BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit
xxx,
– Antragsteller –
Prozessbevollmächtigte/r:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen
gegen
Gemeindeverwaltung Limburgerhof,
Burgunder Platz 2, 67117 Limburgerhof
– Antragsgegner –
hat die 16. Kammer des Sozialgerichts Speyer am 8. Juli 2025 durch den
Richter am Sozialgericht xxx
beschlossen:
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit ab dem 26.04.2025 bis zum 31.07.2025, längstens jedoch bis zum Eintritt der Bestandskraft einer Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 25.04.2025 oder bis zur Ausreise des Antragstellers aus dem Bundesgebiet, vorläufig uneingeschränkte Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG zu erbringen, soweit diese als Geldleistung gewährt werden.
2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
3. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
GRÜNDE
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG in rechtmäßiger Höhe.
Der Antragsteller ist 1986 geboren und russischer Staatsangehöriger. Er bezieht von der Antragsgegnerin ohne Regelung durch Bescheid, sondern durch faktische Bewilligung Leistungen nach dem AsylbLG.
Ausweislich der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 05.03.2024 wurde der Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt, festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen und die Abschiebung nach Kroatien angeordnet. Hinsichtlich der weiteren Anordnungen und Ausführungen im genannten Bescheid wird auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.
Die Antragsgegnerin gewährt dem Antragsteller nach ihren eigenen Angaben auf Grundlage von § 1 Abs. 4 AsylbLG gekürzte Leistungen.
Der durch seinen späteren Prozessbevollmächtigten anwaltlich vertretene Antragsteller legte mit Schreiben vom 25.04.2025 Widerspruch gegen die Kürzung der Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG ein.
Am 26.04.2025 hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei dem Sozialgericht Speyer gestellt, gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 26.04.2025 gegen die faktische Leistungsgewährung durch die Antragsgegnerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG ungekürzt ab Eingang dieses Antrages bei Gericht zu gewähren, soweit diese als Geldleistungen gewährt werden.
Zur Begründung ist unter ausführlicher Bezugnahme auf Rechtsprechung und Literatur ausgeführt worden, dass § 1 Abs. 4 AsylbLG als Rechtsgrundlage für die Kürzung der Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG sowohl gegen die Vorgaben des Grundgesetzes als auch gegen Unionsrecht, namentlich gegen Art. 20 der Richtlinie 2013/33/EU verstoßen würde. Dementsprechend habe der Antragsteller einen Anspruch auf Gewährung der ungekürzten Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG. Hinsichtlich der konkreten Ausführungen zur Begründung der Unvereinbarkeit mit verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Vorgaben wird insoweit auf S. 47 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.
Der Antragsteller beantragt: Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers vom 25.04.2025 gegen die faktische Leistungsgewährung durch die Antragsgegnerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG ungekürzt ab Eingang dieses Antrages bei Gericht zu gewähren, soweit diese als Geldleistungen gewährt werden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der Vorgaben von Art. 29 Dublin III-VO und der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts die dem Antragsteller gewährten Leistungen der geltenden Rechtslage und auch den Anforderungen des Grundgesetzes entsprechen würden. Hinsichtlich der ausführlichen Ausführungen der Antragsgegnerin zur Begründung ihrer Ansicht im Einzelnen wird auf Blatt 77 ff. der Gerichtsakte verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung durch das Gericht.
II.
Der Antrag ist zulässig und im tenorierten Umfang unbegründet.
Der einstweilige Rechtsschutz in sozialgerichtlichen Verfahren richtet sich nach den Vorgaben in §§ 86a, 86b SGG.
Gemäß § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit – wie hier – kein Fall des Absatzes 1 vorliegt, auf – den gestellten – Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen. Notwendig ist die Gefahr, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 ist eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dabei ist ein materieller Anspruch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren einer summarischen Überprüfung zu unterziehen, und es darf grundsätzlich die endgültige Entscheidung nicht vorweggenommen werden. Nur ausnahmsweise kann von diesem Grundsatz abgewichen werden, wenn streitige Leistungen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen. Diese Pflicht des Staats basiert auf der grundgesetzlich geschützten Menschenwürde in Verbindung mit dem verfassungsfundierten Sozialstaatsgebot (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05). Hieraus ergibt sich, dass es in diesen Fällen namentlich erforderlich sein kann, einer Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, wenn ansonsten ein Recht vereitelt würde oder eine bloße vorläufige Regelung nicht zumutbar ist. Die begehrte einstweilige Anordnung, die einzig in Gestalt einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG in Betracht kommt, kann ausschließlich erlassen werden, wenn der geltend gemachte Anspruch hinreichend wahrscheinlich ist (Anordnungsanspruch) und wegen seiner Nichterfüllung schwere und anders nicht, auch nicht nachträglich durch eine Entscheidung in der Hauptsache (vgl. insbesondere Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 25.02.2009, 1 BvR 120/09; ebenso Landessozialgericht Rheinland- Pfalz, Beschluss vom 12.02.2010, L 1 SO 84/09 B ER), noch abwendbare Nachteile drohen (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch ist also der materiell-rechtliche Anspruch, auf den das Begehren gestützt wird, während der Anordnungsgrund in der Eilbedürftigkeit besteht (vgl. nur Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18.10.2007, L 1 ER 242/07 AS). Nach § 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO sind diese Anspruchsvoraussetzungen im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu machen (Keller in: Meyer- Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 16b, 41). Anordnungsanspruch und -grund stehen hierbei nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden wegen ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (ebenso Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 27). Wenn eine entsprechende Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet wäre, ist ein Recht, das im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes geschützt werden muss, nicht vorhanden. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dann selbst bei Vorliegen eines Anordnungsgrunds abzulehnen. Wäre die Klage demgegenüber offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund entsprechend, ohne dass auf dessen Vorliegen indes in Gänze verzichtet werden könnte (ebenso vor allem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.02.2005, L 5 ER 5/05 KR, Beschluss vom 25.09.2006, L 5 ER 129/06 KR, und Beschluss vom 12.02.2010, L 1 SO 84/09 B ER; vgl. aus dem Schrifttum exemplarisch Jüttner/Wehrhahn in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 3. Aufl. 2020, § 86b Rn. 57). Bei einem letztlich gänzlich offenen Ausgang einer Klage ist im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine umfassende Interessenabwägung erforderlich (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, Beschluss vom 01.02.2010, 1 BvR 20/10, Beschluss vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, und Beschluss vom 06.08.2014, 1 BvR 1453/12). In diese sind einerseits die Folgen einzustellen, die entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellte, dass der Anspruch besteht, und andererseits die Folgen, die bei dem Erlass der einstweiligen Anordnung und aber fehlendem Erfolg im Hauptsacheverfahren entstünden (so Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.02.2005, L 5 ER 5/05 KR; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 29a). Entscheidend für eine bei offenem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache gebotene Interessenabwägung ist, ob es dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Betroffenen nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (ebenso Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 11.11.2004, L 5 ER 75/04 KA; vgl. auch Keller in: Meyer- Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 28, 29a). Zur Annahme von Eilbedürftigkeit genügen die mit einem jeden Hauptsacheverfahren verbundenen zeitlichen Nachteile indes nicht (vgl. allgemein hierzu Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.05.2003, L 5 ER 35/03 KR; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 29a). Dasselbe gilt für rein ideelle Nachteile (ebenso statt vieler Krodel, NZS, 2002, 180 (182)). In Bezug auf Geldleistungen, die für die Vergangenheit, das heißt für die Zeit vor der Antragstellung bei Gericht, begehrt werden, fehlt es regelmäßig an einem Anordnungsgrund, es sei denn, ein Nachholbedarf ist glaubhaft gemacht (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.09.2010, L 3 AS 369/10 B ER, und Beschluss vom 10.11.2010, L 3 AS 535/10 B ER; Keller in: Mayer- Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Aufl. 2023, § 86b SGG Rn. 29a, 35a). Erforderlich ist hierfür, dass eine schwere und unzumutbare existenzielle Notlage wegen der in der Vergangenheit erfolgten Nichtgewährung von Leistungen in der Gegenwart fortbesteht (siehe Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 25.05.2016, L 11 AS 272/16 B ER; Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 28.03.2022, L 6 AS 86/22 B ER). Zur Durchsetzung des Nachholbedarfs dürfte der Antragsteller auch nicht zumutbar auf die Hauptsache verwiesen werden können. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist in Ermangelung eines Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, jedenfalls aber wegen eines fehlenden Anordnungsanspruchs unbegründet, wenn das mit dem Eilantrag Erstrebte bestandskräftig abgelehnt worden ist (vgl. hierzu allgemein Landessozialgericht für das Saarland, Beschluss vom 11.08.2005, L 9 B 4/05 AS; Landessozialgericht Hessen, Beschluss vom 24.04.2006, L 9 AS 39/06; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17.11.2008, L 11 B 942/08 AS ER, sowie Beschluss vom 05.02.2009, L 11 AS 20/09 B ER; Keller in: Mayer- Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 26d). Dann ist ein Recht, das im Eilverfahren geschützt werden muss, nicht vorhanden, es fehlt an einer offenen Hauptsache im Sinne des § 86b Abs. 2 SGG. An einem Rechtsschutzbedürfnis, jedenfalls aber einem Anordnungsgrund fehlt es allgemein, wenn ein gegenüber der Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes einfacherer und zumutbarer Weg zur Verfügung steht, dem Begehren zu einem Erfolg zu verhelfen (siehe Keller in: Mayer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 26).
Ausgehend von den dargelegten Grundsätzen hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Es ist mehr als zweifelhaft, ob die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Normen des AsylbLG mit den Vorgaben des GG und des Unionsrecht in Einklang stehen. Beides ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Das Gericht kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren beide Fragen nicht abschließend klären, da die Beurteilung der Verfassungswidrigkeit dem Bundesverfassungsgericht obliegt, und die Frage der Vereinbarkeit der entscheidungserheblichen Normen mit den europarechtlichen Vorgaben der abschließenden Beurteilung durch den Gerichtshof der Europäischen Union obliegt. Ein Verfahren nach Art. 100 GG kommt nach Auffassung der Kammer – unabhängig von dem Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 100 GG – im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter Berücksichtigung der hierzu formulierten Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht in Betracht (siehe zu den Anforderungen einer Vorlage nach Art. 100 GG im Eilverfahren statt vieler Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19.07.1996, 1 BvL 39/95). Die Kammer ist an dieser Stelle auch nicht in der Lage, abschließend zu klären, ob sie von der Verfassungswidrigkeit der entscheidungserheblichen Normen des AsylbLG im Sinne von Art. 100 GG überzeugt ist, da diese Entscheidung nur mit dem vollständigen Spruchkörper getroffen werden kann, der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zur Verfügung steht (siehe Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15.04.2005, 1 BvL 6/03, BeckRS 2005, 30354507, beck-online). Auch die Einleitung eines Vorlageverfahrens zur Klärung der Europarechtskonformität der entscheidungserheblichen Normen ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht angezeigt (ebenso Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.06.2018, L 7 AS 420/18 B ER). Insoweit müssen die Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragsteller sowie eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens als offen angesehen werden, auch wenn die Kammer an dieser Stelle ihre erheblichen Zweifel an der Vereinbarkeit der entscheidungserheblichen Norm mit dem Verfassungs- und Europarecht zum Ausdruck bringt. Hinsichtlich der Frage der Verfassungswidrigkeit der genannten Norm sei insoweit statt vieler auf die ausführlichen und instruktiven Ausführungen der 15. Kammer des Sozialgerichts Speyer in dem Beschluss vom 20.02.2025, S 15 AY 5/25 ER (siehe ASR 2025, S. 76 ff., beck-online) verwiesen. Zusätzlich erlaubt sich die Kammer den Hinweis auf die Ausführungen im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.07.2021, 1 BvL 10/10 (zitiert nach juris). Die Ausführungen lassen aus Sicht der Kammer kaum Raum für die Annahme, dass die vorliegenden entscheidungserheblichen Vorgaben unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als verfassungskonform angesehen werden können. Denn dort heißt es:
„bb) Auch eine kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigte es im Übrigen nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss (vgl. BVerfGE 125, 175 <253>). Art. 1 Abs. 1 GG garantiert ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Art. 20 Abs. 1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht. Ausländische Staatsangehörige verlieren den Geltungsanspruch als soziale Individuen nicht dadurch, dass sie ihre Heimat verlassen und sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht auf Dauer aufhalten (vgl. Rothkegel, ZAR 2010, S. 373 <374>). Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz muss daher ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland realisiert werden.
c) Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau zu vermeiden, können von vornherein kein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren <13. Ausschuss> vom 24. Mai 1993, BTDrucks 12/5008, S. 13 f.). Die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.“
Hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit mit den europarechtlichen Vorgaben wird statt vieler auf die Ausführungen des Bundessozialgerichts im Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 25.07.2024, B 8 AY 6/23 R (siehe NZS 2025, S. 221 ff.) verwiesen. Insoweit sind nach Auffassung der Kammer durchaus Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegeben, was die Kammer jedoch entsprechend der oben getätigten Darlegungen nicht abschließend feststellen kann.
In einem solchen Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Fachgerichte zu verhindern (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927, beck-online). Insoweit ist auch durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt, dass das in Art. 100 GG normierte Normverwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts dem Erlass einer einstweiligen Anordnung durch die Fachgerichte nicht entgegensteht, um Verletzung von grundrechtlichen Position zu verhindern (siehe Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19.07.1996, 1 BvL 39/95).
Entscheidend ist für den Erfolg des vorliegenden Verfahrens folglich, ob es dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Betroffenen nicht zuzumuten ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Denn im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes steht die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während des Verfahrens im Streit. Ist jedoch während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst, wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden. Insoweit muss auch unter Berücksichtigung des Justizgewährleistungsanspruchs des Antragstellers die Interessensabwägung zugunsten des Antragstellers erfolgen.
Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem existenzsichernden Charakter der vor- enthaltenen streitgegenständlichen Leistungen. Die Regelungsanordnung ist für die Abwendung wesentlicher Nachteile des Antragstellers erforderlich, da die in zu niedriger Höhe bewilligten Leistungen ihn von dem Leistungsniveau ausschließen würden, das nach der Einschätzung des Gesetzgebers erforderlich ist, um das nach Art. 1 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 1 GG zu gewährende soziokulturelle Existenzminimum zu decken. Höhere Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes sind vorliegend nicht zu stellen. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind darüber hinaus weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage – wie im vorliegenden Fall – das Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlich ist.
Der Anordnungsgrund wird im vorliegenden Fall auch nicht dadurch beseitigt, dass der Antragsgegner entgegen dem Wortlaut des Gesetzes tatsächlich in bestimmtem, jedoch eingeschränktem Maße Leistungen erbringt. Im Fall der Verfassungswidrigkeit und/oder der Europarechtswidrigkeit der hier maßgeblichen rechtlichen Vorgaben bestünde für eine verfassungskonforme Leistungseinschränkungsmöglichkeit keine Rechtsgrundlage. Es bestünde insoweit mangels Vorgaben des Gesetzgebers keine Gewähr dafür, dass die Antragsteller mit Hilfe der zur Verfügung gestellten Leistungen ihr menschenwürdiges Existenzminimum tatsächlich decken können.
Die Antragsgegnerin war daher zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG zu verpflichten und dem Antrag im tenorierten Umfang stattzugeben. Im Übrigen war der Antrag abzulehnen. Die Kammer hat ihr Ermessen hin- sichtlich des Zeitraums der Verpflichtung des Antragsgegners dahingehend ausgeübt, dass zunächst bis 31.07.2025 vorläufig Leistungen zu erbringen sind. Die Kammer orientiert sich hierbei an der Vorläufigkeit des Eilverfahrens und der für die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens angemessenen Dauer gem. § 88 Abs. 2 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 3 SGG und orientiert sich am Ausgang des Rechtsstreits.
Dieser Beschluss ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG iVm. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG unanfechtbar, da der dort genannte Wert des Beschwerdegegenstandes im vorliegenden Fall nicht erreicht wird.


