Sozialgericht Karlsruhe – Beschluss vom 23.07.2025 – Az.: S 12 AY 1244/25

BESCHLUSS

in dem Rechtsstreit

xxx,

– Kläger –

Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Sven Adam
Lange-Geismar-Str. 55, 37073 Göttingen

gegen

Stadt Pforzheim
vertreten durch den Oberbürgermeister
Marktplatz 4, 75175 Pforzheim

– Beklagte –

Die 12. Kammer des Sozialgerichts Karlsruhe
hat am 23.07.2025 in Karlsruhe
durch den Richter am Sozialgericht xxx
ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Rechtsstreit S 12 AY 1244/25 zu erstatten.

GRÜNDE

Nach Erledigung der Hauptsache entscheidet das Gericht durch Beschluss, ob und in welchem Umfang dem Grunde nach die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten zu erstatten haben (§ 193 Abs. 1 S. 3 SGG).

Das Verfahren S 12 AY 1244/25 hat in der Sache seine Erledigung gefunden, denn die seitens des Klägers erfolgte Erledigungserklärung vom 24.06.2025 ist nach §§ 106 Abs. 1, 123 SGG sachdienlich als Klagerücknahme auszulegen.

Die hiernach gebotene Entscheidung über die Kostenerstattung erfolgt ohne Rücksicht auf Anträge der Beteiligten, wobei § 193 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGG keine Vorgaben für den Inhalt der Kostenentscheidung enthält, weshalb das Sozialgericht nach billigem Ermessen aufgrund allgemeiner Grundsätze entscheidet. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere auch der Anlass für die Klageerhebung und der bisherige Sach- und Streitstand (vgl. z. B. Beschlüsse des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17.06.1999, L 11 SB 2062/99 AK-B u. vom 24.01.2000, L 11 SB 4587/99 AK-B).

Auch im Spezialfall der Erledigung einer Untätigkeitsklage besagen die allgemeinen Grundsätze, dass der Ausgang des Verfahrens auf Grundlage des Sach- und Streitstands zum Zeitpunkt der Erledigung maßgeblich ist. Dies beruht auf einer Anwendung der Rechtsgedanken der § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 154 Abs. 1, 2 und 4 VwGO, § 155 Abs. 1 und 2 VwGO. Indes erfolgt keine Kostenerstattung, weil die Klage unzulässig geblieben ist, falls die Klage vor Ablauf der gesetzlichen Wartefrist erhoben worden war und die Behörde den begehrten Bescheid noch innerhalb der Frist erlässt. Hingegen kommt eine Kostenerstattung grundsätzlich in Betracht, falls die Untätigkeitsklage während ihrer Rechtshängigkeit zulässig und begründet war. Dies ist namentlich der Fall, wenn die Behörde entgegen § 88 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht innerhalb der gesetzlichen Sperr- beziehungsweise Wartefrist über den Antrag entscheidet und kein zureichender Grund für die Verspätung vorlag (BVerfG, 08.02.2023 – 1 BvR 311/22 –, Rn. 13, juris). Ein zureichender Grund kann bei einer vorübergehenden besonderen Belastung gegeben sein, beispielsweise, wenn aufgrund einer Gesetzesänderung für einen begrenzten Zeitraum viele Anträge zu bearbeiten sind, bei einem Umzug oder organisatorischen Änderungen einer Behörde (LSG Sachsen, 17.03.2008, L 2 B 91/08 AS).

Falls ein solcher Grund für die Verzögerung bestand und dieser entweder durch die Behörde mitgeteilt wurde oder nicht mitgeteilt werden musste, da dieser Grund ohnedies bekannt war, sind die Kosten unter dem Gesichtspunkt des Erfolgs- und Veranlassungsprinzips nicht zu erstatten. Insoweit kann die Kostenentscheidung nämlich auf Verschuldensgesichtspunkte gestützt werden; in Fallkonstellationen dieser Art ist eine Zwischenmitteilung entbehrlich (BeckOGK/Diehm, 1.8.2022, SGG § 88 Rn. 104).

Indes muss die beklagte Behörde in der Regel die außergerichtlichen Kosten des Klägers erstatten, weil dieser mit einer Bescheidung vor Fristablauf rechnen durfte, wenn die Klage nach Ablauf der Sperrfrist erhoben wurde. Auf die Frage, ob die beklagte Behörde (ggf. zunächst) einen zureichenden Grund für ihre Untätigkeit hatte, kommt es in aller Regel nicht an, sofern der Kläger diesem Grund nicht kannte und daher mit seiner Bescheidung rechnen durfte (Claus in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 88 SGG (Stand: 15.06.2022), Rn. 70). Wenn der Kläger den zureichenden Grund für die Verzögerung nicht kannte und auch bei der ihm zumutbaren Sorgfalt nicht kennen konnte, bestand gleichwohl Anlass zur Klageerhebung, so dass die Kosten der beklagten Behörde (zumindest teilweise) aufzuerlegen sind (Jaritz in: Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, § 88 SGG Rn. 101; SG Augsburg, 16.07.2020, S 12 KR 763/19). Hieraus folgt zugleich, dass die Behörde der Kostenlast entgehen kann, wenn sie den Kläger über einen zureichenden Grund für die Nichtbescheidung, beispielsweise durch eine Mitteilung oder eine Zwischennachricht in Kenntnis gesetzt hat, wobei eine formelhafte Mitteilung nicht genügt (LSG Bayern, 09.06.2009, L 19 B 125/08 R; Jaritz in: Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, § 88 SGG Rn. 103).

Gemessen hieran hat die Beklagte im Verfahren S 12 AY 1244/26 die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Die am 06.05.2025 erhobene Untätigkeitsklage war seit ihrer Rechtshängigkeit zulässig und begründet. Die Beklagte hatte binnen der im Widerspruchsverfahren gemäß § 88 Abs. 1 und 2 SGG dreimonatigen Sperrfrist den Widerspruch des Klägers vom 13.01.2025 gegen den Bescheid vom 30.01.2024 nicht beschieden.

Es ist der Beklagten zwar zuzugeben, dass für die Verzögerung im Widerspruchsverfahren ein zureichender Grund gegeben war. Auf diesen hat die Beklagte in ihrer Klageerwiderung vom 11.06.2025 zurecht hingewiesen. Die Beklagte hatte nämlich die Umstellung von ca. 600 Fällen im Bereich des Asylbewerberleistungsgesetzes auf das Bezahlkartensystem zu bewerkstelligen. Dies umfasste die technische und verwaltungstechnische Umsetzung, insbesondere die Erstellung, Ausgabe und Aktivierung der Karten sowie die erforderliche Schulung und Kommunikation mit den Leistungsempfängern. Diese kurzfristige und vorübergehende Priorisierung des Umstellungsprozesses war vor dem Hintergrund der existentiellen Bedeutung für die betroffenen Leistungsempfänger dringend erforderlich. Insofern lagen zureichenden Gründe dafür vor, dass ausnahmsweise nicht innerhalb von drei Monaten über den Widerspruch des Klägers entschieden wurde.

Dessen ungeachtet hatte der Kläger seinerseits am 06.05.2025 Anlass zur Erhebung der Untätigkeitsklage, weil die Beklagte die zureichenden Gründe für die Verzögerung des Widerspruchsverfahrens am 19.02.2025 nur unzureichend mitgeteilt hatte. Ihre Mitteilung umfasste nur einen Satz und enthielt inhaltlich einen nicht nachvollziehbaren Hinweis auf den Vollzug einer „Systemänderung“. Die Mitteilung war daher „formelhaft“ im Sinne der o. g. Kommentierung bzw. Rechtsprechung zu den Grundsätzen der Kostenerstattungen für Untätigkeitsklagen.

Die Beklagte kann insoweit auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass die notwendigen Umstellungsprozesse aufgrund verschiedener Gesetzesreformen und der medialen Berichterstattung allgemein bekannt gewesen seien. Aus der Binnenperspektive einer mit der „Systemänderung“ selbst befassten Behörde mag dies am 19.02.2025 der Fall gewesen sein. Dass sie sich mit dieser formelhaften Formulierung auf die Einführung der Bezahlkarte bezog, war für den Kläger oder seinen Bevollmächtigten indes nicht ersichtlich, weil der Begriff der „Systemänderung“ alles Mögliche betreffen könnte.

Der Kläger hatte daher Anlass zur Erhebung der Untätigkeitsklage, welcher die Beklagte erst prozessbegleitend am 22.05.2025 abhalf, indem dem sie den Widerspruch beschied.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 172 Abs. 3 Nr. 3 i.V.m. § 193 SGG.