1. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum SGB II
1.1 – Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Februar 2020 (1 BvR 1246/19):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses von Ausländern nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII mit dem menschenwürdigen Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 GG) ist sehr umstritten.
Die Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses für Unionsbürger, die im Bundesgebiet zwar nicht erwerbstätig, aber auch nicht ausreisepflichtig sind, stellt eine schwierige, ungeklärte Rechtsfrage dar.
Die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe in einem entsprechenden sozialgerichtlichen Eilverfahren verletzt den Antragsteller in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG.
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urt. v. 20.05.2020 – L 3 AS 227/20
Leitsatz (Juris)
1. Durch die Anweisung von Arbeitslohn auf ein vom Arbeitnehmer hierfür ausdrücklich bestimmtes Konto eines Dritten bewirkt der Arbeitgeber die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung mit schuldbefreiender Wirkung.
2. Der sozialrechtliche Einkommenszufluss beim Arbeitnehmer erfolgt in diesem Fall bereits am Tag der Gutschrift auf dem Konto des aufgrund des Verwahrungsvertrages zur jederzeitigen Barauszahlung verpflichteten Dritten. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer das Bargeld tatsächlich erst später in Händen hält.
3. Das in § 11 Abs. 2 SGB II normierte Zuflussprinzip wurde nicht sachwidrig gewählt und verletzt daher nicht den allgemeinen Gleichheitssatz.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.2 – Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss v. 27.05.2020 – L 3 AS 1168/20 ER-B
Leitsatz (Juris)
1. Der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit ist gegeben, wenn sich die antragstellende Person weder gegen die Art und Weise der Durchführung der Zwangsvollstreckung durch das Hauptzollamt, wofür nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 FGO die Finanzgerichte zuständig sind, noch gegen die Art und Weise der Vollstreckung nach den Vorschriften der ZPO, wofür nach § 66 Abs. 4 SGB X die ordentlichen Gerichte zuständig sind, wendet, sondern – indem sie Einwendungen gegen die zu vollstreckenden Verwaltungsakte selbst beziehungsweise eine Vollstreckung hieraus erhebt – eine Unterlassung beziehungsweise Einstellung der Vollstreckung begehrt (Anschluss an Bayerisches LSG, Beschluss vom 29.04.2014, L 7 AS 260/14 B ER, juris Rn. 35, 36).
2. Bei einer Vollstreckungsankündigung handelt es sich mangels Regelungswirkung um keinen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X (Anschluss an BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 38/14 R, juris Rn. 15).
3. Ein auf die Unterlassung beziehungsweise Einstellung der Vollstreckung gerichteter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Sinne des § 86b Abs. 2 SGG ist statthaft (Anschluss an BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 38/14 R, juris Rn. 18-22, 25).
4. Als Rechtsgrundlage für eine Einstellung beziehungsweise Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus einem Bescheid eines in einer gemeinsamen Einrichtung mit einem anderen Träger zusammenwirkenden Jobcenters kommt § 40 Abs. 8 Halbsatz 1 SGB II in Verbindung mit §§ 1 bis 4 VwVG sowie § 5 VwVG in Verbindung mit §§ 249 ff. AO, insbesondere § 257 Abs. 1 AO und § 258 AO in Betracht.
5. Aus dem Verweis in § 50 Abs. 4 Satz 3 SGB X auf § 52 SGB X folgt, dass Verwaltungsakte, die – zugleich mit der Festsetzung der Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X – zur Durchsetzung des festgestellten Erstattungsanspruchs ergehen, nach § 52 Abs. 2 SGB X eine Verjährungsfrist von 30 Jahren, gerechnet ab Rechtskraft des Durchsetzungsbescheides, in Gang setzen (Anschluss an Senatsurteil vom 11.12.2019, L 3 AS 3321/19, juris Rn. 25).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.3 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 26.05.2020 – L 11 AS 239/18
Leitsatz (Juris)
1. Bei der Prüfung, ob ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt iS des § 33 SGB X ist, ist nicht allein auf den Ausgangsbescheid abzustellen, sondern auch auf den hierzu ergangenen Teilabhilfe- bzw Widerspruchsbescheid.
2. Die Jahresfrist nach § 48 Abs 4 S 1 iVm § 45 Abs 4 S 2 SGB X gilt nur für den Ausgangsbescheid, nicht auch für den diesen teilweise abändernden Teilabhilfe- oder Widerspruchsbescheid.
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
2.4 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.06.2020 – L 15 AS 281/18
Leitsatz (Juris)
1. Zu den Voraussetzungen der Verwirkung eines Antrags auf Fortführung eines Klageverfahrens, das wegen des Eintritts der Klagerücknahmefiktion gemäß § 102 Abs. 2 S. 1 SGG als erledigt ausgetragen worden ist.
2. Sofern nach Mitteilung durch das Gericht, dass ein Verfahren wegen Annahme fehlenden Rechtsschutzinteresses durch Klagerücknahmefiktion als erledigt angesehen wird, mehr als ein Jahr vergangen ist, bevor ein Antrag auf Fortführung des Verfahrens gestellt wird, erweist sich der Antrag grundsätzlich als verspätet mit der Folge, dass Verwirkung eingetreten ist.
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
2.5 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 02.07.2020 – L 7 AS 712/20
Zur Ermittlung von Einkommen bei Selbstständigkeit – keine jährliche Betrachtung bei Unternehmensberatung – Leasingraten iHv 573,89 EUR
Orientierungshilfe (Redakteur)
1. Der Betrieb des Klägers stellt keinen Betrieb dar, der unter den Anwendungsbereich von § 3 Abs. 5 Alg II-V aF fällt. Anwendungsvoraussetzung dieser Bestimmung ist eine Erwerbstätigkeit, deren Eigenart eine jahresbezogene Betrachtung erfordert. Hierunter fallen Saisonbetriebe wie z.B. Eisdielen, Strandkorbvermietungen, Skilifte, Kioske an Sommer- oder Winterausflugszielen oder Landwirte, die die Einnahmen nur mit einer Ernte erzielen. Der von dem Kläger ausgeübte Gewerbebetrieb “Unternehmensberatung” zählt hierzu nicht.
2. Das Begehren, die Kosten für das Fahrzeug iHv 5.295,36 EUR bei der Ermittlung der Betriebsausgaben zu listen, ist nicht begründet. Zwar steht die Finanzierungsweise als solche, d.h. das Leasen eines Fahrzeuges, einer Berücksichtigung nicht entgegen (BSG Urteil vom 05.06.2014 – B 4 AS 31/13 R). Jedoch verbietet bereits § 3 Abs. 3 Satz 1 Alg II-V aF die Berücksichtigung. Danach sind tatsächliche Ausgaben nicht abzusetzen, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II entsprechen. Nach individueller Wertung und Prüfung entsprechen bei einer Laufleistung von 500 km monatlich und einer monatlichen Leasingrate von 573,89 EUR die Kosten nicht den Lebensumständen während der Existenzsicherung.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 28.05.2020 – L 6 AS 833/17 – Revision zugelassen
Orientierungshilfe (Redakteur)
Zur Frage, ob ein Konzept, das bei der Festlegung der Nettokaltmiete maßgeblich auf der Auswertung von Wohnungsinseraten und der prozentualen Festlegung einer Nachfragegruppe beruht, schlüssig ist (fraglich im Hinblick auf BSG Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 30/08 R, wonach bei der Erstellung eines schlüssigen Konzepts nicht nur auf die tatsächlich am Markt angebotenen Wohnungen abzustellen ist, sondern auch auf vermietete Wohnungen), stellt eine das gesamte Bundesgebiet betreffende Rechtsfrage dar.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.7 – Hessisches Landessozialgericht, Beschluss v. 02.06.2020 – L 7 AS 427/19
Ebenso wie der erstmals in den Leistungsbezug nach dem SGB II geratende Hilfebedürftige vermöge auch der in eine Unterkunft Eingewiesene die nun entstehenden tatsächlichen Aufwendungen nicht zu vermeiden, so dass in diesem Fall 22 Abs. 1 S. 3 SGB II Anwendung findet.
Orientierungshilfe (Redakteur)
1. Nach dem die Kläger infolge einer Zwangsräumung aus ihrer zuvor innegehabten Wohnung im Rahmen einer ordnungsrechtlichen Einweisungsverfügung in einer städtischen Übernachtungsmöglichkeit untergebracht worden waren, ist nicht vergleichbar mit den Umständen, die in Fällen nicht erforderlicher Umzüge von Leistungsberechtigten oder Wohnungswechseln ohne vorherige Einholung einer Zusicherung (§ 22 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 4 S. 1 SGB II) vorlägen.
2. Während der aus freiem Willen seine Unterkunft wechselnde Leistungsberechtigte nicht schutzwürdig sei, sei dem nach einer Zwangsräumung in eine Unterkunft eingewiesenen Leistungsberechtigten aber ein Schutzbedürfnis zuzubilligen.
3. Nach alledem werde ein Analogieschluss zu § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II dem tatsächlichen Geschehen, welches im vorliegenden Fall zum Entstehen der tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft geführt habe, zur Überzeugung der Kammer viel eher gerecht.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.8 – Thüringer Landessozialgericht, Urt. v. 08.01.2020 – L 4 AS 1246/16 – Revision anhängig BSG – B 14 AS 57/19 R
Arbeitslosengeld II – Unterkunft und Heizung – Unterkunftskosten – abstrakte Angemessenheit – angemessene Wohnungsgröße – Berücksichtigung von Pflegekindern – konkrete Angemessenheit – erhöhter Raumbedarf – Ausübung des Umgangsrechts mit dem Pflegekind – Wirksamkeit der Kostensenkungsaufforderung – Erforderlichkeit einer erneuten Kostensenkungsaufforderung bei wesentlicher Änderung der Verhältnisse – Mitteilung der Änderung im Klageverfahren
Zur Berücksichtigung eines erhöhten Raumbedarfs wegen der Ausübung eines auf § 1685 Absatz 2 BGB gestützten Umgangsrechts bei der Bemessung der angemessenen Unterkunftskosten nach § 22 Absatz 1 Satz 1 SGB II mit einem ehemaligen Pflegekind.
Orientierungssatz (Juris)
1. Maßstab bei der Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße ist nur die Anzahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Hierzu zählen Pflegekinder nicht. Das gilt erst recht, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt im Heim haben und sich lediglich für drei Tage die Woche im Haushalt der Pflegeeltern aufhalten. (Rn.49)
2. Besteht wegen der Wahrnehmung des Umgangsrechts mit einem Kind ein zusätzlicher Wohnraumbedarf, kann dieser im Rahmen der konkreten Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizaufwendungen zu berücksichtigen sein. Dies gilt auch für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit einem Pflegekind nach § 1685 Abs 2 BGB. (Rn.55)
3. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse (hier: die Erweiterung des Umgangsrechts) kann eine erneute Kostensenkungsaufforderung notwendig machen. Erfährt der Leistungsträger von dieser Änderung aber erst im Klageverfahren, kann ihm nicht der Vorwurf gemacht werden, dass er zeitnah keine geänderte Kostensenkungsaufforderung erlassen hat. (Rn.71)
Quelle: Juris
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – SG Oldenburg, Beschluss v. 10.07.2020 – S 46 AS 142/20 ER
Keine Kostenübernahme des Jobcenters für eine möblierte Kleinwohnung in Höhe von 37,50 Euro pro m²
Das SG Oldenburg hat entschieden, dass das Jobcenter nicht verpflichtet werden kann, eine Kostenzusage für die Übernahme der geplanten Anmietung einer möblierten Kleinwohnung zum Preis von 450 Euro bei einer Größe von 12 m² zu übernehmen.
Kurzfassung:
Nach Auffassung des Sozialgerichts ist eine Zusicherung der Übernahme der Mietkosten generell im Wege der einstweiligen Anordnung nicht zu erreichen, da für eine solche Entscheidung kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe. Der Antragsteller könne die mit dieser Zusicherung angestrebte Rechtssicherheit nicht erreichen, da die Zusicherung bei einer gegenteiligen Entscheidung im Hauptsacheverfahren ihre Wirkung verlieren würde. In einem anschließenden “obiter dictum” wies das Sozialgerichts darauf hin, dass das Jobcenter sich in einem eventuellen nachfolgenden Klageverfahren über die Zusicherung oder die Übernahme der Mietkosten wohl nicht wirksam auf die von der Stadt Oldenburg festgesetzte Angemessenheitsgrenze bei Neuverträgen über die Anmietung von Kleinstwohnungen berufen könne.
Die Angemessenheit der Kosten einer Unterkunft würde sich immer aus einer angemessenen Wohnungsgröße (Einpersonenhaushalt: bis 50 qm) und den angemessenen Mietkosten pro Quadratmeter in der jeweiligen Stadt in Form eines Produktes ergeben. In der Stadt Oldenburg würde sich damit eine Miete von 450 Euro für eine Einzelperson innerhalb der Angemessenheitsgrenze bewegen. Eine Zusicherungsfähigkeit für die Übernahme der Mietkosten für die im Streit befindliche Wohnung im Sinne des § 22 Abs. 4 SGB II könne jedoch dann ausscheiden, wenn es sich um ein wucherisches Mietangebot handeln würde. Dieses könne im anhängigen Verfahren auf Erlangung einstweiligen Rechtsschutz nicht geklärt werden. Eine solche Klärung sei einem Klageverfahren gegen die Ablehnung der Zusicherung vorbehalten. Festzuhalten sei, dass es sich jenseits aller Anstandsgrenzen bewege, Substandartwohnungen völlig überteuert zu Lasten der öffentlichen Hand an die Ärmsten der Armen zu vermieten.
Die Frage des Vorliegens von Mietwucher müsse ansonsten in einem Zivilprozess bzw. einem Ordnungswidrigkeitenverfahren (§ 5 Wirtschaftsstrafgesetz) oder einem Strafverfahren (§ 291 StGB) gegen den Vermieter geklärt werden.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Quelle: Pressemitteilung des SG Oldenburg v. 16.07.2020
4. Entscheidungen zum Asylrecht und AsylbL
4.1 – Sächsischen Landessozialgericht. Beschluss vom 23.03.2020 zu dem Az.: L 8 AY 4/20 B ER
Sächsisches Landessozialgericht erkennt: Covid-19 erfordert höhere Leistungen für alleinstehende und alleinerziehende Geflüchtete.
Jetzt Volltext da: sozialgerichtsbarkeit.de
4.2 – Sozialgericht Frankfurt/Oder, Urt. v. 20.12.2019 – S 34 AY 15/16 – Revision anhängig BSG – B 7 AY 1/20 R
Haben Empfänger sogenannter Analogleistungen nach § 2 Absatz 1 AsylbLG Anspruch auf Blindenhilfe gemäß § 72 SGB XII in Verbindung mit § 23 Absatz 1 Satz 3 SGB XII?
Leitsatz (Juris)
Für Leistungsberechtigte nach § 2 Abs 1 AsybLG ist ein Anspruch auf Blindenhilfe nach § 72 SGB 12 nicht von vornherein ausgeschlossen.
Quelle: Juris
4.3 – LSG Hessen, Beschluss vom 4. Juni 2020 (L 4 AY 5/20 B ER):
Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Ein Aufsuchen einer christlichen Gemeinde im Rahmen des sog. offenen Kirchenasyls stellt kein rechtsmissbräuchliches Handeln entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG dar.
Während dieser besonderen Form der Unterbringung ist den Ordnungsbehörden die Abschiebung als Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung (§§ 34 ff. AsylG) weder rechtlich noch tatsächlich unmöglich, sofern der Ausländerbehörde der Aufenthalt der nichtdeutschen Person stets durchgehend bekannt ist.
Der Staatsgewalt ist der tatsächliche Zugriff auf kirchliche Räume nicht entzogen. Behördlicherseits lässt sich erforderlichenfalls die Abschiebung einer sich im Kirchenasyl befindenden Person unter Anwendung unmittelbaren Zwangs durchsetzen.
Die Ordnungsbehörde verhält sich widersprüchlich, wenn sie einerseits den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet im Rahmen des sog. offenen Kirchenasyls toleriert, andererseits den Aufenthalt dieses Ausländers im Bundesgebiet als rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG auffasst.
Rechtstipp: aA.:
Bayerisches Landessozialgericht, Urt. v. 28.05.2020 – L 19 AY 38/18 – Revision zugelassen
4.4 – LSG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 15.07.2020 – L 9 AY 79/20 B ER
3 Fliegen mit einer Klappe – LSG SH legt nach, ein Beitrag von RA Sabine Vollrath
In angenehmer Klarheit hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht in seinem aktuellen Beschluss vom 15.07.2020 gleich drei Themenkomplexe zum Asylbewerberleistungsrecht abgehandelt.
Orientierungshilfe (RA Sabine Vollrath)
1. § 2 AsylbLG statt § 3 AsylbLG: Kein Rechtsmissbrauch, wenn nicht freiwillig ausgereist wird.
Bloßes Nichtstun (konkret: das Unterlassen der freiwilligen Ausreise) kann auch bei Leistungsberechtigten, die weder ein materielles Aufenthaltsrecht noch eine formale Rechtsposition haben, nicht rechtsmissbräuchlich sein.
2. Regelbedarfsstufe 1 für Alleinstehende in Gemeinschaftsunterkunft, wenn der Anspruch bereits vor dem 21.08.2019 bestand
Für Leistungsberechtigte, die vor dem 21.08.2019 bereits einen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG hatten, kommt die Anwendung des § 2 AsylbLG in der derzeitigen Fassung nicht in Betracht.
3. Leistungseinschränkung nach § 1 a AsylbLG nur bei pflichtwidrigem Verhalten
Eine Leistungseinschränkung ist nur dann denkbar, wenn ein pflichtwidriges Verhalten vorwerfbar wäre.
Quelle: RA Sabine Vollrath
5. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbücher
5.1 – BA nimmt Stellung zu LSG NRW, Beschluss v. 22.05.2020 – Az.: L 7 AS 719/20; B ER: L 7 AS 720/20 B
Kann für die Ausstattung von Schülerinnen und Schülern mit digitalen Endgeräten (PC- Ausstattung) im Zusammenhang mit der Corona- Pandemie ein Mehrbedarf nach § 21 Absatz 6 SGB II anerkannt werden?
Anders als vom LSG angenommen, sind internetfähige Computer (Hardware und Software) sowie Zubehör bereits im Regelbedarf berücksichtigt.
S. a. dazu Inge Hannemann
Hinweis:
Die Gerichte sind nicht an die Weisungen der BA gebunden.
5.2 – Recht auf persönliche Anhörung in Asylverfahren
Der EuGH hatte zu entscheiden, welche Folgen es für die Rechtmäßigkeit der Entscheidung einer Asylbehörde hat, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz mit der Begründung als unzulässig abgelehnt wurde, dass der Antragsteller bereits in einem anderen Mitgliedstaat als Flüchtling anerkannt wurde, wenn diese Ablehnung ohne vorherige Anhörung des Antragstellers erfolgt ist.
weiter: www.juris.de
5.3 – Aktualisierte Tabelle: “Zugang zum SGB II und zur Erwerbstätigkeit für drittstaatsangehörige Ausländer*innen”
weiter: www.ggua.de
5.4 – BMI: Hinweise zur Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung bei Corona-bedingtem Arbeitsplatzverlust bzw. Kurzarbeit
weiter: ggua.de
5.5 – Harald Thomé
Das gezielte Kleinrechnen der Regelbedarfe im Jahr 2021
Das BMAS hat die Regelbedarfe für das nächste Jahr wieder mal kleingerechnet.
Hier geht es zum Referentenentwurf
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker