Tacheles Rechtsprechungsticker KW 12/2019

1.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts zum Asylrecht

1.1 – BSG, Urteil v. 25.10.2018 – B 7 AY 1/18 R

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Frage der Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende bei Asylbewerbern.

Leitsatz (Redakteur)
1. Der Lebenssachverhalt der Alleinerziehung ist im Ausgangspunkt zwar auch bei Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG für die Existenzsicherung relevant. Bezogen auf diese Lebenslage lässt sich nämlich nicht per se feststellen, dass sich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt im Inland ergeben. Es ist aber zulässig, für Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG solche Bedarfe im Grundsatz nicht durch eine pauschale Geldleistung, sondern nur anknüpfend an konkret erkennbar werdende Bedarfslagen und dabei im Regelfall als Sachleistung zu gewähren. Bedarfe im Einzelnen hat die Klägerin aber nicht geltend gemacht.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 25.02.2019 – L 21 AS 2118/18 B ER, L 21 AS 2119/18 B – rechtskräftig

Langzeitbeurlaubung in eigener Wohnung im Rahmen des Maßregelvollzugs – a. Auffassung Fachliche Weisungen der BA

Leitsatz (Redakteur)
Der fortdauernde Maßregelvollzug steht einer Leistungsgewährung nach dem SGB II nicht entgegen, wenn eine Langzeitbeurlaubung in die eigene Wohnung erfolgt(vgl. bei dem sog. Probewohnen LSG Bayern, 17.9.2014 – L 16 AS 813/13; LSG Niedersachsen-Bremen, 24.3.2015 – L 7 AS 1504/13; für die Haftunterbrechung LSG Sachsen-Anhalt, 30.6.2016 – L 2 AS 260/15).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.2 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 26.02.2019 – L 11 AS 474/17

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Das SGB II kennt keine zeitliche Mindestgrenze der Hilfebedürftigkeit. Auch die Hilfebedürftigkeit für einen Zeitraum von – wie im vorliegenden Fall – lediglich drei Wochen begründet einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Ebenso wenig führte die Gewährung von Vollverpflegung im Krankenhaus bzw. in der Reha-Klinik zu einem vollständigen oder auch nur teilweisen Wegfall der Hilfebedürftigkeit.

2. Im Rahmen der durch § 20 Abs 1 SGB II genannten Grundbedürfnisse erscheint es mit dem Sinn und Zweck der Pauschalierung kaum vereinbar, in einem verwaltungsaufwändigen Einzelfallverfahren doch eine individuelle Bedarfsprüfung vorzunehmen. Dies hätte zur Konsequenz, dass etwa regelmäßig zur Verfügung gestellte Kinderkleidung, die Nahrungsbeschaffung bei einer „Tafel“, ein Freiabonnement einer Tageszeitung oder ggf sogar die Tatsache des Nichtrauchens oder Nichtalkoholkonsums jeweils bedarfsmindernd bei der Regelleistung zu berücksichtigen wäre. Eine solche Individualisierung des Bedarfs sieht allenfalls § 9 SGB XII iVm § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII vor. Entsprechende Regelungen fehlen hingegen im SGB II.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

2.3 – Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urt. v. 25.01.2019 – L 3 AS 76/16, L 3 AS 181/17

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Die Behörde kann gegen Ansprüche aus § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Darlehensrückzahlungsansprüchen aufrechnen.

2. Die Regelungen der §§ 406, 412 BGB gelten auch im Falle eines gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 9 BerhG ((verneinend zuletzt SG Berlin, Urteil vom 9. Juli 2018, S 135 AS 9615/17; bejahend zuletzt Hessisches LSG, Urteil vom 16. November 2018, L 7 AS 330/17; vgl. zum Meinungsstand auch Feddern in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 63 SGB X Rz 80ff. m.w.N.).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de und sozialgerichtsbarkeit.de

2.4 – Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss v. 12.02.2019 – L 7 AS 1008/18 NZB

Orientierungssatz (Redakteur)
Die Begründung des Hilfebedürftigen, ein Gespräch mit befangenen Sachbearbeitern sei in keinem Fall zumutbar, stelle keinen wichtigen Grund i.S. des § 32 Abs. 1 Satz 2 SGB II dar.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – SG Düsseldorf, Beschl. v. 12.03.2019 – S 36 AS 817/19 ER

Sozialgericht Düsseldorf erlässt Beschluss gegen Jobcenter Wuppertal wegen völliger Verweigerung existenzsichernder Hartz IV Leistungen – Wuppertaler Landrecht« mal konkret und die massive Rüge und Reaktion des SG Düsseldorf – Harald Thomé / Tacheles – Online Redaktion

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3.2 – Sozialgericht Düsseldorf, Urt. v. 28.01.2019 – S 35 AS 859/17

Eine gelegentliche Nutzung der Wohnung schließt Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II nicht aus.

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Die Kosten werden nicht etwa dadurch unangemessen, dass die Klägerin die Wohnung nur unregelmäßig und in einem Umfang nutzt, der erheblich unter dem üblichen Nutzungsumfang einer Wohnung liegt.

2. § 22 SGB II unterstellt grundsätzlich immer die Notwendigkeit einer (eigenen) Wohnung, so dass die Aufwendungen für eine Unterkunft auch nicht dadurch „unangemessen“ im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden, dass die Anmietung einer Wohnung als nicht „unbe-dingt notwendig“ erscheint, weil die Klägerin ebenso gut im Hause ihres geschiedenen Ehemanns (mit-)wohnen könnte.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.3 – Sozialgericht Gießen, Beschluss v. 16.08.2018 – S 27 AS 531/18 ER – rechtskräftig

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Jobcenter wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Zustimmung für einen Umzug und eine Kostenzusage für die Kosten der Unterkunft für Eritreischer Flüchtling mit subsidiärem Schutz verpflichtet.

2. Für eine derartige endgültige Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren nach § 86b SGG bedarf es erhöhter Anforderungen an den Anordnungsgrund (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23.03.2015 – L 19 AS 2347/14 B ER –, Rn. 24, juris). Ein solcher ist zu bejahen. Würde man bis zur Entscheidung in der Hauptsache zuwarten, so stünde die von dem Antragsteller in Aussicht genommene Wohnung nicht mehr zur Verfügung, die begehrte Zusicherung könnte nicht mehr erteilt werden und er könnte aus der Gemeinschaftsunterkunft, die nur eine vorübergehende Unterbringung gewährleisten soll, nicht ausziehen.

3. Wenn keine vertragliche Beziehung mit einem Mitbewohner, sondern lediglich mit dem Vermieter der betr. Wohnung besteht, dann kann seitens des SGB II-Trägers hier nicht die Mietobergrenze herangezogen werden, die für eine Wohnung, in der mehrere Menschen leben, gebildet wurde, sofern diese Personen keine Bedarfsgemeinschaft miteinander bilden.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.4 – Sozialgericht München, Urt. v. 26.10.2018 – S 46 AS 998/18

Zur Anrechnung von Bayerischem Betreuungsgeld als Einkommen.

Orientierungssatz (Redakteur)
Das Bayerische Betreuungsgeld ist anrechenbares Einkommen nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II. Es fällt nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 11a Abs. 3 SGB II mangels einer verbindlichen Regelung für den Verwendungszweck dieser Leistung. Außerdem legt § 10 BEEG als Spezialvorschrift fest, dass das Betreuungsgeld auf Leistungen nach dem SGB II anzurechnen ist.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Hinweis:
Ist bayerisches Betreuungsgeld im SGB II anrechenbar? Anmerkungen zu einem Urteil des Sozialgerichts Bayreuth(SG BayreuthS 4 AS 363/17 vom 28.11.2017)

tacheles-sozialhilfe.de

4.   Entscheidungen der Landessozialgerichte und Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

4.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 07.02.2019 – L 15 SO 232/17

Leitsatz (Juris)
Der Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Kostenersatz gemäß § 105 SGB XII setzt nur voraus, dass ein Erstattungsanspruch gegenüber dem vorrangig verpflichteten Leistungsträger gemäß § 104 SGB XII wegen einer befreienden Zahlung infolge Unkenntnis der Leistung des Trägers der Sozialhilfe nicht besteht. Auf ein vorwerfbares Verhalten des Leistungsberechtigten oder des Trägers der Sozialhilfe kommt es nicht an.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.2 – Landessozialgericht Hamburg, Urt. v. 25.01.2019 – L 4 SO 20/18

Orientierungssatz (Redakteur)
1. Die Sterbegeld-Versicherung ist nicht als verwertbares Vermögen gemäß § 90 Abs. 1 SGB XII einzusetzen, da dies für die Klägerin eine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 SGB XII bedeuten würde.

2. Es ist zwar richtig, dass die Versicherungssumme nicht zwingend für die Bestattung einzusetzen ist. Gleichwohl hat die Rechtsprechung bisher derlei Sterbegeldversicherungen als geschützt angesehen, weil die auf die Zeit nach dem Tod gerichtete Zweckrichtung schon daraus hervorgehe, dass eine Fälligkeit zu Lebzeiten nicht eintreten könne (vgl. LSG NRW, Urt. v. 19.3.2009, L 9 SO/5/07; LSG Saarland, Urt. v. 22.11.2018, L 11 SO 12/17).

3. Schließlich ist ein Härtefall hier nicht wegen der Koinzidenz von Vertragsabschluss (Sterbegeld-Versicherung) und Aufnahme ins Pflegeheim ausgeschlossen. Eine direkte Absicht, Vermögen zu Lasten des Sozialhilfeträgers zu verschieben, ist im Falle der Klägerin nicht erkennbar, zumal Hilfe zur Pflege erst einige Zeit nach Aufnahme ins Pflegeheim beantragt worden ist. Die bloße Herbeiführung späterer Bedürftigkeit reicht nicht für einen Härteausschluss ((vgl. BSG, Urt. v. 18.3.2008, B 8/9b SO 9/06 R).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.3 – SG Gießen, Urt. v. 15.01.2019 – S 18 SO 130/16

Rückforderung geleisteter Unterkunftskosten nur bei grober Fahrlässigkeit des Begünstigten

Das SG Gießen hat entschieden, dass die Rückforderung geleisteter Unterkunftskosten aufgrund einer Vereinbarung mit dem Vermieter, wonach ein geringerer Mietzins überwiesen und im Gegenzug hausmeisterähnliche Dienste verrichtet werden, grob fahrlässiges Verhalten des Begünstigten voraussetzt.

Quelle: www.juris.de

5.   Entscheidungen der Sozialgerichte zum Asylrecht

5.1 – Sozialgericht Stade, Beschluss vom 6. März 2019 (Az.: S 19 AY 1/19 ER):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Ein kommunaler Träger bei der Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG die in § 4 Abs. 4 Satz 1 und 2 AsylbLG festgeschriebene Leistungsanpassung bei der Leistungsberechnung stets zu berücksichtigen.

Diese Erhöhung des Leistungsanspruchs ergibt sich direkt aus dem Gesetz. Diese Leistungserhöhung ist an die Anpassung der Regelbedarfe nach dem SGB XII (§ 28a SGB XII) gekoppelt.

Es bedarf hier keiner gesonderten, vorherigen Entscheidung des Gesetz- oder Verordnungsgebers.

§ 3 Abs. 4 AsylbLG gibt die Berechnung zur Erhöhung direkt vor, weshalb an dieser Stelle keine zusätzliche, wesentliche Entscheidung durch das oder aufgrund des Gesetzes zu erfolgen hat.

Bis zu einer Neufestsetzung der Bedarfe gemäß § 3 Abs. 5 AsylbLG ist von den kommunalen Trägern die gesetzlich vorgeschriebene Erhöhung entsprechend § 3 Abs. 4 AsylbLG durchzuführen.

Rechtstipp:
Ebenso Sozialgericht Stade, Urt. v. 13.11.2018 – S 19 AY 15/18

Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Frage, ob die Leistungsbezieher aus § 3 Abs. 4 Satz 1 AsylbLG einen einklagbaren Anspruch darauf haben, dass ihre Leistungen auch ohne Veröffentlichung durch das Bundesministerium oder einer Entscheidung des Gesetzgebers zum 1. Januar 2018 entsprechend der Erhöhung der Regelbedarfe nach dem SGB XII angepasst werden, hier bejahend.

6.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

6.1 – Anmerkung zu: LSG Stuttgart 1. Senat, Urteil vom 23.02.2018 – L 1 AS 3710/16

Autor: Tammo Lange, RiSG

Berücksichtigung von Gewinnen aus Betrieb einer Fotovoltaikanlage als Einkommen im Sinne des SGB II

Leitsätze
1. Bei Gewinnen aus dem Betrieb einer Fotovoltaikanlage handelt es sich um Einkünfte, die bei der Berechnung des Leistungsanspruchs nach dem SGB II grundsätzlich als Einkommen zu berücksichtigen sind

2. Es handelt sich bei den Gewinnen aus dem Betrieb einer Fotovoltaikanlage nicht um Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit i.S.d. § 11b SGB II. Es besteht kein Anspruch auf Absetzung von Erwerbstätigenfreibeträgen nach § 11b Abs. 2 sowie Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II. Die Einnahmen aus dem Betrieb einer Fotovoltaikanlage sind strukturell mit Einnahmen aus einer Vermietung/Verpachtung vergleichbar.

weiter: www.juris.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker