Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 31/2011 – Teil 1

1.   Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 06.04.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG Urteil vom 06.04.2011, – B 4 AS 3/10 R-

Kein Anspruch auf pauschale Leistungen wegen Mehrbedarfs aufgrund der Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben iS des § 21 Abs 4 SGB II.

Denn Beratung und Betreuung durch den Grundsicherungsträger sind bereits keine – grundsätzlich nach § 21 Abs 4 SGB II erforderliche – regelförmigen Maßnahmen. Sie erfolgen vielmehr aufgrund der allgemeinen Beratungs- und Unterstützungspflicht des Leistungsträgers nach § § 13, 14 SGB I sowie der besonderen Beratungsverpflichtung im Rahmen des Förderauftrags des Grundsicherungsrechts nach § 14 Satz 1 SGB II.

Es handelt sich insoweit auch nicht um eine sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben. Bereits aus systematischen Gründen muss die „sonstige Hilfe“ iS des § 21 Abs 4 SGB II über das hinausgehen, was dem Jobcenter etwa im Rahmen des § 14 Satz 1 SGB II als allgemeine Unterstützungsaufgabe zugewiesen ist.

Die Therapie nach Inhalt und Schwerpunkt keine Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX dar. Ihr Schwerpunkt lag in der medizinischen Versorgung des HB. Das vom HB umschriebene Ziel der Therapie, ein Mindestmaß an Leistungsfähigkeit zu erlangen, ist kein spezifisches Ziel im Hinblick auf die Befähigung zur Teilhabe am Arbeitsleben, sondern kann sich ebenso auf die körperliche und psychische Gesundheit beziehen. Im Übrigen liegt es im Wesen vieler, auch spezifischer Rehabilitationsmaßnahmen, dass sie multifunktional wirken. Auch medizinische Maßnahmen der Rehabilitation können nach § 26 SGB IX auf die Wiederherstellung oder den Erhalt der Erwerbsfähigkeit ausgerichtet sein.

Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst auch Leistungen für einen Mehrbedarf iS des § 21 Abs 4 SGB II. Insoweit bedarf es der gesonderten Antragstellung nicht, auch nicht für den erst nach Erlass des Bewilligungsbescheides behaupteten Bedarf durch die Psychotherapie (vgl BSG Urteil vom 22.3.2010 – B 4 AS 62/09 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 38).

Der 4. Senat des BSG hat bereits entschieden, dass die fragliche Leistungsgewährung nicht zwingend auf Bewilligungsbescheiden des Grundsicherungsträgers beruhen muss. Ausreichend für die Erfüllung des Merkmals „erbracht werden“ ist, dass eine in der Regelung bezeichnete Eingliederungsmaßnahme tatsächlich durchgeführt wird (BSG Urteil vom 25.6.2008 – B 11b AS 19/07 R – BSGE 101, 79 = SozR 4-3500 § 54 Nr 1). Darüber hinaus ist unerheblich, ob die Leistung durch den Grundsicherungsträger durch Verwaltungsakt bewilligt worden ist (vgl aber auch Münder in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 21). Ausreichend ist vielmehr, dass die Leistungsgewährung auf Veranlassung des Grundsicherungsträgers oder eines anderen Sozialleistungsträgers, etwa des Rentenversicherungsträgers (Fortführung von BSG Urteil vom 22.3.2010 – B 4 AS 59/09 R – SozR 4-4200 § 21 Nr 9) erfolgt. Erbracht worden sind die Leistungen im vorliegenden Fall durch den Beklagten selbst und die gesetzliche Krankenkasse. Es hat sich dabei allerdings nicht um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder eine sonstige Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes gehandelt.

Die Bewertung der Beratungs- und Betreuungsleistungen des Beklagten als Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben iS des § 33 SGB IX scheitert bereits daran, dass es sich insoweit nicht um Leistungen im Rahmen einer regelförmigen Maßnahme handelt. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist nur die Teilnahme an einer regelförmigen besonderen Maßnahme grundsätzlich geeignet, einen Mehrbedarf beim Betroffenen auszulösen (so ausdrücklich bereits BSGE 101, 79 = SozR 4-3500 § 54 Nr 1). Diese einschränkende Auslegung folgt aus dem Wortlaut und dem aus der Entstehungsgeschichte der Norm herzuleitenden spezifischen Sinn und Zweck des Mehrbedarfs.

Die Begrenzung des aufgeführten Leistungsspektrums folgt aus Satz 2 der Vorschrift, denn danach wird eine weitere Gewährung dieses Mehrbedarfs während einer angemessenen Übergangszeit nach Beendigung der in Satz 1 „genannten Maßnahmen“ eröffnet. Die Formulierung des Satzes 2 weist dementsprechend aus, dass sich die Leistungserbringung innerhalb eines organisatorischen Rahmens vollziehen muss, der eine Bezeichnung als „Maßnahme“ rechtfertigt.

juris.bundessozialgericht.de

2.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 07.04.2011, – L 5 AS 50/11 B ER –

Wohnungserstausstattung bei Geburt – Sach- oder Geldleistung -Pauschalbeträge – Ermessensreduzierung auf Null – Ausgabe von Gutscheinen keine Diskriminierung oder Stigmatisierung- kein Verstoß gegen Art. 1 GG – einstweiliger Rechtsschutzes vor dem Hintergrund des Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz – Babyschale – Hochstuhl.

§ 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II a. F, § 39 SGB I, Art. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG, Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz

Aus § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II a. F. (Leistungen für die Wohnungserstausstattung bei Geburt) kann eine Hilfeempfängerin nach dem SGB II keinen unbedingten Rechtsanspruch auf eine Geldleistung herleiten.

Denn die Leistungen für die Wohnungserstausstattung können nach § 23 Abs. 3 Satz 5 SGB II a. F. als Sach- oder Geldleistung oder in Form von Pauschalbeträgen seitens des Leistungsträgers erbracht werden. Die Art der Leistungserbringung steht folglich in seinem Ermessen. Die Besonderheit einer Ermessensleistung ist es, dass das Gesetz der Verwaltung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise trotz Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen im Einzelfall keine bestimmte Rechtsfolge vorgibt. Sie kann die begehrte Rechtsfolge verfügen, muss es aber nicht. Die Antragstellerin hat in diesen Fällen lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung nach § 39 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil (SGB I), nicht jedoch auf eine bestimmte Leistung.

Nur wenn das Ermessen ausschließlich in einem bestimmten Sinne rechtmäßig ausgeübt werden kann und jede andere Entscheidung rechtswidrig wäre, besteht ein Anspruch auf diese einzig mögliche rechtmäßige Entscheidung, hier die begehrte vorläufige Deckung des Bedarfs der Erstausstattung durch Geldleistungen. Eine Ermessensreduzierung auf Null ist jedoch nur dann gegeben, wenn nach dem festgestellten Sachverhalt eine anderweitige Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei ausgeschlossen ist. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin liegt in der Ausgabe von Gutscheinen keine Diskriminierung oder Stigmatisierung. Die Gutscheingewährung ersetzt lediglich die Barauszahlung des Betrags mit anschließender Kontrolle der Einhaltung der Zweckbestimmung der Ausgabe des Leistungsbetrags.

Der Antragstellerin mag zwar zuzugeben sein, dass gerade bei selbst zu beschaffenden Einrichtungsgegenständen ein Gutschein nicht die gewünschte Flexibilität mit sich bringt. Auf der anderen Seite ist das Interesse des Leistungsträgers zu berücksichtigen. Ein Gutschein dient der Verwaltungsvereinfachung und gewährleistet, dass nur der Betrag ausgezahlt wird, der zur Beschaffung der bewilligten Gegenstände tatsächlich verwandt wurde. Würde der Höchstbetrag beispielsweise für den Erwerb eines Kinderbetts in Höhe von 125,00 EUR an die Antragstellerin direkt ausgezahlt und an Hand einer Quittung später abgerechnet werden, würde zusätzlicher Verwaltungsaufwand notwendig. Allein aufgrund einer nur abstrakt bestehenden größeren Flexibilität der Antragstellerin beim Einkauf ist dieser – und damit die Leistung in Form einer Geldzahlung – nicht zu rechtfertigen.

Die Gewährung von Gutscheinen verstößt nicht gegen grundrechtliche Regelungen wie Art. 1 GG verstößt. Durch die Gewährung der in den Regelungen des SGB II beschriebenen Leistungen wird ihr gerade ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Diese Leistungen – zu denen auch die von ihr abgelehnten Sachleistungen gehören – decken im Wesentlichen das Existenzminimum (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, 1 BVL 1/09; 3/09; 4/09, Rn. 217, Juris). Der Umfang dieses Anspruchs kann im Hinblick auf die Arten des Bedarfs und die dafür erforderlichen Mittel jedoch nicht unmittelbar aus der Verfassung abgeleitet werden. Ob der Staat das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, bleibt grundsätzlich ihm überlassen (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, a.a.O., Rn. 138).

Auch eine Art. 3 GG verletzende Ungleichbehandlung liegt nicht vor. Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Wird durch eine Norm eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten, verletzt sie den allgemeinen Gleichheitssatz. Auf dem Gebiet des Sozialrechts ist dem Gesetzgeber eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen (vgl. nur BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. Juli 2010, 1 BvR 2556/09, Rn. 17 m.w.N.).

Das Rechtsmittel des einstweiligen Rechtsschutzes hat vor dem Hintergrund des Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) die Aufgabe, in den Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung in dem grundsätzlich vorrangigen Verfahren der Hauptsache zu schweren und unzumutbaren, nicht anders abwendbaren Nachteilen führen würde, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003 S. 1236 und vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, S. 803). Dies bedeutet aber gleichzeitig, dass ein Anordnungsgrund fehlt, wenn die vermutliche Zeitdauer des Hauptsacheverfahrens keine Gefährdung für die Rechtsverwirklichung und -durchsetzung bietet, wenn also dem Antragsteller auch mit einer späteren Realisierung seines Rechts geholfen ist. Zwar sollen grundsätzlich Leistungen nach dem SGB II das Existenzminimum der Antragsteller sichern. Wird durch die seitens des Leistungsträgers erbrachte Leistung der Bedarf nicht gedeckt, ist die Existenz des Hilfebedürftigen zeitweise nicht sichergestellt. Allerdings führt nicht jede Unterdeckung des Bedarfs grundsätzlich zu einer Existenzbedrohung und damit zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes. Erforderlich ist eine existentielle Notlage.

Eine solche Notlage besteht jedoch nicht schon deshalb, weil die Antragstellerin die von ihr zusätzlich begehrten Gegenstände nicht zur Verfügung hat.

Der Besitz einer Babyschale mag wünschenswert sein. Er ist jedoch nicht zwingend notwendig, denn sie ist zwar nach § 21 Abs. 1a Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zum Transport von Säuglingen in einem Auto gesetzlich vorgeschrieben, doch die Antragstellerin besitzt zum einen jedoch kein eigenes Auto und zum anderen sind keine Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass die Antragstellerin darauf angewiesen ist, ihr Kind in einem PKW transportieren zu müssen.

Fraglich ist, ob ein Hochstuhl zur Erstausstattung gehört, ebenfalls besteht zum jetzigen Zeitpunkt keine Dringlichkeit zum Kauf eines solchen. Der Erwerb eines Hochstuhls ist frühestens dann in Betracht zu ziehen, wenn ein Kind physiologisch in der Lage ist, selbstständig sitzen zu können.

Der Antragstellerin ist es insoweit auch zuzumuten, aus dem Regelsatz selbst Geld einzusparen, um zu einem späteren Zeitpunkt den Hochstuhl zu erwerben!!!!

sozialgerichtsbarkeit.de

++ Anmerkung: Vgl. dazu auch meinen Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Zitat: “ Der Antragstellerin ist es insoweit auch zuzumuten, aus dem Regelsatz selbst Geld einzusparen, um zu einem späteren Zeitpunkt den Hochstuhl zu erwerben(laut Recherche des Gerichts Kostenpunkt zwischen 20 – 50 Euro).“

§ 24 Abs. 3 Satz 2 SGB II n. F. : Nicht vom Regelbedarf nach § 20 umfasst sind Bedarfe für Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt, woraus folgt, dass es für eine Hilfeempfängerin nach dem SGB II nicht zumutbar sein dürfte, diese Leistung aus der Regelleistung anzusparen, denn es würde zu einer Unterdeckung ihres Existenzminimums kommen.

Anmerkung: Erbringt der Leistungsträger die Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB II durch Pauschalbeträge, müssen die Pauschalbeträge bedarfsdeckend sein (Behrend in: juris-PK, 2. Aufl., § 23 SGB II Rdnr. 87). Denn Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip nach Art 20 Abs. 1 GG folgt (BVerfG, Breithaupt 2005, 803, 807; Bieback, NZS 2005, 337, 338). Zwar sind pauschalierende Regelungen in diesem Rahmen nicht generell ausgeschlossen. Erforderlich ist aber, dass trotz Typisierung der existenznotwendige Bedarf in möglichst allen Fällen abgedeckt wird (BVerfG, NJW 1992, 3153, 3154). Angesichts dessen ist ein Pauschalbetrag zu niedrig, wenn er nur unter günstigen Umständen zur Bedarfsdeckung ausreicht. Der Leistungsempfänger kann in der Regel nicht darauf verwiesen werden, längere Zeit auf ein besonders preiswertes Angebot zu warten. Denn der existenznotwendige Bedarf ist zeitnah zu befriedigen, nicht irgendwann in der Zukunft.

Anmerkung : Der Anspruch nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB II ist, wie alle Leistungen des SGB II, bedarfsbezogen zu verstehen (vgl. das Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 19. September 2008, B 14 AS 64/07 R; ebenso Lang/Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Aufl., München 2008, Rdnrn 97 ff zu § 23; Bender in Gagel, SGB II/SGB III Grundsicherung und Arbeitsförderung, Kommentar, München Stand April 2010, Rdnr. 68 zu § 23 SGB II). Entscheidend ist danach, ob ein Bedarf für die Ausstattung einer Wohnung besteht, der nicht bereits durch vorhandene Möbel und andere Einrichtungsgegenstände gedeckt ist. Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGB II sind für die Ausstattung mit wohnraumbezogenen Gegenständen zu erbringen, die eine geordnete Haushaltsführung und ein an den herrschenden Lebensgewohnheiten orientiertes Wohnen ermöglichen (vgl. das Urteil des BSG vom 20. August 2009, B 14 AS 45/08 R, m.w.N.)

Beispiele: weiter hier sozialrechtsexperte.blogspot.com

2.2 – Bayerisches Landessozialgericht Beschluss vom 02.05.2011, – L 11 AS 242/11 NZB –

Eine Kostensenkungsaufforderung des Jobcenters ist rechtswidrig, wenn kein Dialog mit den Hilfebedürftigen über die Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft geführt wurde (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 20.08.2009 – B 14 AS 41/08 R -).

Ein solcher Dialog fordert dann auch eine Aufklärung der HB über evtl. eingetretene Veränderungen. Somit ist vom JC zu erwarten, dass es die HB über die Veränderung bei der Angemessenheit der Miete aufklärt.

Nachdem im Rahmen der Kostensenkungsaufforderung auch der aus der Sicht des JC angemessene Mietpreis – unter genauer Angabe ob es sich um Netto- oder Bruttokaltmiete handelt – anzugeben ist, hätte das JC den HB mitteilen müssen, dass sie ab 01.07.2009 eine andere Mietobergrenze für angemessen hält, damit sich die HB bei ihren Bemühungen um eine Kostensenkung bzw. um anderweitigen Wohnraum danach hätten richten können (vgl. zu unzutreffenden Angaben: BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R -).

Ein Erfordernis zur nochmaligen Information besteht nach der Rechtsprechung des BSG dann, wenn ein objektiver Betrachter aus dem Verkehrskreis der HB bei verständiger Würdigung des Sachverhaltes eine solche Information über einen neuen Sachverhalt erwarten durfte (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 20.08.2009 – B 14 AS 41/08 R -).

sozialgerichtsbarkeit.de

++ Anmerkung: Vgl. dazu auch meinen Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Anmerkung: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil vom 26.01.2011, – L 28 AS 2276/07 -, Revision zugelassen

Kostensenkungsaufforderung ist rechtswidrig, wenn keine Beratung seitens des Jobcenters erfolgte.

weiter hier: sozialrechtsexperte.blogspot.com

2.3 – Landessozialgericht Hamburg Urteil vom 16.06.2011, – L 5 AS 49/08 -, Revision zugelassen

Bei der Berechnung des bei mehr als zwei betreuten Kindern anzurechnenden Einkommens ist für jedes Kind derselbe, nämlich der – auf die konkrete Gruppe betreuter Kinder bezogen – durchschnittliche Erziehungsgeldbetrag zu Grunde zu legen, so dass es keiner Bestimmung bedarf, welches Kind das erste im Sinne des § 11 Abs. 4 ist, welches das zweite, welches das dritte usw..

§ 11 Abs. 4 SGB II a.F. jetzt § 11a Abs. 3 Satz 2 SGB II n. F.

Hinsichtlich der Berechnung des zu berücksichtigen Teils des Pflegegeldes ist zunächst von den der HB tatsächlich zugeflossenen Erziehungsgeldanteilen auszugehen (so auch Mecke, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 11 Rn. 47; Schmidt, in: Oestreicher, SGB II/SGB XII, § 11 SGB II Rn. 161, Stand Okt. 2010) und nicht – wie in den Bescheiden geschehen – von den im Gesetzgebungsverfahren zugrunde gelegten Empfehlungen des Deutschen Vereins (BT-Drs. 16/1410 S. 21). Diese Empfehlungen entfalten keine normative Kraft, sondern bildeten ersichtlich lediglich die Tatsachengrundlage, auf der die Regelung getroffen wurde.

Richtigerweise waren weiterhin von den Erziehungsgeldanteilen keine Absetzungen nach § 11 Abs. 2 SGB II a.F. vorzunehmen. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 11 Abs. 4 SGB II a.F. – „abweichend von den Absätzen 1 bis 3“ (so auch Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rn. 313, Stand Aug. 2008; Hohm/Klaus, in: Hohm, SGB II, § 11 Rn. 450, Stand Okt. 2008; Schmidt, a.a.O., Rn. 163).

Schließlich war die Bestimmung des ersten, zweiten usw. Pflegekindes im Sinne des § 11 Abs. 4 SGB II a.F. nicht nach einer zeitlichen Reihenfolge der jeweils in einem Pflegeverhältnis zum Leistungsberechtigten stehenden Kinder, sondern nach einer Durchschnittsbildung der erhaltenen Erziehungsgeldanteile durchzuführen. Eine Rangfolge nach dem Datum des Betreuungsvertrages (so etwa Hengelhaupt, a.a.O., Rn. 311; Schmidt, a.a.O., Rn. 162) führt in Fällen wie dem vorliegenden von vornherein zu keiner Lösung, da drei der vier Kinder mit Betreuungsvertrag vom selben Tage und auch tatsächlich am selben Tage aufgenommen wurden. Das Kriterium erscheint ohnehin wenig sachgerecht, da es bei unterschiedlich hohen Erziehungsgeldanteilen zu zufälligen Ergebnissen führen kann, die sich in der Höhe durchaus beträchtlich unterscheiden können. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 11 Abs. 4 SGB II a.F. – die gesetzliche Bestimmung nämlich, ab welchem Punkt die Lage des Erziehungsgeldempfängers sich so günstig darstellt, dass SGB II-Leistungen nicht gerechtfertigt erscheinen – sowie die Annahme des Gesetzgebers, dass der Erziehungsgeldanteil jeweils gleich sei (BT-Drs. 16/1410 S. 21), legen demgegenüber das Verständnis der Norm nahe, dass der Gesetzgeber bei ein und zwei Pflegekindern eine Anrechnung nicht für geboten hielt, bei drei Kindern einen Anteil teilweise und alle weiteren Erziehungsgeldanteile in voller Höhe anrechnen wollte. Das bedeutet, dass mit den Wörtern „erstes“, „zweites“ usw. keine Rangfolge gebildet, sondern lediglich die Anzahl der vereinnahmten Erziehungsgeldanteile bestimmt und mit unterschiedlichen Anrechnungsweisen versehen werden sollte. Dann aber entspricht es der gesetzlichen Regelung, einen Durchschnitt aller Erziehungsgeldanteile zu bilden und diesen der Anrechnung zugrunde zu legen; sachgerecht ist dies nach dem oben Gesagten ohnehin, um Zufälligkeiten der Reihenfolge unterschiedlicher Erziehungsgeldanteile auszugleichen: Familien mit gleicher Pflegekindersituation haben auf der Grundlage dieses Normverständnisses in gleicher Höhe freies Einkommen, unabhängig vom Zeitpunkt der Aufnahme der jeweiligen Pflegekinder. Wegen der weiteren Begründung verweist der Senat auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des Sozialgerichts, die er sich zu Eigen macht.

Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Die Voraussetzung der grundsätzlichen Bedeutung der Sache ist gegeben, weil das Vorhandensein mehrerer Pflegekinder nicht ungewöhnlich und die Rechtslage – die sich in der Neufassung des SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (vom 24.3.2011, BGBl. I S. 453 ff.) inhaltlich unverändert in § 11a Abs. 3 Satz 2 findet – insoweit nicht höchstrichterlich geklärt ist.

sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sozialgericht Berlin Beschluss vom 26.08.2010, – S 185 AS 24298/10 ER –

(Absenkung des Arbeitslosengeld II – Verhältnis von § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB 2 zu § 31 Abs 1 SGB 2 – Sanktion wegen Aufgabe eines selbst gesuchten Beschäftigungsverhältnisses – Sperrzeit – kein wichtiger Grund – Zumutbarkeit von Abhilfebemühungen und der Klage auf Überstundenvergütung)

1. Die vorzeitige einvernehmliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses, das nicht auf die Initiative des SGB-II-Leistungsträgers zustande gekommen war, kann auch während des laufenden Arbeitslosengeld-II-Bezuges zu einer Absenkung der Leistung nach § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB 2 führen, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt des ihm vorgeworfenen Verhaltens in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis und somit in einem Sozialrechtsverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit stand (Anschluss am Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22.03.2010 -B 4 AS 68/09 R-).

2. Der von § 31 Abs 4 Nr 3 Buchst b SGB 2 geforderte Sanktionssachverhalt liegt danach nur dann nicht vor, wenn ein Antragsteller für die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses einen wichtigen Grund im Sinne von § 144 Abs 1 S 1 SGB 3 hatte.

3. Die sofortige Auflösung eines Beschäftigungsverhältnisses ohne den Versuch, bei den strittigen Punkten auf Abhilfe zu dringen oder eine weitere Klärung zu versuchen, begründet einen Sanktionssachverhalt, weil dadurch vereitelt wird, dass die Hilfebedürftigkeit nach dem SGB 2 entfällt oder zumindest substantiell verringert wird.

sozialgerichtsbarkeit.de

++ Anmerkung: Vgl. dazu BSG, Urteil vom 22.03.2010, – B 4 AS 68/09 R -, veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 35/2010.

Eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II nach § 31 Abs 4 Nr 3b SGB II kommt in Betracht, wenn das sperrzeitrelevante Ereignis zu einem Zeitpunkt eintritt, in dem der Betroffene – hier wegen der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung – in einem Sozialversicherungsrechtsverhältnis zur BA als SGB III-Träger stand.

++ Anmerkung: Vgl. dazu Vgl. dazu Anmerkung zu: BSG 4. Senat, Urteil vom 22.03.2010 – B 4 AS 68/09 R –

Autor: Dr. Michael E. Reichel, RiSG
Erscheinungsdatum: 26.08.2010
Quelle: Juris
Normen: § 16a SGB 2, § 15a SGB 2, § 32 SGB 2, § 119 AFG, § 123 SGB 3, § 25 SGB 3, § 27 SGB 3, § 8 SGB 4, § 25 BSHG, § 144 SGB 3, § 31 SGB 2
Fundstelle: jurisPR-SozR 17/2010 Anm. 1
Herausgeber: Dr. Thomas Voelzke, Vors. RiBSG
Prof. Dr. Rainer Schlegel, Vors. RiBSG

Absenkung des Arbeitslosengeld II nach Arbeitgeberkündigung wegen arbeitsvertragswidrigen Verhaltens

www.juris.de

++ Anmerkung: Vgl. dazu Sozialgericht Duisburg Urteil vom 20.07.2010, – S 31 AS 306/09 -(veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 34/2010).

Ein Arbeitsplatzverlust wegen einer arbeitgeberseitigen Kündigung stellt einen typischen Anwendungsfall von § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II dar (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2010, B 4 AS 68/09 R). Seine Anwendung gilt auch in dem Fall, dass ein Grenzgänger keine Anwartschaft auf SGB III-Leistungen erwirbt.

++ Anmerkung: Vgl. dazu BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 20/09 R- (veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 15/2010).

++ Anmerkung: Vgl. dazu Anmerkung zu: BSG 4. Senat, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 20/09 R –

Autor: Cornelia Gebhardt, RA’in und FA’in für Sozialrecht
Erscheinungsdatum: 29.07.2010
Quelle: Juris
Normen: § 48 SGB 10, § 24 SGB 2, § 15a SGB 2, § 15 SGB 2, § 31 SGB 2
Fundstelle: jurisPR-SozR 15/2010 Anm. 1
Herausgeber: Dr. Thomas Voelzke, Vors. RiBSG
Prof. Dr. Rainer Schlegel, Vors. RiBSG

Absenkung des Arbeitslosengeld II bei Nichtantritt einer angebotenen Trainingsmaßnahme

Leitsatz (von Juris)

Ist das dem Hilfebedürftigen abverlangte Verhalten bereits in § 31 Abs. 1 SGB II geregelt und liegt keine Beziehung des Hilfebedürftigen zum Rechtskreis des SGB III vor, so ist der Grundsicherungsträger nicht berechtigt, Arbeitslosengeld II wegen des Vorliegens der Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit (§ 31 Abs. 4 Nr. 3 Buchst b SGB II) abzusenken.

www.juris.de

3.2 – Sozialgericht Berlin Beschluss vom 20.07.2011, – S 55 AS 41075/09 –

1. Erfolgt die Beendigung einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung (§ 16d S 2 SGB 2) durch den Maßnahmeträger und nicht durch das Jobcenter, muss die auf Fortführung des Einsatzes gerichtete Klage gegen den Maßnahmeträger gerichtet werden.

2. Die Kündigung in einem solchen Fall betrifft ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zwischen Leistungsberechtigtem und Maßnahmeträger, der bei Arbeitsgelegenheiten nach § 16d S 2 SGB 2 nicht lediglich „willenloses“ Werkzeug der Behörde ist.

Beim Einsatz Leistungsberechtigter nach § 16d Satz 2 SGB II steht es dem Maßnahmeträger frei, einen ihm vom Leistungsträger vorgeschlagenen Bewerber abzulehnen. Wird der Leistungsberechtigte auf Grund einer Eingliederungsvereinbarung, durch Verwaltungsakt oder sonstiges Verwaltungshandeln einem Arbeitgeber als Maßnahmeträger zugewiesen, so bindet dies den Maßnahmeträger nicht (BAG Urteil vom 02.10.2007, 1 ABR 60/06, RdNr 23 unter Verweis auch auf BVerwG, Urt. vom 21.03.2007 – 6 P 4/06). Die für die Arbeitsgelegenheit grundlegende Eingliederungsvereinbarung wird zwischen dem Leistungsträger und dem Leistungsberechtigten geschlossen. Der Maßnahmeträger wird dadurch nicht verpflichtet. Wäre dies der Fall, müsste er wegen § 57 Abs 1 SGB X zwingend seine schriftliche Zustimmung erklären, anderenfalls wäre die Vereinbarung als öffentlich-rechtlicher Vertrag zu Lasten Dritter nichtig. Daran ändert nichts, dass zwischen Leistungsträger und Maßnahmeträger ein Vertrag nach § 17 SGB II zu schließen ist. Ein solcher Vertrag kann wegen der Mitbestimmungsbefugnisse des Betriebsrates auch keine antizipierte abstrakte Zustimmung vorsehen. Adressat des ersatzweise ergehenden Verwaltungsakts nach § 15 Abs 1 Satz 6 SGB II ist ebenfalls nur der erwerbsfähige Hilfebedürftige. Die Regelungen in §§ 15, 16d SGB II enthalten keine Rechtsgrundlage, nach welcher der Leistungsträger befugt wäre, dem Maßnahmeträger gegen seinen Willen einen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zuzuweisen (BAG Urteil vom 02.10.2007, 1 ABR 60/06, RdNr 23 mwN, so ausdrücklich auch Voelzke aaO RdNr 95). Dem korrespondiert die Befugnis des Maßnahmeträgers, das zwischen ihm und dem Leistungsberechtigten bestehende Rechtsverhältnis zu kündigen.

Dass § 16d Satz 2 SGB II ausdrücklich das Bestehen eines Arbeitsrechtsverhältnisses ausschließt, bedeutet nicht, dass zwischen Maßnahmeträger und Leistungsberechtigten kein Rechtsverhältnis begründet würde. Besteht ein Entscheidungsrecht des Maßnahmeträgers hinsichtlich des Ob der Eingliederung des Leistungsberechtigten in seinen Betrieb (bei Mitbestimmungsbefugnis des Betriebsrates – siehe die zitierte BAG-Entscheidung) und sein Dispositionsrecht hinsichtlich des konkreten Einsatzes, kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein Rechtsverhältnis zwischen Maßnahmeträger und Leistungsberechtigten mit eigenen subjektiven Rechten der beiden Beteiligten dieser Beziehungen vorliegt.

Dann muss, solange das Jobcenter seine Leistungsbewilligung nach § 16d SGB II aufrechterhält, Anspruchsgegner im Streit über den Bestand des Rechtsverhältnisses der Maßnahmeträger sein. Dadurch wäre auch effektiver Rechtsschutz gesichert. Die Klage wäre zulässig auf die Fortsetzung der nichtentgeltlichen Beschäftigung im Rahmen der Arbeitsgelegenheit oder die Feststellung des Fortbestehens des Rechtsverhältnisses mit Anspruch des Leistungsberechtigten auf Tätigkeitszuweisung zu richten. Dabei würde das Rechtsverhältnis mit dem Maßnahmeträger auf öffentlich-rechtlicher Grundlage (h.M.) bestehen, wie § 16d Satz 2 SGB II durch die insofern unglückliche negative Bestimmung ihres Charakters zeigt. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten wäre eröffnet. Die materiell-rechtlichen Grundlagen für die Entscheidung solcher Rechtsstreite würden sich aus den sozialrechtlichen Maßgaben zur Integration in das Arbeitsleben und zur Berücksichtigung der Belange der Maßnahmeträger ergeben, wobei auch arbeitsrechtliche Grundsätze herangezogen werden können.

sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Sozialgericht Duisburg Urteil vom 06.04.2011, – S 41 (31,36) AS 355/08 –

Die Leistungen nach § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 77 SGB III stehen, da sie nach dem Wortlaut des Gesetzes erbracht werden können, im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten (LSG NRW Urt.v. 20.10.2008 – L 20 AS 19/07 – m.w.N.).

sozialgerichtsbarkeit.de

3.4 – Sozialgericht Duisburg Urteil vom 06.04.2011, – S 41 AS 3047/10 –

Für einen Zwei- Personen- Haushalt sind in NRW (Duisburg) bis zu 65 qm angemessen. Ein ungünstiger Zuschnitt der Wohnung kann einen Umzug erforderlich machen.

1. Die Kammer schließt sich insoweit den nachstehenden Erwägungen der 3. Kammer des Sozialgerichts Duisburg (Urt.v. 25.02.2011 – S 3 AS 3974/10) nach eigener Prüfung und Überzeugungsbildung an.

„Für die qm-Zahl ist nach der Rechtsprechung des BSG auf die in den landesrechtlichen Durchführungsvorschriften zu § 10 des Gesetzes für die soziale Wohnraumförderung vom 13.09.2001 (WoFG, BGBl I 2376) abzustellen (vgl. BSG, 17.12.2009, B 4 AS 27/09 R Rz. 15 m.w.N.).

Nach Auffassung der Kammer greift auch nicht der Einwand durch, die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei nicht mehr anwendbar, denn diese habe sich auf § 10 WoFG als bundesrechtliche Vorschrift gestützt; mit der Ablösung durch landesrechtliche Vorschriften aufgrund der Föderalismusreform sei die Grundlage dieser Rechtsprechung entfallen.

Dies würde bedeuten, dass es keine Leitlinien für die Bestimmung der Wohnungsgröße mehr gäbe – weder aus Gesetz noch aus Rechtsprechung der Obergerichte. Insofern ist es aus Sicht der Kammer richtig, an den Ausführungen des BSG in der Entscheidung vom 19.02.2009 (B 4 AS 30/08 R) festzuhalten, nach der es aus Gründen der Rechtssicherheit und der Praktikabilität trotz aller Bedenken vertretbar ist, die Wohnungsgröße aufgrund jener aktuell bestehenden landesrechtlichen Vorschriften zu bestimmen, welche die Größe der Wohnung nach Zahl der Personen festlegen.“

Die angemessenen kalten Betriebskosten pro Quadratmeter bestimmen sich nach den örtlichen Betriebskostenspiegeln. Sofern diese nicht aktuell sind, liegt es aus Sicht des 14. Senats nahe, „vom Träger der Grundsicherung entsprechende Rückfragen bei den örtlichen Interessenverbänden durchführen zu lassen bzw. die Werte an die allgemeine Preisentwicklung anzupassen. Nur wenn sich konkret Anhaltspunkte dafür ergeben, dass vom Deutschen Mieterbund für das gesamte Bundesgebiet aufgestellte Übersichten gerade das örtliche Niveau besser abbilden, kann auf diese zurückgegriffen werden“ (Urt.v. 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R).

Der Betriebskostenspiegel für Nordrhein-Westfalen ergibt im streitigen Zeitraum einen angemessenen Quadratmeterbetrag von 1,89 EUR. Hierbei hat die Kammer die dort ebenfalls ausgewiesenen Kosten für Heizung und Warmwasser herausgelassen, da diese Elemente bereits anderweitig erfasst werden. Dadurch, dass somit bei der Bestimmung der abstrakten Angemessenheitsgrenze auch Elemente wie Kosten für einen Hauswart oder einen Aufzug Eingang in den angemessenen Betrag finden, sind die Leistungsempfänger auch hinsichtlich der Betriebskosten nicht auf den untersten Bereich des Wohnungsspektrums festgelegt.

2. Es stand für den Bereich Wohnen und Schlafen lediglich ein Raum zur Verfügung, der eine Fläche von 15,84 qm hatte. Es ist nachvollziehbar, dass die – überdimensioniert erscheinende – Diele mangels Heizung hier nicht zusätzlich als Wohnraum nutzbar gemacht werden konnte. Selbst wenn man die Küche mit 12,6 qm – ihrer konkreten Nutzung nach – noch als Wohn- und Schlafraum hinzunähme, ergäbe sich eine Wohnfläche von nicht einmal 30 qm. Dies erscheint für zwei erwachsene Personen jedenfalls im konkreten Zuschnitt als unangemessen.

sozialgerichtsbarkeit.de

3.5 – Sozialgericht Aachen Urteil vom 20.07.2011, – S 5 AS 177/11 –

Von einer Verfassungswidrigkeit des RBEG, also der Ermittlung der Regelbedarfe, ist nicht auszugehen, insbesondere wurden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in dessen Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 3/09, 4/09) eingehalten. Eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) kommt nicht in Betracht.

Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG (BVerfG a.a.O., Rn. 133) und erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst (BVerfG a.a.O., Rn. 135 m.w.N.). Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen zu treffen. Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt (BVerfG a.a.O., Rn. 136f). Der Umfang dieses Leistungsanspruchs hängt von den gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ab und ist danach vom Gesetzgeber konkret zu bestimmen. Das Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG hält den Gesetzgeber an, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen, die sich etwa in einer technisierten Informationsgesellschaft anders als früher darstellt. Die hierbei erforderlichen Wertungen kommen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliegt es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren. Ihm kommt Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu. Dieser umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG a.a.O., Rn. 138). Zur Konkretisierung des Anspruchs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten, sachgerechten, nachvollziehbaren und schlüssigen Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, auf der Grundlage verlässlicher Zahlen zu bemessen (vgl. BVerfG a.a.O., Rn. 139 bzw. 142).

Ausgehend von diesen vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Anforderungen ist die Regelbedarfsermittlung nach dem RBEG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das verwendete Statistikmodell, d.h. die Bedarfsermittlung auf Basis von Sonderauswertungen, die das Statistische Bundesamt auf der Grundlage der von ihm erhobenen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) von 2008 durchgeführt hat, ist als vertretbare Methode zur realitätsnahen Bestimmung des Existenzminimums zu betrachten.

Die erfolgte Abgrenzung der Referenzhaushalte gemäß § 3 RBEG und die erfolgte Abgrenzung unterer Einkommensschichten gemäß § 4 RBEG sind nicht als verfassungswidrig zu werten. Die Entscheidung, keine Haushalte als Referenzhaushalte zu berücksichtigen, die ausschließlich von den existenzsichernden Leistungen nach SGB II und SGB XII leben, hingegen Leistungsberechtigte nach dem SGB II und SGB XII ab dem ersten Euro Erwerbsweinkommen als Referenzhaushalt zu berücksichtigen (vgl. auch Begründung des RBEG in Drucksache Bundestag 17/3404, S. 87ff), hat der Gesetzgeber sachgerecht damit begründet, dass nur Haushalte in der Referenzgruppe verbleiben (sollen), die von Einkünften oberhalb des Existenzminimums leben. Die Kritik, dass Zirkelschlüsse durch die Berücksichtigung der sogenannten „Aufstocker“ entstünden, verkennt, dass der Verzicht auf die Berücksichtigung dieser Haushalte zu einer erheblichen Anhebung des ermittelten Existenzminimums führen und die Anwendung dieser Methode den Kreis der Leistungsberechtigten bei jeder zukünftigen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe Schritt für Schritt erheblich erweitern würde. Als sachgerechte Methode zur Ermittlung des zur Sicherung des Existenzminimums erforderlichen Regelbedarfs könnte dieser Ansatz nicht betrachtet werden; ein vollständiger Ausschluss der Zirkelschlusshaushalte ist demnach nicht möglich. Auch die weitere Begründung des Gesetzgebers zur nicht erfolgten Herausnahme weiterer Haushalte (wie z.B. Wohngeld- oder BAföG-Bezieher und „versteckt“, „verdeckt“ bzw. „verschämt“ armer Personen) basiert auf sachgerechten Erwägungen (vgl. dazu Drucksache Bundestag 17/3404, S. 88). Zudem ist die ge-mäß § 4 RBEG erfolgte Beschränkung der berücksichtigten Einpersonenhaushalte auf 15% gegenüber 20% bei den Familienhaushalten sachgerecht begründet worden (vgl. Drucksache Bundestag 17/3404, S. 89). Bei den Einpersonenhaushalten wurden gemäß § 3 RBEG erheblich mehr Haushalte ausgeschlossen als bei den Familienhaushalten, so dass eine Differenzierung vertretbar ist, demnach methodisch und erst recht nicht verfassungsrechtlich angreifbar ist. Das Gericht verkennt nicht, dass ein größerer Umfang der berücksichtigten „unteren“ Referenzhaushalte, d.h. mehr als 15% oder 20%, Einfluss auf die Bedarfsermittlung haben würde. Die Beschränkung auf den genannten Umfang ist indes eine politische Entscheidung, verfassungsrechtlich zu beanstanden ist sie nicht, da sie auf sachgerechten Erwägungen beruht (vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27.05.2011, L 7 AS 342/11 B PKH). Verfassungsrechtlich bedeutsam ist allein die Berücksichtigung eines hinreichend großen Anteils, um valide Ergebnisse zu erzielen.

Dadurch dass Abschläge von einzelnen Verbrauchspositionen entweder nicht mehr vorgenommen oder durch Sonderauswertungen berichtigt wurden, ist zudem einer entscheidenden Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a.a.O., Rn. 173ff) entsprochen worden. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben des untersten Quintils nicht vollständig, sondern als regelleistungsrelevanter Verbrauch nur zu einem bestimmten Prozentsatz in die Bemessung der Regelleistung einfließen. Allerdings muss der jeweilige Abschlag sachlich gerechtfertigt sein (BVerfG a.a.O., Rn. 170). Die wertende Entscheidung, welche Ausgaben zum Existenzminimum zählen, hat der Normgeber sachgerecht und vertretbar zu treffen. Kürzungen von Ausgabepositionen in den Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe bedürfen zu ihrer Rechtfertigung einer empirischen Grundlage. Der Gesetzgeber darf Ausgaben, welche die Referenzgruppe tätigt, nur dann als nicht relevant einstufen, wenn feststeht, dass sie anderweitig gedeckt werden oder zur Sicherung des Existenzminimums nicht notwendig sind. Auch die Höhe einer Kürzung muss sich aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe oder aus einer anderen, zuverlässigen Erhebung ergeben. Eine Schätzung auf fundierter empirischer Grundlage ist dabei nicht ausgeschlossen; Schätzungen „ins Blaue hinein“ laufen jedoch einem Verfahren realitätsgerechter Ermittlung zuwider (BVerfG a.a.O., Rn. 171). Der Gesetzgeber hat nunmehr die Abweichungen von dem gewählten Statistikmodel nachvollziehbar begründet (vgl. Drucksache Bundestag 17/3404, S. 52ff), so dass die jeweiligen Kürzungen sachlich gerechtfertigt sind. Dieses gilt insbesondere hinsichtlich der Ausgaben für alkoholische Getränke und Tabakwaren, den Gaststättenbesuch, Verkehr sowie die Nutzung von Mobilfunktelefonen. Hinsichtlich dieser Ausgaben, die nicht das physische Überleben, sondern die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben betreffen, hat der Gesetzgeber – wie dargelegt – einen weiten Gestaltungsspielraum. Die Entscheidung über den Abschlag der einzelnen Verbrauchsausgabe kann politisch unterschiedlich bewertet werden, verfassungsrechtlich angreifbar ist sie – soweit sie auf sachgerechten Erwägungen und empirischer Grundlage beruht – hingegen nicht.

Durch die nunmehr erfolgte Anbindung der Fortschreibung der Regelbedarfe an die Entwicklung der Preise und Nettolöhne (vgl. § 7 RBEG, § 28a SGB XII) ist einer weiteren maßgeblichen Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a.a.O., Rn. 183ff) entsprochen worden. Soweit verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Ermittlung der Höhe des Regelbedarfs aufgrund der Tatsache, dass am Ende des Gesetzgebungsprozesses im Vermittlungsausschuss eine weitere Erhöhung der Regelbedarfe zum 01.01.2012 als Kompromiss beschlossen wurde, vorgetragen werden, kann diesen jedenfalls hinsichtlich der Bedarfsermittlung für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.12.2011 nicht gefolgt werden. Die für diesen Zeitraum gesetzlich vorgesehenen Bedarfe entsprechen den nachvollziehbar dargelegten Ermittlungen in der ursprünglichen Begründung des Gesetzes (vgl. Drucksache Bundestag 17/3404, S. 52ff). Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist die Höhe der den Klägern im Monat Januar 2011 zu gewährenden Regelbedarfe. Demnach kann offenbleiben, ob die für die Zeit ab 01.01.2012 vorgesehenen Regelbedarfe verfassungsgemäß (ermittelt worden) sind.

Die Gewährung eines Regelbedarfs in Höhe von jeweils „lediglich“ 328,- EUR für die beiden Kläger gemäß § 20 Abs. 4 SGB II ist nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG a.a.O., Rn. 189). Darüber hinaus sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der (Ermittlung) der Kinderbedarfe (vgl. BVerfG a.a.O., Rn. 190ff) nunmehr beachtet worden. Zum einen wurden eigenständige nachvollziehbare Ermittlungen zu den Familienhaushalten durchgeführt (vgl. Drucksache Bundestag 17/3404, S. 64ff), zum anderen wurden zu den Leistungen für Bildung und Teilhabe für Kinder und Jugendliche besondere Anspruchsgrundlagen geschaffen (vgl. §§ 28, 29 SGB II). Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Regelbedarfe für Kinder und Jugendliche höher festgesetzt wurden, als es die Bedarfsberechnungen aus des EVS ergeben haben (Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27.05.2011, L 7 AS 342/11 B PKH).

Auch der Wegfall des Zuschlags gemäß § 24 SGB II a.F. und der Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme der Rentenversicherungsbeiträge gemäß § 3 Abs. 3a SGB VI a.F. durch das Haushaltsbegleitgesetz (vgl. Art. 15 Nr. 4 bzw. Art. 19 Nr. 2 b)) ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Hinsichtlich dieser über die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums hinausgehenden Leistungen hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum.

Die Berufung wird indes gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

++ Anmerkung: Vgl. dazu auch meinen Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Neuer Hartz-IV Regelsatz für alleinstehende Personen ist nicht verfassungswidrig

§ 20 Abs. 2 S. 1 SGB II n.F

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil vom 10.06.2011, – L 12 AS 1077/11 -, Revision zugelassen

weiter hier: sozialrechtsexperte.blogspot.com

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Mietkostenübernahme bei Inhaftierung – Mietschulden – soziale Schwierigkeiten, die der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft entgegenstehen(§ 1 Abs. 3 VO).

§§ 19, 27 Abs. 1 und 29 SGB XII, §§ 34,67 SGB XII, § 5 Abs. 2 SGB II

Ein Anspruch auf Übernahme der rückständigen Miete nach §§ 19, 29 oder 34 Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch (SGB XII) für die Zeit nach der Haftentlassung scheidet bereits deshalb aus, weil der Hilfebedürftige (HB) sich ab Haftentlassung wieder in seiner Wohnung befunden hat.

Er hatte daher als erwerbsfähiger Hilfebedürftiger gegenüber dem Job Center einen nach § 5 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II) gegenüber dem SGB XII vorrangigen Anspruch auf Alg II und damit auch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft.

Die §§ 19, 27 Abs. 1 und 29 Sozialgesetzbuch – Zwölftes Buch (SGB XII; Hilfe zum Lebensunterhalt) kommen für die zum Zeitpunkt der Antragstellung fälligen und die zukünftigen Mieten als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht.

Der Anspruch ist jedoch nicht bereits wegen § 5 Abs. 2 SGB II ausgeschlossen (so aber: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2010, Az: L 23 SO 46/10 B ER), denn nach § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB II erhält derjenige erwerbsfähige Hilfebedürftige gerade keine Leistungen nach dem SGB II, der sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung befindet. Aus diesem Grund regelt das SGB XII in § 98 Abs. 4 SGB XII auch, welcher Sozialhilfeträger Leistungen nach dem SGB XII an Personen zu erbringen hat, die sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung befinden (vgl. Wahrendorf, in: Grube/ Wahrendorf, SGB XII-Kommentar, 3. Aufl. § 98 Rn. 31).

Personen, die sich in einer entsprechenden Einrichtung befinden, sind daher dem Grunde nach anspruchsberechtigt nach dem SGB XII, soweit ein entsprechender Bedarf besteht. Vorliegend besteht ein solcher Bedarf gerade nicht, denn der Bedarf an Unterkunft ist dadurch sichergestellt worden, dass er sich in U-Haft befand. Die streitigen Unterkunftskosten dienen damit nicht dem aktuellen Bedarf an einer Wohnung, sondern vielmehr der Erhaltung dieser Wohnung bis zum Zeitpunkt seiner Entlassung aus der Haft. Damit gehören die Kosten der Unterkunft aber nicht zum gegenwärtigen Bedarf des Klägers an Hilfe zum Lebensunterhalt (ebenso: SG Münster, Beschluss vom 02.05.2005, Az: S 12 SO 31/05 ER und SG Duisburg, Urteil vom 06.08.2008, Az: S 16 (35) SO 2/06).

Auch § 67 SGB XII scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Der HB gehört nicht zum Personenkreis der nach § 67 SGB XII Leitungsberechtigten (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2010, Az: L 23 SO 46/10 B ER). Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Hieraus ergibt sich ein Rechtsanspruch und nicht nur ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 67 Rz 4). Der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Lebensverhältnisse wird in § 1 Abs. 2 der Verordnung zu § 69 SGB XII – Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten – (VO) anhand der dort genannten Beispiele konkretisiert. Danach bestehen besondere Lebensverhältnisse bei Personen, die aus einer geschlossenen Einrichtung entlassen werden. Dies betrifft auch die Entlassung aus der Haft. Dem Inhaftierten kann Obdachlosigkeit drohen, wenn er nicht in seine Wohnung zurückkehren kann. Insoweit ist die Hilfe zur Erhaltung der Wohnung (§ 4 VO) auch präventiv, weil sie im Hinblick auf eine bevorstehende, konkret abzusehende Entlassung erforderlich ist (vgl. Bayerisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 17.09.2009, Az: L 18 SO 111/09 B ER).

Der HB gehört jedoch nicht zu den Personen, bei denen im Sinne von § 1 Abs. 3 VO besondere soziale Schwierigkeiten der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft entgegenstehen. Nach § 1 Abs. 3 VO liegen soziale Schwierigkeiten dann vor, wenn ein Leben in der Gemeinschaft durch ausgrenzendes Verhalten des Hilfesuchenden oder eines Dritten wesentlich eingeschränkt ist, u.a. im Zusammenhang mit Straffälligkeit. Soziale Schwierigkeiten allein und damit Lebensschwierigkeiten allgemeiner Art reichen nicht aus. Die sozialen Schwierigkeiten müssen vielmehr von einer solchen Intensität sein, dass dem Betroffenen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft nicht nur vorübergehend entweder nicht oder nur erheblich eingeschränkt möglich ist (Schoenfeld in: Grube/ Wahrendorf, SGB XII-Kommentar, 2. Aufl. § 67 Rn. 10 m.w.N.).

Eine wesentliche Teilhabeeinschränkung in diesem Sinne ist weder dargetan noch sonst erkennbar. Der HB ist zwar straffällig geworden, dies führte jedoch nach Ende der U-Haft nicht zu einer Teilhabeeinschränkung durch sein oder das Verhalten Dritter. Hiervon wäre erst dann auszugehen, wenn dem Kläger z. B. nach Verbüßung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe die ungewohnte eigenverantwortliche Lebensführung tief greifende Probleme bereiten würde oder wenn die Art seines Vergehens zu einer dauerhaften gesellschaftlichen Ächtung mit entsprechenden Folgen führen würde. Derartige Probleme sind im Fall des HB nicht ersichtlich. Diese Entwicklung war während der U-Haft auch absehbar. Die Schwierigkeiten, bei bestehenden Mietschulden neuen Wohnraum anzumieten, sind Lebensschwierigkeiten allgemeiner Art, denen der allein stehende HB mithilfe des für ihn zuständigen Job Centers (etwa durch Mietübernahmeerklärungen gegenüber einem neuen Vermieter) oder mit der angebotenen Hilfe der Beklagten begegnen kann (vgl. zum Ganzen: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2010, Az: L 23 SO 46/10 B ER).

 34 Abs. 1 SGB XII ist vorliegend dem Grunde nach anzuwenden (ebenso: SG Münster, Beschluss vom 02.05.2005, Az: S 12 SO 31/05 ER). Wie bereits dargelegt, scheidet ein vorrangiger Anspruch nach dem SGB II aus. Ein Anspruch des HB auf Übernahme der Mietschulden nach § 34 Abs. 1 SGB XII besteht jedoch nicht. Nach dieser Vorschrift können Schulden nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (Satz 1). Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (Satz 2). Zum hier maßgeblichen Beurteilungszeitraum der letzten mündlichen Verhandlung, war eine Übernahme nicht gerechtfertigt, denn die Wohnung stand dem Kläger zum einen auch nach seiner Haftentlassung noch zur Verfügung und musste durch die Übernahme der Mietschulden daher nicht gesichert werden. Zum anderen kann diese Unterkunft aktuell nicht mehr gesichert werden, denn das Mietverhältnis ist gekündigt und die Wohnung bereits anderweitig vermietet.

Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass es sich bei der Übernahme der Mietschulden nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII um eine Ermessensleistung der Beklagten handelt. Es steht daher in ihrem Ermessen zu bestimmen, ob und in welchem Umfang eine Übernahme der Miete erfolgt. Regelmäßig kann die Miete während der Dauer einer Haft übernommen werden, wenn eine Resthaftzeit von bis zu 6 Monaten zu verbüßen ist (SG Duisburg, Urteil vom 06.08.2008, Az: S 16 (35) SO 2/06). Es dürfte jedoch nicht zu beanstanden sein, wenn die Beklagte im vorliegenden Fall eine Rest-Haftdauer von 3 Monaten oder weniger verlangt. Insoweit hat eine Abwägung zwischen der Angemessenheit des Einsatzes öffentlicher Mittel mit dem Interesse des Einzelnen am Erhalt seiner Wohnung stattzufinden.

sozialgerichtsbarkeit.de

++ Anmerkung: Vgl. dazu auch meinen Beitrag im Blog von RA L. Zimmermann

Anmerkung: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.05.2011, – L 9 SO 105/10 –
Inhaftierte Hilfesuchende haben (nur) dann einen Anspruch auf Übernahme der Mietzinszahlungen gemäß § 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, wenn sie eine kurzzeitige Haftstrafe verbüßen (von unter einem Jahr; vgl. hierzu Beschluss des erkennenden Senats vom 19.05.2005, L 9 B 9/05 SO ER).

Die Konsequenz daraus ist allerdings, dass dann grundsätzlich eine andere Hilfeform (Auflösung der Wohnung und Einlagerung der persönlichen Sachen auf Kosten des Sozialhilfeträgers) gefunden werden muss (vgl. Blüggel in: jurisPK-SGB XII, 1. Aufl. 2010, § 68 Rn. 25 m.N.).

weiter hier: sozialrechtsexperte.blogspot.com

 


Teil 2 des Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 31/2011 ist hier zu finden.