearbeitet und recherchiert von Detlef Brock: www.gegen-hartz.de

2.3 – SG Kassel – Gerichtsbescheid vom 28.03.2025 – S 8 AS 313/22 –

Bürgergeld: Gericht rügt Jobcenter wegen veralteter Kostensenkungsaufforderung

Gericht rügt Jobcenter – Denn keine Absenkung der Kosten der Unterkunft bei veralteter Kostensenkungsaufforderung.

Orientierungssatz Detlef Brock
1. Nach der Rechtsprechung des BSG können spätere Konzepte nicht als nachgeschobene Gründe für vergangene Kostensenkungsverfahren herangezogen werden, so die Richter der 8. Kammer in Kassel mit Hinweis auf BSG, Urt. v. 30.1.2019 – B 14 AS 11/18 R -.

2. Eine neue Kostensenkungsaufforderung ist erforderlich, wenn das Jobcenter neue Angemessenheitswerte ermittelt und diese zugrunde legt.

3. Veraltete Kostensenkungsaufforderungen setzen die 6- Monatsfrist des Jobcenters nicht in Gang.

4. Eine Leistungsempfängerin von Bürgergeld hat mangels Kostensenkungsaufforderung einen Anspruch auf Berücksichtigung von Kosten in Höhe der aktuellen Werte nach der Wohngeldtabelle zzgl. Sicherheitszuschlag.

5. So bereits das SG Kassel Urteil vom 13.06.2024 – S 14 AS 97/22 -.

www.gegen-hartz.de

Mit neuer Entscheidung gibt das SG Kassel aktuell zu den Kosten der Unterkunft für Bürgergeld-Empfänger bekannt Az: S 8 AS 313/22

Orientierungssatz Detlef Brock
1. Mangels Kostensenkungsaufforderung hat die Bürgergeld -Empfängerin einen Anspruch auf Berücksichtigung von Kosten jedenfalls in Höhe der aktuellen Werte nach der Wohngeldtabelle zzgl. Sicherheitszuschlag.

2. Zur Vermeidung überflüssiger Wiederholungen verweist das Gericht insofern auf die Entscheidung der 14. Kammer des Sozialgericht Kassel vom 13. Juni 2024 zum Az.: S 14 AS 97/22, wo diese wir folgt ausgeführt hat:

3. Nach Auffassung des Gerichts besteht Angesichts dessen kein Raum, nur die angemessenen Werte zu berücksichtigen.

4. Soweit das Jobcenter meint, dass ab dem 1.1.2020 das Konzept für die Angemessenheitswerte maßgeblich sei, führt dies nicht weiter. Denn dies ist nur relevant, soweit überhaupt auf die angemessenen Kosten abgestellt werden kann. Dies ist mangels Kostensenkung nicht der Fall.

Fazit
KdU-Absenkung bei veralteter Kostensenkungsaufforderung ausgeschlossen.

3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht (SGB III)

3.1 – LSG BW, Beschluss v. 25.03.2025 – L 12 AL 514/25 ER-B –

Arbeitslosengeld: Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eilverfahren nur bei Ermessensreduzierung auf Null, hier verneinend

Orientierungssatz Detlef Brock
1. Keine Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eilverfahren, denn auch im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes, außer in den Fällen einer Ermessensreduzierung auf Null, ist der Behörde ein Spielraum zur Ausübung des ihr auferlegten Ermessens zu belassen (so LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.07.2011, L 5 AS 177/11 B ER).

2. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt, besteht somit zwar ein Rechtsanspruch auf die besonderen Leistungen nach § 117 SGB III, jedoch steht der Antragsgegnerin ein Auswahlermessen bezüglich der Art der Förderung und des Leistungserbringers zu (Landessozialgericht [LSG] Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.10.2016, L 1 AL 52/15).

3. Besonderheit einer Ermessensleistung ist, dass das Gesetz der Verwaltung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall keine bestimmte Rechtsfolge vorgibt. Die Antragsteller haben in diesen Fällen lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung nach § 39 SGB 1, nicht jedoch auf eine bestimmte Leistung.

4. Nur wenn das Ermessen ausschließlich in einem bestimmten Sinne rechtmäßig ausgeübt werden kann und jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre, besteht ein Anspruch auf diese einzig mögliche rechtmäßige Entscheidung. Eine sog. „Ermessensreduzierung auf Null“ ist jedoch nur dann gegeben, wenn nach dem festgestellten Sachverhalt eine anderweitige Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei ausgeschlossen ist.

5. Grundsätzlich ist auch im Rahmen des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes, außer in den Fällen einer Ermessensreduzierung auf Null, der Behörde ein Spielraum zur Ausübung des ihr auferlegten Ermessens zu belassen (so LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 07.07.2011, L 5 AS 177/11 B ER,).

4. Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – LSG BW, Urteil v. 27.02.2025 – L 7 SO 804/24 – Revision – nicht zugelassen – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Sozialhilfe: § 19 Abs. 6 SGB XII erfasst keine ambulanten Leistungen des Pflegedienstes (ebenso LSG NRW, Urt. v. 28.10.2024 – L 20 SO 362/22 – Revision beim BSG anhängig – B 8 SO 1/25 R -; a. A. LSG NRW, Urt. v. 19.09.2024 – L 9 SO 16/22 – BSG – B 8 SO 13/24 R (anhängig)

Orientierungssatz Detlef Brock
1. Ambulante Leistungserbringer sind – keine Einrichtungen im Sinne von § 19 Abs. 6 SGB XII und bezogen auf den Anspruchsübergang diesen auch nicht gleichzustellen. § 19 Abs. 6 SGB XII kommt auch nicht bei ambulanten Pflegediensten in Betracht, die im Wesentlichen Leistungsempfänger nach dem SGB XII rund um die Uhr in Wohngemeinschaften betreuen.

2. § 19 Abs. 6 SGB XII kann auch nicht analog auf Anbieter von Pflegeleistungen, die keine Einrichtung sind, Anwendung finden. Die Vorschrift zieht mit der Beschränkung auf Leistungen in Einrichtungen (bzw. Pflegegeld) eindeutige tatbestandliche Grenzen; was diese Grenzen überschreitet, soll gerade nicht von der cessio legis umfasst sein und bildet mithin nicht etwa eine – für eine analoge Anwendung unerlässliche – Regelungslücke.

3. Als eine Ausnahme von der grundsätzlichen Unvererblichkeit von (höchstpersönlichen) Sozialhilfeansprüchen (vgl. dazu Deckers in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 8. Auflage 2024, § 19 Rn. 22 m.w.N.) ist die Norm vielmehr einer analogen Anwendung nicht zugänglich (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. Oktober 2024 – L 20 SO 362/22 –).

4.2 – SG Freiburg, Beschluss v. 21.03.2025 – S 7 SO 411/25 ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Sozialhilfe – Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung – Unterkunft und Heizung – unangemessene Unterkunftskosten – Ablauf der Karenzzeit – Möglichkeit und Zumutbarkeit einer Kostensenkung

Sozialhilfe: Nach 30 Jahren Rausschmiss oder abrupte Räumung einer über 65-jährigen Schwerbehinderten aus ihrer Wohnung

Orientierungshilfe Detlef Brock
1. Ältere kranke Sozialhilfe – Leistungsempfängerin verliert Kampf trotz gesundheitlicher Probleme gegen das Gericht

2. Nach 30 Jahren muss die ältere Dame ihre unangemessene Wohnung räumen, denn sie muss sich bei der Wohnungssuche auch in Umlandgemeinden umsehen (BSG-Rechtsprechung).

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Wird nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts behördlich angeordnet, der Verwaltungsakt aber später durch einen anderen Verwaltungsakt ersetzt, wirkt die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit nicht auf den ersetzenden Verwaltungsakt fort, wenn die Behörde nicht erneut ausdrücklich sofortige Vollziehbarkeit auch des ersetzenden Verwaltungsakts anordnet.

2. Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage gegen einen mit einer Anordnung sofortiger Vollziehbarkeit verbundenen Leistungsbescheids ist, soweit der ursprüngliche Leistungsbescheid durch Änderungsbescheide nach § 86 SGG bzw. § 96 SGG ersetzt wurde, die ihrerseits keine ausdrückliche Sofortvollzugsanordnung enthalten, als Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch oder Klage in entsprechender Anwendung des § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG auszulegen.

3. Unterliegt ein Bezieher von Leistungen nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII der Obliegenheit nach § 35 Abs. 2 SGB XII, seine unangemessenen Wohnkosten zu senken, ist er bei seiner Wohnungssuche – entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Parallelvorschrift § 22 SGB II – grundsätzlich auf den gesamten örtlichen Zuständigkeitsbereich des Leistungsträgers verweisbar.

4. Will der Leistungsbezieher seine Wohnungssuche auf einen bestimmten politische Gemeinde oder auf ein anderes Teilgebiet des örtlichen Zuständigkeitsbereich des Leistungsträgers begrenzen und macht er hierfür eine besondere soziale Verwurzelung am bisherigen Wohnort geltend, ist im Einzelfall darzulegen, woraus sich diese Verwurzelung ergibt (z. B. Verwandtschaft oder Freunde im örtlichen Nahbereich, gegenseitige Unterstützungsleistungen in der Nachbarschaft, ehrenamtliches Engagement im örtlichen Nahbereich). Der bloße Verweis auf eine langjährige Wohndauer am bisherigen Wohnort (hier: 30 Jahre) reicht dafür nicht aus.

5. Verfügt ein über 65jähriger Leistungsbezieher nach dem 3. oder 4. Kapitel des SGB XII über keine Kenntnisse der Internetnutzung und auch kein Gerät mit Internetzugang oder eine sonstige Nutzungsmöglichkeit des Internets, sind seine Kostensenkungsbemühungen nach § 35 Abs. 2 SGB XII nicht deswegen unzureichend, weil er seine Wohnungssuche nicht auf Wohnungsangebote im Internet erstreckt hat. Denn die Online-Wohnungssuche entspricht (noch) nicht den ganz überwiegenden Lebensgewohnheiten seiner Altersgruppe und der Wohnungsmarkt ist auch Personen ohne Internetanschluss und Interneterfahrung nicht generell verschlossen.

6. Der Ablauf eines Karenzzeitraums nach § 35 Abs. 3 Satz 1 SGB XII stellt eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar, die den Leistungsträger auch während eines laufenden Bewilligungsabschnitts von Leistungen nach dem 3. und 4. Kapitel des SGB X zur Änderung der Berechnung der Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zukunft berechtigt, wenn die Senkung der Wohnkosten bis zum Ablauf des Karenzzeitraums weder unmöglich noch unzumutbar war. Denn nach dem Ablauf des Karenzzeitraums nach § 35 Abs. 3 Satz 1 SGB XII werden Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach einem anderen rechtlichen Prüfungsmaßstab gewährt als während des Karenzzeitraums.

Anmerkung Detlef Brock
Gilt denn die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts für Ältere Menschen bei den Unterkunftskosten gar nicht mehr?´ (Az. B 8 SO 24/08 R)

Eine ganz schlimme Entscheidung des Gerichts, weil ältere Bäume verpflanzt man nicht!!

Zumal das BSG zu den Unterkunftskosten für Ältere Menschen 2010 wie folgt entschieden hatte:

BSG, Urteil vom 23.03.2010 – B 8 SO 24/08 R –
Leben alte Menschen in einer etwas zu teuren, vom Sozialamt bezahlten Wohnung, können sie nicht generell zum Umzug aufgefordert werden.

Denn der Aktivitätsradius älterer Menschen verringert sich erfahrungsgemäß, sodass Wohnung und Wohnumgebung für das körperliche und psychische Wohl des alten Menschen immer mehr an Bedeutung gewinnen (Zweiter Bericht zur Lage der älteren Generation in der Bundesrepublik Deutschland: Wohnen im Alter, 1998, BT-Drucks 13/9750, S 17).

Da der Alterungsprozess mit einer Abnahme der Anpassungsfähigkeit und einer Zunahme der Anfälligkeit für Erkrankungen einhergeht, sind ältere Menschen typisierend immobiler als der Durchschnitt der Bevölkerung (Bundesaltenbericht 1998, S 93 und 198).

Diesen soziologischen Erkenntnissen muss auch die Prüfung der (subjektiven) Zumutbarkeit eines Umzugs in eine andere Wohnung (grundsätzlich) gerecht werden.

Allerdings gilt dies nicht uneingeschränkt und ohne Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.

Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit eines Umzugs zur Senkung der Kosten der Unterkunft älterer Menschen bei der Gewährung von Grundsicherung im Alter ist deren Recht auf Verbleib in ihrem langjährig vertrauten sozialen Umfeld in besonderer Weise Rechnung zu tragen, so das BSG mit Urteil vom 23.03.2010 – B 8 SO 24/08 R – für Unterkunftskosten bei Älteren Menschen in der Grundsicherung 4. Kapitel SGB XII.

Was gilt beim Bürgergeld
Auch hier ist eine lange Wohndauer kein Grund, welcher den Umzug unzumutbar machen könnte im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts.

Schließlich sind auch die Wohndauer, das Alter der Kläger und auch der Verbleib im sozialen Umfeld keine ausschlaggebenden Gründe (vgl. BSG, Urteil vom 13. April 2011 – B 14 AS 32/09 R –), die einem Umzug entgegenstehen können.

Das “Aufrechterhalten des sozialen Umfeldes”, eine “affektive Bindung” an einen bestimmten Stadtteil oder ein Alter von z.B. 56 Jahren stehen einem Umzug – nicht entgegen (BSG, Urteil vom13. April 2011 – B 14 AS 106/10 R – und BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R –).

Gegen die konkrete Angemessenheit des niedrigeren, abstrakt angemessenen Unterkunftsbedarfs und die Zumutbarkeit von Kostensenkungsmaßnahmen können Gründe sprechen, die auch einem Umzug entgegenstehen wie Krankheit, Behinderung, Pflegebedürftigkeit, Rücksichtnahme auf schulpflichtige Kinder, Alleinerziehung (BSG vom 19.2.2009 – B 4 AS 30/08 R – und BSG, Urteil vom 16.04.2013 – B 14 AS 28/12 R -).

5. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG

5.1 – LSG Bayern, Beschluss v. 10.03.2025 – L 11 AY 58/24 B ER –

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
Leistungseinschränkung gemäß § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG im Einzelfall bei Schutzgewährung durch anderen Mitgliedstaat ist ohne Vorliegen weiterer ungeschriebener Tatbestandsmerkmale (hier. Zumutbarkeit der Rückkehr in den schutzgewährenden Mitgliedstaat) nicht verfassungswidrig und verstößt bei rechtsmissbräuchlicher Einreise mangels Antragstellereigenschaft wohl auch nicht gegen Unionsrecht.

5.2 – SG Karlsruhe, Beschluss v. 31.03.2025 – S 12 AY 706/25 ER – www.sozialgerichtsbarkeit.de

Karlsruher Richter verurteilt Asylbewerberleistungs- Behörde – Vorwurf der Bereicherung auf Kosten Dritter – Wahnsinns – Entscheidung – Meine Hochachtung vor diesem Richter

1. Zum Einzelfall, dass anlässlich eines Rundschreibens des Ministeriums der Justiz und für Migration Baden-Württemberg die für geflüchtete Menschen örtlich zuständige untere Aufnahmebehörde zur Senkung amtlicher Ausgaben für einen Flüchtling diesen absichtlich betrügt, damit er anstelle der auf Kosten des Bundeslandes nach dem AsylbLG zu gewährenden „Leistungen bei Krankheit“ die sog. „obligatorische Anschlussversicherung“ nach dem SGB V auf Kosten der gesetzlichen Krankenkasse wählt, obschon hierdurch der Geflüchtete selbst in eine Beitragsschuldenfalle gerät und das Vermögen der Versichertengemeinschaft der gewählten gesetzlichen Krankenkasse durch den insolventen Beitragsschuldner geschädigt wird.

2. Eine treuwidrig handelnde Behörde ist an ihre – absichtlich unvollständig erteilten schriftlichen Auskünfte ebenso gebunden, wie sie an eine rechtsverbindlich erklärte Zusicherung gebunden wäre, wenn sich die Behörde mittels irreführender Auskünfte in betrügerischer Weise von Amts wegen bereichern wollte und hierbei das Vermögen Dritter bewusst schädigen sowie den durch sie getäuschten Menschen in wirtschaftliche Überschuldungsnot bringen wollte.

3. Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Der Betrag von 3,50 € deckt im Jahr 2025 offenkundig nicht das tägliche Existenzminimum eines volljährigen alleinstehenden Menschen in der Bundesrepublik Deutschland.

2. Menschen auf der Flucht können nach § 6 Abs. 1 AsylbLG sonstige Leistungen von den Trägern der Asylbewerberleistungsverwaltung beanspruchen, solange sie auf die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge über ihren Asylantrag warten müssen und im Einzelfall ob des Endes ihrer sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung in der obligatorischen Anschlussversicherung den Mindestbeitragspflichten zur gesetzlichen Krankenversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V bzw. der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 3 SGB XI unterliegen.

3. An zwar nicht rechtsverbindlich erklärte, aber im Wege unvollständiger Initiativ-Auskünfte gleichwohl insinuierte Zusagen ist eine Behörde nach Treu und Glauben gebunden, wenn sie sich durch ihre betrügerische Vorgehensweise gezielt von Amts wegen bereichern, das Vermögen Dritter schädigen und den Getäuschten in wirtschaftliche Not bringen will.

4. Die Bindung an Recht und Gesetz steht ebenso wenig zur freien Disposition der in Baden-Württemberg vor ihrer Verfolgung im Heimatland Zuflucht suchenden Menschen wie den für ihre Aufnahme zuständigen Behörden einschließlich des ihnen übergeordneten Ministeriums für Justiz und Migration.

Praxistipp
Siehe auch dazu Anmerkung vom Verfahrensbevollmächtigten RA Sven, Adam:

Das Sozialgericht Karlsruhe hat mit Beschluss vom 31.03.2025 zu dem Az.: S 12 AY 706/25 ER in einem Eilverfahren gerichtet auf eine einstweilige Anordnung das Land Baden-Württemberg vertreten durch das Landratsamt Rastatt vorläufig verpflichtet, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der obligatorischen Anschlussversicherung nach § 6 AsylbLG zu übernehmen.

6. Verschiedenes zum Bürgergeld, Sozialhilfe, Wohngeld und anderen Gesetzesbüchern

6.1 – LSG Bayern, Kostenbeschluss v. 25.02.2025 – L 12 RF 23/24 –

Deutschlandticket für die Fahrt zum Gerichtstermin muss erstattet werden, wenn es geringere Kosten verursacht als ein Einzelfahrschein. Der Ast steht ein Anspruch auf Erstattung von Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 54,60 Euro nach § 5 JVEG zu.

Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
Teurere Wochen- bzw. Monatskarten sind regelmäßig für die Wahrnehmung von gerichtlichen Terminen nicht objektiv erforderlich. Auch eine anteilige Erstattung der Kosten bzw. eine Erstattung der fiktiven Kosten eines Einzelfahrscheins ist insofern nicht möglich.

Eine vollständige oder teilweise Erstattung der Kosten für ein Deutschlandticket, das regelmäßig zur Verfügung steht (Abonnement, Erwerb bereits für eine andere Fahrt), kommt nicht in Betracht.

Etwas anderes gilt aber, wenn das Deutschlandticket für die Fahrt zum Gerichtstermin erworben worden ist, weil es geringere Kosten verursacht als ein Einzelfahrschein.

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Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker


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