1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Sozialhilfe (SGB XII) und zum SGB II
1.1 – BSG, Urt. v. 28.05.2025 – B 8 SO 3/24 R
Sozialhilfe – Pflegeperson – Übernahme – Rentenversicherungsbeiträge
BSG: Bundessozialgericht gibt dem Antrag einer mittellosen und nach dem Grad 3 pflegebedürftigen Person auf Altersvorsorgebeiträge für eine sie pflegende Pflegeperson statt
Sozialhilfebedürftige Pflegebedürftige haben gegen das Sozialamt Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen zu einer angemessenen Alterssicherung der Pflegeperson
Mit Urteil vom 28.05.2025 hat das Bundessozialgericht wie folgt entschieden:
Der Senat hat darauf hingewiesen, dass ein Anspruch der Klägerin auf Grundlage seiner zu einer ähnlichen Fallkonstellation ergangenen Entscheidung vom 8. Mai 2025 (Aktenzeichen B 8 SO 4/23 R; Terminbericht Nummer 15/24) bestehen dürfte.
Dazu Detlef Brock ( gleichlautend B 8 SO 4/23 R)
1. Aufwendungen für Beiträge für eine angemessene Alterssicherung scheiden als Leistung der Hilfe zur Pflege aus, wenn bei prognostischer Beurteilung zu erwarten ist, dass die Pflegeperson Grundsicherung im Alter nicht wird in Anspruch nehmen müssen.
2. Bei der Prognoseentscheidung ist das Sicherungsniveau des Partners miteinzubeziehen.
3. Für die Berechnung der Höhe der Beiträge sind die Regelungen aus dem Recht der sozialen Pflegeversicherung entsprechend anzuwenden.
Quelle: www.bsg.bund.de
1.2 – BSG, Urteil v. 28.05.2025 – B 8 SO 2/24 R
Sozialhilfe – stationäre Hilfe zur Pflege – zusätzliche Betreuung und Aktivierung
Das Bundessozialgericht stärkt Rechte von Pflegeheimbewohnern, welche nicht in der sozialen Pflegeversicherung versichert sind
Das Bundessozialgericht in Kassel hat mit Urteil vom 28.05.2025 Az. B 8 SO 2/24 R einem Pflegeheimbewohner Leistungen der Hilfe zur Pflege für zusätzliche Betreuung und Aktivierung zugesprochen.
Dazu Detlef Brock
1. Nach Aussage des BSG beinhalten die Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII auch diejenigen pflegerischen Betreuungsmaßnahmen, die die Pflegeeinrichtung als zusätzliche Betreuung und Aktivierung anbiete.
2. Denn Leistungen für zusätzliche Betreuung und Aktivierung, die für pflegeversicherte Personen über § 43b SGB XI als Leistungen der Pflegeversicherung erbracht werden, sind als Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 65 iVm § 64b Abs 2 SGB XII auch für Personen zu erbringen, die nicht in der sozialen Pflegeversicherung versichert sind.
3. Weiterhin führt das BSG aus, dass der Anspruch auf Hilfe zur stationären Pflege entspricht nach dem Willen des Gesetzgebers, wie er im Zuge der Reformen der Sozialen Pflegeversicherung 2016 und 2017 zum Ausdruck gekommen ist, dem Inhalt des Anspruchs auf stationäre Pflege nach dem Recht der Sozialen Pflegeversicherung.
4. Seit 2017 werden mit dem erweiterten Verständnis von Pflegebedürftigkeit auch besondere Betreuungsleistungen erbracht, die zuvor nur für versicherte Pflegebedürftige erbracht wurden. Aus diesem Gleichlauf des Pflegebedürftigkeitsbegriffs folgt auch, dass Empfänger von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII dann einen Anspruch auf die zusätzlichen Betreuungs- und Aktivierungsleistungen haben, wenn die Pflegeeinrichtung sie anbietet.
5. Der beklagte Sozialhilfeträger kann hier seiner Leistungspflicht nicht entgegenhalten, dass er der Vergütungsvereinbarung zwischen der Beigeladenen und den Pflegekassen nicht beigetreten ist. Sein Einvernehmen wird im Verhältnis zum Leistungsberechtigten fingiert.
Quelle: www.bsg.bund.de
1.3 – BSG, Urt. v. 28.05.2025 – B 8 SO 9/24 R
Sozialhilfe – Eingliederungshilfe – Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft – Übernahme durch BAföG-Leistungen nicht gedeckter Unterkunftskosten
BSG: Unterkunftskosten für behinderte BAföG-Empfängerin als soziale Teilhabeleistung
Dazu Detlef Brock
1. Behinderte Studierende, die wegen des Bezugs von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz keinen Anspruch auf laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – oder dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – haben, können zuschussweise Eingliederungshilfeleistungen zur Deckung laufender Unterkunftskosten als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erhalten.
2. Der Anspruch auf einen Zuschuss beschränkt sich allerdings auf die Differenz zwischen den abstrakt angemessenen und den konkret angemessenen Unterkunftskosten.
Hinweis
Das BSG hatte mit Urteil vom 04.04.2019 – B 8 SO 12/17 R – inhaltsgleich entschieden und betonte damals, dass eine Wohnung nicht nur dem Schutz vor Witterungseinflüssen und der Sicherung des „Grundbedürfnisses des Wohnens“ dient, sondern grundsätzlich auch der sozialen Teilhabe, weil so eine gesellschaftliche Ausgrenzung vermieden wird.
Als Leistungen der Eingliederungshilfe sind Kosten der Unterkunft allerdings nicht notwendig und deshalb auch nicht zu übernehmen, wenn der Bedarf durch andere Sozialleistungen, auf die ein Anspruch besteht, abgedeckt werden kann.
Verbleibt aber ein ungedeckter Bedarf, weil allein behinderungsbedingt weitere Kosten für Wohnbedarf entstehen, die von Leistungen des Lebensunterhalts nicht vollständig erfasst werden, sind zur Sicherstellung einer gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen diese Kosten für Wohnraum zu erbringen.
Diese drücken sich in der Differenz zwischen Kosten der Unterkunft, wie sie für alle Bewohner im maßgeblichen Vergleichsraum (sozialhilferechtlich) als angemessen gelten (sogenannte abstrakte Angemessenheit) und den behinderungsbedingt konkret angemessenen Kosten aus.
Quelle: www.bsg.bund.de
1.4 – BSG, Urteil vom 04.06.2025 – B 7 AS 17/24 R –
Grundsicherung für Arbeitsuchende – Verjährung – Erstattungsforderung – 30jährige Verjährungsfrist – fruchtloser Pfändungsversuch – Verwaltungsakt
BSG: Verjährung von Erstattungsforderungen des Jobcenters in Höhe von rund 10.500 Euro
Die fruchtlose Pfändung ist – kein Durchsetzungsverwaltungsakt – im Sinne des § 52 SGB X
Dazu Detlef Brock
Das Bundessozialgericht gibt mit Urteil vom 04.06.2025 für Leistungsempfänger nach dem SGB II bekannt (Az. B 7 AS 17/24 R), dass
1. Die Forderungen unter Berücksichtigung der vierjährigen Verjährungsfrist des § 50 Absatz 4 Satz 1 SGB X, die infolge des fruchtlosen Pfändungsversuchs vom 9. Februar 2010 erneut zu laufen begonnen hat, seit dem 10. Februar 2014 verjährt sind.
Die 30-jährige Verjährungsfrist des § 52 Absatz 2 SGB X greift vorliegend nicht – so aber das Jobcenter
2. Denn anders als vom Jobcenter vertreten, beträgt die Verjährungsfrist nicht 30 Jahre (§ 52 Absatz 2 SGB X).
3. Es fehlt bereits an einem von § 52 Absatz 1 Satz 1 SGB X vorausgesetzten Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs des Jobcenters erlassen worden ist.
4. Insbesondere stellt die fruchtlose Pfändung vom 9. Februar 2010 keinen Verwaltungsakt dar, denn es fehlt an einer Regelung. Aus den Feststellungen des Landessozialgerichts im Übrigen ergibt sich auch nicht, dass im Rahmen dieses Pfändungsversuchs ein Verwaltungsakt des Vollziehungsbeamten ergangen wäre.
5. Die Niederschrift über den Pfändungsversuch ist lediglich eine Wissenserklärung. Auch ihr mangelt es daher an einer Regelungswirkung.
Quelle: www.bsg.bund.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung nach dem SGB II/ Bürgergeld
2.1 – LSG Hessen, Urt. v. 19.03.2025 – L 6 AS 111/23 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Darf das Jobcenter Eltern vorschreiben, wer das Elterngeld beantragt?
Nein, denn Jobcenter dürfen den Eltern nicht vorschreiben, wer die Elternzeit/Elterngeld beantragt.
LSG Hessen setzt die Hürde sehr hoch – Urteil mit Sprengkraft
Bürgergeld: Der Bezug von Elternzeit ist nicht sozialwidrig i. S. d. § 34 SGB II, auch wenn sie Hilfebedürftigkeit nach dem SGB 2 auslöst (Tacheles e. V.)
Dazu Detlef Brock
1. Was Anderes kann aber gelten, wenn die gezielte, nach außen erkennbare Verwendung der Elternzeit zu dieser Elternzeit fremden Zwecken (z.B. LKW-Fahrerausbildung in einem zeitlichen Umfang, der einen zeitlich überwiegenden Anteil an Kinderbetreuungszeit zwingend ausschließt), wenn sie zur Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II führt, sozialwidrig sein. Ein missbilliges Verhalten im Sinne des § 34 SGB 2 würde nach Ansicht des Gerichts erfordern, dass sich die Person, welche Elternzeit bezieht, nicht um das Kind kümmert.
2. Eine Erstattungspflicht kommt dann in Frage, wenn der Bezieher des Elterngeldes seine Erwerbstätigkeit missbräuchlich habe ruhen lassen – er sich also nicht vorrangig um seinen Säugling gekümmert habe.
Zu einem solchen Verhalten ist es aber nicht gekommen.
3.. Das bloße Faktum der Inanspruchnahme von Elternzeit und damit von Steuergeld in Form von Elterngeld plus Leistungen nach dem SGB II ist nicht sozialwidrig.
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Die Inanspruchnahme von Elternzeit als solche istist,cht sozialwidrig, auch wenn sie Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II auslöst.
2. Die gezielte, nach außen erkennbare Verwendung der Elternzeit zu dieser Elternzeit fremden Zwecken in einem zeitlichen Umfang, der einen zeitlich überwiegenden Anteil an Kinderbetreuungszeit zwingend ausschließt, dürfte, wenn sie zur Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II führt, sozialwidrig sein.
Praxistipp
1. Nach der Wissensdatenbank der Bundesagentur für Arbeit zu § 10 SGB II (WDB-Beitrags-Nr. 100006) – wonach die Tatbestände nach § 31 SGB II, so auch § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit § 10 SGB II (Weigerung, zumutbare Arbeit aufzunehmen), Anhaltspunkte für ein sozialwidriges Verhalten bieten könnten – seien die Eltern frei darin zu bestimmen, wer die Elternzeit nehme.
2. Weiterhin liege nach den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 34 SGB II ein wichtiger Grund regelmäßig vor, wenn das Verhalten durch andere gesetzliche Vorschriften gebilligt oder gefordert werde. Ausdrücklich benannt werde die Inanspruchnahme der Elternzeit nach § 15 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG).
Anmerkung von Detlef Brock
Diese Entscheidung sollte man sehr genau beachten, denn sie hat Sprengkraft.
Wann würde ein Ersatzanspruch des Jobcenters aufgrund eines missbilligenden Verhaltens aber greifen?
Schließlich geht es vorliegend beim Urteil des LSG Hessen um Elternzeit für das erste Lebensjahr des jüngsten Kindes des Klägers (Vater), für dessen Betreuung Elternzeit beantragt wurde.
Der Fall liegt damit grundlegend anders als in dem vom SG Augsburg (Urteil vom 12. August 2015 – S 14 AS 992/14 – entschiedene Fall, in dem ein ruhendes Beschäftigungsverhältnis auch nach dem Ende des dritten Lebensjahres eines Kindes nicht wieder aufgenommen wurde, obwohl kein Kind bezogener Grund bestanden habe, der eine ganztägige Betreuung des Kindes durch die Eltern erforderlich gemacht hätte.
Damit war der Ersatzanspruch des Jobcenters nach § 34 SGB II gegeben!!
Denn die Nichtaufnahme eines ruhenden Beschäftigungsverhältnisses trotz Möglichkeit ist geeignet, einen Ersatzanspruch gemäß § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II auszulösen.
Von der Regelung sind auch Fallgestaltungen erfasst, in denen eine bereits zuvor bestehende Hilfebedürftigkeit aufrechterhalten wurde.
Eine intensive Mutter-Kind-Beziehung ist weder außergewöhnlich noch pathologisch. Sie steht auch einer temporären Fremdbetreuung des Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, nicht entgegen und stellt damit für sich genommen keinen wichtigen Grund im Sinne des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II dar und berechtigt somit das Jobcenter zur Rückzahlung bzw. Aufhebung von Bürgergeld – Leistungen.
2.2 – LSG Hessen, Urteil vom 21.05.2025 – L 6 AS 487/24 –
Bürgergeld: Pflicht zum Job-Speed-Dating sonst Sanktionierung
Dazu Detlef Brock
1. Der Besuch einer Jobmesse, Job-Speed-Datings“ oder ähnlichen Veranstaltungsformaten gehört – zu den zulässigen Meldezwecken nach § 309 Abs. 2 SGB III und führt folglich – zu den Verpflichtungen nach § 32 SGB II (Sanktion wegen Meldeversäumnisses).).
2. Zu mindestens gilt das denn, wenn wie im konkreten Fall – durchgängig oder doch jedenfalls für einen erheblichen Teil der Veranstaltung ein Mitarbeiter des Leistungsträgers vor Ort anwesend ist und, jedenfalls bei Bedarf, die meldepflichtigen Personen unterstützend und beratend tätig werden kann und soll.
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Bei einer Meldeaufforderung im Zusammenhang mit Jobmessen, „Job-Speed-Datings“ oder ähnlichen Veranstaltungsformaten ist von einer durch den Beklagten geleisteten Vermittlung in Arbeit, die gerade auch die Vorbereitung und Anbahnung von Kontakten zu Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern umfasst, und einem dadurch legitimierten Meldezweck im Sinne von § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III auszugehen, wenn – wie im konkreten Fall – durchgängig oder doch jedenfalls für einen erheblichen Teil der Veranstaltung ein Mitarbeiter des Leistungsträgers vor Ort anwesend ist und, jedenfalls bei Bedarf, die meldepflichtigen Personen unterstützend und beratend tätig werden kann und soll.
Anmerkung Detlef Brock
1. Ein zulässiger Meldezweck hat vorgelegen, nämlich die Vermittlung in Arbeit im Sinne von § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 SGB III.
2. Dabei muss das Gericht aber – nicht entscheiden, ob dies ganz grundsätzlich und in allen Fällen für eine Vorsprache im Zusammenhang mit Jobmessen, Job-Speed-Datings oder ähnlichen Veranstaltungsformaten gilt (vgl. zu dieser Frage bejahend: Bay. LSG, Urteil vom 14. September 2016 – L 16 AS 373/16-, aber ablehnend: LSG Nds.-Bremen, Beschluss vom 20. Februar 2014 – L 7 AS 1058/13 B – Der Besuch einer Messe von Verleihunternehmen (Arbeitgebertag) gehört nicht zu den zulässigen Meldezwecken nach § 309 Abs. 2 SGB III und folglich nicht zu den Verpflichtungen nach § 32 SGB II (Sanktion wegen Meldeversäumnisses).).
2.3 – LSG BB, Urt. v. 15.04.2025 – L 1 AS 1102/24 – www.sozialgerichtsbarkeit.de
Bürgergeld: Zeitlich unbegrenzte 100% Versagung von ALG II aufgrund fehlender Mitwirkung – Wegweisendes Urteil
Dazu Detlef Brock
1. Wer trotz wiederholter Aufforderungen zur Mitwirkung diverse, konkret bezeichnete Unterlagen (wie Nachweis der Beendigung eines Gewerbes, Kontoauszüge, Nachweis Betriebsvermögen, und Erklärungen zu Überweisungen) – nicht einreicht -, dem streicht das Jobcenter die Leistungen nach dem SGB II ganz.
2. Das Jobcenter ist dabei berechtigt, das Bürgergeld zeitlich unbegrenzt zu versagen. Die Versagung hatte nicht unter einer in zeitlicher Hinsicht (bis zur Nachholung der Mitwirkung) auflösenden Bedingung bzw. Begrenzung zu erfolgen.
3. Denn die Versagung entfaltet ihre Wirkung – entsprechend einer Leistungsablehnung (vgl. BSG, Urteil vom 31. Oktober 2007 – B 14/11b AS 59/06 R –) – grundsätzlich ab Antragstellung unbegrenzt in die Zukunft.
4. Wenn ein Leistungsanspruch mangels Mitwirkung nicht geprüft und festgestellt werden kann, fehlt es an jeglicher Vergleichbarkeit der Versagung mit dem der sogenannten Sanktionsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 2019 (1 BvL 7/16) zugrundeliegenden Sachverhalt und somit ist nach Ansicht des 1, Senats des LSG Berlin-Brandenburg eine 100 % Versagung von Bürgergeld- Leistungen auf unbestimmte Zeit gerecht fertigt!
Anmerkung von Detlef Brock
Eine Entscheidung mit schwerwiegenden Folgen für den Bürgergeld – Vater.
Diese Gerichtsentscheidung wirft schwerwiegende Fragen zum Existenzminimum bei einer gänzlichen Versagung von Bürgergeld auf.
Denn auch wenn das Gericht die Frage nicht abschließend entscheiden wollte, bin ich als Sozialrechtsexperte der Meinung, dass eine 100% Versagung – Sanktionscharakter – hat (mit Verweis auf in der Literatur zum Bürgergeld: Mrozynski, Kommentar zum SGB I, 6. Aufl. § 66 Rn. 1 m.w.N. und in der Rechtsprechung zum SGB II: LSG BB, Beschluss v. 16.06.2022 – L 29 AS 520/22 B ER -).
Eine Versagung auf Dauer ist von § 66 Abs. 1 Satz 1 SGB I nicht gedeckt
Denn ein Versagungsbescheid muss zum Ausdruck bringen, dass die Leistung nur bis zur Nachholung der Mitwirkung versagt wird. Ein Hinweis am Ende des Bescheides, dass bei einer Nachholung der Mitwirkung und Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen geprüft werde, ob die Leistungen nachträglich ganz oder teilweise erbracht werden können und in diesem Fall die Entscheidung nochmals überprüft werde, ist nicht ausreichend, um den Endzeitpunkt der Versagung festzusetzen (so zutreffend LSG München, Urteil v. 13.12.2023 – L 16 AS 382/22 -).
Die Totalversagung von Bürgergeld auf eine – unbestimmte Zeit – gleicht einer Strafnorm, meint der Sozialrechtsexperte von Tacheles e. V.
3. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
3.1 – LSG Bayern, Urteil vom 19.02.2025 – L 8 SO 256/23 – Revision zugelassen
Sozialhilfe: Keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe der Regelsätze 2022 und 2023.
Leitsätze www.sozialgerichtsbarkeit.de
1. Es bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Höhe der Regelsätze 2022 und 2023.
2. Bei § 30 Abs. 5 SGB XII handelt es sich um einen abgrenzbaren bzw. abtrennbaren Streitgegenstand.
3. Die Vorschrift des § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII ist kein Einfallstor für jegliche wünschenswerte, aber im SGB XII nicht geregelte Bedarfe, sondern eine Ausnahmeregelung.
4. Der Begriff „unausweichlich“ in § 27a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB XII bedeutet, dass ein überdurchschnittlicher Bedarf nicht durch zumutbare Maßnahmen des Hilfeempfängers beseitigt werden kann. Er ist als unbestimmter Rechtsbegriff gerichtlich voll überprüfbar. Ob die Besonderheit im Einzelfall eine abweichende Regelbedarfsfestsetzung zugunsten des Leistungsberechtigten zulässt, hängt davon ab, ob eine Gesamtbetrachtung – Kompensationsüberlegungen einschließend – zu dem Ergebnis nötigt, dass die die Unausweichlichkeit ausmachenden Umstände wesentlichen Einfluss haben.
5. Die Kosten einer Krankenbehandlung bei gesetzlich krankenversicherten Grundsicherungsberechtigten sind entweder durch das System des SGB V oder (ergänzend) durch die Regelleistung nach dem SGB XII abgedeckt. Dies gilt auch für gesetzlich vorgesehene Zuzahlungen zu Medikamenten oder Behandlungen. Aufgrund der Notwendigkeit einer Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln entstehen grundsätzlich keine unabweisbaren laufenden Bedarfe.
3.2 – LSG BW, Beschluss v. 22.05.2025 – L 2 SO 975/25 NZB –
Sozialhilfe: Mietminderung mindert die Unterkunftskosten des Grundsicherungsträgers
Dazu Detlef Brock
1. Eine vom Mieter gegenüber seinem Vermieter vorgenommene Mietminderung führt zu einer Verringerung des vom Sozialleistungsträger bei der Gewährung von Grundsicherungsleistungen zu berücksichtigenden Unterkunftsbedarfs (Vgl. BSG, Beschluss vom 23.03.2021 – B 4 AS 8/21 BH -).
2. Nach dieser Rechtsprechung führen, weil bereits nach dem Wortlaut des – zu § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wortgleichen – § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur tatsächlich entstandene Bedarfe zu berücksichtigen sind, Mietminderungen – jedenfalls dann, wenn sie wie hier nicht offensichtlich unwirksam sind – zu einem entsprechend geringeren Anspruch auf Grundsicherungsleistungen in dem Monat der Minderung, selbst wenn zu einem späteren Zeitpunkt Mietnachzahlungen zu leisten sind.
Anmerkung von Detlef Brock
1. Mietminderung mindert den Unterkunftsbedarf beim Bürgergeld als auch bei der Sozialhilfe
Nach dieser Rechtsprechung führen, weil bereits nach dem Wortlaut des – zu § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wortgleichen – § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nur tatsächlich entstandene Bedarfe zu berücksichtigen sind, Mietminderungen – jedenfalls dann, wenn sie wie hier nicht offensichtlich unwirksam sind – zu einem entsprechend geringeren Anspruch auf Grundsicherungsleistungen in dem Monat der Minderung, selbst wenn zu einem späteren Zeitpunkt Mietnachzahlungen zu leisten sind.
Extratipp von Detlef Brock
1. Weil schon nach dem Wortlaut des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II nur tatsächlich entstandene Bedarfe zu berücksichtigen sind, führen Mietminderungen – jedenfalls dann, wenn sie wie hier nicht offensichtlich unwirksam sind (vgl dazu Bayerisches LSG vom 14.5.2014 – L 11 AS 621/13 -) – zu einem entsprechend geringeren Anspruch auf Alg II in dem Monat der Minderung, selbst wenn zu einem späteren Zeitpunkt Mietnachzahlungen zu leisten sind (vgl etwa SG Karlsruhe vom 17.8.2020 – S 5 AS 1414/20 -; zustimmend Theesfeld-Betten, jurisPR-MietR 4/2021 Anm 6).
2. Wird aber erst nachträglich in einem Gerichtsverfahren festgestellt, dass dem Mieter kein Minderungsrecht zugestanden hat und kommt es zu Nachforderungen, gehören solche dann einmalig geschuldeten Zahlungen als weiterer einmaliger Unterkunftsbedarf im Rahmen der Kostenangemessenheit (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) zum aktuellen Bedarf des Monats, in dem die Nachforderung rechtskräftig und damit fällig geworden ist (BSG Rechtsprechung mit Verweis auf weitere BSG Entscheidungen – zu Nachforderungen bei Heizkosten nach Abrechnung der tatsächlich verbrauchten Wärme BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R – ; BSG, Beschluss vom 16. Mai 2007 – B 7b AS 14/06 R – zur Beschaffung von Heizmaterial).
4. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbLG
4.1 – Sozialgericht Gießen – Beschluss vom 28.04.2025 – Az.: S 30 AY 34/25 ER
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG – Schlagworte: Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Europarecht, Regierungspräsidium Gießen, Sozialgericht Gießen
§ 1 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG verletzt voraussichtlich das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG.
Dazu Detlef Brock
1. Eine nationale Regelung, die – wie § 1 Abs. 4 AsylbLG a. F. – lediglich Überbrückungsleistungen für 2 Wochen vorsieht, genügt vermutlich ebenfalls nicht den europarechtlichen Vorgaben. Dass Überbrückungsleistungen in Form von Geldleistungen nach § 1 Abs. 4 Satz 5 Hs. 2 AsylbLG ausgeschlossen sind, verstößt zudem gegen Art 2 Buchst. g) der Richtlinie 2013/33/, wonach im Rahmen der Aufnahme als materielle Leistungen neben Unterkunft, Verpflegung und Kleidung insbesondere Geldleistungen zur Deckung des täglichen Bedarfs zu gewähren sind.
Quelle: RA Sven Adam
4.2 Sozialgericht Speyer – Beschluss vom 24.04.2025 – Az.: S 15 AY 25/25 ER
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG – Schlagworte: Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Europarecht, Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz
Behörde muss vorläufig uneingeschränkte Leistungen nach § 3 AsylbLG erbringen
Dazu Detlef Brock
1. Der Anspruchsausschluss des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AsylbLG in der seit dem 31.10.2024 geltenden Fassung verstößt gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG.
Quelle: RA Sven Adam
4.3 – Sozialgericht Darmstadt – Beschluss vom 22.04.2025 – Az.: S 16 AY 16/25 ER
Normen: § 1a Abs. 3 AsylbLG – Schlagworte: Leistungskürzung, Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung, Zeitraum der Kürzung
Nach § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG ist der Beginn der Leistungseinschränkung auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung bzw. -anordnung folgende Tag bestimmt – § 1a Nr. 2 AsylbLG enthält nach seinem Wortlaut für den Beginn der Leistungseinschränkung einen festen Zeitpunkt
Dazu Detlef Brock
1. Somit tritt der Beginn der Leistungseinschränkung am Tag nach dem sperrzeitbegründenden Ereignis ein und ist leistungsrechtlich nach Maßgabe des Verwaltungsverfahrensrechts umzusetzen (HLSG, Beschluss vom 11.11.2024, L 4 AY 13/24).
Quelle: RA Sven Adam
4.4 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 28.05.2025 – Az.: L 8 AY 16/25 B
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG – Schlagworte: Prozesskostenhilfe, Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Europarecht, Aufhebungsermessen, Landkreis Stade, Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Prozesskostenhilfe zur Frage, ob der Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG verfassungsgemäß ist
Dazu Detlef Brock
1. Gewährung von PKH, denn das Bestehen eines Anordnungsanspruches auf ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG ist nicht ausgeschlossen oder gar fernliegend.
2. Bei der Prüfung, ob beim Antragsteller eine Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG eingreift oder ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG zu erbringen sind, stellen sich wegen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift schwierige Rechtsfragen (vgl. hierzu bereits den Senatsbeschluss vom 4.12.2019 – L 8 AY 36/19 B ER –), die nach den o.g. Maßstäben für sich genommen bereits hinreichende Erfolgsaussichten für eine PKH- Bewilligung bedingen.
3. Ob § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG bzw. die (einheitlichen) Rechtsfolgen bei Anspruchseinschränkungen gemäß § 1a Abs. 1 AsylbLG mit dem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) zu vereinbaren ist, ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten und noch nicht höchstrichterlich geklärt.
Quelle: RA Sven Adam
4.5 – Sozialgericht Speyer – Beschluss vom 27.05.2025 – Az.: S 16 AY 39/25 ER
Normen: § 3a Abs. 4 AsylbLG, § 28a Abs. 5 SGB XII – Schlagworte: Minusrunde, Land Rheinland-Pfalz, Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, Sozialgericht Speyer
Dazu Detlef Brock
1. Bestandsschutzregelung des § 28 Abs. 5 SGB XII ist im AsylbLG anwendbar
Quelle: RA Sven Adam
4.6 – Sozialgericht Stuttgart – Beschluss vom 27.05.2025 – Az.: S 9 AY 300/25 ER
Normen: § 3 AsylbLG, § 3a AsylbLG, § 6 AsylbLG § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG – Schlagworte: Regelbedarfsstufe 1, Regelbedarfsstufe 2, Leistung nach §3 AsylbLG, Leistung nach §3a AsylbLG, obligatorische Anschlussversicherung, Minusrunde, Stadt Stuttgart
Bestandsschutzregelung des § 28 Abs. 5 SGB XII ist im AsylbLG anwendbar
Dazu Detlef Brock
1. Gewährung von Grundleistungen gemäß §§ 3 und 3a AsylbLG in der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe der Regelbedarfe von 2024 sowie Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 230,95 € monatlich zu gewähren.
2. Ein Ausschluss der Bestandsschutzregel des § 28a Absatz 5 SGB XII lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen und entspricht auch nicht dem Willen des Gesetzgebers
Quelle: RA Sven Adam
4.7 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 27.05.2025 – L 8 AY 22/25 B ER
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG – Schlagworte: Prozesskostenhilfe, Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Europarecht, Aufhebungsermessen, Landkreis Gifhorn, Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Gewährung von PKH, weil der Leistungsausschluss des § 1 Abs. 4 AsylbLG wohl möglich nicht mit Verfassungs- und Europarecht vereinbar ist
Dazu Detlef Brock
1. Gewährung von PKH, weil sich schwierig zu beantwortende und umstrittene Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Leistungsausschluss des § 1 Abs. 4 AsylbLG stellen, etwa zu der Auslegung des auf Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Inneres und Heimat (4. Ausschuss; BT-Drs. 20/13413, S. 53) in das Gesetz aufgenommenen Tatbestandsmerkmals, dass die Ausreise nach der Feststellung des BAMF rechtlich und tatsächlich möglich sein muss (vgl. dazu etwa SG Hamburg, Beschluss vom 11.4.2025 – S 28 AY 188/25 ER –; SG Hamburg, Beschluss vom 17.4.2025 – S 7 AY 196/25 ER –; s. auch Frerichs in jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. 2024, § 1 AsylbLG Rn. 206.7 ff.).
2. Zudem stellt sich grundlegend die in diesem Verfahren womöglich nicht zu beantwortende Frage, ob die Norm mit Verfassungs- und Europarecht vereinbar ist (vgl. dazu etwa SG Karlsruhe, Beschluss vom 25.2.2025 – S 12 AY 379/25 ER –).
Quelle: RA Sven Adam
4.8 – Sozialgericht Marburg – Beschluss vom 30.05.2025 – Az.: S 16 AY 4/25 ER
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG – Schlagworte: Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Europarecht, Regierungspräsidium Gießen, Sozialgericht Marburg
Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG verstößt möglicherweise gegen Europarecht
Dazu Detlef Brock
1. Der Anspruch auf eine menschenwürdige Grundversorgung bis zu einer tatsächlich erfolgten Abschiebung ist vorrangig.
2. Die vom SG Darmstadt (Beschluss vom 04.02.2025, S 16 AY 2/25 ER) überzeugend dargelegten Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit einer entsprechenden Leistungseinstellung werden von der Rechtsprechung weit überwiegend geteilt (vgl. nur SG Landshut, Beschluss vom 18.12.2024, S 11 AY 19/24 ER; SG Karlsruhe, Beschluss vom 25.02.2025, S 12 AY 379/25 ER; SG Trier, Beschluss vom 20.02.2025, S 3 AY 4/25 ER; SG Speyer, Beschluss vom 20.02.2025, S 15 AY 5/25 ER; SG Mainz, Beschluss vom 24.03.2025, S 10 AY 2/25 ER; SG Gießen, Beschluss vom 14.04.2025, S 30 AY 32/25 ER; SG Kassel, Beschluss vom 07.05.2025, S 6 AY 1/25 ER).
Quelle: RA Sven Adam
4.9. – Sozialgericht Gießen – Beschluss vom 30.05.2025 – Az.: S 30 AY 35/25 ER
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG – Schlagworte: Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Europarecht, Regierungspräsidium Gießen, Sozialgericht Gießen
Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG verstößt gegen Europarecht
Dazu Detlef Brock
1. Nach der Rechtsauffassung des erkennenden Gerichts ist § 1 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG wahrscheinlich sowohl europarechtswidrig als auch verfassungswidrig und hat daher unangewendet zu bleiben.
Quelle: RA Sven Adam
4.10 – Sozialgericht Speyer – Beschluss vom 30.05.2025 – Az.: S 15 AY 51/25 ER
Normen: § 1 Abs. 4 AsylbLG – Schlagworte: Leistungsausschluss nach § 1 Abs. 4 AsylbLG, Europarecht, Land Rheinland-Pfalz, Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion, Sozialgericht Speyer
Dazu Detlef Brock
1. Der Anspruchsausschluss nach § 1 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG verstößt nach der Rechtsauffassung u.a. der erkennenden Kammer gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (grundlegend BVerfG, Urteile vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 – und vom 18.07.2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -).
Quelle: RA Sven Adam
5. Verschiedenes zum Bürgergeld, Sozialhilfe, Wohngeld, Kinderzuschlag und anderen wichtigen Gesetzesbüchern
5.1 – Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 18.Mai 2025 – 2 BvQ 32/25 –
BVerfG hat die Position von Menschen, die durch Wohnungsräumung gefährdet sind – hier eine Schwangere – gestärkt. Gegenstand Art. 2 Abs. 2 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit)
Vollstreckungsschutz bei Zwangsräumung bei drohenden schweren Gesundheitsbeeinträchtigungen für eine Schwangere
Dazu Detlef Brock
1. Unzureichende fachgerichtliche Aufklärung des Risikos schwerwiegender gesundheitlicher Risiken für den Vollstreckungsschuldner infolge einer Zwangsräumung verletzt Art 2 Abs 2 S 1 GG – Berücksichtigung des Art 2 Abs 2 S 1 GG nicht nur in Fällen von Suizidgefahr des Schuldners geboten
2. Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet die Vollstreckungsgerichte, bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 765a ZPO auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und die dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte zu berücksichtigen. Eine unter Beachtung dieser Grundsätze vorgenommene Würdigung aller Umstände kann in besonders gelagerten Einzelfällen dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und – in absoluten Ausnahmefällen – auf unbestimmte Zeit einzustellen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Juni 2022 – 2 BvR 447/22 -, Rn. 38; vom 10. Januar 2024 – 2 BvR 26/24 -, Rn. 7 m.w.N.).
3. Es ist Aufgabe der zuständigen staatlichen Stellen, eine menschenwürdige Unterbringung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG sicherzustellen. Verfassungsrechtlich nicht unbedenklich erscheint es, wenn das Amtsgericht im Nichtabhilfebeschluss meint, dass es nicht seine Aufgabe sei, eine Zwangsvollstreckung trotz drohender menschenunwürdiger Bedingungen im Fall der Unterbringung vorläufig einzustellen. Insofern wäre es bei der Ablehnung des Antrags auf Vollstreckungsschutz Aufgabe des Vollstreckungsgerichts gewesen, zunächst zu prüfen und notfalls sicherzustellen, dass die konkrete Unterkunft für die Bedürfnisse der Antragstellerin zu 2. nach der Entbindung und des ungeborenen Kindes dem Mindestmaß an menschenwürdiger Unterbringung entspricht.
Quelle: www.bundesverfassungsgericht.de
Lesetipp
Zwangsräumung einer Hochschwangeren aus ihrer Wohnung per Gericht gestoppt
Die Zwangsräumung einer hochschwangeren Frau aus ihrer Wohnung darf nicht zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr für sie und das noch ungeborene Kind führen.
Bestimmt ein Amtsgericht die Zwangsräumung der Wohnung, muss das Grundrecht der Mieterin auf körperliche Unversehrtheit berücksichtigt werden, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Donnerstag, 5. Juni 2025, veröffentlichten Beschluss (Az.: 2 BvQ 32/25).
So der Kollege S. Bertram von gegen-hartz.de
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Beispiel für Quellenangabe zum Rechtsprechungsticker: Quelle: Tacheles Rechtsprechungsticker KW 14/2025 – Autor: Detlef Brock
Beispiel für Quellenangabe zum Newsletter: Quelle: Thomé Newsletter 12/2025 vom 06.04.2025 – Autor Harald Thomé
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker