Sozialgericht Berlin – Urteil vom 16.06.2025 – Az.: S 14 AY 138/22

URTEIL

In dem Rechtsstreit

xxx,

– Kläger –

Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstr. 55, 37073 Göttingen,

gegen

Kreis Offenbach,
Fachdienst Kommunalaufsicht und Recht
Werner-Hilpert-Str. 1, 63128 Dietzenbach,

– Beklagter –

hat die 14. Kammer des Sozialgerichts Berlin ohne mündliche Verhandlung am 16. Juni 2025 durch den Richter xxx sowie die ehrenamtliche Richterin Frau xxx und den ehrenamtlichen Richter Herrn xxx für Recht erkannt:

Der Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 2022 (Az.: 53377.73406.02) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Mai 2022 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, den Bescheid vom 07. Januar 2020 zurückzunehmen und dem Kläger für die Zeit vom 01. Februar 2020 bis zum 30. Juni 2020 Leistungen nach den § 2 AsylbLG unter Anrechnung bisher für diesen Zeitraum bereits erbrachter Leistungen zu zahlen.

Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

TATBESTAND

Der Kläger wendet sich zuletzt noch gegen eine Leistungsabsenkung nach § 1a Abs. 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und begehrt höhere Leistungen nach dem AsylbLG im Zeitraum Februar 2020 bis Juni 2020.

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und reiste am 04. Januar 2016 nach Deutschland ein. Am 08. August 2016 stellt er einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit Bescheid vom 16. Februar 2017 ablehnte, wobei der Bescheid infolge Fehladressierung nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde und der Kläger den Bescheid tatsächlich erst am 23. November 2017 erhielt. Am 24. November 2017 erhob er hiergegen Klage zum Verwaltungsgericht. Laut Mitteilung des BAMF bestand seit 29. März 2017 eine vollziehbare Abschiebungsandrohung. Der Kläger erhielt jedoch infolge der fehlgeschlagenen Zustellung seines Ablehnungsbescheides im November 2017 zunächst erneut eine Aufenthaltsgestattung, die bis zum 14. November 2018 befristet war. Am 15. November 2018 wurde ihm unter Verweis auf die Zugangsfiktion des Ablehnungsbescheids zum 27. Februar 2017 wieder eine Duldung ausgestellt, die in der Folgezeit regelmäßig verlängert wurde. Eine neue Androhung der Abschiebung erfolgte nicht. Auch erfolgten nach Aktenlage keinerlei Bestrebungen zur Abschiebung des Klägers. Bei jedem Verlängerungstermin wurde er allerdings aufgefordert, seinen Nationalpass zu beschaffen bzw. an dessen Beschaffung mitzuwirken. Dabei verweigerte er stets das Ausfüllen oder die Unterschrift entsprechender Anträge. Am 11. August 2020 wurde ihm durch gerichtliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt.

Im ursprünglich streitbefangenen Zeitraum 1. Januar 2020 bis 31. Januar 2021 (nachfolgend: Leistungszeitraum 1) sowie im weiterhin streitgegenständlichen Zeitraum vom 01. Februar 2020 bis 30. Juni 2021 (nachfolgend: Leistungszeitraum 2) lebte der Kläger in einer Gemeinschaftsunterkunft im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Von diesem bezog er Analogleistungen nach § 2 AsylbLG iVm § 27a Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in der Regelbedarfsstufe 1 aufgrund Bewilligungsbescheids vom 19. November 2019, der vorsah, dass die Analogleistungen monatlich stillschweigend neu bewilligt wurden. Mit Schreiben vom 07. Januar 2020 hörte der Beklagte den Kläger zu einer vorgesehenen Leistungskürzung wegen mangelnder Mitwirkung bei der Passbeschaffung an. Die Anhörung enthielt als Grund für die vorgesehene Leistungseinschränkung einen Hinweis auf die mangelnde Mitwirkung und setzte eine Äußerungs- und Nachholungsfrist zum 24. Januar 2020. Es erfolgte keine Äußerung des Klägers. Der Beklagte stellte sodann mit streitgegenständlichem Bescheid vom 27. Januar 2020 fest, dass der Leistungsanspruch nach AsylbLG ab 01. Februar 2020 bis 30. Juni 2020 gemäß § 1a Abs. 3 AsylbLG eingeschränkt ist. Er leistete im Leistungszeitraum 2 monatliche Zahlungen in Höhe von 164,00 EUR.

Der Kläger beantragte durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 04. November 2021 – offenbar davon ausgehend, der Regelbedarfsstufe 2 zugeordnet zu sein – die Überprüfung des Leistungszeitraumes 1 und mit weiterem Schriftsatz vom selben Tag die Überprüfung des Leistungszeitraums 2 und bat um ungekürzte Leistungsgewährung in der Regelbedarfsstufe 1. Dies lehnte der Beklagte mit Überprüfungsbescheiden vom 24. Januar 2022 ab. Unter dem 25. Januar 2022 legte der Kläger jeweils Widerspruch gegen beide Überprüfungsbescheide ein und begründete dies damit, dass die Kürzung nach § 1a AsylbLG sowie die Leistungen nach §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG (d.h. die Regelbedarfsstufe 2) verfassungswidrig sei.

Die Widerspruchsbehörde wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheiden vom 27. Mai 2022 (betreffend den Leistungszeitraum 1) und 30. Mai 2022 (betreffend den Leistungszeitraum 2) als unbegründet zurück. Bezüglich des Leistungszeitraums 1 führte sie im Wesentlichen aus, die Leistungsberechnung sei gesetzeskonform erfolgt und von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Die Höhe der zu bewilligenden Leistungen werde durch den Gesetzgeber festgelegt. Der Verwaltung stehe es nicht zu, höhere als die gesetzlich vorgegebenen Leistungsbeträge zu bewilligen. Die Verfassungswidrigkeit einer Bundesnorm könne ausschließlich durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt werden. Da dies noch nicht der Fall sei, sei die Verwaltung an die Vorschriften gebunden. Zum Leistungszeitraum 2 führte die Widerspruchsbehörde aus, es habe festgestanden, dass der Kläger seine Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung von Identifikationspapieren nicht nachgekommen sei. Es sei nach den gesetzlichen Vorgaben möglich und vorgegeben, in einem solchen Fall Leistungseinschränkungen vorzunehmen. Der unabweisbare bzw. unkürzbare Grundbedarf sei dem Kläger weiterhin geleistet worden. Hinsichtlich des Vortrags zur Verfassungswidrigkeit der Regelbedarfsstufen wiederholte er seine Ausführungen aus dem ersten Widerspruchsbescheid.

Mit seiner am 21. Juni 2022 zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren bezüglich des Leistungszeitraums 2 weiter. Er trägt vor, nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05. November 2019 (Az.: 1 BvL 7/16) betreffend die Sanktionen im Bereich des Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und den dortigen Feststellungen könne auch eine Sanktionierung nach § 1a AsylbLG den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht standhalten. Im Weiteren wiederholt er seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren zur Verfassungswidrigkeit der §§ 3, 3a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, Abs. 2 Nr. 2 lit. b AsylbLG.

Auch gegen den Widerspruchsbescheid betreffend den Leistungszeitraum 1 hat der Kläger am 22. Februar 2024 gesonderte Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, die zunächst unter dem Aktenzeichen S 90 AY 139/22 geführt wurde. Mit Beschluss vom 26. Januar 2023 sind die Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden. Sie sind unter dem o.g. Aktenzeichen fortgeführt worden. Nachdem der Beklagte mit Schreiben vom 23. April 2024 mitgeteilt und dargelegt hat, dass für den Leistungszeitraum 2020 insgesamt 81,67 EUR überzahlt wurden, die mit dem Nachzahlungsbegehren des Klägers für Januar 2020 verrechnet würden, hat der Kläger mit Erklärung vom 26. April 2024 die Klage für den Leistungszeitraum 1 für erledigt erklärt.

Der Kläger beantragt daher zuletzt,
Den Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Mai 2022 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung der Leistungsgewährung im Zeitraum 01. Februar 2020 bis 30 Juni 2020 zu verpflichten, die Existenzsicherungsleistungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts monatlich in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte meint, die Leistungseinschränkung sei rechtmäßig erfolgt, da der Kläger nicht hinreichend an der Passbeschaffung mitgewirkt habe. Im Übrigen verweist er auf seinen Widerspruchsbescheid.

Für den weiteren Sach- und Streitstand wird auf die Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Die zulässige Klage ist begründet.

Die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts Berlin ergibt sich aus § 57 Abs. 1 Halbsatz 1 SGG. Hiernach ist das Sozialgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Kläger zur Zeit der Klageerhebung seinen Sitz oder Wohnsitz oder in Ermangelung dessen seinen Aufenthaltsort hat. Zur Zeit der Klageerhebung war der Kläger amtlich in Berlin und damit im Gerichtsbezirk des Sozialgerichts Berlin gemeldet.

Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Aufgrund der Erledigungserklärung vom 26. April 2024 ist der Monat Januar 2020 nicht mehr streitbefangen. Begehrt wird damit nur noch die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG ohne die Einschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG. Richtige Klageart hierfür ist, da ein Überprüfungsbescheid nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) im Streit steht, eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG). Dabei zielt die Anfechtungsklage auf die Aufhebung des Überprüfungsbescheides, die Verpflichtungsklage auf die Aufhebung des Ausgangsbescheides und die Leistungsklage auf die Verurteilung zur dann zu beanspruchenden Leistung (Baumeister in: juris-PK zu § 44 SGB X, Rn. 154 m.w.N. aus der Rechtsprechung des BSG). Der Antrag des Klägers war nach § 123 SGG in diesem Sinne zu deuten, wie er auch Eingang in den Tenor gefunden hat.

Der Bescheid des Beklagten vom 24. Januar 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Mai 2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 27. Januar 2020, da die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X vorliegen.

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor, denn der Beklagte hat die Leistungen nach dem AsylbLG zu Unrecht eingeschränkt.

Der Bescheid vom 27. Januar 2020 ist formell rechtmäßig, insbesondere verfahrenskonform ergangen. Der Beklagte hat den Kläger vor Einschränkung der Leistung angehört entsprechend § 28 Abs. 1 Hessisches Verwaltungsverfahrensgesetz (HVwVfG), der auch für Verwaltungsakte gilt, die eine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG feststellen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8.11.2018 – L 7 AY 4468/16 – juris Rn. 35). Eine solche Anhörung setzt voraus, dass der Betroffene zu einem konkreten Lebenssachverhalt angehört wird und eine hinreichende Frist zur Stellungnahme erhält (BSG, NVwZ 1986, 596). Als Frist zählt die Zeit zwischen Zugang des Anhörungsschreibens und der Absendung der Stellungnahme ohne Berücksichtigung der Postlaufzeiten. Dabei ist eine Frist von 14 Tagen zzgl. Postlaufzeit üblicherweise für Anhörungen als angemessen anzusehen (vgl. BSG, Urteil vom 05.10.1995 – 2 RU 11/94 – juris Rn. 17). Die Anhörung vom 07. Januar 2020 setzte eine solchermaßen angemessene Frist zum 24. Januar 2020, mithin von 17 Tagen. Sie benennt die mangelnde Mitwirkung bei der Passbeschaffung als Grund für die Leistungseinschränkung. Diese Aufforderung genügt den Anforderungen an eine rechtmäßige Anhörung, da dem Kläger durch diese hinreichend deutlich gemacht wurde, weswegen die Kürzung beabsichtigt war.

Die erfolgte Absenkung der Leistung vom 01. Februar 2020 bis zum 30. Juni 2020 nach § 1a Abs. 3 AsylbLG ist jedoch materiell rechtswidrig.

Rechtsgrundlage für die erfolgte Leistungseinschränkung durch den Beklagten ist § 1a Abs. 3 iVm Abs. 1 AsylbLG. Nach § 1a Abs. 3 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und Nr. 5 AsylbLG, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, ab dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag nur Leistungen entsprechend Absatz 1. Nach § 1a Abs. 1 AsylbLG haben Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, für die ein Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit feststehen, ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG, es sei denn, die Ausreise konnte aus Gründen, die sie nicht zu vertreten haben, nicht durchgeführt werden. Ihnen werden bis zu ihrer Ausreise oder der Durchführung ihrer Abschiebung nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege gewährt. Nur soweit im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, können Ihnen auch andere Leistungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG gewährt werden.

Diese Voraussetzungen der Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG liegen schon nicht vor. Zwar kam der Kläger nicht der ausländerrechtlichen Verpflichtung bei der Passbeschaffung mitzuwirken nach. Diese ausländerrechtlichen Mitwirkungspflichten des Klägers ergeben sich aus § 48 Abs. 3 und § 49 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). § 3 Abs. 1 AufenthG enthält eine Obliegenheit des Ausländers, einen gültigen Pass zu besitzen. Der Kläger wurde auch mehrfach von der Ausländerbehörde und dem Beklagten zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung aufgefordert. Letztlich hat er die Unterschrift unter ein entsprechendes Antragsformular verweigert und erklärt, keinen Pass beantragen zu wollen. Bereits davor hat er sich offenbar über Jahre hinweg nicht um die Beschaffung von Heimreisedokumenten bemüht. Es wäre ihm aber sowohl möglich als auch zumutbar gewesen, sich die entsprechenden Identitätsdokumente zu beschaffen, sollten sich diese nicht mehr in seinem Besitz befinden.

Der Kläger war jedoch im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum nicht vollziehbar ausreisepflichtig. Wie sich aus der Ausländerakte ergibt, wurde die Ablehnung des Asylantrags vom 16. Februar 2017 nicht ordnungsgemäß zugestellt. Die Zugangsfiktion des § 10 Abs. 2 Satz 3 Asylgesetz (AsylG) greift nicht. Hiernach muss der Ausländer die Zustellung oder Mitteilung an die letzte der jeweiligen Stelle genannten Anschrift gegen sich gelten lassen, gleich, ob diese von ihm selbst oder einer öffentlichen Stelle mitgeteilt wurde (vgl. Bergmann/Dollinger in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 15. Aufl., § 10 AsylG Rn. 23 f.). Der Ausländerakte ist nicht zu entnehmen, dass der Kläger oder eine öffentliche Stelle die für die Zustellung verwendete Anschrift als Adresse des Klägers angegeben hätten. In der amtlichen Anmeldung des Klägers ist mit Stand 21. März 2016 die Anschrift „xxx“ eingetragen. In den bis zum 11. Februar 2017 bzw. 06. August 2017 gültigen Aufenthaltsgestattungen des Klägers ist die Anschrift „xxx“ eingetragen. Dies stimmt mit einer amtlichen Meldebescheinigung vom 24. März 2016 überein, wonach der Kläger bis zum 24. Mai 2016 in der xxx und ab 24. Mai 2016 in der xxx in xxx wohnte. Warum im Ablehnungsbescheid und der Zugehörigen Zustellungsurkunde die Anschrift „xxx“ verwendet wird, ist nicht nachvollziehbar; der Bescheid wurde offenbar schlicht falsch adressiert. An keine der tatsächlich benannten Anschriften des Klägers ist ein Zustellungsversuch erfolgt. Die Voraussetzung der Zustellungsfiktion mit Postaufgabe ist damit nicht erfüllt. In der Folge ist dem Kläger der Bescheid tatsächlich erst am 23. November 2017 über- und damit bekanntgegeben worden.

Hiergegen am er Folgetag fristgerecht Klage erhoben. Der Asylantrag ist mit Bescheid vom 16. Februar 2017 nur als einfach und nicht als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden, so dass der Klage gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 iVm § 38 Abs. 1 AsylG iVm § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung zukam. Aus diesem Grund blieb während der Zeit des Klageverfahrens der Status „Asylsuchender“ bestehen und dem Kläger hätte eine Aufenthaltsgestattung ausgestellt werden müssen. Damit wäre der Kläger leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG gewesen und bereits nicht unter den Anwendungsbereich des § 1a Abs. 3 AsylbLG gefallen. Des Weiteren bestand tatsächlich keine Ausreisepflicht, deren Vollziehung der Kläger durch seine Verweigerung, einen an der Passbeschaffung mitzuwirken, verhindert haben könnte.

Die Leistungskürzung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG stellt sich nach alledem als rechtswidrig dar. Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage zur Verfassungsmäßigkeit von Kürzungen nach § 1a AsylbLG kam es daher nicht an. Ebenso wenig kam es auf die Frage der Verfassungswidrigkeit der Gewährung von Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2 an, nachdem der Kläger im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 erhalten hat, was zwischen den Beteiligten jedenfalls nach der Teilerledigungserklärung vom 26. April 2024 auch nicht mehr streitig war.

Der Kläger hat dementsprechend einen Anspruch auf Rücknahme der im Bescheid vom 27. Januar 2020 verhängten Leistungseinschränkung. Zugleich folgt hieraus ein Anspruch des Klägers auf Analogleistungen gemäß § 2 AsylbLG iVm § 27 ff. SGB XII. Diesbezüglich ist neben den bereits gewährten Sachleistungen für die Unterkunft ein Bedarf in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 zu berücksichtigen. Da die verfügte Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG rechtswidrig war, sind dem Kläger für die Zeit vom 01. Februar 2020 bis 30. Juni 2022 diese Grundleistungen ohne Einschränkung unter Anrechnung der bereits erbrachten Leistungen zu gewähren.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG auch unter Berücksichtigung des bereits erledigten Teils der Klage. Es kann dahinstehen, ob diesbezüglich Erfolgsaussichten bestanden, da angesichts des insoweit geringen Streitwerts im Verhältnis zum streitig gebliebenen Teil der Klage eine Kostenquotelung nicht in Betracht käme.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.