Aktuell gibt es seitens der Sozialleistungsbehörden viele Leistungskürzungen nach § 1a AsylbLG. Dies betrifft derzeit vor allem die Kürzungstatbestände des § 1a Abs. 3 AsylbLG (Mitwirkungsverstoß) und des § 1a Abs. 4 AsylbLG (europäische Umverteilung).
Die Kürzungsbescheide sind häufig bereits aus formalen Gründen rechtswidrig (vorherige Anhörung fehlt, Tatbestand nicht korrekt bezeichnet, vorherige Bewilligungsbescheide wurden nicht aufgehoben, eine Befristung nach § 14 AsylbLG wurde nicht vorgenommen, es handelt sich um eine sog. Kettensanktion über mehr als 6 Monate etc).
Häufig ist aber auch der Tatbestand schlicht nicht erfüllt, was insbesondere den § 1a Abs. 3 AsylbLG (Mitwirkungsverstoß) betrifft.
Der § 1a Abs. 4 AsylbLG (europäische Umverteilung) ist zudem sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich umstritten. Im Fall des aufgehobenen § 1a Abs. 7 AsylbLG (siehe unten) hat das Bundessozialgericht mit Beschluss vom 26.07.2024 in dem Verfahren zu dem Az.: B 8 AY 6/23 R den Rechtsstreit ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof gemäß Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union diverse Fragen zur Auslegung der Aufnahmerichtlinie in Verbindung mit der Dublin-III-Verordnung zur Vorabentscheidung vorgelegt. Ebenso wie für den Personenkreis der von § 1a Abs. 7 AsylbLG betroffenen Geflüchteten findet für den Personenkreis der von der von § 1a Abs. 4 AsylbLG betroffenen Geflüchteten die europäische Aufnahmerichtlinie Anwendung, so dass die Rechtsgedanken des Bundessozialgerichts zu möglichen Europarechtswidrigkeit auf den § 1a Abs. 4 AsylbLG übertragbar sind.
Update 13.06.2025: Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hält mit Beschluss vom 12.06.2025 zu dem Az.: L 8 AY 24/25 B ER daran fest, dass § 1a Abs. 4 AsylbLG ein ungeschriebendes Tatbestandsmerkmal enthält, nach dem der betreffenden Person die Rückkehr in das schutzgewährende Land aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich sein muss. Diese Möglichkeit besteht für vulnerable Gruppen im Fall der geforderten Ausreise nach Griechenland nicht, da sie dort der ernsthaften Gefahr ausgesetzt sind, aufgrund der zu erwartenden Lebensumstände eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S. von Art. 4 Charta der Grundrechte der EU (GRCh) bzw. des Art. 3 EMRK zu erfahren.
Update 18.09.2025: Das Hessische Landessozialgericht hat die Frage, ob die Rückkehr in das schutzgewährende Land (hier Griechenland) für die Antragsteller (Eltern von 4 Kindern) aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist und sich schon hieraus die Nichtanwendbarkeit des § 1a Abs. 4 AsylbLG ergibt, offen gelassen. Es ist nach Ansicht des Gericht aber jedenfalls keine Kürzung länger als 6 Monate möglich.
Betroffener Personenkreis:
Alle Bezieher*innen von Grundleistungen die einen Kürzungsbescheid nach § 1a AsylbLG erhalten haben.
Praktische Vorgehensweise:
Wir raten allen Bezieher*innen von Grundleistungen die einen Kürzungsbescheid nach § 1a AsylbLG erhalten haben, Widerspruch und Klage gegen den Kürzungsbescheid einzulegen.
Auch wenn die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen ist, kann rechtlich mit sog. Überprüfungsanträgen vorgegangen werden!


