BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
xxx,
– Antragsteller –
Prozessbevollmächtigte/r:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55,
37073 Göttingen
gegen
Land Rheinland-Pfalz,
vertreten durch die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion,
Willy-Brandt-Platz 3,
54290 Trier
– Antragsgegner –
hat die 15. Kammer des Sozialgerichts Speyer am 7. Mai 2025 durch den
Richter am Sozialgericht xxx
beschlossen:
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab dem 16.04.2025 bis zum 30.09.2025 vorläufig uneingeschränkte Leistungen nach § 3 AsylbLG zu erbringen, längstens jedoch bis zum Eintritt der Bestandskraft einer Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 14.04.2025 oder bis zur Ausreise des Antragstellers aus dem Bundesgebiet.
2. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
3. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt Sven Adam ab Antragstellung beigeordnet.
GRÜNDE
Der auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gerichtete Antrag ist zulässig und begründet.
1. Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Antrag ist insbesondere statthaft, weil es sich bei dem Rechtsstreit in der Hauptsache nicht um eine reine Anfechtungssituation handelt. Der Antragsteller begehrt die Gewährung von höheren Leistungen.
Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Wegen des vorläufigen Charakters einer einstweiligen Anordnung soll durch sie eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Bei seiner Entscheidung kann das Gericht sowohl eine Folgenabwägung vornehmen als auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dann dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 596/05 – alle Entscheidungen zitiert nach Juris). Handelt es sich – wie hier – um Leistungen nach dem AsylbLG, die der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen und damit das Existenzminimum absichern, muss die überragende Bedeutung dieser Leistungen für den Empfänger mit der Folge beachtet werden, dass ihm im Zweifel die Leistungen aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig zu gewähren sind.
2. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Widerspruch des Antragstellers hat in der Hauptsache eine hohe Erfolgsaussicht. Die Einstellung der Gewährung regulärer Leistungen nach § 3 AsylbLG ist aller Voraussicht nach rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten. Dieser hat vielmehr voraussichtlich einen Anspruch auf diese Leistungen.
2.1 Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand sind die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anspruchseinschränkung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG in der seit dem 31.10.2024 geltenden Fassung zwar möglicherweise erfüllt.
2.2 Der Widerspruch des Antragstellers hat aber bereits deshalb eine hohe Erfolgsaussicht, weil der Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG nach der Rechtsauffassung u.a. der erkennenden Kammer gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (grundlegend BVerfG, Urteile vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – und vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -; alle Entscheidungen zitiert nach juris) verstößt. Die Verfassungswidrigkeit der Regelung würde in einem Hauptsacheverfahren dazu führen, dass das Gericht insoweit eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 GG einholen müsste.
Das dem BVerfG vorbehaltene Verwerfungsmonopol hat zwar zur Folge, dass ein Gericht Folgerungen aus der von ihm angenommenen Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes im Hauptsacheverfahren erst nach deren Feststellung durch das BVerfG ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird (BVerfG, Beschluss vom 24.06.1992 – 1 BvR 1028/91 –, Rn. 29).
Prozessrechtlich ergibt sich die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Verfassungswidrigkeit einer Rechtsvorschrift bei der (vorläufigen) Prüfung des Bestehens einer Ermächtigungsgrundlage für einen belastenden Verwaltungsakt im Rahmen des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG. Für den Fall, dass die Ermächtigungsgrundlage verfassungswidrig ist, hätte das BVerfG diese im Rahmen eines konkreten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG im Hauptsacheverfahren für nichtig zu erklären. Die Nichtigkeit der Ermächtigungsgrundlage hätte offensichtlich die Rechtswidrigkeit eines hierauf beruhenden Verwaltungsaktes zur Folge.
2.2 Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (zur dogmatischen Herleitung und näheren Konkretisierung vgl. Vorlagebeschluss des SG Mainz vom 18.04.2016 – S 3 AS 149/16 – zu § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F.) lediglich drei Anspruchsvoraussetzungen: Der Grundrechtsträger muss erstens ein Mensch sein, also eine natürliche Person. Es sind ausnahmslos alle Menschen gleich welcher Herkunft oder Staatsangehörigkeit erfasst (vgl. Kirchhof, NZS 2015, S. 4). Anspruchsberechtigte sind zweitens alle Menschen, die sich in Deutschland tatsächlich aufhalten (vgl. BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 – Rn. 63; Kirchhof, NZS 2015, S. 4; Kempny/Krüger, SGb 2013, S. 386; vgl. zum Territorialitätsprinzip auch Neumann, NVwZ 1995, S. 428). Drittens muss die betroffene Person tatsächlich hilfebedürftig sein (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.04.2016 – S 3 AS 149/16 –, Rn. 284 ff.).
Der Gesetzgeber hat durch ein formelles Gesetz eine Inhaltsbestimmung der Mindestanforderungen für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (d.h. des Existenznotwendigen) zu leisten. Denn die aus dem Demokratieprinzip folgende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers führt dazu, dass der Gesetzgeber sowohl auf einer ersten Ebene für die grundlegenden Wertentscheidungen hinsichtlich der für die Existenzsicherung erforderlichen Bedarfe zuständig ist, als auch für die Realisierung eines konkreten, auf existenzsichernde Leistungen gerichteten Anspruchs für jeden hilfebedürftigen Grundrechtsträger auf einer zweiten Ebene. Da nur der Gesetzgeber diese Gestaltungsaufgabe umsetzen kann, ist er hierzu auch verpflichtet – anders könnte das Grundrecht nicht realisiert werden (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.04.2016 – S 3 AS 149/16 –, Rn. 295 ff.).
Der konkrete Leistungsanspruch des hilfebedürftigen Grundrechtsträgers muss seinerseits in einem formellen Gesetz auf Grund eines verfassungsgemäß durchgeführten Gesetzgebungsverfahrens konstituiert werden (formell-gesetzlicher Anspruch; vgl. SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.04.2016 – S 3 AS 149/16 –, Rn. 312 ff.)
Der Leistungsanspruch muss durch den Gesetzestext selbst so hinreichend bestimmt sein, dass die Verwaltung eine Entscheidung über die Höhe des Anspruchs treffen kann, die die im Gesetzestext zum Ausdruck kommenden Wertentscheidungen des Gesetzgebers nachvollziehbar berücksichtigt (hinreichende Bestimmtheit; konkreter Anspruch). Dies schließt sowohl die Verwendung zu unbestimmter Rechtsbegriffe (vgl. bereits SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 252 ff.) als auch die Einräumung von Ermessen gegenüber der zuständigen Stelle über den Inhalt (bei Geldleistungen: die Höhe) der Leistungsgewährung im Kernbereich der Existenzsicherung aus. In den Worten des BVerfG betrifft dieser Aspekt die Pflicht des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 136; vgl. SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.04.2016 – S 3 AS 149/16 –, Rn. 315 ff.).
Die konkreten und hinreichend bestimmten Leistungsansprüche müssen zudem am Maßstab der gesetzlichen Inhaltsbestimmung des Existenznotwendigen im Ergebnis zu rechtfertigen sein (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.04.2016 – S 3 AS 149/16 –, Rn. 334 ff.).
Sofern einer bestimmten Gruppe von Grundrechtsträgern durch den Gesetzgeber kein die soeben geschilderten Mindestanforderungen erfüllender Anspruch auf existenzsichernde Leistungen eingeräumt wird, besteht ein verfassungswidriger Zustand (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.04.2016 – S 3 AS 149/16 –, Rn. 337 ff.).
2.3 Das Vorstehende zu Grunde gelegt, verstößt der Anspruchsausschluss des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG in der seit dem 31.10.2024 geltenden Fassung gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. auch Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 1 AsylbLG (Stand: 23.12.2024), Rn. 54).
Die Vorschrift ist zur Überzeugung der Kammer schon deshalb verfassungswidrig, weil nach Ablauf der Überbrückungsleistungen nach § 1 Abs. 4 Satz 2 AsylbLG selbst das physische Existenzminimum bei dem betroffenen Personenkreis nicht gesichert ist. Die Härtefallregelung des § 1 Abs. 4 Satz 6 AsylbLG, die die Erbringung solcher Leistungen ermöglicht, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht. Denn diese Regelung besteht auf der Tatbestandsseite aus maximal unbestimmten Rechtsbegriffen („Soweit dies im Einzelfall besondere Umstände erfordern, (…)“ bzw. „(…) soweit dies im Einzelfall auf Grund besonderer Umstände zur Überwindung einer besonderen Härte und zur Deckung einer zeitlich befristeten Bedarfslage geboten ist“). Die Verwendung zu unbestimmter Rechtsbegriffe (vgl. bereits SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 12.12.2014 – S 3 AS 130/14 – Rn. 252 ff.) verstößt gegen die Verpflichtung des Gesetzgebers, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 136; vgl. SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.04.2016 – S 3 AS 149/16 –, Rn. 315 ff.) und diese nicht der Verwaltung und ggf. einem nachfolgenden Gerichtsverfahren zu überlassen.
Das verfassungsrechtliche Prinzip, dass die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Bestimmungen durch den parlamentarischen Gesetzgeber getroffen werden müssen („Wesentlichkeitstheorie“), wird im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf zweierlei Weise aufgerufen. Einerseits bewirkt bereits die dogmatische Qualifikation des Rechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Grundrecht, dass das Wesentlichkeitsprinzip berücksichtigt werden muss (vgl. Konzak, NVwZ 1997, S. 873). Andererseits bedingt die Besonderheit der Qualifikation als „Gewährleistungsrecht“, dass das Grundrecht erst durch Erfüllung des gesetzgeberischen Gestaltungsauftrags zur Entfaltung kommen kann. Sowohl die Grundrechtsqualität als auch die Konstituierung des Anspruchs auf Existenzsicherung als Gewährleistungsrecht prägen mithin die „Eigenart des zu ordnenden Lebenssachverhalts mit Rücksicht auf den Normzweck“ und bestimmen die „Intensität der Einwirkungen auf die Regelungsadressaten“ (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 – 1 BvR 2307/94 u.a. – Rn. 325) in dem Sinne, dass der Gesetzgeber die Regelungen zur Sicherung des Existenzminimums möglichst präzise ausgestalten und hierdurch eine möglichst effektive Bindung der Verwaltung an die gesetzgeberischen Grundentscheidungen ermöglichen muss (SG Mainz, Vorlagebeschluss vom 18.04.2016 – S 3 AS 149/16 –, Rn. 325).
Wann die Voraussetzung der hinreichenden Bestimmtheit (bzw. Bestimmbarkeit) erfüllt ist, lässt sich nicht abstrakt festlegen, da Gesetzestext, Interpretationskultur und rechtsstaatliches Verfahren – abgesehen von Fällen numerischer Exaktheit – niemals eine vollständige Determination der Fallentscheidung ermöglichen (Müller/Christensen, Juristische Methodik, 10. Auflage 2009, S. 195). Gesetzesbegriffe sind in diesem Sinne also immer unbestimmt. Hieraus folgt, dass die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Gesetzes nicht losgelöst von dessen Funktion betrachtet werden können und Maßstab für die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur ein der Regelungsmaterie angemessener Grad von Bestimmbarkeit sein kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – Rn. 101). Dass dieser Grad der Bestimmbarkeit bei der gesetzlichen Ausgestaltung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums besonders hoch sein muss, ergibt sich zum einen aus der Grundrechte verwirklichenden Funktion des Gesetzes (Stölting, SGb 2013, S. 545), zum anderen und wesentlich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber die politische Transformation der „gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche“ (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a. – Rn. 138) überhaupt erst vollziehen muss, um seiner Gestaltungsverpflichtung nachzukommen.
Mit der Regelung des § 1 Abs. 4 Satz 6 AsylbLG überlässt der Gesetzgeber die Entscheidung über das „ob“ der Leistungserbringung für den vom Anspruchsausschluss betroffenen Personenkreis – neben dem vollständigen Ausschluss soziokultureller Bedarfe – hinsichtlich weiterer Bedarfe des Existenzminimums durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe praktisch im Wesentlichen der Verwaltung und den Gerichten. Zugleich bringt er mit der Schaffung eines vollständigen Leistungsausschlusses mit Ausnahmeregelung deutlich zum Ausdruck, dass der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums im Regelfall gerade nicht nachgekommen werden soll.
Die Anspruchseinschränkung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG ist daher zur Überzeugung der Kammer verfassungswidrig, weil sie ohne genügende Kompensationsmöglichkeit durch einen hinreichend bestimmten, konkreten gesetzlichen Leistungsanspruch bestimmte Gruppen von im verfassungsrechtlichen Sinne hilfebedürftigen Grundrechtsträgern mit tatsächlichem Aufenthalt im Inland von der Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ausschließt.
2.4 Es ist deshalb bei vorläufiger verfassungsrechtlicher Würdigung davon auszugehen, dass die Ermächtigungsgrundlage für die Leistungseinschränkung keinen Bestand haben und die Einstellung bzw. Ablehnung der Gewährung regulärer Leistungen nach § 3 AsylbLG sich als rechtswidrig erweisen wird. Der Antragsteller hat bei Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit der Regelung des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG einen Anspruch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG.
2.5 Zum gleichen (vorläufigen) Ergebnis müsste eine verfassungskonforme Auslegung des § 1 Abs. 4 Satz 6 AsylbLG führen, sofern hierdurch sichergestellt werden könnte, dass jede sich in Deutschland tatsächlich aufhaltende Person im Falle ihrer Bedürftigkeit einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen hat.
2.6 Offen bleiben kann vor diesem Hintergrund, ob die Regelung des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG auch europarechtswidrig ist (vgl. auch insoweit Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 1 AsylbLG (Stand: 23.12.2024), Rn. 54). Dies könnte entweder mit einer europarechtskonformen Auslegung des § 1 Abs. 4 Satz 6 AsylbLG vermieden, durch einen Anwendungsvorrang von EU-Recht durchbrochen oder mittels Vorlageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof geklärt werden. Alle genannten Möglichkeiten würden zur Überzeugung der Kammer jedoch im Ergebnis dazu führen, dass der Leistungsausschluss des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG im Falle des Antragstellers nicht zur Anwendung kommen kann und diesem existenzsichernde Leistungen zu gewähren sind.
3. Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Da es sich bei den begehrten Leistungen um Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums handelt, ist von Eilbedürftigkeit auszugehen. Der weit überwiegende Teil der zu gewährenden Leistungen ist für die jeweils aktuelle Bedarfsdeckung gedacht und wird hierzu auch benötigt. Das Zuwarten auf eine Entscheidung in der Hauptsache ist daher nicht zumutbar.
Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Antragsgegner in Anerkennung der verfassungs- und europarechtlichen Fragwürdigkeit der Regelung tatsächlich in bestimmtem, jedoch eingeschränktem Maße Leistungen erbringt. Im Fall der Verfassungswidrigkeit der zu Grunde liegenden Regelung bestünde für eine differenziertere Leistungseinschränkungsmöglichkeit ebenfalls keine Rechtsgrundlage. Es bestünde mangels ausreichender gesetzlicher Maßstabsbildung keine Gewähr dafür, dass der Antragsteller mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Leistungen ein menschenwürdiges Existenzminimum tatsächlich decken kann. Darüber hinaus könnten die lediglich faktisch gewährten Leistungen ohne Änderung der Rechts- und Sachlage jederzeit eingestellt werden.
4. An der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sind Fachgerichte für den Fall, dass sie die angegriffene Regelung für verfassungswidrig erachten, nicht dadurch gehindert, dass sie über die Frage der Verfassungswidrigkeit nicht selbst entscheiden könnten, sondern insoweit die Entscheidung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG einholen müssten. Das dem BVerfG vorbehaltene Verwerfungsmonopol hat zwar zur Folge, dass ein Gericht Folgerungen aus der von ihm angenommenen Verfassungswidrigkeit eines formellen Gesetzes im Hauptsacheverfahren erst nach deren Feststellung durch das BVerfG ziehen darf. Die Fachgerichte sind jedoch durch Art. 100 Abs. 1 GG nicht gehindert, schon vor der ggf. im Hauptsacheverfahren einzuholenden Entscheidung des BVerfG auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren, wenn dies nach den Umständen des Falles im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes geboten erscheint und die Hauptsacheentscheidung dadurch nicht vorweggenommen wird (BVerfG, Beschluss vom 24.06.1992 – 1 BvR 1028/91 –, Rn. 29). Prozessrechtlich ergibt sich die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Verfassungswidrigkeit einer Rechtsvorschrift bei der Prüfung des Erlasses einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG aus dem Umstand, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu bewerten sind. Dies schließt die Möglichkeit der Durchführung eines konkreten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG im Hauptsacheverfahren und dessen Erfolgsaussichten mit ein (SG Speyer, Beschluss vom 17.08.2017 – S 16 AS 908/17 ER –, Rn. 75).
Hierbei geht es nicht um die Ableitung konkreter Leistungsansprüche unmittelbar aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (dies ablehnend: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2017 – L 19 AS 190/17 B ER –, Rn. 47), sondern um die Verpflichtung zur vorläufigen Erfüllung einfachgesetzlich geregelter Leistungsansprüche unter einstweiliger Nichtanwendung einer Beschränkung bzw. einer Ausschlussregelung in der begründeten Erwartung, dass diese durch das BVerfG im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens mit Bindungswirkung auch für das vorliegende Hauptsacheverfahren für verfassungswidrig erklärt wird (vgl. SG Speyer, Beschluss vom 17.08.2017 – S 16 AS 908/17 ER –, Rn. 76).
Der Antragsgegner war daher zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach § 3 AsylbLG zu verpflichten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG. Der Antragsteller hat durch seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe schlüssig zum Ausdruck gebracht, dass er auch einen Antrag auf Erstattung seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten durch die Antragsgegnerin stellt.
Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.