BSG, Urteil vom 30.08.2010 – B 4 AS 70/09 R
Bei einer dinglich gesicherten, unverzinslichen Forderung handelt es sich um einen zu berücksichtigenden Vermögenswert und nicht um Einkommen.
Nach der Rechtsprechung des BSG sind Vermögensgegenstände, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa, weil Gegenstände dieser Art nicht marktgängig sind, nicht als verwertbar anzusehen.
++ Anmerkung: Vgl. dazu BSG, Urteil vom 27.01.2009 – B 14 AS 42/07 R
Vermögen ist verwertbar, wenn seine Gegenstände verbraucht, übertragen und belastet werden können. Ist der Inhaber dagegen in der Verfügung über den Gegenstand beschränkt und kann er die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen, ist von der Unverwertbarkeit des Vermögens auszugehen. Darüber hinaus enthält der Begriff der Verwertbarkeit eine tatsächliche Komponente. Die Verwertung muss für den Betroffenen einen Ertrag bringen, durch den er, wenn auch nur kurzzeitig, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Tatsächlich nicht verwertbar sind Vermögensgegenstände, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder weil sie, wie Grundstücke infolge sinkender Immobilienpreise, über den Marktwert hinaus belastet sind. Zur Abgrenzung der hier streitigen Bewilligung von Leistungen als Zuschuss gegenüber der nur darlehensweisen Gewährung nach § 9 Absatz 4 SGB II genügt es für eine lediglich darlehensweise Gewährung von Leistungen nicht, dass dem Hilfesuchenden Vermögen zusteht, wenn in dem Zeitpunkt, in dem die Darlehensgewährung erfolgen soll, bis auf weiteres nicht absehbar ist, ob er einen wirtschaftlichen Nutzen aus dem Vermögen wird ziehen können. Vielmehr liegt eine generelle Unverwertbarkeit im Sinne des § 12 Absatz 1 SGB II vor, wenn völlig ungewiss ist, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt. Maßgebend für die Prognose, ob ein rechtliches oder tatsächliches Verwertungshindernis besteht beziehungsweise wegfällt, ist im Regelfall der Zeitraum, für den die Leistungen bewilligt werden, also regelmäßig der sechsmonatige Bewilligungszeitraum des § 41 Absatz 1 Satz 4 SGB II. Für diesen Bewilligungszeitraum muss im Vorhinein eine Prognose getroffen werden, ob und welche Verwertungsmöglichkeiten bestehen, die geeignet sind, Hilfebedürftigkeit abzuwenden. Eine Festlegung für darüber hinaus gehende Zeiträume ist demgegenüber nicht erforderlich und wegen der Unsicherheiten, die mit einer langfristigen Prognose verbunden sind, auch nicht geboten. Nach Ablauf des jeweiligen Bewilligungszeitraumes ist bei fortlaufendem Leistungsbezug erneut und ohne Bindung an die vorangegangene Einschätzung zu überprüfen, wie für einen weiteren Bewilligungszeitraum die Verwertungsmöglichkeiten zu beurteilen sind
BSG, Urteil vom 30.08.2010- B 4 AS 97/09 R
Eine Ausbildung im Rahmen einer beruflichen Weiterbildung iS des § 77 SGB III schließt den Anspruch auf die Regelleistung sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung nicht aus.
Denn Die Förderung einer Bildungsmaßnahme nach § 77 SGB III führt nicht zu einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 5 Satz 1 SGB II.
2. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 23.03.2010 zur Sozialhilfe ( SGB XII)
BSG, Urteile vom 23.03.2010 – B 8 SO 15/08 R – und B 8 SO 17/09 R
Das im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen von der Bundesagentur für Arbeit an behinderte Menschen gezahlte Ausbildungsgeld nach § 107 SGB III ist zwar keine zweckbestimmte Leistung im Sinne des § 83 Abs 1SGB XII , es bleibt jedoch zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung mit Beschäftigten im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen in voller Höhe als Einkommen unberücksichtigt.
Das in der Werkstatt für behinderte Menschen im Rahmen einer von der Bundesagentur für Arbeit geförderten Maßnahme kostenlos zur Verfügung gestellte Mittagessen mindert nicht den Sozialhilfeanspruch des behinderten Menschen (Abgrenzung zu BSG vom 11.12.2007 – B 8/9b SO 21/06 R = BSGE 99, 252 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3).
++ Anmerkung: Nach der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 11.12.2007 (BSGE 99, 252 ff = SozR 4-3500 § 28 Nr 3) kommt eine bedarfsmindernde Berücksichtigung von Zuwendungen nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII nur in Betracht, wenn diese Leistungen von einem (anderen) Träger der Sozialhilfe erbracht werden, was vorliegend nicht der Fall war.
3. Entscheidungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – Landessozialgericht Hamburg Urteil vom 18.08.2010 – L 5 AS 78/09
Ein Sanktionsbescheid ist rechtswidrig, wenn er nicht inhaltlich hinreichend bestimmt und auch nicht durch hinreichend konkrete Rechtsfolgenbelehrungen legitimiert ist.
Bei dem Erfordernis der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X handelt es sich um eine materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung. Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzen muss, sein Verhalten daran auszurichten. Mithin muss aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will. Insoweit kommt dem Verfügungssatz des Verwaltungsakts Klarstellungsfunktion zu. Unbestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nur dann, wenn sein Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich nicht widerspruchsfrei ist und der davon Betroffene bei Zugrundelegung der Verständnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers nicht in der Lage ist, sein Verhalten daran auszurichten. Unschädlich ist, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (vgl. zu diesen Maßstäben BSG Urteile vom 17.12.2009 – B 4 AS 20/09 R und B 4 AS 30/09 R).
§ 31 Abs. 2 SGB II setzt voraus, dass der Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen der Meldeaufforderung nicht nachgekommen ist. Die Wirksamkeit einer solchen Rechtsfolgenbelehrung setzt voraus, dass sie konkret, richtig und vollständig ist, zeitnah im Zusammenhang mit der jeweiligen Meldeaufforderung erfolgt, sowie dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in verständlicher Form erläutert, welche unmittelbaren und konkreten Auswirkungen sich aus dem Nichtnachkommen der Aufforderung für ihn ergeben, wenn er für sein Verhalten keinen wichtigen Grund nachweist. Diese strengen Anforderungen ergeben sich aus der Funktion der Rechtsfolgenbelehrung, den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen hinreichend über die gravierenden Folgen des § 31 Abs. 2 SGB II (Absenkung der für ihn maßgebenden Regelleistung in einer ersten Stufe um 10% und Wegfall des Zuschlags nach § 24 SGB II) zu informieren und ihn in allgemeiner Form vorzuwarnen. Denn nur eine verständliche Rechtsfolgenbelehrung kann die mit den Sanktionen verfolgte Zweckbestimmung, das Verhalten des Hilfebedürftigen zu steuern, verwirklichen (vgl. BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 30/09 R).
Diese Warn- und Steuerungsfunktion geht verloren, wenn der Grundsicherungsträger die Rechtsfolgenbelehrung derart standardisiert, dass sie – wie vorliegend in den Meldeaufforderungen – abstrakt alle denkbaren Arten von Verletzungen der Meldepflicht und deren Folgen aufzählt. Hinreichend belehrt wird der Adressat nämlich nur, wenn nur die konkrete Meldeaufforderung, an deren Nichtnachkommen nachteilige Folgen geknüpft werden, ausdrücklich benannt wird und der konkrete Adressat sich damit durch die auf den jeweiligen Einzelfall konkret umgesetzte Belehrung direkt angesprochen fühlt. Nicht ausreichend ist es demgegenüber, wenn mehrere Varianten von Meldepflichten zur Auswahl gestellt werden und dem Hilfebedürftigen die Auswahl überlassen wird, ob eine und ggf. welche der genannten Varianten für ihn einschlägig ist. Die hier zu beurteilenden Rechtsfolgenbelehrungen in den Meldeaufforderungen sind darüber hinaus auch deshalb mangelhaft, weil sie in der einschlägigen Passage die fragliche Meldepflicht lediglich durch einen Hinweis auf deren gesetzliche Grundlage (§ 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III) umschreiben. Denn es ist mit dem Zweck der Rechtsfolgenbelehrung nicht zu vereinbaren, dass deren Inhalt nur unter Hinzuziehung des Gesetzestextes zu erschließen ist (vgl. auch dazu BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 30/09 R)
An das Erfordernis der hinreichenden Konkretisierung der Rechtsfolgenbelehrung sind auch nicht im Einzelfall etwa dann geringere Anforderungen zu stellen, wenn sich der erwerbsfähige Hilfebedürftige über die möglichen Rechtsfolgen eines Nichtnachkommens der konkreten Meldeaufforderung im Klaren sein musste. Denn es kommt insoweit nicht auf das Kennen oder Kennenmüssen der Rechtsfolgen durch den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, sondern auf das Handeln dessen an, der die Meldeaufforderung bekannt gibt. Als formale und zwingende Bedingung für den Eintritt der Rechtsfolgen auch des § 31 Abs. 2 SGB II muss eine Konkretisierung der Belehrung daher unabhängig von der Person des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen erfolgen (vgl. BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 30/09 R).
Es ist einzuräumen, dass mit diesen durch die Rechtsprechung insbesondere des Bundessozialgerichts formulierten strengen Rechtmäßigkeitsanforderungen die Hürde für rechtmäßiges Verwaltungshandeln im Bereich der Sanktionen hoch ist. Es ist aber am Gesetzgeber, hierauf ggf. zu reagieren (zu einer Bestandsaufnahme und zu Änderungsvorschlägen für Gesetzgebungsvorhaben vgl. A. Loose, ZFSH/SGB 2010, 340).
3.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschluss vom 25.08.2010 – L 7 AS 3769/10 ER-B
Die Leistungen des SGB II – auch das den Lebensunterhalt sichernde Arbeitslosengeld II – stellen keine reine Sozialhilfeleistung im Sinne des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG dar. Die Zulässigkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ist an den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für die Gleichbehandlung im Zugang zu finanziellen Leistungen für Arbeitsuchende zu messen.
Es spricht viel dafür, dass die Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht uneingeschränkt auf freizügige Unionsbürger anzuwenden ist. Denn sie erlaubt es dem Unionsbürger nicht, andere Umstände vorzutragen, die ohne eine bestimmte Dauer des Aufenthalts (Wohnorterfordernis) eine ausreichende Verbindung zum Arbeitsmarkt dergestalt annehmen lassen, dass von einer ernsthaften Arbeitsuche und nicht von einem Sozialtourismus auszugehen ist.
3.3 – Landessozialgericht Baden-Württemberg Beschluss vom 16.08.2010 – L 2 AS 3640/10 ER-B
Ist ein Umzug über die Grenzen des Vergleichsraums (von Blumberg nach Rottweil )hinaus vorgenommen worden, findet § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II keine Anwendung (vgl. BSG, Urteil vom 01.06.2010 – B 4 AS 60/09 R Rdnr. 18).
Auch SGB II-Leistungsempfänger können im Rahmen ihres Rechts auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) ihren Wohnsitz in einem Bundesland oder einer Gemeinde frei wählen. Es gehört nicht zu den Funktionen des Grundsicherungsrechts, die aufnehmende Kommune durch § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II vor arbeitsuchenden Hilfebedürftigen zu schützen (BSG, Urteil vom 01.06.2010 – B 4 AS 60/09 R Rdnr. 26).
3.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 31.08.2010 – L 19 AS 1106/10 B ER, rechtskräftig
Die vorläufige Aussetzung der Vollstreckung eines Räumungstitels, die von der Zahlungsmoral des Antragstellers abhängt, erfüllt nicht den mit der Bestimmung des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II verfolgten Zweck der langfristigen Sicherung einer Unterkunft.
Die Übernahme von Mietschulden ist nur gerechtfertigt im Sinne von § 22 Abs. 5 SGB II, wenn sie zur Sicherung der bisherigen Unterkunft geeignet ist. Dieser Zweck kann nicht erreicht werden, wenn trotz Schuldenübernahme langfristig der Erhalt der Wohnung nicht gesichert werden kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine wirksame Vermieterkündigung ausgesprochen worden ist und ein Räumungstitel vorliegt.
Denn die darlehensweise Bewilligung staatlicher Transferleistungen (mit ungewisser Rückzahlung durch den Darlehensnehmer) hat den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit zu genügen. Sie ist nicht gerechtfertigt, wenn der Zweck der Transferleistung, nämlich die Sicherstellung der Unterkunft des Bedürftigen, nicht oder nicht mit der erforderlichen Sicherheit erreicht werden kann. Keinesfalls darf die Transferleistung dazu dienen, den Leistungsempfänger lediglich von zivilrechtlichen Erstattungsansprüchen eines Vermieters freizustellen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.02.2010 – L 5 AS 2/10 B ER – mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).
Die (vorläufige) Aussetzung der Vollstreckung eines Räumungstitels, die von der Zahlungsmoral des Antragstellers abhängt, erfüllt aber nicht den mit der Bestimmung des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II verfolgten Zweck der langfristigen Sicherung einer Unterkunft (vgl. hierzu auch LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.02.2010 – L 5 AS 2/10 B ER).
++ Anmerkung: Vgl. dazu LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.02.2010 – L 5 AS 2/10 B ER – mit weiteren Rechtsprechungshinweisen
1. Die Übernahme von Mietschulden ist nur gerechtfertigt i. S. v. § 22 Abs. 5 SGB II, wenn sie zur Sicherung der bisherigen Unterkunft geeignet ist. Sie ist nicht geeignet, wenn ihre Begleichung nicht mehr zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB führen kann. Dies gilt erst recht, wenn bereits ein rechtskräftiger Räumungstitel vorliegt.)
2. Ausnahmsweise kann trotz eines rechtskräftigen Räumungstitels die Schuldenübernahme gerechtfertigt sein, wenn der Vermieter sich für diesen Fall bereit erklärt, einen neuen Mietvertrag abzuschließen.)
3. Nicht ausreichend ist eine Erklärung des Vermieters, nach Verpflichtung des Grundsicherungsträgers auf künftige Übernahme aller Mietkosten vorläufig auf die Vollstreckung des Räumungstitels verzichten zu wollen.)
4. Ist die Übernahme von Mietschulden nicht gerechtfertigt, hat eine Ermessensprüfung nicht mehr stattzufinden. Auch die Gründe für das Entstehen der Mietrückstände sind dann nicht relevant.)
3.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 04.03.2010 – L 25 AS 855/09, Revision zugelassen
Zur Nachweisführung geeignet sind schriftliche Unterlagen (papiergebundene Nachweise), soweit sie nachvollziehbare Rückschlüsse darauf zulassen, dass Bewerbungskosten tatsächlich entstanden sind. Dazu gehören insbesondere die jeweiligen Bewerbungsschreiben sowie die jeweiligen Antwortschreiben der angegangenen Arbeitgeber bzw. Kopien oder Durchschriften dieser Schreiben.
3.6 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 04.03.2010 – L 25 AS 638/09
Keine Übernahme von Anwaltskosten nach den §§ 22 Abs. 5, §23 Abs. 1, § 21 Abs. 6 SGB II und § 73 SGB XII, auch wenn sie im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren angefallen sind, durch das der Eintritt von Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II gerade vermieden werden sollte.
Es ist nicht Aufgabe der Grundsicherung, Schulden zu übernehmen.
3.7 – Sozialgericht Ulm Urteil vom 14.07.2010 – S 8 AS 3142/09
Eine Hilfebedürftige, die mit ihren minderjährigen Kindern und ihrem schwerstbehinderten Ehemann in einem Haushalt wohnt, hat Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende.
++ Anmerkung: Vgl. dazu Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 22.09.2009 – L 7 B 208/09 AS ER, rechtskräftig
Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben einen Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehend, wenn von einer nachhaltigen Entlastung bei der Betreuung der Kinder seitens des Lebensgefährten aufgrund von Krankheit und Schwerbehinderung nicht ausgegangen werden kann.
vgl. dazu auch VG Bremen – S3 K 447/06 – Urteil vom 27.02.2008
Durch die Hilfe eines Partners oder Ehemannes, bei dem Pflegestufe II festgestellt wurde und dem außerdem ein Grad der Behinderung von 100 sowie zusätzlich die Merkzeichen „G“, „B“ und „H“ zuerkannt wurden, ist regelmäßig so unwesentlich, dass sie die Gewährung des Mehrbedarfszuschlags nicht ausschließt.
Quelle : Rechtsprechungsticker von Tacheles 40 KW / 2009
3.8 – Sozialgericht Neuruppin Urteil vom 18.08.2010 – S 26 AS 2002/08
Wenn die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel mit erheblichen Erschwernissen verbunden ist, kann auch eine deutliche Überschreitung der Kosten öffentlicher Verkehrsmittel im Einzelfall noch angemessen sein (wie hier: Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2008, § 13, Rdn. 19e).
Denn gemäß § 3 Abs. 2 Alg II-V bzw. § 6 Abs. 2 Alg II-V sind jedoch lediglich die Fahrtkosten für die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels abzusetzen, wenn der Pauschbetrag nach Abs. 1 Nr. 3b im Vergleich zu den bei Benutzung eines zumutbaren öffentlichen Verkehrsmittels anfallenden Fahrtkosten unangemessen hoch ist. Entscheidend ist also nach den genannten Vorschriften, ob es dem Kläger zumutbar gewesen ist, auf die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verwiesen zu werden. Erst wenn diese Frage verneint würde, wäre entscheidend, ob die Fahrtkosten für die Benutzung eines Kraftfahrzeuges im Vergleich zu den Fahrtkosten für die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels unangemessen hoch sind (Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2008, § 13, Rdn. 19e).
Wenn darüber hinaus berücksichtigt wird, dass es sich nach der Systematik des Verordnungstextes bei der Regelung in § 3 Abs. 2 Alg II-V bzw. § 6 Abs. 2 Alg II-V um eine Ausnahmevorschrift handelt, die die Grundregel des § 3 Abs. 1 Nr. 3b Alg II-V bzw. des § 6 Abs. 1 Nr. 3b Alg II-V, die grundsätzlich eine Wegstreckenentschädigung für Fahrten zum Arbeitsort mit dem PKW ermöglicht, nur bei Vorliegen besonderer Umstände verdrängt, würde eine Beschränkung der Fahrtkosten bei einer Einsatzwechseltätigkeit und den hier vorliegenden ungünstigen Rahmenbedingungen auf eine Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses hinauslaufen.
Denn der Vorschrift des § 5 Alg II-V (in der Fassung vom 17. Dezember 2007 (BGBl. I S. 2942, zuletzt geändert durch die Dritte Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom 04. Mai 2010 (BGBl. I 541)), wonach Ausgaben höchstens bis zur Höhe der jeweils dazugehörigen Einkommensart von dieser abgezogen werden können, lässt sich insbesondere auch entnehmen, dass der Verordnungsgeber davon ausgeht, auch Ausgaben zuzulassen, die sogar der jeweiligen dazu gehörigen Einkommenshöhe entsprechen. Wenn die Fahrtkosten – wie hier – sogar noch unter dem Betrag der Einnahmen liegen,ist der Verweis der Behörde auf Inanspruchnahme von öffentlichen Verkehrsmitteln unzulässig.
4. Entscheidungen zur Arbeitsförderung (SGB III)
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 11.08.2010, – L 12 AL 47/09, Revision zugelassen
Eine Meldung am Folgetag stellt ein versicherungswidriges Verhalten im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB III dar.
Denn die in der Meldeaufforderung bestimmte Zeit ist grundsätzlich einzuhalten. Zwar ist nach § 309 Abs. 3 Satz 2 SGB III eine Meldung zu einer anderen als der bestimmten Tageszeit ausreichend, wenn sie am selben Tag erfolgt und – dieses fällt in den Risikobereich des Pflichtigen – der Zweck der Meldung erreicht wird. Die Meldung am Folgetag erfüllt diese Voraussetzungen jedoch nicht. Dieses ergibt sich bereits aus dem konkreten und nicht auslegungsfähigen und auslegungsbedürftigen Wortlaut des § 309 Abs. 3 Satz 2 SGB III. Der Folgetag stellt nicht denselben Tag im Sinne der Norm dar. Eine Meldung am Folgetag kann nach dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers nicht als rechtzeitig angesehen werden.
§ 309 Abs. 3 Satz 2 SGB III ist auch nicht über seinen Wortlaut hinaus im Sinne einer erweiterten Auslegung auf Fälle einer um 24 Stunden verspäteten Meldung am Folgetag zur vorbestimmten Uhrzeit anzuwenden. Bereits die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung der Norm in Form einer planwidrigen Regelungslücke liegen nicht vor. Der Gesetzgeber hat mit § 309 Abs. 3 Satz 2 SGB III eine nicht auslegungsbedürftige und nicht auslegungsfähige Norm geschaffen. Was unter zu einer anderen Zeit am selben Tag zu verstehen ist, ist eindeutig. Folgetage werden davon nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht erfasst. Hätte dieser eine derartige Regelung beabsichtigt, hätte er eine anderweitige Formulierung – z. B.: "binnen 24 Stunden" – gewählt. Eine Auslegungsbedürftigkeit folgt darüber hinaus auch nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen.
Sinn und Zweck des § 309 Abs. 3 Satz 2 SGB II sprechen dafür , dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass eine Zweckerreichung nur am selben Kalendertag erfolgen kann, soweit die Dienstpflichten des zuständigen Sachbearbeiters bzw. der zuständigen Sachbearbeiterin eine Bearbeitung des Anliegens, welchem die Meldeaufforderung dienen sollte, noch zulassen. Wird eine erneute Terminvergabe aufgrund entgegenstehender anderer Termine und Aufgaben bei ordnungsgemäßer Dienstverrichtung notwendig, wird der Zweck der Meldung nicht rechtzeitig erreicht.
5. Entscheidungen zur Sozialhilfe ( SGB XII)
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 13.08.2010 – L 20 SO 289/10 B ER, rechtskräftig
Gehörlose Studierende haben Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen für Gebärdensprachdolmetscher.