Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Beschluss vom 12.06.2025 – Az.: L 8 AY 24/25 B ER

BESCHLUSS

L 8 AY 24/25 B ER
S 5 AY 7/25 ER Sozialgericht Stade

In dem Beschwerdeverfahren

1. xxx,
2. xxx,

– Antragsteller und Beschwerdeführer –

Prozessbevollmächtigter:
zu 1-2: Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis Stade,
vertreten durch den Landrat,
Am Sande 2, 21682 Stade

– Antragsgegner und Beschwerdegegner –

hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 12. Juni 2025 in Celle durch den Richter Frerichs, die Richterin xxx und den Richter xxx beschlossen:

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 12. Mai 2025 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern für März bis August 2025 vorläufig ungekürzte Grundleistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG unter Anrechnung bereits gewährter Leistungen zu gewähren, längstens jedoch bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch vom 19. März 2025 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. Februar 2025.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Instanzen zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

GRÜNDE
I.

Im Streit ist die vorläufige Gewährung höherer Leistungen nach dem AsylbLG für März bis August 2025, insbesondere die Rechtmäßigkeit einer Anspruchseinschränkung gemäß § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG.

Der 1994 geborene Antragsteller und seine Ehefrau, die 1998 geborene Antragstellerin, sind afghanische Staatsangehörige, reisten am 25.9.2024 mit ihren beiden minderjährigen Kindern (geboren 2015 und 2022) nach Deutschland ein und stellten hier am 2.10.2024 einen Asylantrag. Ihnen wird bereits durch Griechenland internationaler Schutz gewährt (befristet bis zum 18.8.2027).

Mit Bescheid vom 16.10.2024 wies die Landesaufnahmebehörde (LAB) Niedersachsen die Familie dem Antragsgegner zu und verpflichtete sie, in seinem Kreisgebiet ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen. Die Familie wurde im Rahmen der Gefahrenabwehr in die Unterkunft in der xxx, Buxtehude, eingewiesen. Es besteht eine Duldung mit der Auflage, dort den Wohnsitz zu nehmen.

Am 25.10.2024 beantragten die Antragsteller bei dem Antragsgegner für sich und ihre Kinder die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG. Nachdem ihnen zunächst Grundleistungen gemäß § 3 AsylbLG gewährt worden waren (Bescheid vom 24.10.2024), hörte der Antragsgegner sie mit Schreiben vom 15.11.2024 zu einer beabsichtigten Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG an und schränkte sodann die Leistungsgewährung für die Zeit von Januar bis Juni 2025 gemäß § 1a AsylbLG ein (Bescheid vom 4.12.2024). Dem hiergegen erhobenen Widerspruch half der Antragsgegner ab (Bescheid vom 7.1.2025), nachdem er im Rahmen eines (vom Sachverhalt vergleichbaren) Eilverfahrens beim Sozialgericht (SG) Stade (S 5 AY 7/24 ER) auf Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit seines Anhörungsschreibens hingewiesen worden war. Für Januar 2025 bewilligte er den Antragstellern ungekürzte Grundleistungen und kündigte für Februar 2025 eine gesonderte Entscheidung an. Mit Schreiben vom 15.1.2025 hörte er zu einer Anspruchseinschränkung – voraussichtlich ab März 2025 – nach § 1a Abs. 4 AsylbLG an, weil den Antragstellern bereits in Griechenland internationaler Schutz gewährt werde. Mit Bescheid vom 11.2.2025 bewilligte er auch für Februar 2025 ungekürzte Grundleistungen gemäß §§ 3, 3a AsylbLG. Für die Zeit von März bis Juli 2025 schränkte er die Leistungsgewährung hingegen gemäß § 1a AsylbLG auf monatlich 1.131,36 € und für August 2025 auf 1.261,36 € (unter Berücksichtigung eines Schulbedarfs) ein (Bescheid vom 12.2.2025). Hiergegen erhoben die Antragsteller am 19.3.2025 Widerspruch mit der Begründung, dieser sei nicht verfristet, weil die Rechtsbehelfsbelehrung mangels Hinweises auf die Möglichkeit der Erhebung in elektronischer Form an das besondere elektronische Anwaltspostfach nicht hinreichend und § 36a Abs. 2 SGB I im Rahmen des AsylbLG nicht anwendbar sei. Hilfsweise stellten sie einen Antrag auf Überprüfung der Anspruchseinschränkung gemäß § 9 Abs. 4 AsylbLG i.V.m. § 44 SGB X. Die Kürzung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG sei verfassungswidrig und verstoße gegen Unionsrecht. Zudem sei die im Vergleich zum Jahr 2024 – mangels gültiger Bestandsschutzregelung im AsylbLG – niedrigere Leistungsbemessung nach § 3a AsylbLG rechtswidrig. Der Antragsgegner hat nach derzeitigem Kenntnisstand noch nicht über den Widerspruch der Antragsteller entschieden.

Am 19.3.2025 haben die Antragsteller beim SG Stade einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung unter Verweis auf die ihrer Auffassung nach bestehende evidente Verfassungswidrigkeit der Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG gestellt, weil das menschenwürdige Existenzminimum nicht gewährleistet sei. Zudem bestünden Bedenken, weil eine teleologische Reduktion des § 1a Abs. 4 AsylbLG unter Anknüpfung an eine individuell vorwerf- bare, hier fehlende Pflichtverletzung diskutiert werde (Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 15.6.2020 – L 9 AY 78/20 B ER). Die Anspruchseinschränkung verfolge auch kein legitimes Ziel und sei nicht verhältnismäßig. Die starre Sanktionsdauer von sechs Monaten (§ 14 Abs. 1 AsylbLG) sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Ferner liege ein Verstoß gegen Unionsrecht vor.

Der Antragsgegner hat eine Erwiderung im Hinblick auf die textbausteinartige Begründung des Eilantrages ohne konkret-individuellen Bezug zum Einzelfall nicht für notwendig erachtet.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und den Tatbestand des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG als erfüllt angesehen, weil den Antragstellern bereits am 19.8.2024 in Griechenland internationaler Schutz als Flüchtlinge gewährt worden sei und sie daher nicht dem Dublin-Verfahren unterfallen würden. Die geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken teile es nicht, weil § 1a AsylbLG einer verfassungskonformen Auslegung zugänglich sei (unter Anschluss an Bayerisches LSG, Urteil vom 9.3.2023 – L 8 AY 110/22 – juris Rn. 38- 49). Zwar stelle die Einreise noch kein persönliches Fehlverhalten dar. Für die Annahme eines pflichtwidrigen Verhaltens könne jedoch genügen, dass ein Betroffener trotz Kenntnis seines Schutzstatus in einem anderen Land der Europäischen Union (EU) nicht freiwillig dorthin zu- rückkehre. Einen entsprechenden Hinweis mit der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise hätten die Antragsteller mit dem Anhörungsschreiben des Antragsgegners vom 15.1.2025 erhalten.

Der kurze stationäre Aufenthalt ihres Sohnes bedinge nicht zwingend eine Hinderung an der Ausreise (Beschluss vom 12.5.2025).

Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer am 13.5.2025 eingelegten Beschwerde, mit der sie ergänzend zu ihrem erstinstanzlichen Vortrag noch auf einen Beschluss des LSG Sachsen-Anhalt vom 25.2.2025 (L 8 AY 20/24 B ER) verweisen. Bei ihnen und ihren Kindern handele es sich ebenfalls um besonders schutzbedürftige, vulnerable Personen.

Der Antragsgegner hält den Beschluss des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der die beiden Antragsteller betreffenden Ausländerakten (vorliegend in elektronischer Form) sowie die Leistungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde ist begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung zu Unrecht ab- gelehnt.

Der Eilantrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG statthaft, auch im Übrigen zulässig und in der Sache begründet.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Ein Anordnungsanspruch ist dann gegeben, wenn der zu sichernde Hauptsacheanspruch dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht, wenn also eine Vorausbeurteilung der Hauptsacheklage nach summarischer Prüfung ergibt, dass das Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005 – 1 BvR 569/05 – juris) dürfen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für Anfechtungs- und (wie hier) Vornahmesachen grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Art. 19 Abs. 4 GG stellt jedoch besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn wie hier ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären. In einem solchen Fall müssen die Gerichte nach der vorgenannten Entscheidung des BVerfG, wenn sie sich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen. Entschließen sich die Gerichte zu einer Entscheidung auf dieser Grundlage, so dürfen sie die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller des Eilverfahrens nicht überspannen; Fragen des Grundrechtsschutzes sind einzubeziehen. Ist dem Gericht hingegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundrechtlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, ebenda; vgl. zur Folgenabwägung auch jüngst Senatsbeschluss vom 3.12.2024 – L 8 SO 121/24 B ER – juris Rn. 8).

Nach diesen Maßgaben entscheidet der Senat auf Grundlage einer Folgenabwägung zugunsten der Antragsteller. Den Antragstellern sind danach vom Antragsgegner vorläufig ungekürzte Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG zu gewähren.

Das streitige Rechtsverhältnis (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) liegt in dem – soweit ersichtlich – noch nicht beschiedenen Widerspruch der Antragsteller gegen den ihnen nur gekürzte Leistungen gemäß § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG bewilligenden Bescheid vom 12.2.2025 begründet. Dabei kann im Rahmen des Beschwerdeverfahrens dahingestellt bleiben, ob die Antragsteller ihren Widerspruch vom 19.3.2025 fristgerecht erhoben haben (vgl. hierzu § 84 SGG), ob also nach Maßgabe des § 66 SGG wegen einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung eine Widerspruchsfrist von einem Jahr gilt (§ 66 Abs. 2 SGG). Sollte der Antragsgegner den Widerspruch zu Recht als verfristet ansehen, läge das streitige Rechtsverhältnis (auch) in der Bescheidung des Hilfsantrags auf Überprüfung gemäß § 9 Abs. 4 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 44 SGB X begründet.

Die Antragsteller gehören als Inhaber von Aufenthaltsgestattungen zum leistungsberechtigten Personenkreis des § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG.

Der Anspruch der Antragsteller auf laufende lebensunterhaltssichernde Leistungen beurteilt sich aufgrund der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes möglichen und gebotenen Prüfung der Sach- und Rechtslage nach §§ 3, 3a AsylbLG. Der Senat hat durchgreifende Zweifel, ob die nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG geltenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung (nur) eingeschränkter Leistungen vorliegen und entscheidet daher auf Grundlage einer Folgenabwägung zugunsten der Antragsteller, um nicht wieder gut zu machenden Nachteilen vorzubeugen.

Nach § 1a Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AsylbLG gilt eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 AsylbLG für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 1a AsylbLG, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der EU oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat i.S. von § 1a Abs. 4 Satz 1 AsylbLG internationaler Schutz gewährt worden ist, entsprechend, wenn der internationale Schutz fortbesteht.

Diese Voraussetzungen liegen nach dem Wortlaut des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG tatbestandlich vor. Die nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG während des Asylverfahrens leistungsberechtigten Antragsteller sind bereits am 19.8.2024 und damit unmittelbar vor der Einreise nach Deutschland von Griechenland als Schutzberechtigte anerkannt worden, mit einer Geltungsdauer bis zum 18.8.2027.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erfordert § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG jedoch als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, dass der betreffenden Person die Rückkehr in das schutzgewährende Land aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich und zumutbar ist (seit Senatsbeschluss vom 19.11.2019 – L 8 AY 26/19 B ER – juris Rn. 17 m.w.N.; mittlerweile ganz h.M.: vgl. etwa Bayerisches LSG, Beschluss vom 26.8.2021 – L 19 AY 70/21 B ER – juris Rn. 24; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.3.2020 – L 20 AY 20/20 B ER – juris Rn. 27; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 15.6.2020 – L 9 AY 78/20 B ER – juris Rn. 29; jüngst LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25.2.2025 – L 8 AY 20/24 B ER – juris Rn. 45; Siefert in Siefert, AsylbLG, 3. Aufl. 2025, § 1a Rn. 60; Leopold in Grube/Wahren- dorf/Flint, SGB XII, 8. Aufl. 2024, § 1a AsylbLG Rn. 105; vgl. auch Oppermann in jurisPK- SGB XII, 4. Aufl. 2024, § 1a AsylbLG Rn. 140 einerseits, zu den Grenzen verfassungskonformer Auslegung aber andererseits Rn. 144; a.A. Bayerisches LSG, Beschluss vom 10.3.2025 – L 11 AY 58/24 B ER – juris Rn. 22; krit. auch Deibel, ZFSH/SGB 2020, 75 ff.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat nach erneuter Prüfung auch in Ansehung der Rechtsprechung des BSG zu der mittlerweile außer Kraft getretenen Vorschrift des § 1a Abs. 7 AsylbLG fest, nach der die dort geregelte Anspruchseinschränkung bei den sog. Dublin-Fällen ein ungeschriebenes Tat- bestandsmerkmal i.S. eines pflichtwidrigen Verhaltens der betreffenden Person nicht enthalte (vgl. BSG, Vorlagebeschluss vom 25.7.2024 – B 8 AY 6/23 R – juris Rn. 15 sowie Urteil vom 25.7.2024 – B 8 AY 7/23 R – juris Rn. 23). Zu einer weiteren rechtlichen Klärung mögen Entscheidungen über die beim BSG anhängigen Revisionen (zu den Az.: B 8 AY 4/23 R und B 8 AY 5/23 R, vgl. die Darstellung der anhängigen Rechtsfragen auf www.bsg.bund.de) gegen Entscheidungen des Bayerischen LSG zu § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG (Urteile vom 9.3.2023 – L 8 AY 135/22 – juris Rn. 42 ff. sowie L 8 AY 110/22 – juris Rn. 38 ff.) beitragen. Bis dahin erachtet der Senat die o.g. Auslegung des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG aufgrund systematischer und teleologischer Erwägungen für vorzugswürdig (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 19.11.2019 – L 8 AY 26/19 B ER – juris Rn. 17 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zu der nicht erlaubten Ablehnung eines Asylantrages gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig, wenn die betreffende Person bei einer Rückführung in den Mitgliedsstaat, der ihm internationalen Schutz gewährt hat, der ernsthaften Gefahr ausgesetzt wäre, aufgrund der ihn dort erwartenden Lebensumstände eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von Art. 4 Charta der Grundrechte der EU (GRCh) bzw. des Art. 3 EMRK zu erfahren, etwa wenn ein Flüchtling im Aufnahmestaat völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (vgl. dazu EuGH, Beschluss vom 13.11.2019 – C-540/17 und C-541/17 [Hamed u.a.] – juris Rn. 35 ff.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 17.06.2020 – 1 C 35.19 – juris Rn. 23 ff.; EGMR, Urteil vom 21.1.2011 – 30696/09 – M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, juris Rn. 263 f. und 365 ff. sowie BVerfG, Beschluss vom 31.7.2018 – 2 BvR 714/18 – juris Rn. 18 ff. <Griechenland>) spricht hier ganz Überwiegendes für eine Rechtswidrigkeit der Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG. Das BVerwG hat zwar jüngst entschieden, dass die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung für nicht-vulnerable anerkannte Flüchtlinge in Griechenland nicht wahrscheinlich ist (BVerwG, Urteile vom 16.4.2025 – 1 C 18.24 – sowie – 1 C 19.24 – noch unveröffentlicht, vgl. die Pressemitteilung des BVerwG Nr. 30/2025 vom 16.4.2025, abrufbar unter https://www.bverwg.de/pm/2025/30; ebenso OVG für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.3.2025 – 4 LB 474/23 – juris Rn. 74; a.A. noch OVG Bremen, Urteil vom 16.11.2021 – 1 LB 371/21 – juris Rn. 29; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 19.4.2021 – 10 LB 244/20 – juris Rn. 23; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.2.2022 – A 4 S 2443/21 – juris Rn. 21; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.1.2021 – 11 A 2982/20.A – juris Rn. 32; OVG des Saarlands, Urteil vom 15.11.2022 – 2 A 81/22 – juris Rn. 20; Sächsisches OVG, Urteil vom 27.4.2022 – 5 A 492/21 A – juris Rn. 42 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2021 – OVG 3 B 53.19 – juris Rn. 20-23; jüngst sogar entgegen das BVerwG VG Hannover, Beschluss vom 5.5.2025 – 15 B 2836/25 – juris 23). Diese Bewertung gilt allerdings für die Rückkehr arbeitsfähiger, gesunder und alleinstehender junger männlicher Schutzberechtigter. Nach den aus der o.g. Pressemitteilung ersichtlichen Feststellungen des BVerwG haben viele Schutzberechtigte wegen bürokratischer Hürden und Wartezeiten bis zum Erhalt erforderlicher Dokumente unmittelbar nach der Ankunft in Griechenland keinen Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen, insbesondere aus dem aktuellen Überbrückungsprogramm, dem Integrationsprogramm Helios+ oder dem staatlichen Grundeinkommen. Sie können aber voraussichtlich zumindest in temporären Unterkünften oder Notschlafstellen mit grundlegenden sanitären Einrichtungen unterkommen, die unter anderem auf kommunaler Ebene und durch nichtstaatliche Hilfsorganisationen betrieben werden. Ihre weiteren Grundbedürfnisse einschließlich Ernährung können sie durch eigenes Erwerbseinkommen, anfänglich jedenfalls in der sogenannten Schattenwirtschaft, decken, zu dem gegebenenfalls Unterstützungsleistungen der genannten Stellen hinzutreten. Eine medizinische Notfall- und Erstversorgung ist gewährleistet. Dies zu Grunde gelegt, ist die Rechtsprechung des BVerwG hingegen nicht auf vulnerable Flüchtlinge in Griechenland zu übertragen (vgl. auch OVG für das Land Mecklenburg-Vorpommer, Urteil vom 17.3.2025 – 4 LB 474/23 – juris Rn. 74; OVG Schleswig, Urteil vom 6.9.2019 – 4 LB 17/18 – juris Rn. 162). Die Antragsteller und ihre minderjährigen Kinder, eines davon im Kleinkindalter, sind – als Kernfamilie – in diesem Sinne vulnerable Personen. Dabei ist hier auch in die Abwägung einzubeziehen, dass bei dem älteren Sohn der Antragsteller erst kürzlich ein – wenn auch nur einige Tage andauernder – stationärer Krankenhausaufenthalt bei abnormen Gewichtsverlust erforderlich gewesen ist. Er ist auf eine hinreichende medizinische Versorgung angewiesen.

Den Antragstellern droht im Falle einer rechtswidrigen Leistungskürzung in der vorgenommenen Höhe eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer Grundrechte (vgl. BVerfG, Urteil vom 5.11.2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rn. 120), während auf Seiten des Antragsgegners ein (unter Umständen sogar nur vorübergehender) finanzieller Verlust steht. Eine Verletzung der grund- rechtlichen Gewährleistungen, auch wenn sie nur möglich oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 25.2.2009 – 1 BvR 120/09 – juris Rn. 11).

Die Sache ist eilbedürftig, weil die Antragsteller glaubhaft gemacht haben, weder über Einkommen noch über Vermögenswerte zu verfügen. Bei einem Bezug von nach § 1a AsylbLG gekürzten Leistungen besteht ein Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung auf Erbringung von Leistungen gem. § 3 AsylbLG regelmäßig bereits wegen der Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit durch die Beschränkung der Leistungen auf das unabweisbar Notwendige (vgl. hierzu Oppermann in jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. 2024, § 1a AsylbLG Rn. 255).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Antrag der Antragsteller auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen. Wegen der rechtskräftigen Verpflichtung des Antragsgegners, die außergerichtlichen Kosten für das Verfahren erster und zweiter Instanz zu erstatten, besteht für den PKH-Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis mehr (ähnlich BVerfG, Beschluss vom 1.8.2017 – 1 BvR 1910/12 – juris Rn. 20).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.