Im sog. Fretterode-Verfahren hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe mit Urteil vom 13.04.2024 das Skandalurteil des Landgerichts Mühlhausen vom 15.09.2022 (Az.: 3 KLs 101 Js 47753/18 jug) aufgehoben und dies mit erheblichen Mängeln in der Beweiswürdigung begründet. Mehr als ein Jahr später wurde die Verhandlung noch immer nicht neu vom Landgericht Mühlhausen angesetzt. Es wurde nun abermals die Verzögerungsrüge erhoben.
Das Landgericht Mühlhausen hatte mit einem ersichtlich milden Urteil die zwei Neonazis Gianluca B. und Nordulf H. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von lediglich einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung bzw. zu einer Arbeitsauflage von 200 Arbeitsstunden nach Jugendstrafrecht verurteilt. Die Nebenklage hatte eine Verurteilung insbesondere auch wegen schweren Raubes mit deutlich höheren Strafen und insbesondere die Berücksichtigung der neonazistischen Beweggründe bei der Strafzumessung gefordert. Auf die Revision der Nebenklage und der Staatsanwaltschaft hatte der BGH die Beweiswürdigung des Landgerichts Mühlhausen für erheblich fehlerhaft erklärt. Es fehle an einer Gesamtwürdigung aller Indizien insbesondere hinsichtlich des Raubes der Kamera der Journalisten (siehe unten).
Das Verfahren wurde an eine andere Kammer des Landgerichts Mühlhausen zurückverwiesen, die die Beweisaufnahme neu durchführen muss. Diese neue Beweisaufnahme ist bis heute und damit abermals länger als ein Jahr nach der BGH-Entscheidung noch immer nicht angesetzt. Einer der Nebenkläger hat daher nun – wie bereits im ersten Verfahren – die sog. Verzögerungsrüge erhoben und damit die Grundlage zumindest für eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer geschaffen.
„Die Justiz in Mühlhausen versagt in dem Verfahren. Nach einer derartigen Schelte durch den BGH das Heft nicht unmittelbar in die Hand zu nehmen und die offensichtlichen Fehler aus dem ersten Verfahren schnell auszuräumen ist peinlich und offenbart, dass unsere Mandanten von der Justiz in Mühlhausen weder Genugtuung noch Schutz zu erwarten haben. Geschützt werden dort Neonazis.“ ärgert sich RA Sven Adam, der einen der beiden Journalisten vertritt, über die fortgesetzte Untätigkeit des Gerichts. Ob die Nebenklage an einer Neuauflage des Prozesses angesichts dieses Verhaltens der Justiz nochmal teilnehmen wird lässt er offen. „Unsere Mandanten haben aus der starken solidarischen Begleitung des Prozesses und der großen öffentlichen Aufmerksamkeit viel Kraft gezogen. Sie sind überzeugt, dass die weitere Recherchearbeit der freien Presse im Umfeld der Neonaziszene erforderlich ist, um einem weiteren Erstarken der Neonazis auch mit Wissen über die Szene zu begegnen. Sie sind aber auch überzeugt, dass nach sieben Jahren Verschleppung des Verfahrens ein gerechtes Urteil einer Jugendstrafkammer in Mühlhausen nicht mehr zu erwarten ist.“ konkretisiert RA Rasmus Kahlen, der den zweiten verletzten Journalisten vertritt, die Kritik an der Mühlhäuser Justiz.
Für Rückfragen stehen die Rechtsanwälte Sven Adam und Rasmus Kahlen unter den bekannten Kontaktdaten zur Verfügung.
Hintergrund:
Zwei Journalisten aus Göttingen befanden sich aus Recherchegründen Ende April 2018 im Ort Fretterode und wurden von Personen des extrem rechten Spektrums entdeckt. Als sie sich mit ihrem Auto zurückziehen wollten, wurden sie von zwei Personen mit einem schwarzen BMW verfolgt. Es kam es zu einer Verfolgungsjagd über die Landstraße sowie durch die Orte durch Fretterode und Germershausen. Am Ortseingang von Hohengandern wurden die Journalisten von den Verfolgern eingeholt. Nachdem das Fahrzeug der Journalisten in einem Graben zum Stehen kam griffen die beiden Personen des rechten Spektrums zunächst das Auto und anschließend die Insassen mit einem Baseballschläger, einem Messer, einem ca. 40-50 cm großen Schraubenschlüssel und Pfefferspray an. Der Fotograf erlitt u.a. eine Stichverletzung mit einem Messer im Oberschenkel, seinem Begleiter wurde u.a. mit dem schweren Schraubenschlüssel auf den Kopf geschlagen und er erlitt eine Fraktur des frontalen Schädelknochens und eine Kopfplatzwunde. Die Scheiben des Fahrzeuges wurden zerstört, die hinteren Reifen wurden zerstochen und dem Fotografen wurde seine Kamera sowie Kameratasche geraubt. Im Anschluss zogen sich die Täter in dem schwarzen BMW wieder zurück. Durch Anwohner konnte auf Bitten der erheblich verletzten Angegriffenen der Rettungsdienst und die Polizei verständigt werden.
Der Fotograf konnte noch aus dem eigenen Fahrzeug Fotos von einem der Täter anfertigen. Die SD-Karte mit diesen Fotos kam nicht in den Besitz der Neonazis und ist den Ermittlungsbehörden zur Verfügung gestellt worden.