Mit Urteil vom 10.03.2022 zu dem Az.: B 1 KR 30/20 R hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Personen, die Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG beziehen und zuvor gesetzlich krankenversichert waren, unter die sogenannte „obligatorische Anschlussversicherung“ nach § 188 Abs. 4 SGB V fallen. Der hiervon erfasste Personenkreis soll daher in der gesetzlichen Krankenversicherung auch dann verbleiben, wenn z.B. nach einer versicherungspflichtigen Beschäftigung eine Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse bestand. Ein Rückfall in die eingeschränkten Krankenleistungen nach § 4 AsylbLG solle nicht erfolgen.
Einige Sozialämter übernehmen in der Folge die monatlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge mit der Begründung nicht, dass die GKV-Beiträge nach § 6 AsylbLG weder zur Sicherung des Lebensunterhalts noch der Gesundheit unerlässlich seien. Die Folge ist, dass die hiervon Betroffenen weiterhin mit der Forderung der monatlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge konfrontiert sind und diese aus ihren Grundleistungen zahlen müssten.
Es droht also eine Verschuldung und wiederum eingeschränkte Krankenversicherungsleistung, so dass rechtlich gegen die Nichtübernahme der monatlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge durch die Sozialämter vorgegangen werden muss.
Update vom 01.04.2025: Das Sozialgericht Karlsruhe hat mit Beschluss vom 31.03.2025 zu dem Az.: S 12 AY 706/25 ER in einem Eilverfahren gerichtet auf eine einstweilige Anordnung das Land Baden-Württemberg vertreten durch das Landratsamt Rastatt vorläufig verpflichtet, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der obligatorischen Anschlussversicherung nach § 6 AsylbLG zu übernehmen. Der in mehrfacher Hinsicht sehr lesenswerte Beschluss findet sich hier:
Update vom 28.05.2025: Auch das Sozialgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 27.05.2025 zu dem Az.: S 9 AY 300/25 ER in einem Eilverfahren gerichtet auf eine einstweilige Anordnung die Stadt Stuttgart vorläufig verpflichtet, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der obligatorischen Anschlussversicherung nach § 6 AsylbLG zu übernehmen. Der Beschluss findet sich hier:
Update vom 15.07.2025: Auch das Sozialgericht Heilbronn hat mit Beschluss vom 13.06.2025 zu dem Az.: S 15 AY 1361/25 ER in einem Eilverfahren gerichtet auf eine einstweilige Anordnung das zuständige Sozialamt vorläufig verpflichtet, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der obligatorischen Anschlussversicherung nach § 6 AsylbLG zu übernehmen. Der Beschluss findet sich hier: https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001613191
Update 24.07.2025: Das Sozialgericht Karlsruhe bekräftigt in mehreren Beschlüssen die Auffassung, dass die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der obligatorischen Anschlussversicherung nach § 6 AsylbLG zu übernehmen sind. Zwei der Beschlüsse hier:
Update 29.08.2025: Auch das Sozialgericht Dresden hat mit Beschluss vom 22.08.2025 zu dem Az.: S 3 AY 61/25 ER in einem Eilverfahren gerichtet auf eine einstweilige Anordnung die Stadt Dresden vorläufig verpflichtet, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der obligatorischen Anschlussversicherung nach § 6 AsylbLG zu übernehmen. Der Beschluss findet sich hier:
Update 04.09.205: Nun auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg und sehr deutlich in seinem Beschluss vom 05.08.2025 zu dem Az.: L 7 AY 1344/25 ER-B:
„Die Übernahme der Beiträge zur obligatorischen Anschlussversicherung ist vorliegend jedoch zur Sicherung des Lebensunterhalts im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG unerlässlich. Die Ausnahmeregelung knüpft systematisch an die Bedarfspauschalierung der §§ 3, 3a AsylbLG an und ergänzt die Regelungen als grundrechtliche Notwendigkeit. Dort, wo nicht durch die Pauschal-leistungen gedeckte unabweisbare Bedarfe bestehen, deren Deckung es zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums bedarf, fungiert die Vorschrift als Härtefallregelung. Eine Leistung ist also dort unerlässlich, wo das menschenwürdige Existenzminimum unterschritten wird oder zu unterschritten werden droht, was sich v.a. nach der Qualität des betroffenen Rechts, dem Ausmaß und der Intensität der tatsächlichen Beeinträchtigung im Falle der Leistungsablehnung, der voraussichtlichen Dauer des (weiteren) Aufenthalts in Deutschland, gleich geeigneteren und kostengünstigeren Leistungen sowie der Möglichkeit einer anderweitigen Bedarfsdeckung beurteilt (Spitzlei in BeckOK AuslR, 44. Ed. 1. April 2025, AsylbLG § 6 Rdnr. 4). Der Lebenssachverhalt muss stets eine gewisse Atypik aufweisen, die im Einzelfall eine besondere Härte begründet, die der Gesetzgeber bei den pauschalierten Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG nicht berücksichtigt hat bzw. aufgrund der Atypik gar nicht abstrakt-generell einpreisen konnte (Spitzlei a.a.O., Rdnr. 5). Insoweit sind etwa Leistungen zur Anmietung bzw. zum Bezug einer Unterkunft bei einem behördlich veranlassten Umzug oder Kosten eines – im Asylbewerberleistungsrecht nicht gerichtskostenfreien – Vorverfahrens mit jedenfalls hinreichender Erfolgs-aussicht als unerlässlich zur Sicherung des Lebensunterhalts angesehen worden (vgl. Frerichs in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 6 AsylbLG, Stand 23. Dezember 2024, Rdnr. 48 f.).
Bei den Beiträgen zur obligatorischen Anschlussversicherung handelt es sich um nicht von den Leistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG erfasste Bedarfe. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf; Satz 1) sowie zusätzlich Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf; Satz 2). Bei der Beitragszahlung im Rahmen der obligatorischen Anschlussversicherung handelt sich dabei ins-besondere nicht um eine von den Bedarfen zur Gesundheitspflege im Sinne vom § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG erfasste Bedarfslage, letztere betrifft konkret erforderliche Leistungen bzw. Güter wie Verbandsmaterial, Pflaster, Wundcreme (vgl. Frerichs a.a.O., § 3 AsylbLG, Stand 8. April 2025, Rdnr. 100). Der Beitragsverpflichtung war und ist der Antragsteller auch unausweichlich ausgesetzt, insbesondere konnte er nicht innerhalb von zwei Wochen nach Ende der Versicherungspflicht seinen Austritt aus der obligatorischen Anschlussversicherung erklären, da er – anders als beim Bezug von Analogleistungen nach § 2 AsylbLG (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2022 – B 1 KR 30/20 R –, BSGE 134, 6-13, SozR 4-2500 § 188 Nr. 4, SozR 4-2500 § 5 Nr. 31, SozR 4-3520 § 3 Nr. 6, juris Rdnr. 23) – über keinen anderweitigen Anspruch auf entsprechende Absicherung im Krankheitsfall verfügte (vgl. § 188 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB V). Insbesondere genügt hierfür nicht der abgesenkte Versorgungsanspruch nach § 4 AsylbLG (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2022, a.a.O.).
Die Beitragsforderungen von 223,88 Euro monatlich bedrohen auch die Sicherung des Existenz-minimums des Antragstellers, nachdem ihm derzeit Leistungen unter Berücksichtigung eines Re-gelbedarfs von 397 Euro gewährt worden sind. Diese Bedrohung wird auch nicht dadurch beseitigt, dass die AOK mit Schreiben vom 28. März 2025 auf ihr regelhaftes Verfahren bei vorliegen-der Hilfebedürftigkeit verwiesen und mitgeteilt hat, dass „aktuell“ eine Einziehung der Beitrags-forderung gegenüber dem Antragsteller nicht stattfinde. Anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller im Weiteren – nach Erlass des Bescheides vom 4. Dezember 2024 – eine geringfügige, mithin nicht eine gesetzliche Pflichtversicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung bedingende Beschäftigung aufgenommen hat.
Die im Rahmen des § 6 AsylbLG zu fordernden Atypik der Bedarfslage ergibt sich dabei daraus, dass der Antragsteller als Leistungsberechtigter nach dem AsylbLG zwar der obligatorischen Anschlussversicherung unterfallen kann, das AsylbLG jedoch – anders als die ebenfalls der Sicherung des grundrechtlich geschützten Existenzminimums dienenden Sozialgesetzbücher II und XII (SGB II und XII) – keine Regelung zur Berücksichtigung unvermeidbarer Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Kranken- und zur Pflegeversicherung als gesonderte Bedarfe enthält (§ 26 SGB II bzw. §§ 32, 32a SGB XII; vgl. SG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 17. März 2025 – S 7 AY 3255/24 –, juris Rdnr. 36).„
Der Beschluss findet sich hier:
Update 22.09.2025: Auch die 20. Kammer des Sozialgerichts Dresden hat mit Beschluss vom 28.08.2025 zu dem Az.: S 20 AY 63/25 ER in einem Eilverfahren gerichtet auf eine einstweilige Anordnung die Stadt Dresden vorläufig verpflichtet, die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der obligatorischen Anschlussversicherung nach § 6 AsylbLG zu übernehmen. Der Beschluss findet sich hier:
Betroffener Personenkreis:
Alle Bezieher*innen von Grundleistungen, die gesetzlich krankenversichert sind, wieder Grundleistungen nach den §§ 3, 3a AsylbLG beziehen und denen die monatlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht vom Sozialamt übernommen werden. Aktuell betrifft dies unseres Wissens nach vor allem AsylbLG-Bezieher*innen im örtlichen Zuständigkeitsbereich von Sozialämtern in Baden-Württemberg und Thüringen.
Praktische Vorgehensweise:
Wir raten allen Bezieher*innen von Grundleistungen, bei denen die monatlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht vom Sozialamt übernommen werden, Widerspruch und Klage gegen die Nichtübernahme einzulegen.
Auch wenn die Widerspruchsfrist bereits abgelaufen ist, kann rechtlich mit sog. Überprüfungsanträgen vorgegangen werden!


