Sozialgericht Kassel – Urteil vom 21.03.2018 – Az.: S 12 SO 112/16 (2. Teil)

Der 1. Teil des Urteils des Sozialgericht Kassel (Az.: S 12 SO 112/16) ist hier zu finden.
 

Selbst mit der o.a. Chronik besitzt der Werra-Meißner-Kreis insoweit Strukturen “in reichem Maß”. Ein dort propagierter kreisweiter Freiwilligentag, die zitierte “Bürgerstiftung Werra-Meißner” oder ein geographischer Mittelpunkt, vielerlei namentlich benannte traditionelle Heimatfeste und zusätzliche, als solche bezeichnete, nicht minder attraktive, moderne Veranstaltungen und Events, das Eschweger Johannisfest, die Erntefeste in Bad Sooden-Allendorf und Witzenhausen, das Schützenfest in Wanfried, die Kesperkirmes in Witzenhausen und die Heimatfeste in Großalmerode und Hessisch Lichtenau, bei all denen man zum Feiern nicht nur die Einheimischen, sondern darüber hinaus den “halben Kreis” treffe und auch innovative Veranstaltungen wie der “Werrataltag” oder der “Deutsche Königinnentag” sowie das “Open Flair”, das mittlerweile zu den bekanntesten Open-Air Festivals in Deutschland gehöre, mögen zwar in sich althergebrachte und neue Traditionen kreisweit vereinen und zum Zusammengehörigkeitsgefühl beitragen, begründen aber noch keinen homogenen Lebens- und Wohnbereich im hier erforderlichen Sinn, also dergestalt, dass sie trotz unterschiedlicher Infrastrukturen gleichwohl allein nur einen Vergleichsraum rechtfertigen würden, erst Recht, wenn auch wechselseitige Entlastungsund Ergänzungsfunktionen innerhalb des Werra-Meißner-Kreises nicht nur innerhalb der o.a. Städte und deren Anbindung an unterschiedliche Oberzentren selbst nicht erkennbar werden.

Insoweit mag dann zwar mit dem aktuellen Internetauftritt der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Werra-Meißner-Kreis mbH (www.wfa-werra-meissner.de) im Werra-Meißner-Kreis in vielfältigsten Wirtschaftsbereichen auf höchstem Niveau mit weltweit bekannten Produkten von höchster Qualität aus den Innovationsschmieden des Kreises agiert werden, im Werra-Meißner-Kreis eine breit gefächerte Bildungslandschaft herrschen und der Werra-Meißner-Kreis als Lebensraum einen einzigartigen Standort mitten in Deutschland mit zukunftsweisenden Gewerbeflächen darstellen, gleichzeitig wird durch die dort dargestellten Beispiele und Projekte aber auch deutlich, dass all dies weder derzeit noch zukünftig flächendeckend der Fall ist bzw. sein wird, sondern die Infra- und Wirtschaftsstrukturen wie bisher äußerst unterschiedlich ausgeprägt bleiben werden.

In einem ländlich geprägten Raum wie dem Werra-Meißner-Kreis kann ein entsprechendes Gleichziehen zwar auch nicht erwartet werden, dies beweist zur Überzeugung der Kammer dann aber auch wieder, dass der Werra-Meißner-Kreis eben keinen einheitlich homogenen Lebens- und Wohnbereich darstellt, sondern das Leben und Wohnen im Werra-Meißner-Kreis den vielfältigsten, unterschiedlichsten Faktoren unterliegt und dabei das Leben im Werra-Meißner-Kreis in Abhängigkeit vom konkreten Wohnort einer signifikant besseren oder schlechteren Infrastruktur unterliegt.

Von ähnlichen Wohnverhältnissen im gesamten Landkreis kann insoweit keine Rede sein, erst Recht wenn in vielen Gemeinden des Werra-Meißner-Kreises außerhalb der o.a. Städte bereits Einrichtungen und Angebote für den allgemeinen täglichen Grundbedarf sowie Einrichtungen und Angebote zur wohnortbezogenen Nahversorgung nicht mehr oder allenfalls nur noch äußerst eingeschränkt zur Verfügung stehen.

All dies zuletzt auch und gerade noch deshalb, weil der Landkreis Werra-Meißner, ohne selbst Oberzentren zu beinhalten, ja gerade zumindest im Ergebnis sowohl Gebiete mit städtischer Struktur als auch Gebiete mit rein ländlicher Bebauung beinhaltet, die zumindest im hier maßgeblichen direkten Vergleich innerhalb des Kreises unterschiedlicher nicht sein könnten.

Nach dem o.a. Regionalen Entwicklungskonzept Werra-Meißner 2014 – 2020 gilt für den hier rechtserheblichen Zusammenhang im Ergebnis nicht anderes. Dieses zeigt nach seiner Zielsetzung zwar auf, dass es ein hohes Entwicklungspotential in der Region gebe, das es in allen Bereichen von Handwerk, produzierendem Gewerbe über Dienstleistungen bis hin zur Landwirtschaft und zum Tourismus auszubauen gelte, wobei die Region gut aufgestellt sei, die Unternehmen stabil, die Auftragsbücher in Industrie und Handwerk gut gefüllt seien, die Landwirtschaft vielfältig und vielgestaltig entwickelt sei, die Betriebe mit mehreren Betriebszweigen weit verbreitet seien, der Grad der Spezialisierung vergleichsweise gering und auch intensive Tierhaltung wenig verbreitet sei, die Rinder und Schafbestände deutlich zurück gegangen seien, wodurch teilweise der Fortbestand des Grünlandes gefährdet seien, insgesamt sich der Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe aber verlangsamt habe und der ökologische Landbau in den letzten vier Jahren dann aber auch um 13 % gestiegen sei. Insoweit steht hier die Region im Vordergrund, die sich zwar – politisch – über sich als Ganzes definiert, das vorgenannte Entwicklungskonzept die unterschiedlichen Grundlagen hierfür mehr als deutlich macht.

Auch von insgesamt vergleichbaren wirtschaftlichen Verhältnissen kann damit keine Rede sein, ebenso wenig von in sämtliche Richtungen gleichermaßen verlaufenden wirtschaftlichen Verflechtungen.

Auch wenn all dies keinen Bereich als Kerninfrastruktur mit übergeordneter Bedeutung erfordert, dann aber doch – um einen kreisweiten einheitlichen Vergleichsraum zu rechtfertigen – breitaufgefächerte einheitliche soziale und technische Infrastrukturen, die sich auf den Werra-Meißner-Kreis als Ganzes erstrecken, was hier jedoch nicht der Fall ist. Dass das hier streitige Konzept diese auch gerichtsbekannt tatsächlichen Gegebenheiten nicht widerspiegelt, wird nicht zuletzt durch die vom Beklagten vorgelegte o.a. Stellungnahme von Analyse & Konzepte vom 9. Mai 2017 deutlich, wenn Analyse & Konzepte zur Definition des gesamten Werra-Meißner-Kreises als einem Vergleichsraum darauf hinweist, dass dies u.a. analog zu den (Groß-)Städten Berlin und München erfolge, die bereits als Vergleichsräume höchstrichterlich bestätigt worden seien und die Qualität der verkehrlichen Anbindung durch Analyse & Konzepte somit allein und dem o.a. Konzeptgedanken zuwider entsprechend in der Erreichbarkeit von zentralen Versorgungseinrichtungen überprüft wird. Die von Analyse und Konzepte zu den vorgenannten Großstädten in Bezug genommene Rechtsprechung bedeutet dann aber, dass bei der Festlegung eines Vergleichsraums als Ausgangspunkt für die Ermittlung einer Mietobergrenze ein Landkreis bzw. die Träger der Grundsicherung ihr Zuständigkeitsgebiet abstrakt danach zu untersuchen haben, welche Bereiche zusammengefasst als homogen betrachtet werden können, wobei für das Kriterium der Homogenität die räumlichen Entfernungen zueinander eine erhebliche Bedeutung haben (vgl. hierzu Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11. Juli 2017, L 10 AS 333/16). Wenn dann weiter ausgeführt wird, dass insoweit hier auch Zentren außerhalb des Werra-Meißner-Kreises berücksichtigt worden seien, sofern diese eine Alternative darstellen könnten, da sich – wie auch hier – die Bewohner eines Kreise zur Befriedigung ihrer Bedarfe nicht ausschließlich an den administrativen Grenzen eines Kreises orientierten, belegt auch dies, dass es hier eben an einem homogenen Lebensbereich fehlt. Wenn mit Analyse & Konzepte für die verkehrstechnische Erreichbarkeit aus und in die Mittelzentren des Werra-Meißner-Kreises dabei nahezu ausnahmslos die Erreichbarkeit anderer Mittel- und Oberzentren in und aus Nachbarkreisen des Werra-Meißner-Kreises und gerade nicht auch innerhalb des Werra-Meißner-Kreises herhalten muss, gilt nichts anderes. Auch insoweit wird verkannt, dass es sich beim örtlichen Vergleichsraum nach der Rechtsprechung des BSG um “ausreichend große Räume der Wohnbebauung aufgrund räumlicher Nähe, mit zusammenhängender Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit handeln muss, die insgesamt betrachtet einen homogenen Lebens- und Wohnbereich darstellen” (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, B 4 AS 44/14 R), die zusammenhängende Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnische Verbundenheit also innerhalb dieses einen Vergleichsraumes bestehen muss. Eine solche gemeinsame Infrastruktur bzw. verkehrstechnische Verbundenheit zwischen den einzelnen Gemeinden im Werra-Meißner-Kreis ist – wie aufgezeigt – jedenfalls bezogen auf das gesamte Kreisgebiet, nicht gegeben. Eine herausgehobene gute Verkehrsanbindung des gesamten Vergleichsraums ähnlich der an den Stadtkern der von Analyse & Konzepte in Bezug genommenen beiden o.a. Großstädte fehlt insoweit hier völlig. Zum Beweis hierfür genügt ein Recherche auf der Homepage des Nordhessischen Verkehrsverbundes unter www.nvv-online.de, wonach selbst Mittelzentren bzw. deren Stadtteile im Werra-Meißner-Kreis untereinander teilweise noch nicht einmal in 2 Stunden im ÖPNV zu erreichen sind. Gleichzeitig bleibt insoweit die zumindest teilweise auch überregionale Verkehrsinfrastruktur einzelner Mittelzentren im Werra-Meißner-Kreis und deren Bedeutung für diese insoweit gänzlich unbeachtet.

Wenn die 3. Kammer des Sozialgerichts Kassel nach alledem in ihrer o.a. Entscheidung vom 19. Februar 2018 ausführt, es erscheine danach nicht schlechterdings unmöglich, für einen ländlich geprägten Raum einen Vergleichsraum zu definieren, sieht dies mit den vorstehenden Ausführungen auch die erkennende Kammer nicht anders. Insoweit böte sich mit der 3. Kammer auch zur Überzeugung der erkennenden Kammer z.B. mit dem LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11. Juli 2017, L 10 AS 333/16, an, im ländlichen Raum eine kleinteiligere Untergliederung eines Vergleichsraumes vorzunehmen, um dem Kriterium der räumlichen Nähe im Sinne der Rechtsprechung des BSG zu genügen. Zu denken sei hier mit dem LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. September 2017, L 5 AS 1038/13 etwa an Räume, die sich um Mittelzentren herum erstreckten oder aber über die kommunalen Grenzen hinausreichende Vergleichsräume, wie es sich zum Beispiel für Gebiete anbieten könnte, die in räumlicher Nähe zu einem Oberzentrum lägen. Insoweit sei auf das Urteil des BSG vom 16. Juni 2015, B 4 AS 44/14 R verwiesen, wonach Umlandgemeinden mit einer guten Verkehrsanbindung einem Oberzentrum im Rahmen der Definition des Vergleichsraumes zugeordnet werden könnten. Diese Entscheidung zu treffen sei indessen nicht Aufgabe des Gerichts. Insoweit ist mit der 3. Kammer des Gerichts auch hier von einem Erkenntnisausfall auszugehen, nachdem die Firma Analyse & Konzepte mit den vom Beklagten vorgelegten o.a. Stellungnahmen trotz entsprechender detaillierter Kritik des Prozessbevollmächtigten des Klägers sich letztlich darauf beschränkt, ihre Methodik bzw. ihren vermeintlich rechtlich allein zulässigen methodischen – mit den o.a. Ausführungen der 3. und der erkennenden Kammer des Gerichts fehlerhaften rechtlichen – Ansatz im Einzelnen zu “verteidigen”, ohne diese Kritik rechtserheblich zu widerlegen.

Mit der 3. Kammer des Sozialgerichts Kassel in deren o.a. Urteil vom 19. Februar 2018 begegnet aber nicht nur die Vergleichsraumbildung selbst rechtlichen Bedenken, das gilt mit der 3. Kammer ebenso für die Bildung von zwei Wohnungsmarkttypen innerhalb eines Vergleichsraumes Werra-Meißner-Kreis.

Insoweit wir dort ausgeführt:

“Ob ein Wohnungsmarkttyp einen Vergleichsraum darstellen kann (so SG Gießen, Urteil vom 1.11.2007 — S 25 AS 108/16 -, Rn. 30 unter Verkennung des Begriffs des Vergleichsraumes), obwohl es sich hierbei nach der Firma Analyse & Konzepte eben nicht um Vergleichsräume im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, sondern um eine empirische Differenzierung der Angebotsstruktur innerhalb eines Vergleichsraumes handelt (Gutachten, S. 11), bedurfte hier nicht der Klärung, da die von der Firma Analyse & Konzepte gebildeten Wohnungsmarkttypen im Werra-Meißner Kreis keinen Vergleichsraum darstellen können. Sie hängen schon regional nur partiell zusammen. Hessisch Lichtenau, dem Wohnungsarkttyp I zugehörig, ist regional getrennt von den übrigen Gemeinden, die diesem Wohnungsmarkttyp zugeordnet sind, ebenso wie die dem Wohnungsmarkttyp II zugehörigen Gemeinden Meinhard und Wanfried (Gutachten S. 20).

Wenn Teilgebiete eines unter Nutzung von Indikatoren gebildeten Wohnungsmarkttypus bzw. einer Preisgruppe in verschiedenen Teilbereichen liegen, ist dies nicht mit den Anforderungen zur Bildung eines Vergleichsraumes, wie sie das Bundessozialgericht vornimmt, kompatibel (Berlit, Info also 2017, 195, beckonline). Dann wäre zumindest zu klären, ob der Leistungsberechtigte, ohne nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II eine Kostendeckelung befürchten zu müssen, jedenfalls dann innerhalb des gesamten Landkreises, also auch in einen Wohnungsmarkttyp mit einer höheren Referenzmiete umziehen zu können, wenn die Miete für den im Wohnort maßgeblichen Wohnungsmarktyp unangemessen ist, und ob ein Umzug in weiter entfernt liegende Bereiche des Landkreises des gleichen Wohnungsmarkttypus nur dann zumutbar ist, wenn der “Tagespendelbereich”, wie er nach § 140 SGB III auch erwerbstätigen Pendlern zugemutet wird, mit öffentlichen Verkehrsmitteln gewahrt ist (Berlit, ebenda).

Das sieht auch das Institut Wohnen und Umwelt in dem für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erstellten Forschungsbericht “Ermittlung der existenzsichernden Bedarfe für die Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) so, wenn dort ausgeführt wird:

„Wenn der Vergleichsraum größer ist als die Preiszone, so existieren innerhalb des Bereichs zumutbarer Umzüge mehrere Preiszonen mit unterschiedlichen Mietpreisniveaus und Angemessenheitsgrenzen.

Diese Lösung wird beispielsweise in der Fallstudienkommune K (vgl. Kapitel 4) gewählt. Damit tritt der Fall auf, dass Kostensenkungsaufforderungen in billigen Teilräumen unter Umständen zu Umzügen in angemessene Wohnungen in teureren Teilräumen führen. Dies hat folgende Konsequenzen:

  • Da im ländlichen Raum nicht alle Dörfer infrastrukturell zusammenhängend sind, muss die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit von Umzügen z.B. quer durch das ganze Kreisgebiet dann auf der Einzelfallebene beurteilt werden.
     
  • Es stellt sich die Frage nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen leistungsbeziehenden Haushalten, die nur wenige Häuser auseinander wohnen, wobei es spätestens an der Kreisgrenze ja ohnehin zu einer Ungleichbehandlung kommt.
     
  • Es stellt sich die Frage, wie im Falle von Kostensenkungsaufforderungen Umzüge von einer unangemessenen Wohnung in einem billigen Wohnungsmarkttyp in eine teurere, aber angemessene Wohnung in einem teureren Wohnungsmarkttyp zu behandeln sind. Berlit fordert hier, dass § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II dann nicht greifen dürfe (Berlit 2014: 254). Wird der Umzug dann genehmigt, so ist er eigentlich unwirtschaftlich und damit gemäß der Argumentation in BSGE B 14 AS 60/12 R unzumutbar. Ein Verbleib in der alten unangemessenen Wohnung wäre wirtschaftlicher. Damit würden aber die niedrigeren Angemessenheitsgrenzen in allen Mietstufenzonen außerhalb der teuersten ad absurdum geführt. Die Bildung räumlich kleinteiliger Preiszonen erfordert eine entsprechende räumliche Abgrenzung anhand von gemeindescharfen Preisanalysen, Mietenstufen oder Wohnungsmarkttypen” (S. 164).“

Zumindest bezogen auf 1- und 2-Personen-Haushalte lässt sich Vorstehendes unmittelbar auf den Werra-Meißner-Kreis übertragen, da dort die Angemessenheitsgrenzen des o.a. Konzeptes im Wohnungsmarkttyp II die des Wohnungsmarkttypes I übersteigen und dabei zwischen Gebieten mit Wohnungen des Types I und solchen des Types II oft nur wenige Kilometer liegen, so z.B. zwischen Witzenhausen (OT) und Großalmerode (OT) allein 3,4 km oder zwischen Eschwege (Stadt) und Meinhard (OT) lediglich 3,3 km.

Somit kommt es im vorliegenden Fall mit der 3. Kammer des Gerichts, aber auch nach den o.a. Ausführungen der erkennender Kammer nicht mehr darauf an, ob das von der Firma Analyse & Konzepte erstellte Konzept die vom BSG entwickelten Kriterien für die “Schlüssigkeit” erfüllt, da es schon an der zutreffenden Bestimmung des Vergleichsraumes fehlt, der erst die Grundlage für die Erstellung eines schlüssigen Konzeptes ist, es gleichwohl dann aber zumindest im Ergebnis an einem solchen fehlt.

All dies erlaubt dann – wie ausgeführt – auch bereits mit der bisherigen Rechtsprechung der Kammer den vom Kläger geltend gemachten Rückgriff auf die Tabellenwerte des § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zuzüglich eines “Sicherheitszuschlages” als Angemessenheitsobergrenze (vgl. BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, B 4 AS 44/14 R). Insoweit ist aufgrund der Gegebenheiten vor Ort von der Mietstufe I auszugehen.

Die Berücksichtigung der Mietstufe I beruht insoweit mit dem o.a. Urteil der 3. Kammer vom 19. Februar 2018 im Ergebnis auf dem Verfahren zur Festlegung der Mietstufen nach dem WoGG und den zugrunde zu legenden regionalen Gegebenheiten. § 12 Abs. 1 WoGG in der hier anzuwendenden Fassung sieht monatliche Höchstbeträge für Miete und Belastung nach der Anzahl der zu berücksichtigenden Haushaltsmitglieder und der jeweiligen Mietstufe vor. Demzufolge hat die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates in Ermächtigung durch § 38 Nr. 2 WoGG Mietstufen festgelegt. Nach der Anlage zu § 1 Abs. 3 Wohngeldverordnung (VVoGV) ist der Wohnort des Klägers der Mietstufe I zugeordnet. Wegen der nur abstrakten, vom Einzelfall und den konkreten Umständen losgelösten Begrenzung der angemessenen Bruttokaltmiete im Wohngeldrecht (§ 9 Abs. 1 WoGG) ist auf den jeweiligen Höchstbetrag der rechten Spalte der Tabelle zurückzugreifen und ein “Sicherheitszuschlag” unter Berücksichtigung genereller, abstrakter Kriterien in Höhe von 10% festzulegen (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, B 4 AS 87112 R).

Unter Berücksichtigung der Mietstufe I ergibt sich im streitigen Zeitraum eine Angemessenheitsobergrenze für die hier allein streitige Brutto-Kaltmiete für den 2-Personen-Haushalt des Klägers von monatlich 386,20 € (351,00 € zuzüglich eines 10%igen Sicherheitszuschlages). Der auf den Kläger entfallende Anteil hiervon beträgt danach monatlich 193,10 €, liegt also oberhalb der streitigen o.a. monatlich 184,50 €.

Somit hat der Beklagte die Kosten der Unterkunft (Brutto-Kaltmiete) unter Anrechnung der bereits berücksichtigten monatlich 168,64 € in Höhe der tatsächlichen, auf den Kläger entfallenden Aufwendungen von monatlich 184,50 € zu übernehmen.

Der Klage war nach alledem stattzugeben.

Darauf, ob dem Kläger hier auch bereits aus persönlichen, gesundheitlichen Gründen ein Auszug/Umzug nicht zumutbar war und ist, kommt es somit nicht mehr an, so dass es insoweit auch keiner weiteren Sachverhaltsaufklärung bedurfte. Entgegen der Auffassung des Beklagten könnte aber auch dies zweifelhaft sein. Dies deshalb, weil auf der Grundlage der in den Beklagtenakten aktenkundigen Arztberichte und der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Angewiesenheit des Klägers und seiner Ehefrau auf die Betreuung/Hilfe durch ihre in Witzenhausen arbeitende Tochter, die vom Beklagten angenommene Umzugsfähigkeit zumindest fraglich erscheint. Dem könnte auch ein Umzug allein des Klägers und seiner Ehefrau jedenfalls in Witzenhausen (Stadt) nicht entgegengehalten werden, da dann zumindest eine unmittelbar vor Ort bestehende Hilfe/Betreuung nicht mehr gewährleistet wäre.

Dass mit den Entscheidungen der 3. Kammer des Sozialgerichts Kassel und der diese Entscheidungen fortführenden Rechtsprechung der erkennenden Kammer auf der Grundlage der o.a. Abweichungen von der bisherigen Rechtsprechung des Gerichts mit einem in der örtlichen Presse im Anschluss an diese Entscheidungen und eine Presseklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers veröffentlichten Kommentar (VVitzenhäuser Allgemeine vom 4. April 2018) beim Sozialgericht Kassel eine “kurios klingende” Entscheidungssituation vorliegen solle, verkennt nicht nur die verfassungsrechtlich garantierte richterliche Unabhängigkeit als grundlegendes Merkmal einer rechtsstaatlichen Rechtspflege, wozu auch und gerade die Rechtsprechung als solche gehört, wobei diese richterliche Unabhängigkeit aus unterschiedlichsten Rechtsgründen gerade auch in Fallkonstellationen der vorliegenden Art, zu unterschiedlichen Entscheidungen zu führen vermag, erst Recht, wenn selbst obergerichtlich für den Bereich verschiedener Landessozialgerichte eine unterschiedliche Rechtspraxis vorherrscht und insoweit auf der Grundlage einer auch im Übrigen rechtlich umstrittenen Methodik, vielleicht aber auch einer verfehlten gesetzlichen Grundentscheidung, eine einheitliche Rechtsprechung sich bisher nicht herausgebildet hat. Verkannt wird insoweit neben dem Wesen der Rechtsfortbildung u.a. auf der Grundlage einer fortschreitenden Rechtsentwicklung sowie der rechtlichen Neubewertung einzelner rechtlicher Sachverhalte aber auch, dass sämtliche Kammern des Gerichts wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Sache von Anfang an die Berufung gegen ihre erstinstanzlichen Entscheidungen und insoweit zur Herstellung einer einheitlichen Entscheidungspraxis ausdrücklich zugelassen haben. Gleichzeitig kann insoweit weder aus den Entscheidungen der 3. noch denen der 12. Kammer mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers (Zitat nach: Witzenhäuser Allgemeine vom 4. April 2018) der Schluss gezogen werden, dass die Werte des Gutachtens der Firma Analyse & Konzepte aus 2014 bereits bei der Veröffentlichung absurd niedrig gewesen seien. Diese Schlussfolgerungen lassen die Entscheidungen sowohl der 3. als auch der erkennenden Kammer des Gerichts gerade nicht zu. Sie dürften insoweit eine bewusste Fehldeutung des Prozessbevollmächtigten des Klägers beinhalten.

Die Kostenentscheidung folgt § 193 SGG.

Die Kammer hat die an sich nicht zulässige Berufung wegen einer ihrer Auffassung nach grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.