Gutachten der Firma F+B – 2009

Stellungnahme zu dem Göttinger Wohnungsmarktgutachten

Erstmals hat der Landkreis Göttingen im Juni 2009 das umstrittene Gutachten der Firma F+B aus dem Monat März 2009 zur Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Rahmen von Sozialleistungen in Göttingen zur Grundlage seiner Beweisführung in sozialgerichtlichen Verfahren gemacht. Von den dort ermittelten niedrigeren Werten als bisher sind vor allem Familien mit Kindern betroffen.

Mit Unterstützung von Dr. H.D. Frieling des Geographischen Institutes der Georg-August-Universität haben wir im Juli 2009 eine Gegenstellungnahme entwickelt. Diese ist nun hier im Volltext abrufbar.

Stellungnahme_zu_dem_Gutachten_der_Firma_F+B_-_Anwaltskanzlei_Adam_-_Juli_2009.pdf

Gegenstellungnahme von Juli 2009 zu dem Gutachten der Firma F+B aus dem März 2009
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Anlage_-_Schreiben_von_F+B_an_die_Wohnungsunternehmen_im_LK_Goe_vom_10.03.08.pdf

Anlage zu der Stellungnahme
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Anlage_-_Schreiben_des_LK_Goe_an_Mieter_vom_14.07.08.pdf

Anlage zu der Stellungnahme
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Anlage_-_Schreiben_des_LK_Goe_an_Mieter_vom_04.08.08-Wohnkostenerhebung.pdf

Anlage zu der Stellungnahme
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In einer Presseerklärung der Anwaltskanzlei Sven Adam vom 09.07.2009 heißt es zu der Veröffentlichung:


Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam hat das vom Landkreis Göttingen in Auftrag gegebene Mietgutachten scharf kritisiert. Das Gutachten der Firma F+B aus dem März dieses Jahres soll die Angemessenheitsgrenzen für Unterkunftskosten in Göttingen nach den Sozialgesetzbüchern II und XII bestimmen. Anschließend soll die Mietkostenerstattung für Hartz-IV-Empfänger daran angepasst werden. Von den dort ermittelten niedrigeren Werten als bisher seien vor allem Familien mit Kindern betroffen, so Adam: „Das Gutachten spiegelt weder die aktuellen Verhältnisse auf dem Göttinger Wohnungsmarkt wieder noch wurden für die Auswertung repräsentative Daten verwendet.“. So sind z.B. Sozialwohnungen in das Gutachten eingeflossen, während Wohnungen mit einer Größe von unter 20qm sowie Wohnungen in Ein- und Zweifamilien-Häusern unberücksichtigt gelassen wurden. Zudem wurden fast ausschließlich Großvermieterdaten verarbeitet Für den Mietpreis wichtige Faktoren wie Lage und Ausstattung der Wohnungen wurden stattdessen gar nicht erst erhoben. „Von einem schlüssigen Konzept für eine Wohnungsmarktanalyse, wie es das Bundessozialgericht immer wieder fordert, kann hier keine Rede sein“ so Adam weiter und prognostiziert: in den entsprechenden Verfahren wird der Landkreis die Schlüssigkeit des Gutachtens nicht nachweisen können. Aufgrund der geltenden Rechtsprechung müssen deshalb die Tabellenwerte des neuen § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) als Grundlage für die Bestimmung der Angemessenheit gelten. Dies bedeutet eine Erhöhung der bisherigen Angemessenheitsgrenzen um 10% statt der festgestellten noch geringeren Werte. Auch der am Dienstag verabschiedete Gegenentwurf der Göttinger Stadtverwaltung greift eindeutig zu kurz. Er berücksichtigt nur einen Teil der Erhöhung der Werte in der neuen Wohngeldtabelle. Angeblich enthaltene Anteile für Heizkosten werden abgezogen, obwohl sie gesondert gewährt werden müssen. Offensichtlich ist der Verwaltung hier ein Rechenfehler unterlaufen.


Gerade die Frage der Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II bzw. § 29 SGB XII ist der vor den Sozialgerichten am heftigsten umstrittenste Streitgegenstand im Rahmen der Bewilligung von Grundsicherungsleistungen. In der Einleitung der Gegenstellungnahme heißt es daher hierzu: 


In Göttingen ist nach der Hartz-Reform für die Gewährungen der Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) sowie SGB XII (alte Sozialhilfe) der Landkreis Göttingen aufgrund des Modells der so genannten Optionskommunen zuständig. Sein Zuständigkeitsbereich umfasst hierbei das Stadtgebiet Göttingens sowie die gesamten Gemeinden im Landkreis Göttingen.

Im Rahmen der Sozialleistungen hat der Landkreis Göttingen den hiervon Betroffenen auch die so genannten Kosten der Unterkunft (Grundkosten und „kalte“ Nebenkosten) zu gewähren (§ 22 SGB II bzw. § 29 SGB XII). In § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II heißt es hierzu: „Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.“Den Betroffenen werden im Umkehrschluss die Kosten der Unterkunft also nur in tatsächlicher Höhe erstattet, wenn diese nicht unangemessen sind.

Der Begriff der Angemessenheit ist ein so genannter unbestimmter Rechtsbegriff, der je nach zu untersuchenden Örtlichkeiten von der Verwaltung und den Sozialgerichten mit Leben gefüllt werden muss. Aufgrund des interpretationsoffenen Gesetzestextes sowie dem fiskalischen Willen der Verwaltung, öffentliche Gelder einzusparen, handelt es sich bei der so genannten „Angemessenheit der Kosten der Unterkunft“ um den am heftigsten umstrittenen Streitgegenstand vor den Sozialgerichten. Denn oft geht es den Empfängerinnen und Empfängern von Sozialleistungen um die Existenz, da sie aufgrund einer angeblichen und mitunter auch nur geringen (angeblichen) Unangemessenheit ihrer Kosten der Unterkunft zu Umzügen gezwungen sind oder Teile der entsprechenden Kosten durch die ohnehin zu niedrige Regelleistung kompensieren und damit Einschnitte in das Existenzminimum hinnehmen müssen.

In den letzten Jahren hat sich im Rahmen der Klagewellen gegen die Hartz-IV-Gesetzgebung daher eine umfassende Rechtsprechung zu der Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft in der Sozialgerichtsbarkeit entwickelt. Als indes gefestigte Rechtssätze können folgende Feststellungen der Gerichte angeführt werden:

–          Sozialleistungsempfänger haben im Rahmen der Angemessenheit von Kosten der Unterkunft nur Anspruch auf zu übernehmende Kosten für Wohnungen im unteren Segment der nach der Größe in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk, der den Vergleichsmaßstab bildet (Bundessozialgericht (BSG) – Urteil vom 07.11.2006 – Az.: B 7b AS 18/06 R).

–          Der Grundsicherungsträger hat zur Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft zuvorderst die örtlichen Besonderheiten des Mietwohnungsmarktes zu ermitteln (BSG – Urteil vom 07.11.2006 – Az.: B 7b AS 18/06 R).

–          Die von dem Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss [sofern vorhanden] […] auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiederzugeben (BSG – Urteil vom 18.06.2008 – Az.: B 14/7b AS 44/06 R)

–          Im Falle fehlender valider Erkenntnismöglichkeiten über den lokalen Wohnungsmarkt ist die Angemessenheitsgrenze für Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II und § 29 Abs. 1 SGB XII in Anlehnung an die rechte Spalte der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz – WoGG – (i. d. F. gültig bis zum 31.12.2008) zuzüglich eines Zuschlages von 10 % zu bilden (vgl. BSG – Urteil vom 07.11.2006 – Az.: B 7b AS 18/06 R; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen – Urteile vom 24.04.2007 – Az.: L 7 AS 494/05; vom 11.03.2008 – Az.: L 7 AS 332/07; Beschlüsse vom 23.05.2007 – Az.: L 13 AS 11/06 ER; vom 28.06.2007 – Az.: L 13 AS 58/07 ER; vom 17.04.2008 – Az.: L 7 AS 166/08 ER; u. a.).

Seit Jahren verfügt der Landkreis Göttingen über keine Erkenntnisse hinsichtlich des Mietwohnungsmarktes in seinem Zuständigkeitsbereich. Zuletzt war im Jahr 2005 der Versuch unternommen worden, mittels eines Gutachtens der Firma „Gewos“ aus Hamburg, den Göttinger Wohnungsmarkt abzubilden. Die damaligen Daten waren schnell veraltet und können heute zur Darstellung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt nicht mehr herangezogen werden. Die Ergebnisse des Gewos-Gutachten waren aber damals auch schon nicht unumstritten und je nach Lesart des Gutachtens hätte der Landkreis bereits unmittelbar nach Veröffentlichung des Gutachtens die Angemessenheitsgrenzen in höherem Maß anheben müssen als geschehen.

Über mehrere Jahre „rettete“ sich der Landkreis Göttingen daher mit dem Verweis auf die Werte der rechten Spalte der Tabelle zu § 8 WoGG (i. d. F. gültig bis zum 31.12.2008) – allerdings ohne die Rechtsprechung hinsichtlich der notwendigen 10-%-Erhöhung umzusetzen.

Seit Jahren sind daher von uns betriebene Hauptsacheverfahren bei dem Sozialgericht Hildesheim gerichtet auf die Anerkennung der Werte der rechten Spalte der Tabelle zu § 8 WoGG (i. d. F. gültig bis zum 31.12.2008) inklusive der 10-%-Erhöhung anhängig.

Unter dem Druck der sich immer weiter durchsetzenden Rechtsprechung hinsichtlich der erforderlichen 10-%-Erhöhung der genannten Werte sowie auf kommunalpolitische Initiative verschiedener Fraktionen hin beauftragte der Landkreis Göttingen Anfang 2008 das private Unternehmen „F+B Forschung und Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH“ (im Folgenden F+B) aus Hamburg mit der Erstellung eines neuen Gutachtens über den Göttinger Mietwohnungsmarkt.

Nach mehr als einem Jahr wurde dieses Gutachten, im März 2009 , veröffentlicht und seitens des Landkreises erstmals im Juni 2009 in ein von uns geführtes Hauptsacheverfahren als Beweismittel eingebracht.

Das Gutachten kommt zu dem „überraschenden“ Ergebnis, dass die Angemessenheitsgrenzen für die Kosten der Unterkunft bei Sozialleistungen größtenteils sogar noch niedriger seien als die Werte der rechten Spalte der Tabelle zu § 8 WoGG (i. d. F. gültig bis zum 31.12.2008) ohne die 10-%-Erhöhung.

Im Ergebnis wären daher sogar noch mehr Empfängerinnen und Empfänger von Sozialleistungen von Kürzungen ihrer Leistungen oder finanziell erzwungenen Umzügen bedroht als bisher. Dies betrifft insbesondere Haushalte mit mehr als einer Person – also Familien. Die letztendliche Entscheidung der Verwaltung über den Umgang mit dem Gutachten steht zwar zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Stellungnahme noch aus. Es ist aber zu erwarten, dass für die Zukunft die seitens des Gutachtens ermittelten Angemessenheitsgrenzen von der Verwaltung zur Bestimmung der zu übernehmenden Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II bzw. § 29 Abs. 1 SGB XII herangezogen werden.

Das überraschende Ergebnis des Gutachtens sowie die fundamentalen Auswirkungen für insbesondere Sozialleistungen beziehende Familien in Göttingen und Umgebung gaben Anlass, dass erstellte Gutachten der Firma F+B genauer zu untersuchen.

Das Ergebnis ist nach unserer Meinung eindeutig:

Das Gutachten entspricht nicht den Anforderungen, welche das BSG für grundsicherungsvalide Wohnungsmarkterhebungen zur Ermittlung von angemessenen Wohnkosten nach § 22 Abs. 1 SGB II bzw. § 29 Abs. 1 SGB XII aufgestellt hat. Für den Zuständigkeitsbereich des Landkreises Göttingen bietet das Gutachten letztlich keinerlei (sic!) Grundlage, um im Rahmen der Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II bzw. § 29 Abs. 1 SGB XII eine Angemessenheitsgrenze bestimmen zu können. Die seitens der Firma F+B erhobenen Daten ermöglichen nicht mal ansatzweise Rückschlüsse darauf, wie der Göttinger Wohnungsmarkt beschaffen ist.


Für Kritik und Anregungen zu der Gegenstellungnahme sind wir per eMail an die Adresse kontakt@anwaltskanzlei-adam.de dankbar.

Die Gegenstellungnahme kann unter Autorennennung unserer Kanzlei beliebig genutzt, verbreitet und kostenlos (sic!) veröffentlicht werden. Verlinkt werden kann diese Seite mit der Adresse:

https://anwaltskanzlei-adam.de/goettinger-wohnungsmarktgutachten/