Sozialgericht Fulda – Beschluss vom 04.06.2025 – Az.: S 7 AY 8/25 ER

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

1. xxx,

– Antragsteller –

2. xxx,

– Antragsteller –

Prozessbevollm.:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen,

gegen

Landkreis Fulda,
vertreten durch den Kreisausschuss,
Fachdienst 5300 Zentraler Fachbereichsservice,
Robert-Kircher-Straße 24, 36037 Fulda,

Antragsgegner,

hat die 7. Kammer des Sozialgerichts Fulda am 4. Juni 2025 durch den Richter am Sozialgericht xxx beschlossen:

1. Die aufschiebende Wirkung des am 04.05.2025 erhobenen Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.04.2025 wird angeordnet.

2. Der Antragsgegner hat den Antragstellern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

3. Den Antragstellern wird unter Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt Adam in Göttingen Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für den ersten Rechtszug mit Wirkung ab 04.05.2025 bewilligt. Die Beiordnung erfolgt zu den Bedingungen eines im Bezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts.

GRÜNDE

Mit dem vorliegenden Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes begehren die Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres am 04.05.2025 erhobenen Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.04.2025. Dieser Antrag ist gemäß § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Bescheid des Antragsgegners vom 24.04.2025, mit welchem der Erstbescheid vom 27.08.2024 hinsichtlich der Leistungshöhe ab 01.05.2025 zurückgenommen und die monatlichen Leistungen für den Zeitraum vom 01.05.2025 bis 31.08.2025 gemäß § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG neu festgesetzt wurden, stellt einen Verwaltungsakt dar, mit dem eine Leistung nach dem AsylbLG teilweise entzogen wurde und gegen den Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG keine aufschiebende Wirkung haben.

Der Antrag ist daneben auch begründet.

Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Entscheidungserheblich für die Frage, ob ein Antrag nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG Erfolg hat, ist, ob im Rahmen einer offenen Interessenabwägung einem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes Vorrang gegenüber schützenswerten Interessen des Adressaten einzuräumen ist. Sind Widerspruch oder Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist in den Fällen des § 86a Abs. 2 Nr. 2 – 4 SGG der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ohne weitere Interessenabwägung grundsätzlich abzulehnen, weil der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes kein schützenswertes Interesse des Bescheidadressaten entgegenstehen kann. Sind dagegen Widerspruch und Klage in der Hauptsache offensichtlich zulässig und begründet, ist dem Antrag stattzugeben, weil dann kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit besteht. Sind die Erfolgsaussichten nicht abschätzbar, bleibt eine allgemeine Interessenabwägung, wobei der Grad der Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen ist. Es gilt der Grundsatz: Je größer die Erfolgsaussichten sind, umso geringer sind die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme wirkt. Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die Eilentscheidung nicht erginge, die Klage aber später Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte Eilentscheidung erlassen würde, der Klage aber der Erfolg zu versagen wäre. Dabei darf in die Abwägung einfließen, dass der Gesetzgeber für den Regelfall die sofortige Vollziehung vorgesehen hat, solange das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers unter Beachtung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG berücksichtigt bleibt, insbesondere mit einer sofortigen Vollziehung keine schwere, unzumutbare Härte für ihn verbunden ist. (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 86b, Rn. 12 f, 12c, 2a).

Hieran gemessen war dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.04.2025 zu entsprechen, weil sich dieser Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.04.2025 nahm der Antragsgegner den Erstbescheid vom 27.08.2024 hinsichtlich der Leistungshöhe ab 01.05.2025 zurück und setzte die den Antragstellern gewährten Leistungen für den Zeitraum 01.05.2025 bis 31.08.2025 neu fest. Der Antragsgegner ist insoweit der Auffassung, dass die Leistungsbewilligung gemäß Bescheid vom 27.08.2024 von Anfang an rechtswidrig war, da vorliegend die Voraussetzungen für eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 S. 2 AsylbLG einschlägig seien. Ob dies tatsächlich der Fall ist, kann im Ergebnis dahinstehen, da die Voraussetzungen für eine Anspruchseinschränkung über den 30.04.2025 hinaus nicht vorliegen.

Gemäß § 14 Abs. 1 AsylbLG sind die Anspruchseinschränkungen nach diesem Gesetz auf sechs Monate zu befristen. Eine solche sechsmonatige Anspruchseinschränkung verfügte der Antragsgegner bereits mit Bescheid vom 10.10.2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.01.2025, welcher Gegenstand des Klageverfahrens mit dem Aktenzeichen S 7 AY 1/25 ist, für den Zeitraum 01.11.2024 bis 30.04.2025. Gemäß § 14 Abs. 2 AsylbLG ist zwar die Anspruchseinschränkung bei fortbestehender Pflichtverletzung im Anschluss fortzusetzen, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiterhin erfüllt werden. Eine solche Pflichtverletzung liegt hier allerdings nicht vor. Denn der gesetzliche Hintergrund der Leistungskürzung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG liegt nicht in einem konkreten Fehlverhalten der Leistungsberechtigten, sondern darin, dass diese Personen dem europäischen Asylregime oder einem drittstaatsbezogenen Schutzregime unterworfen sind und sich in Deutschland aufhalten. Sanktioniert wird eine asyl- bzw. ausländerrechtliche Lage, die einer unerwünschten europäischen Sekundärmigration entgegentreten soll (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. August 2018 – L 8 AY 2/18 B ER –, juris, Rn. 19; Oppermann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 1a AsylbLG (Stand: 14.01.2025)) und damit keine Pflichtverletzung des Leistungsberechtigten. In Konstellationen wie der vorliegenden kommt folglich eine Anspruchseinschränkung über den Sechsmonatszeitraum des § 14 Abs. 1 AsylbLG hinaus nicht in Betracht.

Da der angefochtene Bescheid vom 24.04.2025 dementsprechend offensichtlich rechtswidrig ist, war dem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu entsprechen und die aufschiebende Wirkung des am 04.05.2025 erhobenen Widerspruchs anzuordnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Den Antragstellern war Prozesskostenhilfe zu bewilligen, da diese nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung auch nicht ratenweise aufbringen können. Das Begehren bietet im Übrigen hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint auch nicht mutwillig §§ 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung (ZPO). Eine anwaltliche Vertretung ist erforderlich §§ 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG), 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).

Aus § 121 Abs. 3 ZPO ergibt sich, dass ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt grundsätzlich nur beigeordnet werden kann, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen. Da besondere Umstände, welche ausnahmsweise für die Beiordnung eines auswärtigen Anwalts sprechen, nicht ersichtlich sind, kann eine Beiordnung des auswärtigen Anwalts vorliegend nur zu den Bedingungen eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwalts erfolgen (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 14. Auflage 2023, § 73a, Rn. 9c m.w.N.).

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.