Sozialgericht Hannover – Beschluss vom 26.04.2023 – Az.: S 54 AY 7/23 ER

BESCHLUSS

S 54 AY 7/23 ER

In dem Rechtsstreit

xxx,

– Antragstellerin –

Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt Sven Adam,
Lange Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen

gegen

Region Hannover, – Fachbereich Soziales -,
vertreten durch den Regionspräsidenten,
Hildesheimer Straße 20, 30169 Hannover

– Antragsgegnerin –

hat die 54. Kammer des Sozialgerichts Hannover am 26. April 2023 durch die Richterin xxx beschlossen:

  1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung privilegierte Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit SGB XII analog nach der Regelbedarfsstufe 1 für die Zeit vom 18.01.2023 bis Entscheidung über den Widerspruch gegen die Bescheide vom 09.12.2022, 18.01.2023 und 13.02.2023, längstens jedoch bis zum 18.07.2023 zu gewähren.
  2. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
  3. Der Antragstellerin wird für das Verfahren des 1. Rechtszuges Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Sven Adam, Göttingen, bewilligt.
GRÜNDE
I.

Die Antragstellerin erstrebt im Wege der einstweiligen Anordnung die Gewährung von privilegierten Leistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Verbindung mit dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) – Sozialhilfe – analog ab dem 18.01.2023.

Die nach eigenen Angaben am xxx geborene Antragstellerin gehört dem Volk der Roma an, reiste ohne Personaldokumente am 25.12.2017 in das Bundesgebiet ein und suchte am 04.01.2018 um Asyl nach. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat den Asylantrag mit Bescheid vom 19.02.2018 als offensichtlich unbegründet abgelehnt und die Abschiebung nach Montenegro angedroht. Die Abschiebungsandrohung ist seit dem 10.04.2018 vollziehbar. Sie ist im Besitz einer Duldung für Personen mit ungeklärter Identität.

Die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen (LAB) wies die Antragstellerin mit Verfügung vom 29.03.2018 dem Zuständigkeitsbereich der Stadt Ronnenberg zu. Nach erfolglosem Abschluss des Asylverfahrens erklärte die Antragstellerin bei einer persönlichen Vorsprache bei der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin, freiwillig in ihr Heimatland ausreisen zu wollen. Dabei wurde sie auf ihre Mitwirkungspflichten hinsichtlich der Beschaffung der Identitätspapiere hingewiesen. Im April 2019 leitete die Antragsgegnerin ein internationales Personenfeststellungsverfahren ein, welches ohne Erfolg blieb.

In dem Zeitraum April 2019 bis Januar 2020 erhielt die Antragstellerin nach einer zuvor erfolgten Anhörung gekürzte Grundleistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG. Während der Sars-Cov-2-Pandemie bewilligte die Stadt Ronnenberg Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG. Sodann erhielt die Antragstellerin erneut gekürzte Grundleistungen § 1a Abs. 3 AsylbLG. Die Sanktionierung wurde beendet, nachdem die Antragstellerin einen Nachweis des Generalkonsulats Montenegros vom 15.12.2021 vorlegte.

Bei einer erneuten persönlichen Vorsprache am 13.04.2022 wies die Ausländerbehörde der Antragsgegnerin die Antragstellerin erneut darauf hin, verpflichtet zu sein, Identitätsnachweise vorzulegen bzw. diese zu beschaffen und sich bei ihrer Heimatsbotschaft um die Ausstellung eines Nationalpasses oder eines Heimreise Papieres bemühen. Mit Schreiben vom 07.09.2022 hörte die Stadt Ronnenberg die Antragstellerin erneut zu der beabsichtigten Anspruchseinschränkung gemäß § 1a Abs. 3 AsylbLG an.

Die Stadt Ronnenberg bewilligte mit Bescheid vom 10.11.2023 für den Zeitraum 01.11.2022 – 31.12.2022 gekürzte Grundleistungen nach § 1a Abs. 3 AsylbLG. Zur Begründung führte die Stadt Ronnenberg aus, aufenthaltsbeendende Maßnahmen können aus den von der Antragstellerin zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden. Mit weiterem Bescheid vom 09.12.2022 wurden Leistungen für Dezember 2022 und Januar 2023 und mit Bescheid vom 18.01.2023 wurden Leistungen für Februar 2023 gewährt. Hiergegen hat die Antragstellerin Widersprüche am 11.01.2023 bzw. 17.02.2023 erhoben, die noch nicht beschieden worden sind.

Am 18.01.2023 hat die Antragstellerin den auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Die vorliegend streitige Sanktion sei nicht verfassungsgemäß. Die Antragstellerin sei offensichtlich nichtregistrierte Roma aus Montenegro. Der Nachweis des Generalkonsulats von Montenegro vom 15.12.2021, dass sie dort nicht registriert sei, liege der Ausländerbehörde vor. Sie sei ihrer Mitwirkungspflicht nachgekommen.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Widersprüche vom 11.02.2023 und 17.02.2023 der Antragstellerin Leistungen § 2 Abs. 1 i.V.m. SGB XII analog ab 18.01.2023 zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Sie macht geltend, die Antragstellerin sei mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 18.08.2022, darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus den von der Antragstellerin selbst zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden können. Die Antragstellerin sei ausdrücklich ihrer Mitwirkungspflicht zur Identitätsaufklärung nicht nachgekommen. Sie habe auf Drängen der Sozial- und Ausländerbehörde eine Bestätigung des Generalkonsulats von Montenegro vorgelegt, dass sie keine montenegrinische Staatsbürgerin sei. Diese Bestätigung beruhe nach Einschätzung der Ausländerbehörde der Antragsgegnerin auf falschen Tatsachen. Hierfür spreche der Umstand, dass der Ehemann der Antragstellerin als montenegrinischen Staatsbürger identifiziert sei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den zu den Hauptsacheverfahren beigezogenen Verwaltungsvorgang nebst Ausländerakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes errichtet werden soll, voraus, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Nach § 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sind der Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Aussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 –). Die Glaubhaftmachung bezieht sich im Übrigen lediglich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungs-grundes (vgl. Beschlüsse des Hessischen Landessozialgerichtes (LSG) vom 29. Juni 2005 – L 7 AS 1/05 ER -, und vom 12. Februar 1997 – L 7 AS 225/06 ER -; Berlit, info also 2005, 3, 8).

Im Rahmen der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung hat die Antragstellerin zur Überzeugung des Gerichts einen Anspruch auf privilegierte Leistungen gem. § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. SGB XII analog glaubhaft gemacht.

1.) Der Antragstellerin steht ein Anspruch auf privilegierte Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in Verbindung mit SGB XII analog zu. ach § 2 Abs. 1 AsylbLG in der seit dem 01.01.2020 geltenden Fassung des Artikel 5 Nr. 3 des zweiten Gesetzes zur Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.8.2019 (BGBl I S. 1294) ist das SGB XII abweichend von den §§ 3 und 4 bis 6 bis 7 auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

a.) Die Antragstellerin ist in dem streitgegenständlichen Zeitraum als Geduldete leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG gewesen. Die Duldung nach § 60b AufenthG ist zwar nicht ausdrücklich in § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG genannt; sie fällt aber gleichwohl unter diese Norm, weil es sich bei dieser Duldung (auch) um eine i.S.d. § 60a AufenthG „für Personen mit ungeklärter Identität“ handelt. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 60b Abs. 1 Satz 1 AufenthG (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 9.7.2020 – L 8 AY 52/20 B ER – juris Rn. 22; vgl. auch Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 3. Aufl., § 1 AsylbLG (Stand: 04.11.2021), Rn. 136; Leopold in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, 7. Aufl. 2020, § 1 AsylbLG Rn. 53).

b) Die Leistungen der Antragstellerin sind nach derzeitigem Sach- und Streitstand nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zu Unrecht gemäß § 1a Abs. 3 AsylbLG gekürzt worden.

Nach § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG) erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AsylbLG, also vollziehbar ausreisepflichtige Personen mit oder ohne Duldung, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, nur Leistungen in entsprechender Anwendung des § 1a Abs. 1 AsylbLG mit dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder Vollziehbarkeit einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag. Ein solches leistungsmissbräuchliches Verhalten i.S.d. § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG stellt insbesondere der Verstoß gegen die in § 48 Abs. 3 AufenthG normierte Pflicht eines Ausländers ohne gültigen Pass oder Passersatz dar, an der Beschaffung eines Identitätspapiers und der Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit mitzuwirken (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 12.5.2017 – B 7 AY 1/16 R – juris Rn. 15 m.w.N. zu der Vorgängervorschrift des § 1a Nr. 2 AsylbLG a.F.). Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG setzt ferner voraus, dass ein dem Ausländer vorwerfbares Verhalten vorliegt und dieses Verhalten ursächlich für die Nichtvollziehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist, wobei das BSG bislang offengelassen hat, ob auch ein bloß fahrlässiges Verhalten den Tatbestand einer Anspruchseinschränkung erfüllen kann (BSG, a.a.O., Rn. 17).

Zusätzlich muss ein ernsthaftes Bestreben der Ausländerstelle vorliegen, den Betroffenen in sein Heimatland zurückzuführen (BSG, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Problematisch ist es, wenn nicht eine einzige Ursache im Sinne einer conditio sine qua non für die Nichtvollziehbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in Betracht kommt, sondern mehrere Ursachen hierfür vorliegen. Dann ist zunächst zu prüfen, in wessen Verantwortungsbereich diese Ursachen fallen. Liegen mehrere Ursachen für die Unmöglichkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vor, so dürfen den Leistungsberechtigten lediglich die Gründe zugerechnet werden, die sie nur selbst zu vertreten haben. Ursachen, die im Verantwortungsbereich der Ausländerbehörden, des Heimatlandes oder im politischen Raum anzusiedeln sind und die die Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung ebenfalls kausal beeinflussen, scheiden für eine Anspruchseinschränkung aus. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die vom Leistungsberechtigten gesetzte Ursache die einzige und diejenige sein muss, die die Anspruchseinschränkung rechtfertigt. Die Leistungsberechtigten müssen sich hingegen keine außerhalb ihres Verantwortungsbereiches liegenden Risiken zurechnen lassen (Oppermann in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 1a Rn. 86; BSG, Urteil vom 27.2.2019 – B 7 AY 1/17 R – juris Rn. 27; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.7.2021 – L 8 AY 12/21 B ER –).

Bei der Auslegung des § 1a AsylbLG ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu einem vorübergehenden Entzug existenzsichernder Leistungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen, der strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit unterliegt und den sonst weiten Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers zur Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Regelungen zur Ausgestaltung des Sozialstaates beschränkt (vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 05.11.2019 – 1 BvL 7/16 – juris 132-134; s. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.12.2019 – L 8 AY 36/19 B ER – juris Rn. 6 ff.; jüngst Sächsisches LSG, Beschluss vom 03.03.2021 – L 8 AY 8/20 B ER – juris Rn. 58 ff.). Zur Vermeidung eines möglichen Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ist § 1a AsylbLG in dem Sinne restriktiv auszulegen, dass eine Anspruchseinschränkung nur in denjenigen Fällen in Betracht kommt, in denen die tatbestandlichen Voraussetzungen eindeutig vorliegen. (vgl. dazu Sächsisches LSG, a.a.O.).

Nach gegenwärtigem Stand spricht nach Überzeugung des Gerichts Überwiegendes dafür, dass die Antragstellerin in vorwerfbarer Weise ihren Mitwirkungspflichten im ausländerrechtlichen Verfahren nicht nachgekommen ist. Denn nach § 48 Abs. 3 AufenthG ist ein Ausländer, der keinen gültigen Pass oder Passersatz besitzt, verpflichtet, an der Beschaffung von Identitätspapieren mitzuwirken sowie alle Urkunden, sonstigen Unterlagen und Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist der Ausländer damit verpflichtet, es nicht nur bei der Einreichung der erforderlichen Unterlagen und einer Vorsprache bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates zu belassen, sondern darüber hinaus, falls ihm das Identitätspapier nicht in angemessener Zeit ausgestellt wird, regelmäßig nachzufragen, sich nach den Gründen für die Bearbeitungsdauer zu erkundigen und beharrlich um die Ausstellung des Papiers nachzusuchen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.10.2018 – OVG 3 B 4.18 – juris Rn. 22; VG München, Beschluss vom 5.9.2018 – M 25 S 18.2249 – juris Rn. 17; VG Hamburg, Urteil vom 2.11.2010 – 8 K 1605/10 – juris Rn. 20). Dieser Mitwirkungspflicht ist die Antragstellerin nicht im befriedigenden Maße nachgekommen. Im ausländerrechtlichen Verfahren legte sie lediglich im Jahr 2021 einen Nachweis des Generalkonsulats Montenegros darüber, dass sie dort nicht registriert ist. Weitere Mitwirkungshandlungen wurden weder im ausländerrechtlichen Verfahren noch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem Sozialgericht Hannover vorgetragen. Zwar teilte die Antragstellerin mit, ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen zu sein. Diese hat sie jedoch nicht konkretisiert. Ernsthafte Bemühungen zur Klärung ihrer Identität und zur Erlangung von aussagekräftigen Dokumenten sind daher (noch immer) nicht nachgewiesen. Auch die Vorsprache vor dem Generalkonsulats Montenegros belegt nicht in hinreichender Weise, dass die Antragstellerin das ihr Mögliche zur Klärung ihrer Identität und Beschaffung von entsprechenden Dokumenten unternommen hat. Ihre mangelnde Mitwirkung im ausländerrechtlichen Verfahren ist mit hinreichender Gewissheit auch der (alleinige) Grund dafür gewesen, dass ihr gegenüber aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht durchgeführt werden konnten.

Allerdings muss die Ausländerbehörde gesetzliche Mitwirkungspflichten z.B. zur Beschaffung von Identitätspapieren (§ 48 Abs. 3 AufenthG) konkret gegenüber dem Betroffenen aktualisiert haben, um aus der mangelnden Mitwirkung negative aufenthaltsrechtliche Folgen ziehen zu können (BVerwG, Urteil vom 26.10.2010 – 1 C 18/09 – juris Rn. 17; SG München, Beschluss vom 31.1.2017 – S 51 AY 122/16 ER – juris Rn. 40). Ferner folgt aus § 82 Abs. 3 Satz 1 AufenthG eine Hinweispflicht für die Ausländerbehörde, die in aller Regel über bessere Kontakte und Kenntnisse hinsichtlich der bestehenden Möglichkeiten zur Beschaffung von Heimreisepapieren verfügt (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.2.2017 – OVG 3 B 14.16 – juris Rn. 24 m.w.N.). Diese Grundsätze sind auf die Beurteilung eines leistungsrechtlich nach § 1a Abs. 3 AsylbLG relevanten Verhaltens zu übertragen, allerdings mit der Maßgabe einer restriktiven Auslegung bezogen auf eindeutige und nachhaltige Verstöße gegen aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflichten (vgl. etwa LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 6.6.2019 – L 8 AY 17/19 B ER -; Oppermann in jurisPK-SGB XII, 3. Aufl. 2020, § 1a Rn. 133). Eine Beschränkung von Leistungen kommt wegen der Auswirkungen der Leistungskürzung nur in Betracht, wenn die Behörde einem Antragsteller eine konkrete, erfüllbare und zumutbare Mitwirkungshandlung aufgibt, die dieser aus von ihm zu vertretenden Umständen nicht befolgt. Eine solche Konkretisierung der (weiteren) der Antragstellerin im Einzelfall zumutbaren Mitwirkungshandlungen zur Beschaffung von Identitätspapieren ist den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin nicht zu entnehmen. Insbesondere ist der Ausländerakte – unter Berücksichtigung der Erteilung einer sog. Duldung für Personen mit ungeklärter Identität nach § 60b AufenthG – ein Hinweis auf die zumutbaren Handlungen im Sinne des § 60b Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht zu entnehmen, vgl. § 60b Abs. 3 Satz 2 AufenthG. Unter diesen Umständen ist in diesem Einzelfall eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht gerechtfertigt. Leistungsminderungen sind nur dann verhältnismäßig, wenn die Belastungen der Betroffenen auch im rechten Verhältnis zur tatsächlichen Erreichung des legitimen Zieles stehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 5.11.2019 – 1 BvL 7/16 – juris Rn. 133).

c.) Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG ist nach derzeitigen Streitstand nicht zu erkennen. Sofern die Antragsgegner geltend machen, die Antragstellerin habe vor dem Generalkonsulat Montenegro falsche Angaben gemacht, ist hierfür kein Beweis den Verwaltungsvorgängen zu entnehmen. Zur Überzeugung des Gerichts handelt es sich hierbei um nicht messbare Mutmaßungen. Das Gericht vermag auch nicht zu erkennen, inwiefern die festgestellte Staatsangehörigkeit des bereits abgeschobenen Ehemannes der Antragstellerin einen Nachweis dafür erbringen könnte, dass die Antragstellerin falsche Angaben gemacht hat.

2.) Bei Verpflichtung der Behörde zur vorläufigen Leistungsgewährung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes ist maßgeblich auf den Zeitpunkt des Eingangs des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei Gericht (hier am 17. Februar 2022) abzustellen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. April 2005 – L 8 AS 57/05 ER; Beschluss vom 24. August 2005 – L 8 SO 78/05 ER -, 13. Februar 2008 – L 13 AS 237/07 -, Sächsisches LSG, Beschluss vom 30. Oktober 2007 – L 2 B 373/07 AS PKH –). Wegen der Vorläufigkeit des Eilverfahrens spricht das Gericht keine Leistungen für die Vergangenheit zu (vgl. Conradis in LPK/SGB II, 5. Auflage 2013, Anhang Verfahren Rd. 141; Krodel NZS 2007, 20, 21). Der vorhergehende Zeitraum kann nur im Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden (vgl. Beschluss des Hessischen LSG vom 19. Juni 2005 – L 7 AS 1/05 ER -, info also 2005, 169, 174; Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 17. August 2005 – L 7 SO 2117/05 ER – B –).

3.) Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft dargelegt. Eine besondere Eilbedürftigkeit ergibt sich aus dem existenzsichernden Charakter der erstrebten Leistungen.

4.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG analog.

5.) Der Antragstellerin war aufgrund der Erfolgsaussicht gemäß §§ 73a SGG, 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu gewähren.

6.) Gegen diesen Beschluss ist gemäß §§ 172 Absatz 3 Nr. 1, 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGG die Beschwerde statthaft, weil die Beschwer der Antragsgegnerin 750,00 Euro übersteigt. Zur Ermittlung des Streitwerts ist auf den Jahreszeitraum abzustellen (vgl. LSG Niedersachsen- Bremen, Beschluss vom 17. August 2017 – L 8 AY 17/17 B ER).

Es folgt die Rechtsmittelbelehrung.