Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 11/2012 – Teil 1

1.   Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 20.11.2011 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – BSG, Urteil vom 20.11.2011, – B 4 AS 19/11 R-

Es ist Aufgabe des Grundsicherungsträgers ist, bereits im Verwaltungsverfahren ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten zu entwickeln.

Zur Angemessenheit der Unterkunftskosten der Stadt Duisburg – schlüssiges Konzept – qualifizierter Mietspiegel der Stadt Duisburg – Anforderungen an die Datenerhebung und -auswertung.

Dies dient der Umsetzung des für den unbestimmten Rechtsbegriff der Angemessenheit der Unterkunftskosten entwickelten Kriterien. Das Gericht hat anhand der von ihm gelieferten Daten bzw der zusätzlich im Rahmen der Amtsermittlungspflicht von ihm angeforderten und zur Verfügung zu stellenden Daten und Unterlagen zu verifizieren, ob die angenommene Mietobergrenze angemessen ist.

Bei ihrem Vorgehen, den vom Beklagten festgelegten Wert für die Nettokaltmiete – vor einem Rückgriff auf die Tabellenwerte zu § 8 WoGG bzw nunmehr § 12 WoGG – anhand eines qualifizierten Mietspiegels zu überprüfen und abweichend festzulegen, sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass für die Bestimmung der angemessenen Referenzmiete nach einem schlüssigen Konzept die Daten des qualifizierten Mietspiegels für die Stadt Duisburg herangezogen werden können.

Allerdings erfordert dies, dass die Datenerhebung über den gesamten Vergleichsraum erfolgt, die einbezogenen Daten repräsentativ sind und bei der Datenauswertung mathematisch-statistische Grundsätze eingehalten werden.

Wegen der abweichenden Zielsetzung und der Erstellungsmethode von Mietspiegeln muss sichergestellt sein, dass der hinter den berücksichtigten Mietspiegelwerten stehende tatsächliche Wohnungsbestand im Vergleichsraum die Anmietung einer angemessenen Wohnung im gesamten Vergleichsraum ermöglicht, ohne die Leistungsberechtigen auf bestimmte Stadteile zu beschränken.

Insofern lässt die Besetzung einzelner Tabellenfelder eines Mietspiegels zunächst nur die Vermutung zu, dass zum Zeitpunkt der Datenerhebung ein bestimmter Wohnungsmietwert auf dem Gesamtwohnungsmarkt überhaupt vorhanden ist. Sie enthält keine Aussage zu dem dahinter stehenden Wohnungsbestand im Vergleichsraum.

Dies berücksichtigend kann der Senat nicht sicher beurteilen, ob der von den Vorinstanzen anhand des Mietspiegels festgestellte Wert von 4,12 Euro je qm eine angemessene Nettokaltmiete widerspiegelt. Es kann nicht ohne weiteres Datenmaterial davon ausgegangen werden, dass unter Berücksichtigung gerade nur der unteren Spannenwerte der Wohnungen in normaler Wohnlage der Baualtersklassen I bis IV im gesamten Vergleichsraum angemessener Wohnraum im gesamten Vergleichsraum tatsächlich angemietet werden kann.

Dies gilt auch für die Berechnungen des LSG, weil es Wohnungen in einfacher Wohnlage einbezieht, die in Duisburg nach den Feststellungen des LSG nur in eingeschränktem Umfang zur Verfügung stehen und mangels Häufigkeit schon bei der Mietspiegelerstellung als nicht repräsentativ unberücksichtigt gelassen wurden. Auch wegen der Ausklammerung bestimmter Baualtersklassen sind weitere Feststellungen erforderlich. Trotz des hohen Anteils von Wohnungen in diesen Baualtersklassen birgt dies das Risiko, dass die Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten doch nicht – wie erforderlich – über den gesamten Vergleichsraum, sondern – de facto – nur beschränkt auf bestimmte Stadtteile erfolgt.

 Unter qualitativen Gesichtspunkten können bestimmte Baualtersklassen weiter nur ausgeschlossen werden, wenn festgestellt ist, dass Gebäude dieser Baualtersklassen den Mietmarkt des unteren Marktsegments nicht maßgeblich prägen (BSG Urteil vom 19.2.2009 – B 4 AS 30/08 R, RdNr 25).

Der Umfang der – vorrangig vom Grundsicherungsträger – nachzuholenden Ermittlungen zu dem hinter den Tabellenfeldern liegenden Wohnungsbestand hängt grundsätzlich von dem – je nach Mietspiegel – unterschiedlichem Datenmaterial, dem ggf “ausgeklammerten” Anteil von Wohnungen sowie dem gesamten Wohnungsbestand im Vergleichsraum ab. Hier kann ua der von dem Beklagten mit der Dokumentation des Mietspiegels übersandte Erläuterungsbogen zur tatsächlichen Anzahl von Wohnungen nach Mietspiegelfeldern einbezogen werden.

Bei einer Gesamtbetrachtung kann sich ergeben, dass die Berücksichtigung von gewichteten Mittelwerten der herangezogenen Tabellenfelder sicherstellt, dass – bezogen auf die berücksichtigten Wohnungen – ein ausreichender Bestand vorhanden und damit angemessener Wohnraum für den Leistungsberechtigten tatsächlich erreichbar ist (vgl zum Berliner Mietspiegel BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R, RdNr 32).

Der Senat hat bereits entschieden, dass als Angemessenheitsgrenze der obere Spannenwert zu berücksichtigen ist, wenn – bei entsprechend vorhandenem Datenmaterial – nur die Wohnungen einfachen Standards zugrunde gelegt werden (BSG Urteil vom 22.9.2009 – B 4 AS 18/09 R, RdNr 21).

Zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten sind neben der Nettokaltmiete die “kalten Betriebskosten”, allerdings unter Rückgriff auf lokale Übersichten, einzubeziehen.

Zitat: 14
Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (vgl § 22 Abs 1 S 1 SGB II). Der Begriff der “Angemessenheit” unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R – BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3; BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 27 <Essen> RdNr 21; BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 42 <Berlin> RdNr 20).

Zur Festlegung der abstrakt angemessenen Leistungen für die Unterkunft ist zunächst die angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche örtliche Vergleichsraum zu ermitteln.

Angemessen ist eine Wohnung weiter nur dann, wenn sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist, wobei es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist (BSG Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R, BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, jeweils RdNr 20; BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 27 <Essen>, RdNr 15, 17).

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Soweit die tatsächlichen Aufwendungen des Leistungsberechtigten für seine Unterkunft die angemessene Referenzmiete überschreiten, sind diese – falls vom Leistungsberechtigten entsprechende sachliche Gründe vorgebracht werden – solange zu berücksichtigen, wie es ihm konkret nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch Anmietung einer als angemessen eingestuften Wohnung, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs 1 S 2 SGB II aF, der durch die Einführung des neuen Satzes 2 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 – BGBl I 1706 – ohne inhaltliche Änderung zu Satz 3 wurde; vgl BSG Urteil vom 19.2.2009 – B 4 AS 30/08 R, BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 <München>, RdNr 29; BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 27, RdNr 30).

Da die angemessene Referenzmiete bereits bei der Ermittlung der abstrakt angemessenen Kosten so festzulegen ist, dass es dem Leistungsberechtigten grundsätzlich möglich ist, im gesamten räumlichen Vergleichsraum eine angemessene Wohnung anzumieten und allenfalls in einzelnen Regionen Deutschlands ein Mangel an ausreichendem Wohnraum besteht, dürfte für den Regelfall davon auszugehen sein, dass es in ausreichendem Maße Wohnungen zu der abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft gibt (vgl bereits Urteil des Senats vom 19.2.2009 – B 4 AS 30/08 R – BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 <München>, RdNr 36 sowie RdNr 29 zu möglichen persönlichen Umständen für den begründungspflichtigen Ausnahmefall; siehe auch BSG Urteil vom 13.4.2011 – B 14 AS 106/10 R – zur Veröffentlichung vorgesehen – für die Ermittlung der abstrakt angemessenen KdU unter Einbeziehung von qualifizierten Mietspiegeln RdNr 30).

juris.bundessozialgericht.de

Anmerkung von Willi 2: BSG, Urteil vom 06.10.2011,- B 14 AS 131/10 R –

Bei der Ermittlung der Angemessenheit ist auf den bestand aller Wohnungen abzustellen und nicht nur der Wohnungen von SGB II und Wohngeldempfängern.
sozialrechtsexperte.blogspot.com

2.  Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 01.03.2012,- L 7 AS 1032/11 NZB –

Die Kosten für Kleidung und Friseurbesuche anlässlich eines bevorstehenden Vorstellungsgesprächs sind im Regelbedarf des § 20 SGB II enthalten.

Demgemäß greift auch der Leistungsausschluss nach § 45 Abs. 3 Satz 2 SGB III bzgl eines Anspruchs aus § 16 SGB II.

sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 06.12.2011,- L 11 AS 97/10 -, anhängig beim BSG unter dem AZ. -B 14 AS 13/12 R –

Kein Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende.

Ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt.

Zitat:
In der Rechtsprechung ist umstritten, ob alleinerziehenden Eltern im Sozialleistungsbezug ein Wohnraummehrbedarf zusteht (dafür etwa LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.07.2010, L 9 AS 1049/09 B ER).

In Schleswig-Holstein gelten nach den landesrechtlichen Durchführungsbestimmung zu § 10 WoFG folgende Quadratmeterzahlen: 1 Person bis 50 qm, 2 Personen 50 bis 60 qm, 3 Personen 60 bis 75 qm und ab dann pro Person 10 qm mehr.

Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass jede Person ein eigenes Zimmer haben sollte. Erziehen Eltern ihr Kind allein, so wird teilweise angenommen, dass neben dem Schlafzimmer für das Elternteil sowie dem Kinderzimmer ein Bedarf an einem weiteren Raum für das gemeinsame Familienleben sowie etwa den Empfang von Besuch in Gestalt eines Wohnzimmers besteht.

Bei Alleinerziehenden könne die Regel „pro Kopf ein Zimmer“ auch deswegen nicht gelten, weil hier – anders als bei Familien mit zwei Elternteilen – der alleinerziehende Elternteil ein eigenes Schlafzimmer benötige, während etwa in einer Familie mit zwei Elternteilen und einem Kind die Eltern das Schlafzimmer gemeinsam nutzen würden und daher auch mit drei Zimmern („pro Kopf ein Zimmer“) – d.h. Elternschlafzimmer, Kinderzimmer, Wohnzimmer – ein Raum für das gemeinsame Familienleben gewährleistet sei.

sozialberatung-kiel.de

Anmerkung von Willi 2: Sozialgericht Lüneburg, Beschluss vom 29.06.2011, – S 45 AS 257/11 ER –

Erhöhung der angemessenen Wohnfläche für Alleinerziehende ist bei der Feststellung der angemessenen Wohnkosten zu berücksichtigen.
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2.3 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.01.2012,- L 7 AS 2203/11 B –

Nach dem Willen des Gesetzgebers ist es den Hilfebedürftigen wie allen anderen Versicherten grundsätzlich zumutbar, ihre Krankenkasse zu wechseln, wenn diese Krankenkasse erstmalig einen Zusatzbeitrag erhebt oder diesen erhöht und sie ihn nicht selbst tragen möchten.

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass jedem Versicherten – unabhängig von seinem Einkommen – ein Zusatzbeitrag von 8,00 EUR monatlich zugemutet werden kann bzw. im Falle einer subjektiven Unzumutbarkeit der Betroffene von dem Kündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 S. 5 SGB V Gebrauch macht. Die Erhebung eines Zusatzbeitrages wie auch der Wechsel der Krankenkasse im Falle der Erhebung eines Zusatzbeitrages stellt nur eine allgemeine Härte dar (SG Neuruppin, Gerichtsbescheid vom 30.11.2010, S 26 AS 1166/10 Rn. 21. ff juris).

Die Klage der Klägerin auf Übernahme des Zusatzbeitrages ab Juni 2011 bleibt die hinreichende Erfolgsaussicht ebenfalls verwehrt.

Nach § 26 Abs. 3 SGB II n.F. zahlt die Bundesagentur den Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung nach § 242 SGB V (nur) für Personen, die allein durch diese Aufwendungen hilfebedürftig würden. Dies ist bei der Klägerin zu verneinen. Die Klägerin kann den Zusatzbeitrag auch nicht als unabweisbaren laufenden Bedarf (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – BvL 1/09 Rn. 208 ff. juris) beanspruchen, da insoweit eine einfachgesetzliche Regelung mit § 26 Abs. 4 SGB II normiert wurde, die vorrangig ist (BSG, Urteil vom 19.08.2010 – B 14 AS 13/10 R Rn. 23 juris; SG Neuruppin, a.a.O., Rn. 33 juris).

sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.01.2012, – L 19 AS 1747/11 B –

Die nach den Mehrbedarfsempfehlungen geforderte Ernährung mit einer sog. “Vollkost” bei Diabetes mellitus I/II unterfällt nicht der Vorschrift des § 21 Abs. 5 SGB II a. F., da es sich nicht um eine Krankenkost handelt, auf die Vorschrift abzielt, sondern um eine Ernährungsweise, die auf das Leitbild des gesunden Menschen Bezug nimmt.

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung von Willi 2: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.09.2011, – L 7 B 440/09 AS –

Hartz IV Regel – Satz reicht nicht für – Vollkost –

Im Kontext des Anspruchs nach § 21 Abs. 5 SGB II muss bei einem Berechtigtem, der aus medizinischen Gründen (entgegen dem typischen Verbraucherverhalten) auf Vollkosternährung angewiesen ist, sichergestellt sein, dass er auf dieser (Energiebedarfs-Basis) “mit seiner Krankheit oder Behinderung leben kann”.
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2.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.02.2012,- L 20 AS 2347/11 B ER

Rumänische Staatsbürger sind von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Der Senat ist von der Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1. Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht überzeugt.

Nur eine solche Überzeugung könnte ihn ausnahmsweise berechtigen, dieses formelle Gesetz nicht anzuwenden. Anders als in Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG, bei denen ggf. eine Entscheidung aufgrund einer Interessenabwägung zu treffen ist (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 1996 – 7 NC 147.95, NVwZ 1996, 1239; OVG Lüne-burg, Beschlüsse vom 10. März 2010 – 12 ME 176/08, NuR 2010, 290, und vom 5. Januar 2011 – 1 MN 178/10, BauR 2010, 990), sind die Gerichte im Rahmen des § 86b Abs. 2 grundsätzlich nicht berechtigt, formelle Gesetze als unwirksam zu behandeln. Dies gilt insbesondere, wenn das Gericht lediglich Zweifel an der Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht hat (a. A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. August 2011 – L 15 AS 188/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30. November 2010 – L 34 AS 1501/10 B ER –, vom 17. Mai 2011 – L 28 AS 566/11 B ER –, vom 20. Juni 2011 – L 25 AS 535/11 B ER – und vom 30. September 2011 – L 14 AS 1148/11 B ER, L 14 AS 1152/11 B PKH; Bayerisches LSG, Beschluss vom 22. Dezember 2010 – L 16 AS 767/10 B ER; Hessisches LSG, Beschluss vom 14. Juli 2011 – L 7 AS 107/11 B ER).

Nur ausnahmsweise, wenn das Gericht von der Europarechtswidrigkeit einer innerstaatlichen Norm überzeugt ist und zudem die Durchsetzung der Ansprüche des Antragstellers endgültig versagt würde, kommt Art. 19 Abs. 4 GG Vorrang vor Art. 20 Abs. 3 GG zu mit der Folge, dass ausnahmsweise eine einstweilige Anordnung ergehen kann. Diese setzt jedoch eine ansonsten abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage auch im Eilverfahren voraus; für eine “Folgenabwägung” ist hingegen kein Raum (so im Ergebnis auch SG Dresden, Beschluss vom 5. August 2011 – S 36 AS 3461/11 ER). Eine Überzeugung von der Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II lässt sich den vorgenannten Entscheidungen der Landessozialgerichte nicht entnehmen. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof durch ein Landessozialgericht ist nicht bekannt. Auch der Senat kann eine solche Überzeugung nicht gewinnen.

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nicht schon wegen des Gleichbehandlungsgebots des Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) unanwendbar (vgl. BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 4 AS 14/10 R). Die Antragsteller sind nicht vom Schutzbereich des EFA erfasst, weil Rumänien den Vertrag dieses Abkommens bislang nicht ratifiziert hat. Selbst wenn sie vom Schutzbereich des EFA erfasst wären, bliebe § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II seit der am 19. Dezember 2011 erfolgten Veröffentlichung des auf der Grundlage des Art. 16 Buchstabe b EFA von der Bundesregierung dem Europarat mitgeteilten Vorbehalts von dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 1 EFA unangetastet.

Der Senat ist auch nicht davon überzeugt, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG – sog. Unionsbürgerrichtlinie – gedeckt ist, soweit Leistungen zum Lebensunterhalt begehrt werden (so auch Peters in Estelmann, SGB II, § 7 Rn. 14, und mit zutreffenden Erwägungen LSG Berlin-Brandenburg im Beschluss vom 8. Juni 2009 – L 34 AS 790/09 B ER –; inzwischen hat dieser Senat seine Rechtsprechung allerdings aufgegeben, Beschluss vom 30. November 2011 – L 34 AS 1501/10B ER, L 34 AS 1518/10 B PKH).

Nach Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selb-ständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe b einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens zu gewähren. Art. 14 Abs. 4 Buchstabe b der Richtlinie bestimmt, dass auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden darf, wenn die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II beruht auf diesen europarechtlichen Bestimmungen (vgl. BT-Drs. 16/688, S. 13).

Der Senat hat auch keine Bedenken, die vorliegend erstrebten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie anzusehen. Die Frage, welche Leistungen unter diesen Sozialhilfebegriff fallen, ist im Einklang mit Art. 39 Abs. 2 des EG-Vertrags (EGV) zu beantworten (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009, Vatsouras, Koupatantze, C 22-/08 und C 23/08). Nach Art. 39 Abs. 2 EGV umfasst die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die nach Art. 39 Abs. 1 EGV gewährleistet wird, die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

Vor dem Hintergrund dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es nicht mehr möglich, Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, von finanziellen Leistungen auszunehmen, sofern diese den Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates erleichtern sollen (EuGH, Urteile vom 23. März 2004, Collins, C-138/02, und vom 15. September 2005, Ioannidis, C-258/04). Es kann dahin stehen, dass Rumänen gemäß § 1 Abs. 3 EU-Beitrittsvertrag in Verbindung mit dem Beschluss des Bundeskabinetts vom 7. Dezember 2011 noch bis zum 31. Dezember 2013 in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt sind, da es sich bei den von den Antragstellern beantragten Leistungen ohnehin nicht um finanzielle Leistungen handelt, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, sondern um staatliche Fürsorgeleistungen, die der Existenzsicherung dienen.

Es ist Sache der nationalen Behörden und innerstaatlichen Gerichte, nicht nur das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen, sondern auch die grundlegenden Merkmale dieser Leistungen zu prüfen (EuGH, Urteil vom 4. Juni 2009, Vatsouras, Koupatantze, C 22-/08 und C 23/08). Grundlegendes Merkmal der von den Antragstellern begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist deren “Passivität”, das heißt deren Existenz sichernde Funktion (vgl. zum Charakter des SGB II als Fürsorgegesetz BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R); sie begehren hingegen nicht “aktive” Leistungen der Eingliederung in Arbeit (vgl. zur Trennbarkeit der Leistungen im SGB II auch ausführlich SG Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2011 – S 26 AS 10021/08; Beschluss des SG Dresden vom 5. August 2011 – S 36 AS 3461/11 ER; LSG Berlin-Brandenburg, 34. Senat, a. a. O.).

Die Regelungen des SGB II führen die frühere Arbeitslosenhilfe einerseits und die frühere Sozialhilfe andererseits zusammen (BT-Drs. 15/1516, S. 44). Das bisherige Nebeneinander von zwei staatlichen Fürsorgeleistungen sollte beendet, der Grundsatz “Arbeit statt passiver Leistung” besser umgesetzt werden (a. a. O.). Die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit werden aber weiterhin als aktive Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und als passive Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erbracht (a. a. O., S. 50). Während die aktiven Leistungen den Erwerbsfähigen bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unterstützen sollen, sollen die passiven Leistungen den Lebensunterhalt des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sichern, soweit sie ihn nicht auf andere Weise bestreiten können (a. a. O.). Die Antragsteller begehren allein Leistungen, die der Existenzsicherung dienen, und damit Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie.

Der Senat ist auch nicht deshalb von der Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II überzeugt, weil dieser gegen die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit – VO 883/2004 – verstoßen könnte. Es bestehen zwar Zweifel, ob der Leistungsausschluss im SGB II mit der VO 883/2004 vereinbar ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. September 2011 – L 14 AS 1148/11 B ER, L 14 AS 1152/11 B PKH; SG Dresden, Beschluss vom 5. August 2011 – S 36 AS 3461/11 ER). Der Senat hält die Annahme der Unvereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II aber nicht für zwingend und ist daher weiterhin nicht von der Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II überzeugt. Nach Art. 4 der VO 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staats.

Der persönliche Geltungsbereich der Verordnung erstreckt sich gemäß Art. 2 Abs. 1 u. a. auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der sachliche Geltungsbereich gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. h) auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Gemäß Art. 3 Abs. 3 VO 883/2004 gilt die Verordnung ausdrücklich auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70, unter die gemäß dessen Abs. 2 lit. c) i. V. m. Anhang X für Deutschland auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 SGB II) erfüllt sind, fallen. Zwar spricht der isolierte Wortlaut der VO 883/2004 für einen grundsätzlichen Gleichbehandlungsanspruch aller Unionsbürger auf scheinbar alle Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nach historisch-systematischer sowie teleologischer Auslegung ist dieser Schluss jedoch nicht zwingend.

Denn die Unionsbürgerrichtlinie, die in Art. 24 Abs. 2 die Möglichkeit eines Leistungsausschlusses eröffnet, und die VO 883/2004, wonach der vorgenannte Leistungsaus-schluss gerade nicht möglich wäre, datieren auf denselben Tag, nämlich den 29. April 2004. Es ist nicht davon auszugehen, dass das Europäische Parlament und der Rat sich widersprechende Regelungswerke in Kraft setzen wollten (vgl. zu den “Widersprüchlichkeiten” SG Dresden, a. a. O., das allerdings deshalb zu dem Schluss der Unvereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit der VO 883/2004 kommt). Dies gilt umso mehr, als mit der VO 883/2004 die Koordinierung der Sozialsysteme, aber gerade nicht die Vereinheitlichung der materiellen Standards bezweckt war (vgl. Schreiber in VO (EG) Nr. 883/2004, Kommentar, 2012, Einleitung Rn. 5), eine Aushöhlung der Möglichkeit des mitgliederstaatlichen Leistungsausschlusses auf der Grundlage des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie durch die Regelungen in VO 883/2004 also nicht beabsichtigt gewesen sein dürfte. Nach dem bisherigen materiellen Standard, der in der Verordnung (EG) Nr. 1408/71, die durch Art. 90 der VO 883/2004 überwiegend aufgehoben wurde, abgebildet ist, waren nicht auch Arbeitssuchende vom persönlichen Anwendungsbereich erfasst (Art. 2 VO 1408/71; vgl. hierzu Schreiber, a. a. O. Art. 70 Rn. 5).

Daher ist schwer nachvollziehbar, dass in Abkehr zum bisherigen materiellen Standard der zuvor für Deutschland leere Anhang X der VO 883/2004 mit der Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 dahin gehend aufgefüllt wurde, dass nunmehr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Absatz 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) erfüllt sind, aufgenommen wurden.

Diese Leistungen wurden mit Aufnahme im Anhang X als besondere beitragsunabhängige Leistungen im Sinne des Art. 70 VO 883/2004 qualifiziert, obwohl es sich – nach den vorstehenden Ausführungen – teilweise um Leistungen der sozialen Fürsorge handelt, die gemäß Art. 3 Abs. 5 ausdrücklich vom Anwendungsbereich der VO 883/2004 ausgenommen sind. Nicht mehr nachzuvollziehen ist die Aufnahme der Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII – in den Anhang X, bei denen es sich nach bundesdeutschem Recht unzweifelhaft um Fürsorgeleistungen handeln dürfte (so auch Fuchs in Europäisches Sozialrecht, 5. Auflage 2010, Art. 70 Rn. 14).

Ob die hier in Rede stehenden Leistungen tatsächlich besondere beitragsunabhängige Sonderleistungen oder nicht doch Leistungen der sozialen Fürsorge sind, wäre ggf. vom EuGH zu überprüfen (vgl. hierzu Schreiber a. a. O., Art. 70 Rn. 22). Der Senat kann sich auch nicht im Wege der europarechtsfreundlichen Auslegung des effet utile davon überzeugen, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtswidrig ist. Denn vor dem Hintergrund, dass Rumänen und Bulgaren bis Ende 2013 weiterhin – und wegen § 1 Abs. 3 EU-Beitrittsvertrag europa-rechtlich legitimiert – von der uneingeschränkten Freizügigkeit ausgeschlossen sind, besteht ein objektiver Grund, sie von den hier beantragten Leistungen auszuschließen.

Der Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II korrespondiert für Rumänen und Bulgaren mit deren Ausschluss von der uneingeschränkten Freizügigkeit (vgl. hierzu die ausführliche Begründung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 28. Juni 2011 – L 19 AS 317/11 B ER – m. w. N.).

Die Bundesregierung selbst geht ausweislich des vorgenannten von Art. 16 Buchstabe b EFA gedeckten Vorbehalts weiterhin sogar davon aus, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II rechtswirksam jeden Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II von Staatsangehörigen auch aller anderen Mitgliedstaaten ausschließt.

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung von Willi 2: Vorbehalt gegen das europäische Fürsorgeabkommen
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Anmerkung von Willi 2: Anmerkung zu: BSG 14. Senat, Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 23/10 R -, Autor: Dr. Björn Harich, RiSG, Erscheinungsdatum: 28.07.2011, Fundstelle: jurisPR-SozR 15/2011 Anm. 1
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3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Aurich, Urteil vom 08.03.2012 – S 35 AS 201/11 R –

Kosten für Sperrmüll gehören zu den Kosten der Unterkunft, wenn sie angemessen sind und müssen vom Jobcenter übernommen werden.

Das Jobcenter hatte die Übernahme von Sperrmüllkosten, die vom Müllentsorger gesondert berechnet wurden verweigert, weil es sich nicht um Kosten der Unterkunft, sondern der allgemeinen Lebenshaltung handelt.

Zu den Kosten der Unterkunft gehören die nach der Betriebskostenverordnung BKV (iVm § 556 Abs. 1 BGB) umlagefähigen Betriebskosten (BSG,19.02.2009 – B 4 AS 48/08 R). Die Kosten der Müllbeseitigung sind § 2 Nr. 8 BKV auch die Kosten der Müllbeseitigung, wozu auch Sperrmüll gehört.

Bisher nicht veröffentlicht.

3.2 – Sozialgericht Aachen, Urteil vom 30.01.2012, – S 14 AS 1061/11 –

Ein schlüssiges Konzept kann grundsätzlich auch ein qualifizierter Mietspiegel im Sinne des § 558d BGB, wie auch ein einfacher Mietspiegel sein (BSG, Urteil vom 19.10.2010, Az. B 14 AS 50/10 R).

Welche Aufwendungen im Einzelfall angemessen sind, ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grundsätzlich nach der so genannten Produkttheorie zu bemessen. Danach ist die Angemessenheit der Unterkunftskosten aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße (1. Faktor) und der nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Miete pro qm (2. Faktor) zu errechnen.

Dabei müssen nicht beide Faktoren je für sich betrachtet angemessen sein, vielmehr muss allein das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je qm) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete ergeben (zur Produkttheorie vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009, Az. B 4 AS 30/08; Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 18/06 R).

Zur Bestimmung des Faktors “Mietpreis pro qm” ist ein einfacher, im unteren Marktsegment liegender Standard zugrunde zu legen; die Wohnung muss hinsichtlich ihrer Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügen.

Die festgestellte angemessene Referenzmiete oder die Mietobergrenze muss mithin so gewählt werden, dass es dem Hilfebedürftigen möglich ist, im konkreten Vergleichsraum eine “angemessene” Wohnung anzumieten (dazu: BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 10/06 R; Urteil vom 07.11.2006, Az. B 7b AS 18/06 R; Urteil vom 19.10.2010, Az. B 14 AS 50/10 R).

Die Mietobergrenze ist nach der Rechtsprechung des BSG auf Grundlage eines diese Vorgaben beachtenden schlüssigen Konzepts zu ermitteln (vgl. BSG Urteil vom 18.6.2008, Az. B 14/7b AS 44/06 R; Urteil vom 19.10.2010, Az. B 14 AS 50/10 R). Ein schlüssiges Konzept muss dabei nach den strengen und differenzierten Anforderungen des BSG jedenfalls folgende Voraussetzungen erfüllen:

Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen (keine Ghettobildung), es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, z.B. welche Art von Wohnungen, dabei muss eine Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit) und nach Wohnungsgröße erfolgen, der Beobachtungszeitraum muss angegeben sein, die Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel) muss festgelegt sein, der Umfang der eingezogenen Daten muss repräsentativ sein, die Datenerhebung muss valide sein und unter Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze ausgewertet worden sein, schließlich müssen Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze) gemacht werden (BSG, Urteil vom 17.12.2009, Az. B 4 AS 50/09 R).

Ein schlüssiges Konzept kann grundsätzlich auch ein qualifizierter Mietspiegel im Sinne des § 558d BGB, wie auch ein einfacher Mietspiegel sein (BSG, Urteil vom 19.10.2010, Az. B 14 AS 50/10 R).

Dieser muss dann aber eine hinreichende Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden. Das kann u.a. dann der Fall sein, wenn die Datenbasis auf mindestens 10 Prozent des regional in Betracht zu ziehenden Mietwohnungsbestandes beruht. Ferner müssen die Faktoren, die das Produkt “Mietpreis” bestimmen (Standard, ggf. auch ausgedrückt im Jahr des ersten Bezuges bzw. der letzten Renovierung plus Wohnungsgröße und Ausstattung) in die Auswertung eingeflossen sein (BSG, Urteil vom 18.6.2008, Az. B 14/7b AS 44/06 R). Insbesondere muss die Datenerhebung über den gesamten Vergleichsraum erfolgt und die einbezogenen Daten repräsentativ sein.

Wegen der abweichenden Zielsetzung und der Erstellungsmethode von Mietspiegeln muss zudem sichergestellt sein, dass der hinter den berücksichtigten Mietspiegelwerten stehende tatsächliche Wohnungsbestand im Vergleichsraum die Anmietung einer angemessenen Wohnung im gesamten Vergleichsraum ermöglicht, ohne die Leistungsberechtigen auf bestimmte Stadteile zu beschränken (BSG, Terminbericht Nr. 68/11 zum Urteil vom 20.12.2011, Az. B 4 AS 19/11 R).

Sollen aus Daten eines Mietspiegels grundsicherungsrelevante Schlüsse abgeleitet werden, ist eine Beschränkung auf Daten bestimmter Bauklassen grundsätzlich nicht zulässig, solange nicht statistisch valides Material vorliegt, das eine Aussage darüber zulässt, welche Bauklassen in welchem Umfang tatsächlich die gesamte Stadt als Vergleichsraum – und nicht lediglich ganz bestimmte, als sozial problematisch einzuschätzende Teile einer Stadt – prägen. Aus dem Mietspiegel allein lässt sich nicht ersehen, inwieweit gerade Wohnungen einer bestimmten Baualtersklasse in einem Umfang zur Verfügung stehen, die den Rückschluss zulassen, im konkreten Vergleichsraum sei eine “angemessene” Wohnung tatsächlich anmietbar.

Die Besetzung einzelner Tabellenfelder eines Mietspiegels lässt nur die Vermutung zu, dass zum Zeitpunkt der Datenerhebung ein bestimmter Wohnungsmietwert auf dem Gesamtwohnungsmarkt überhaupt vorhanden ist, sie enthält keine Aussage zu dem dahinter stehenden Wohnungsbestand im Vergleichsraum. Auch erfüllt die Bildung eines arithmetischen Mittelwerts aus den Mittelwerten der Bauklassen als abschließenden Schritt zur Berechnung einer grundsicherungsrelevanten Nettokalt-Vergleichsmiete die Anforderungen an ein mathematisch-statistisch nachvollziehbares Konzept nicht.

Die Bildung arithmetischer Werte bietet gerade bei ausdifferenzierten Tabellen-Mietspiegel nicht die Gewähr dafür, dass der abgebildete Wert als solcher tatsächlich den Schwerpunkt eines Mietpreises im einfachen Segment abbildet (so ausdrücklich: BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 50/10 R sowie der Terminbericht Nr. 68/11 zum Urteil vom 20.12.2011, Az. B 4 AS 19/11 R).

Ein schlüssiges Konzept als Grundlage der hier streitigen Leistungsbewilligung, das den hohen Anforderungen der Rechtsprechung des BSG genügt, kann die Kammer nicht erkennen.

Die vom Beklagten als angemessen zugrunde gelegten Werte (Ein-Personen-Haushalt: 260,00 Euro inkl. Nebenkosten, Zwei-Personen-Haushalt: 330,00 Euro inkl. Nebenkosten, Drei-Personen-Haushalt: 390,00 Euro inkl. Nebenkosten) beruhen auf einer bloßen Beobachtung und Auswertung von Wohnungsanzeigen und sind überdies seit Jahren unverändert. Außerdem versteht der Beklagte seine Mietobergrenzen inklusive Nebenkosten, wobei nicht erkennbar ist, auf welcher (Daten-) Grundlage Erkenntnisse über die Höhe angemessener Nebenkosten im Vergleichsraum gewonnen wurden.

Der Bestimmung des hier für angemessen erachteten Wertes von 390,00 Euro für einen Drei-Personen-Haushalt liegt damit aber kein Konzept zugrunde, das auf Grundlage einer validen und repräsentativen Datenbasis für einen bestimmten eingrenzbaren Vergleichsraum und differenzierter Merkmale bei Beachtung des tatsächlich anmietbaren Wohnungsbestandes unter Anwendung einer anerkannten mathematisch-statistischen Berechnungsmethode zu einem Vergleichswert kommt.

Die Werte des Beklagten beruhen auch nicht auf einer Auswertung des Mietspiegels, diese Berechnungsmethode hält der Beklagte – wie aus anderen Verfahren bekannt, wo Verurteilungen auf Grundlage des Mietspiegels erfolgten (SG Aachen, Urteil vom 17.11.2010, Az. S 5 AS 910/10; Urteil vom 23.05.2011, Az. S 14 AS 1135/10; Urteil vom 11.07.2011, Az. S 14 AS 46/11) – sogar ausdrücklich für falsch.

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung von Willi 2: Sozialgericht Landshut, Urteil vom 07.02.2012, – S 10 AS 294/11 –

Das mit Wirkung ab Mitte 2009 neu erstellte und halbjährlich fortgeschriebene Konzept zur Ermittlung der Unterkunftskosten im Landkreis Landshut hält – trotz richtiger Ansätze – letztendlich nicht den hohen Anforderungen des BSG statt.
sozialrechtsexperte.blogspot.com

3.3 – Sozialgericht Aachen, Urteil vom 20.12.2011,- S 2 AS 277/11 -, Berufung anhängig beim LSG NRW – L 12 AS 213/12 –

Neue Regelsätze verfassungskonform

Zum Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts gehören gemäß § 20 Abs. 1 SGB II insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt. Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen.

Die Höhe der Regelbedarfe wird nach dem Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG) bestimmt (vgl. BGBl. I, S. 453 ff.).

Die Kammer ist der Auffassung, dass die Regelung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten – auch nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) – keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) kommt nicht in Betracht.

Nach Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG besteht für jeden Einzelnen ein Recht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Aus diesem Grundrecht resultiert ein unmittelbarer Leistungsanspruch, der sich jedoch nur auf diejenigen Mittel erstreckt, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind.

Er gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung, Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit, als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst, denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (BVerfG, a.a.O., Rn. 135).

Dem Gesetzgeber obliegt es, den sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebende Leistungsanspruch durch Parlamentsgesetz zu wahren. Soweit es um die Höhe des Leistungsanspruches geht, ergeben sich aus dem Grundgesetz keine Angaben. Diese muss durch den Gesetzgeber unter Zugrundelegung der gesellschaftlichen Anschauungen über das für ein menschenwürdiges Dasein Erforderliche, der konkreten Lebenssituation des Hilfebedürftigen sowie den jeweiligen wirtschaftlichen und technischen Gegebenheiten ermittelt und konkretisiert werden.

Aus dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsgebot folg für den Gesetzgeber die Pflicht, die soziale Wirklichkeit zeit- und realitätsgerecht im Hinblick auf die Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums zu erfassen, die sich etwa in einer technisierten Informationsgesellschaft anders als früher darstellt. Die hierbei erforderlichen Wertungen kommen dem parlamentarischen Gesetzgeber zu. Ihm obliegt es, den Leistungsanspruch in Tatbestand und Rechtsfolge zu konkretisieren.

Ob er das Existenzminimum durch Geld-, Sach- oder Dienstleistungen sichert, bleibt grundsätzlich ihm überlassen. Ihm kommt zudem Gestaltungsspielraum bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums zu.

Dieser umfasst die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse ebenso wie die wertende Einschätzung des notwendigen Bedarfs und ist zudem von unterschiedlicher Weite: Er ist enger, soweit der Gesetzgeber das zur Sicherung der physischen Existenz eines Menschen Notwendige konkretisiert, und weiter, wo es um Art und Umfang der Möglichkeit zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben geht (BVerfG, a.a.O., Rn. 138).

Zur Konkretisierung des Anspruchs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen (BVerfG, a.a.O., Rn. 139).

Eine bestimmte Methode schreibt das Grundgesetz dem Gesetzgeber nicht vor; um eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Nachvollziehbarkeit des Umfangs der gesetzlichen Hilfeleistungen sowie deren gerichtliche Kontrolle zu gewährleisten, müssen die Festsetzungen der Leistungen aber auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren tragfähig zu rechtfertigen sein (BVerfG, a.a.O., Rn. 142).

Dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Bemessung des Existenzminimums entspricht eine zurückhaltende verfassungsrechtliche Kontrolle der einfachgesetzlichen Regelungen. Die materielle Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind (BVerfG, a.a.O., Rn. 140).

Ausgehend von diesen durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen ergeben sich für die Kammer keine Bedenken, dass die Ermittlung der Regelbedarfe nach dem RBEG bzw. die maßgebliche Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II den Vorgaben des Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG entspricht.

Das Gericht ist – im Gegensatz zu der vom Kläger eingereichten Stellungnahme des Herrn Prof. Dr. Münder – davon überzeugt, dass sich die Ermittlung der Regelbedarfe auf ein verfassungsrechtlichen Grundsätzen genügendes Verfahren stützen lässt. Das vom Gesetzgeber gewählte Statistikmodel (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 50 ff.) – Bemessung des Regelbedarfs mit Hilfe von Sonderauswertungen der Einkommens- und Verbraucherstichprobe 2008 nach § 28 SGB XII (vgl. § 1 RBEG) – beruht auf einer geeigneten empirischen Datengrundlage.

Die Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) bildet das Verbrauchsverhalten der Bevölkerung realitätsgetreu ab. Soweit der Kläger der EVS in Bezug auf Lebensmittelkosten unter Berufung auf die wissenschaftliche Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. GmbH (DGE) zum Thema “Lebensmittelkosten im Rahmen einer vollwertigen Ernährung” von April 2008 entgegentritt, kann dem schon entgegengehalten werden, dass sich diese Stellungnahme nicht auf eine aktuelle Datengrundlage stützt.

Für die in der Stellungnahme vorgenommenen Berechnungen wurden von der DGE Daten über die dem Ernährungskreis zugrunde liegenden Lebensmittelmengen zur Verfügung gestellt und mit den Daten der EVS 2003 verknüpft, um die entsprechenden Ausgaben zu bestimmen. Grundlage der hier angegriffenen Bemessung der Regelbedarfe war demgegenüber die fünf Jahre ältere EVS 2008.

Auch im Übrigen ergeben sich für die Kammer keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt insbesondere auch für die Abgrenzung der Referenzhaushalte nach § 3 RBEG und die Abgrenzung unterer Einkommensschichten nach § 4 RBEG.

Der Gesetzgeber hat für den Ausschluss der Berücksichtigung von Haushalten, die allein von den existenzsichernden Leistungen nach dem SGB II und SGB XII leben, bei gleichzeitiger Einbeziehung der Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII ab dem ersten Euro Erwerbseinkommen als Referenzhaushalt (vgl.BT-Drs. 17/3404, S. 87 ff.), eine überzeugende Begründung gegeben.

So hat er ausgeführt, dadurch verhindern zu wollen, dass das Verbrauchsverhalten von Beziehern existenzsichernder Leistungen nach dem SGB II und dem SGB XII zur Grundlage der Bedarfsermittlung gemacht wird.

Dadurch verblieben nur solche Personen und Haushalte in der Referenzgruppe, die von Einkünften oberhalb des Existenzminimums leben. Gegen einen kompletten Ausschluss von Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII ab dem ersten Euro Erwerbsweinkommen spricht weiter, dass der Verzicht auf die Berücksichtigung dieser Haushalte zu einer erheblichen Anhebung des ermittelten Existenzminimums führen und die Anwendung dieser Methode den Kreis der Leistungsberechtigten bei jeder zukünftigen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe Schritt für Schritt erheblich erweitern würde (SG Aachen, Urteil vom 20.07.2011, Az. S 5 AS 177/11).

Auch soweit der Gesetzgeber in § 4 RBEG die unteren 15 % der nach ihrem Nettoeinkommen geschichteten Einpersonenhaushalte im Sinne des § 2 Nr. 1 RBEG zugrunde legt, obwohl er bislang die untersten 20 % berücksichtigte, bei der Referenzgruppe Familienhaushalte im Sinne des § 2 Nr. 2 RBEG dagegen weiterhin die unteren 20 % der Haushalte berücksichtigt, ist dies nicht zu beanstanden.

Dieses Vorgehen beruht auf sachgerechten Erwägungen. Es ergibt sich nämlich bei den Einpersonenhaushalten im Vergleich zur vorherigen Situation die Abweichung, dass der Anteil der vorab ausgeschlossenen Haushalte erheblich über den bei der Sonderauswertung der EVS 2003 ausgeschlossenen Haushalten liegt.

Der durchschnittliche Konsum der jeweiligen Referenzgruppe ist weiterhin um ca. 70,- EUR monatlich gestiegen. Bei einem Anteil der Referenzhaushalte von 20 % an allen nach dem Nettoeinkommen geschichteten Einpersonenhaushalten würde sich darüber hinaus die Abgrenzung nach oben hin zu höheren Einkommen verschieben (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.06.2011, Az. L 12 AS 1077/11).

Hinzu kommt, dass bei den Einpersonenhaushalten erheblich mehr Haushalte ausgeschlossen wurden als bei den Familienhaushalten. Insgesamt ist die vorgenommene Differenzierung daher vertretbar (LSG Baden-Württemberg, a.a.O; SG Aachen, a.a.O.).

Eine falsche oder unvollständige Ermittlung der erforderlichen Tatsachen oder das Fehlen einer hinreichend transparenten bzw. nachvollziehbaren Berechnungsmethode vermag die Kammer nicht zu erkennen. Dass die in den einzelnen Abteilungen der EVS erfassten Ausgaben als regelleistungsrelevanter Verbrauch nur zu einem bestimmten Prozentsatz in die Bemessung des Regelbedarfs eingeflossen sind, steht dem nicht entgegen. Das hat im Grundsatz auch das Bundesverfassungsgericht als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden bewertet (BVerfG, a.a.O. Rn. 170 ff.).

Erforderlich ist, dass es für den vorgenommenen Abschlag einen sachlichen Grund gibt und die entsprechenden Kürzungen von Ausgabepositionen auf einer empirischen Grundlage beruhen. Der Gesetzgeber hat der Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs in Form der durch das Statistische Bundesamt durchgeführten Sonderauswertungen der EVS 2008 und zusätzlicher Ermittlungen hinsichtlich besonderer Verbrauchsausgaben (Speisen und Getränke in Gaststätten, Haushaltsstrom, Verkehr und Nachrichtenübermittlung, alkoholische Getränke und Tabakwaren, Nutzung von Mobilfunktelefonen) statistisch valide Daten zugrundegelegt.

Soweit es um Ausgaben geht, die der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dienen, nicht aber das physische Überleben sicherstellen sollen, steht dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

Auch wenn die Entscheidung über den Abschlag der einzelnen Verbrauchsausgabe unter politischen Gesichtspunkten unterschiedlich bewertet werden kann, ist sie verfassungsrechtlich jedenfalls nicht angreifbar – sofern sie auf sachgerechten Erwägungen und empirischer Grundlage beruht (SG Aachen, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, a.a.O.).

Mit der Anbindung der Fortschreibung der Regelbedarfe an die Entwicklung der Preise und Nettolöhne (vgl. § 7 RBEG, § 28a SGB XII) und der Regelung eines gesetzlichen Anspruchs auf Leistungen zur Sicherstellung eines zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfs aufgrund atypischer Bedarfslagen, die nicht dem durch die EVS abgebildeten Durchschnittsbedarf in üblichen Bedarfssituationen entsprechen (vgl. § 21 Abs. 6 SGB II) hält sich der Gesetzgeber ebenfalls im Rahmen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG a.a.O., Rn. 183 ff.; 204 ff.).

sozialgerichtsbarkeit.de

Anmerkung von Willi 2: Anderer Auffassung: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.10.2011, -L 12 AS 1360/11 B -.

Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei Regelsatzklage.

Aufgrund der damit im Zusammenhang stehenden Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Berechnung des Regelsatzes – s. hierzu die verfassungsrechtliche Bewertung in den für die Hans-Böckler-Stiftung erstellten Gutachten der Frau Irene Becker und des Johannes Münder (Soziale Sicherheit extra, September 2011, S. 7 ff bzw.S. 63 ff) – dann dem Verfahren nicht von vornherein die hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden.
sozialrechtsexperte.blogspot.com

3.4 – Sozialgericht Berlin, Urteil vom 15.02.2012, – S 174 AS 28285/11 WA –

Eine Schülerin, die Leistungen nach dem SGB II erhält, kann vom Jobcenter für die Erledigung ihrer Hausaufgaben einen eigenen Schreibtisch verlangen, wenn in der Wohnung kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht.

www.berlin.de


Teil 2 des Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 11/2012 ist hier zu finden.