BESCHLUSS
L 8 AY 18/25 B
S 5 AY 6/25 ER Sozialgericht Stade
In dem Beschwerdeverfahren
xxx,
– Antragsteller und Beschwerdeführer –
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen
gegen
Landkreis Stade,
vertreten durch den Landrat,
Am Sande 2, 21682 Stade
– Antragsgegner –
hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 2. Juni 2025 in Celle durch den Richter xxx, die Richterin xxx und den Richter xxx beschlossen:
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 29. April 2025, soweit durch diesen der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt worden ist, aufgehoben.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche einstweilige Rechtsschutzverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt Adam, Göttingen, bewilligt. Ratenzahlung wird nicht angeordnet.
Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
GRÜNDE
Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§ 172 Abs. 3 Nr. 2 lit. b SGG i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde des Antragstellers gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Verfahren ist begründet. Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von PKH zur Durchführung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens betreffend die Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG für die Zeit von März bis August 2025 durch Bescheid des Antragsgegners vom 5.3.2025 zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten sind alle Umstände zu berücksichtigen (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 73a Rn. 7). Bei der Beurteilung, ob eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, muss der verfassungsrechtliche Rahmen berücksichtigt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das PKH-Verfahren vorzuverlagern, die Anforderungen an die Erfolgsaussichten dürfen deswegen nicht überzogen werden. Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist es im Hinblick auf den Rechtsstaatsgrundsatz daher ausreichend, dass eine hinreichende Erfolgsaussicht für den Rechtsstreit besteht, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss. Prozesskostenhilfe darf daher nur verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache fernliegend ist (BVerfG, Beschluss vom 7.4.2000 – 1 BvR 81/00 – juris Rn. 15). Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen, wenn für den Antragsteller eine nicht fernliegende Möglichkeit besteht, sein Rechtsschutzziel durch Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes durchzusetzen. Hierfür ist es ausreichend, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen nach summarischer Prüfung für zutreffend oder zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung ausgeht (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 73a Rn. 7a m.w.N.). Eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit genügt (B. Schmidt, a.a.O., § 73a Rn. 7). Hält das Gericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder eine andere Beweiserhebung von Amts wegen für notwendig, so kann in der Regel eine Erfolgsaussicht nicht verneint werden (BVerfG, Beschluss vom 29.9.2004 – 1 BvR 1281/04 – juris Rn. 14). Streiten die Beteiligten über klärungsbedürftige schwierige Rechtsfragen, liegt hinreichende Erfolgsaussicht vor, weil die Klärung der schwierigen Rechtsfragen dem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist (BVerfG, Beschluss vom 14.2.2017 – 1 BvR 2507/16 – juris Rn. 13, 19). Auch bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Regelung ist PKH wegen hinreichender Erfolgsaussicht zu gewähren (Gall in jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 73a Rn. 46 m.w.N.).
Nach diesen Maßgaben kann der Rechtsverfolgung in erster Instanz nicht von vornherein ihre Erfolgsaussicht abgesprochen werden. Sie ist auch nicht mutwillig (gewesen).
Gegenstand des Verfahrens ist die vom Antragsteller in statthafter Weise beantragte einstweilige Anordnung (§ 86b Abs. 2 SGG) gewesen, mit dem der Antragsgegner verpflichtet werden sollte, vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 10.3.2025 (gegen den Bescheid vom 5.3.2025) ungekürzte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG zu bewilligen.
Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Das Bestehen eines Anordnungsanspruches auf vorläufig höhere Leistungen, als durch den Bescheid des Antragsgegners vom 5.3.2025 bewilligt, ist (auch) im erstinstanzlichen Verfahren nicht ausgeschlossen oder gar fernliegend gewesen.
Bei der Prüfung, ob bei dem Antragsteller wegen einer unzureichenden Mitwirkung im aufenthaltsrechtlichen Verfahren eine Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG eingreift, stellen sich – die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm unterstellt – aus verfassungsrechtlichen Gründen schwierige Rechtsfragen (vgl. hierzu bereits den Senatsbeschluss vom 4.12.2019 – L 8 AY 36/19 B ER – juris), die nach den o.g. Maßstäben für sich genommen bereits hinreichende Erfolgsaussichten für eine PKH-Bewilligung bedingen. Ob die (einheitlichen) Rechtsfolgen bei Anspruchseinschränkungen gemäß § 1a Abs. 1 AsylbLG (vgl. hier den Rechtsfolgenverweis aus § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG) mit dem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) zu vereinbaren sind, ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten und noch nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. dazu etwa Sächsisches LSG, Beschluss vom 16.12.2021 – L 8 AY 8/21 B ER – juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8.11.2024 – L 20 AY 16/24 B ER – juris; Oppermann in jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. 2024, § 1a AsylbLG Rn. 241 ff. m.w.N.; Hohm in GK-AsylbLG, 105. Lfg., Januar 2025, § 1a Rn. 560 ff.).
Das Vorliegen und die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes sind ebenfalls möglich und nicht ausgeschlossen (gewesen). Bei einem Bezug von auf der Grundlage des § 1a AsylbLG gekürzten Leistungen ergibt sich ein Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung auf Erbringung von Leistungen gemäß § 3 AsylbLG regelmäßig bereits aus der Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit durch die Beschränkung der Leistungen auf das unabweisbar notwendige (vgl. hierzu Oppermann in jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. 2024, § 1a AsylbLG Rn. 255).
Dem Antragsteller ist es nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zuzumuten, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, auch nicht zum Teil oder in Raten.
Die Beiordnung des Rechtsanwaltes beruht auf § 73a SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.