Tacheles Rechtsprechungsticker KW 02/2019

1.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

1.1 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 12.12.2018 – L 13 AS 5/17

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten – Aufgabe des Arbeitsplatzes ohne wichtigen Grund

Leitsatz (Juris)
Eine Eigenkündigung des Arbeitsverhältnisses ohne wichtigen Grund ist in der Regel als sozialwidrig i. S. von § 34 SGB II zu werten.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

1.2 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen 13. Senat, Urteil vom 12.12.2018 – L 13 AS 297/16

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten – Befugnis zum Erlass eines Feststellungsbescheides über die Ersatzpflicht dem Grunde nach

Leitsatz (Juris)
Das Jobcenter ist auf der Grundlage von § 34 SGB II nicht befugt, einen Feststellungsbescheid über die Ersatzpflicht dem Grunde nach zu erteilen.

Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de

1.3 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss v. 03.12.2018 – L 5 SF 92/18 B E – rechtskräftig

Leitsatz (Juris)
Die Tätigkeit des beigeordneten Rechtsanwalts im Verfahren auf Überprüfung, ob sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Mandanten geändert haben, ist keine gesondert zu vergütende neue Angelegenheit im Sinne von § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Sozialgericht Braunschweig vom 11.12.2018 – S 44 AS 1132/16

Leitsatz RA Michael Loewy
1. Der Verlust der Fahrerlaubnis lässt den Freibetrag nach § 12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II („geschütztes angemessenes Fahrzeug“) nicht entfallen. Maßgeblich ist allein, ob es eine Nutzungsmöglichkeit für den Besitzer des PKW gibt. Dieser kann den PKW auch mit Hilfe eines Freundes nutzen, der das Fahrzeug führt und den Kläger fährt.

2. Der in einer Wohngemeinschaft häufig anzutreffende gemeinsame Einkauf von Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Sanitärartikel aus einer von allen Mitbewohnern zu gleichen Teilen gespeisten Gemeinschaftskasse, begründet noch keine Wirtschaftsgemeinschaft.

3. Sind tatsächliche Zahlungen auf einen Mietvertrag geleistet worden, kann nach Auffassung des Gerichtes an der Ernstlichkeit des Mietverhältnisses kein Zweifel bestehen. [nicht rechtskräftig]

Quelle: www.anwaltskanzlei-loewy.de

2.2 – SG Mainz, Gerichtsbescheid v. 26.11.2018 – S 14 AS 470/18

Leitsatz (Juris)
Für die Entscheidung über einen Widerspruch gegen eine Mahngebühr muss die Widerspruchstelle der Behörde entscheiden, die die Mahngebühr geregelt hat. Geht ein solcher bei einer anderen Behörde ein, so hat diese den Widerspruch an die zuständige Behörde weiterzuleiten.

Quelle: www.landesrecht.rlp.de

2.3 – SG Bremen, Gerichtsbescheid der 26. Kammer vom 24. Oktober 2018 – S 26 AS 1650/17

Leitsatz
1. Die Anschaffungskosten für einen DVB T2-Receiver und die notwendigen Freischaltungsgebühren sind Teil des Regelbedarfs. In Abteilung 09 des Regelbedarfsermittlungsgesetzes ist neben Fernseh- und Videogeräte, TV-Antennen auch Datenverarbeitungsgeräte sowie System- und Anwendungssoftware (einschließlich Downloads und Apps) erfasst.

2. Es besteht daher kein Anspruch auf eine Erstausstattung nach § 24 Abs. 3 SGB II oder Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II.

Quelle: www.sozialgericht-bremen.de

2.4 – SG Heilbronn, Urt. v. 15.10.2018 – S 15 AS 238/18

Mietobergrenzen im Landkreis Ludwigsburg rechtmäßig

Das SG Heilbronn hat erstmalig entschieden, dass die Mietobergrenzen des Landkreises Ludwigsburg auf einem rechtmäßigen “schlüssigen Konzept” beruhen.

Kurzfassung:
Nach Auffassung des Sozialgerichts bildet das “schlüssige Konzept” des Landkreises Ludwigsburg die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes ab. Zutreffend sei ein einfacher, im unteren Marktsegment liegender Standard zugrunde gelegt und ausgehend hiervon eine Nettokaltmiete i.H.v. 380 Euro für den Ein-Personen-Haushalt des Klägers auf dem Wohnungsmarkt des maßgeblichen Vergleichsraums ermittelt worden (gerundet 8,40 Euro pro m² auf 45 m² Wohnfläche). Dieser Vergleichsraum umfasse hier die Gemeinden Asperg, Tamm, Schwieberdingen, Bietigheim-Bissingen, Möglingen und Hemmingen mit insgesamt rund 100.000 Einwohnern und sei fehlerfrei gebildet worden. So habe er eine überwiegend ländliche Prägung und sei durch Straßen und öffentliche Verkehrsmittel eng verbunden. Von den insgesamt über 7500 gesichteten Wohnungsangeboten seien im Vergleichsraum 287 Angebote auf die Wohnungen um 45 m² gefallen. Die um Doppelerfassungen und untypische Mietverhältnisse (wie z.B. Wohnen auf Zeit oder Ferienwohnungen) bereinigten Daten seien verwertbar und hinreichend aktuell.

Die Berufung ist beim LSG Stuttgart unter dem Az. L 7 AS 4054/18 anhängig.

Hinweis des Gerichts:
Es handelt sich um ein Gerichtsurteil in einem Musterverfahren, dass Tausende von Menschen im Landkreis Ludwigsburg betrifft. Derzeit sind zahlreiche weitere, mit Blick auf das “Musterverfahren” ruhend gestellte Klagen beim Sozialgericht anhängig, in denen ebenfalls streitig ist, bis zu welcher Höhe die Mietkosten von Hartz IV- sowie Sozialhilfeempfängern im Landkreis Ludwigsburg zu übernehmen sind. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der angemessene Quadratmeterpreis einer Wohnung sowohl für die Miete selbst als auch für die Mietnebenkosten mittels eines schlüssigen Konzepts für einen Vergleichsraum zu ermitteln. Ein solches Konzept muss eine hinreichende Gewähr dafür bieten, dass es die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes wiedergibt.

juris-Redaktion
Quelle: Pressemitteilung des SG Heilbronn v. 21.12.2018

Quelle: www.juris.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zum Arbeitsförderungsrecht   (SGB III)

3.1 – Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.09.2018 – L 2 AL 78/12

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Streitig ist das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen der Auszahlung dänischen Feriengeldes nach einer Beschäftigung in Dänemark, hier bejahend.

2. Denn das von dem Kläger in Dänemark angesparte Urlaubsgeld ist als Urlaubsabgeltung im Sinne des § 143 Abs. 2 SGB III zu qualifizieren, mit Verweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17.03.2016 (B 11 AL 4/15 R).

Quelle: www.landesrecht-mv.de

Rechtstipp:
BSG, Urteil vom 17.03.2016 – Aktenzeichen B 11 AL 4/15 R

Anspruch auf Arbeitslosengeld; Ruhen bei Zahlungen aufgrund der Auflösung eines dänischen Urlaubskontos

Wird bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses in Dänemark das auf einem dänischen Urlaubskonto angesparte Entgelt an den Arbeitnehmer ausbezahlt, ruht dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld wegen des Bezugs einer der Urlaubsabgeltung vergleichbaren Leistung für die Dauer des abgegoltenen Urlaubs.

3.2 – SG Leipzig, Beschluss v. 06.12.2018 – S 1 AL 232/18 ER

Berufsausbildungsbeihilfe für Asylbewerber mit Aufenthaltsgestattung Leistungsausschluss nach § 22 Asylbewerberleistungsgesetz

Leitsatz (Juris)
1. Der Leistungsausschluss nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB 12 erfasst Analogleistungsberechtigte nach § 2 AsylbLG, wenn sie eine Ausbildung aufnehmen, die dem Grunde nach mit Leistungen nach dem BAföG oder mittels Berufsausbildungsbeihilfe förderungsfähig ist. Ein “Aufstocken” mit Grundleistungen nach § 3 AsylbLG kommt nicht in Betracht.

2. Ob ein rechtmäßiger dauerhafter Aufenthalt im Sinne des § 132 SGB 3 zu erwarten ist, hängt womöglich nicht lediglich von der Gesamtschutzquote des betreffenden Herkunftsstaats ab. Aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 28.09.2017 (1 BvR 1510/17) ist im Hauptsacheverfahren zu prüfen, ob bei der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals individuelle Umstände des betroffenen Asylbewerbers zu berücksichtigen sind.

3. Im Eilverfahren ist bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens eine Folgenabwägung vorzunehmen. Nach den Umständen des Einzelfalls kann die Bundesagentur für Arbeit dazu verpflichtet werden, einstweilen Berufsausbildungsbeihilfe zu gewähren.

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 08.11.2018 – L 7 SO 1419/15

Leitsatz (Juris)
Ein persönliches Budget darf befristet bewilligt werden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Sozialgericht Dresden, Urteil vom 3. September 2018 (Az.: S 42 SO 80/15):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Aufwendungen für den russischen Pass und die Lebensbescheinigung, die von Beziehern von Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII beigebracht zu werden haben, sind erforderlich im Sinne des § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB XII, um die russische Rente weiterhin zu erhalten. Zur Geltendmachung der russischen Rente ist ein Sozialhilfeempfänger verpflichtet, denn ansonsten würde ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren und den aus § 2 Abs. 1 SGB XII hervorgehenden Nachranggrundsatz vorliegen.

2. Wenn bei diesem Antragsteller die russische Rente bei der Berechnung von Leistungen nach den §§ 41 ff. SGB XII berücksichtigt wird, liegt eine Kausalität der Ausgaben vor, so dass diese Kosten als mit der Erzielung von Einkommen verbundene notwendige Ausgaben (§ 82 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 82 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB XII) berücksichtigungsfähig sind.

3. Die Kosten für einen weiteren ausländischen Pass sind im Regelbedarf (§ 28 SGB XII) nicht berücksichtigt.

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

5.1 – Sozialgericht Stade, Urt. v. 13.11.2018 – S 19 AY 15/18

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
1. Ein Bezieher von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG verfügt über einen einklagbaren Anspruch darauf, dass ihm diese Leistungen auch entsprechend § 3 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylbLG in angepasster Höhe bewilligt werden. Diese Norm gibt die Berechnung zur Erhöhung vor, so dass eine wesentliche, vorherige Entscheidung durch den Gesetz- oder Verordnungsgeber nicht notwendig ist.

2. Bis zu einer tatsächlichen Neufestsetzung der Leistungssätze durch die Legislative ist von den für die Umsetzung des AsylbLG zuständigen Stellen weiterhin die gesetzlich vorgeschrieben Erhöhung gemäß § 3 Abs. 4 AsylbLG durchzuführen.

6.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

6.1 – KdU-Chaos Vergleichsraum

anhand von „Analyse&Konzepte“-Rechtsprechung, ein Beitrag von Herbert Masslau
weiter: www.herbertmasslau.de

6.2 – Hartz IV: Vermögen immer vollständig angeben! Ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt

weiter: sozialberatung-kiel.de

6.3 – Rechtsprechungsübersicht: Sozialleistungen für Unionsbürger*innen

Dazu Claudius Voigt, hier findet ihr die aktualisierte Rechtsprechungsübersicht zu Ansprüchen auf existenzsichernde Leistungen für Unionsbürger*innen. In der Rechtsprechung zeichnen sich drei Tendenzen ab:

·         Zum einen sieht eine Vielzahl von Sozialgerichten die Leistungsausschlüsse im SGB II und XII für Unionsbürger*innen mit einem Aufenthaltsrecht nach Art. 10 VO 492/2011 (Kinder ehemaliger Arbeitnehmer*innen in Schule oder Ausbildung sowie ihre sorgeberechtigten Elternteile) als europarechtswidrig und damit nichtig an. In sehr vielen Eilverfahren haben die Sozialgerichte daher die Jobcenter verpflichtet, entgegen dem Gesetzeswortlaut doch Leistungen zu erbringen.

·         Zum anderen hat das Bundessozialgericht in wiederholter Rechtsprechung klargestellt, dass Staatsangehörige der EFA-Staaten (das sind überwiegend die „alten“ EU-Staaten) auch dann, wenn sie vom SGB II ausgeschlossen sind, einen Leistungsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII haben können. Die Entscheidungen des BSG beziehen sich zwar auf die alte Rechtslage, aber sind vollständig auch auf die neue Rechtslage übertragbar, da sich an dieser Stelle im Gesetz nichts geändert hat. Das BSG hat allerdings nunmehr klargestellt, dass hierfür ein materiell rechtmäßiger Aufenthalt vorliegen muss (z. B. die in der Regel sechs Monate zum Zweck der Arbeitsuche oder das Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO 492/2011). Die bloße Freizügigkeitsvermutung (das heißt die Tatsache, dass die Ausländerbehörde bislang keine Verlustfeststellung getroffen hat) reicht allein nicht aus.

·         Und schließlich dürfte immer klarer werden, dass für die „Überbrückungsleistungen“ nach dem SGB XII (eingeschränkte Leistungen für in der Regel max. einen Monat bis zur Ausreise) die Erklärung eines Ausreisewillens keine Voraussetzung ist. Die Sozialämter verlangen dies regelmäßig. Nicht nur eine Reihe von Sozialgerichten haben festgestellt, dass es dafür keine Grundlage im Gesetz gibt, sondern auch die Bundesregierung hat dies in einem Schreiben bekräftigt.

ggua.de

6.4 – Kriterien für Gewährung von Berufsausbildungsbeihilfe verfassungsgemäß

Das BVerfG hat entschieden, dass die Regelungen über die Anrechnung von Einkommen der Eltern bei der Ermittlung eines Anspruches auf Berufsausbildungsbeihilfe einer Auszubildenden nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen und damit verfassungsgemäß sind.

weiter: www.juris.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker