Bayerisches Landessozialgericht – Beschwerdeverfahren vom 30.10.23 – Az.: L 8 AY 36/23 B ER

BAYERISCHES LANDESSOZIALGERICHT

In dem Beschwerdeverfahren

xxx,

– Antragsteller und Beschwerdeführer –

Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt Sven Adam, Lange-Geismar-Straße 55, 37073 Göttingen

gegen

Landkreis Rhön-Grabfeld, vertreten durch das Landratsamt Rhön-Grabfeld, Sozialamt,
vertreten durch den Landrat, Spörleinstraße 11, 97616 Bad Neustadt a.d. Saale

– Antragsgegner und Beschwerdegegner –

wegen einstweiliger Anordnung

erlässt der 8. Senat des Bayer. Landessozialgerichts in München

am 30. Oktober 2023

ohne mündliche Verhandlung durch den Richter am Bayer. Landessozialgericht xxx als Vorsitzenden sowie die Richterin am Bayer. Landessozialgericht xxx und den Richter am Bayer. Landessozialgericht xxx folgenden

BESCHLUSS:

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 12. September 2023 in den Ziffern I. und II. abgeändert und der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 14. August 2023 bis zum 31. Januar 2024 Grundleistungen nach § 3 AsylbLG im Umfang der Bedarfsstufe 1 unter Anrechnung bereits erbrachter Leistungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat neun Zehntel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.

III. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt Adam, Göttingen, beigeordnet.

GRÜNDE
I.

Der Antragsteller (ASt) beansprucht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes höhere Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

Der ASt, nach seinen Angaben 1983 geboren und ivorischer Staatsangehöriger, reiste erstmals am 11.09.2018 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Nach einem Aufenthalt in Aufnahmeeinrichtungen wurde er ab dem 18.03.2020 einer Gemeinschaftsunterkunft im Gebiet des Antragsgegners (Ag) zugewiesen (Bescheid der Regierung von Unterfranken vom 11.03.2020), in der er seitdem wohnt.

Bei der Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) am 24.09.2018 gab der ASt an, er sei am 22.06.2018 nach Spanien gekommen, habe sich dort aber nicht sicher gefühlt und sei deshalb über Frankreich nach Deutschland gereist.

Das BAMF lehnte mit Bescheid vom 03.12.2018 den Asylantrag des ASt und den Antrag auf subsidiären Schutz als unzulässig ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen, und ordnete die Abschiebung nach Spanien an. Gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 (Dublin III-Verordnung) sei Spanien für das Asylverfahren zuständig. Die Abschiebungsanordnung wurde am 13.12.2018 unanfechtbar (Mitteilung des BAMF vom 14.12.2018); gegen den Bescheid des BAMF vom 03.12.2018 erhob der ASt jedoch beim Bayer. Verwaltungsgericht Würzburg (VG) Klage (W 2 K 18.50561).

Für den 10.04.2019 wurde die Überstellung des ASt nach Spanien per Flug geplant, dem ASt angekündigt und er aufgefordert, sich zur Abholung bereit zu halten. Dabei wurde auch darauf hingewiesen, dass er mit einer längeren Einschränkung seiner Leistungen rechnen müsse, wenn die Ausreise aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht durchgeführt werden könne. Die Abschiebung wurde abgebrochen, weil der ASt sich weigerte, in das Flugzeug einzusteigen, und aktiven Widerstand ankündigte (Abschlussmeldung der Bundespolizei vom 10.04.2019).

Nachdem die Überstellungsfrist abgelaufen war, kündigte das BAMF eine Entscheidung im nationalen Verfahren an und hob seinen Bescheid vom 03.12.2018 auf (Schreiben des BAMF vom 31.05.2019). Daraufhin wurde das Verfahren vor dem VG eingestellt (Beschluss vom 24.06.2019).

Mit Bescheid vom 26.07.2019 lehnte sodann das BAMF den Asylantrag und den Antrag des ASt auf subsidiären Schutz ab, stelle fest, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen, und forderte ihn unter Androhung der Abschiebung in die Elfenbeinküste zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland auf. Die dagegen erhobene Klage des ASt wies das VG mit Urteil vom 04.03.2020 (W 2 K 19.31525) ab.

Gegenüber der Regierung von Unterfranken – Zentrale Ausländerbehörde Unterfranken – (ZAB) äußerte der Dolmetscher nach einer Erstbefragung des ASt am 27.09.2019 Bedenken an der genannten Herkunft. Der Dialekt bzw. Sprachgebrauch passe nicht zu den Herkunftsangaben und die getroffenen Ortsangaben seien unplausibel. Ferner gab der Kläger an, er habe seine Reise 2015 begonnen, wobei sein Ziel Deutschland gewesen sei. Über Spanien und Frankreich sei er hierhergekommen.

Am selben Tag wurde der ASt zudem darüber belehrt, dass er bei der Klärung seiner Identität und Staatsangehörigkeit mitwirken und einen Pass oder Passersatz sowie alle sonstigen Urkunden und Unterlagen zu seiner Person, Identität oder Staatsangehörigkeit vorlegen müsse. Auch sei er verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken.

Die ZAB wies den ASt – nach Vorliegen des klageabweisenden Urteils des VG – mit Schreiben vom 04.06.2020 auf seine Passpflicht hin und forderte ihn auf, bis 16.07.2020 seinen Mitwirkungspflichten nachzukommen und einen Pass oder Passersatz vorzulegen oder Bemühungen um ein entsprechendes Dokument zu belegen. Sollte der ASt der Aufforderung nicht nachkommen, könne es zu einer Kürzung der Sozialleistungen kommen. Zusätzlich erhielt der ASt ein Formblatt mit weiteren umfangreichen Belehrungen zur Passpflicht und Verpflichtung zu wahren Angaben und dem Hinweis, dass Verstöße gegen ausländerrechtliche Pflichten zu Leistungseinschränkungen führen könne.

Ab dem 05.06.2020 wurden dem ASt Duldungen ausgestellt, ab 03.08.2020 als Duldung für Personen mit ungeklärter Identität.

Auf Anfrage des Ag teilte die ZAB diesem unter dem 24.06.2020 mit, es liege beim ASt ein Missbrauchstatbestand vor, weil er die nicht erfolgte Ausreise zu vertreten habe. Ferner sei er mit Frist bis 17.07.2020 zur Mitwirkung bei der Passbeschaffung aufgefordert worden. Zudem handle es sich um einen ehemaligen „Dublin-Fall“.

Bei einer Vorsprache am 16.07.2020 bei der ZAB zeigte der ASt eine Busfahrkarte nach Berlin sowie ein vor der ivorischen Botschaft in Berlin gedrehtes Video vor. Gegenüber dem Ag teilte er später noch mit, er sei am 15.07.2020 in der Botschaft gewesen. Dort habe man wegen der Pandemie nichts für ihn tun können.

Mit Bescheid vom 24.07.2020 gewährte der Ag dem ASt auf dessen Antrag hin Grundleistungen nach dem AsylbLG vom 18.03.2020 bis 31.07.2020 i.H.v. monatlich 316 EUR. Unterkunft, Heizung sowie Ge- und Verbrauchsgüter des Haushaltes würden in Form von Sachleistungen durch die Regierung von Unterfranken zu Verfügung gestellt.

Für die Zeit von August 2020 bis Januar 2021 schränkte der Ag die Leistungen des ASt mit Bescheid vom 15.09.2020 ein, weil dieser die Mitarbeit bei der Beschaffung von Identitätspapieren verweigert habe.

Am 11.02.2021 erhielt der ASt eine nochmalige Aufforderung der ZAB zur Beschaffung eines Pass oder Passersatzes oder zum Nachweis entsprechender Bemühungen mit Frist bis 26.03.2021 sowie eine Liste mit Anwälten in der Elfenbeinküste. Dazu teilte der ASt mit, eine Passbeantragung sei ihm zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, da er keine Dokumente aus seinem Heimatland besitze. Er habe keine Familienmitglieder in seinem Heimatland bzw. keine Kontaktdaten und habe auch vergeblich versucht, einen Anwalt zu kontaktieren. Die ZAB erwiderte darauf, eine ausreichende Mitwirkung liege erst vor, wenn eine Auftragsbestätigung des Vertrauensanwalts mit Zahlungsnachweise vorliege und alle nötigen Angaben erfolgt seien.

Weitere Anspruchseinschränkungen aus den o.g. Gründen erfolgten mit Bescheid des Ag vom 17.06.2021 für die Monate Februar 2021 bis Juli 2021, mit Bescheid vom 13.09.2021 für die Monate August 2021 bis Januar 2022 und mit Bescheid vom 31.01.2022 für die Monate Februar 2022 bis Juli 2022.

In der Mitteilung vom 15.02.2022 gab die ZAB wiederum an, es lägen Anhaltspunkte für eine Anspruchseinschränkung vor. Allerdings vermerkte sie auch, dass es an der Monokausalität fehle, weil wegen der Corona-Pandemie derzeit keine Abschiebungen in die Elfenbeinküste möglich seien.

Eine weitere Aufforderung an den ASt zur Passbeschaffung mit Frist bis 13.04.2022 erging unter dem 16.03.2022.

Unter dem 07.06.2022 erkannte der ASt seine Vaterschaft für ein am 06.04.2022 geborenes Kind an, das mit seiner ebenfalls ivorischen Mutter im Landkreis Holzminden (Niedersachsen) lebt. Außerdem erfolgte die Erklärung des gemeinsamen Sorgerechts. Auch stellte der ASt einen Antrag auf Umverteilung zu Frau und Kind.

In der Mitteilung vom 19.07.2022 gab die ZAB erneut an, dass Anhaltspunkte für eine Anspruchseinschränkung vorlägen. Ebenso sei die Monokausalität gegeben.

Darauf gestützt schränkte der Ag mit Bescheid vom 01.08.2022 auch für die Zeit von August 2022 bis Januar 2023 die Leistungen des ASt ein.

Im Zuge der Prüfung einer Umverteilung des ASt teilte die Ausländerbehörde des Landkreises Holzminden mit (E-Mail vom 19.08.2022), es müsse zuerst die Identität des ASt nachgewiesen werden. Das Kind befinde sich noch im Asylverfahren. Ein Besuch sei mit Erlaubnis möglich.

Betreffend die Zeit von Februar bis Juli 2023 verfügte der Ag mit Bescheid vom 19.01.2023 eine Anspruchseinschränkung in gleicher Weise wie zuvor. Diesbezüglich wurde sodann unter dem 19.05.2023 ein Überprüfungsantrag gestellt. Ferner suchte der ASt beim Sozialgericht Würzburg (SG) um einstweiligen Rechtsschutz nach (Verfahren S 9 AY 35/23 ER). Das SG lehnte den Antrag jedoch mit Beschluss vom 12.07.2023 ab. Die dagegen zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegte Beschwerde (L 8 AY 27/23 B ER) wurde nach Hinweis auf deren Unzulässigkeit zurückgenommen.

Die ZAB setzte unter nochmaliger Belehrung dem ASt mit Schreiben vom 13.03.2023 Frist zur Passbeschaffung bzw. zum Nachweis der Mitwirkung bis 11.04.2023.

Die damalige Bevollmächtigte des ASt gab noch an, der ASt habe jemanden beauftragt, seine Geburtsurkunde zu besorgen. Diese Person erwarte jedoch eine Bezahlung, was dem ASt kaum möglich sei, da er von Gutscheinen lebe. Nach Erhalt der Geburtsurkunde werde er sich um die Beschaffung des Reisepasses bemühen (E-Mail vom 30.03.2023).

Nach Anhörung (Schreiben vom 17.07.2023) schränkte der Ag mit Bescheid vom 28.07.2023 die Leistungen an den ASt auch für die Zeit vom 01.08.2023 bis zum 31.01.2024 ein. Der ASt verweigere die Mitarbeit bei der Beschaffung von Identitätspapieren. Trotz Belehrung durch die Ausländerbehörde komme er seinen Mitwirkungspflichten nicht nach. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen seien daher aus von ihm selbst zu vertretenden Gründen nicht möglich. Für die Zeit von August 2023 bis Januar 2024 würden daher Sachleistungen in Form von Warengutscheinen für Ernährung i.H.v. 174,65 EUR, für Gesundheitspflege i.H.v. 11,58 EUR und für Körperpflege i.H.v. 17,57 EUR gewährt. Unterkunft und Heizung sowie die Ge- und Verbrauchsgüter des Haushalts würden durch Sachleistungen der Regierung von Unterfranken sichergestellt. Die Leistungen würden auf sechs Monate befristet. Die Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung seien weiterhin erfüllt. Der ASt sei seiner Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung nicht nachgekommen. Es hätten sich keine Änderung ergeben, die zu einer anderen Entscheidung führen könnten. Die Leistungseinschränkung könne durch Mitarbeit bei der Passbeschaffung abgewendet werden.

Die ZAB teilte dem Ag auch unter dem 28.08.2023 mit, es lägen Anhaltspunkte für eine Anspruchseinschränkung vor. Zum einen habe die angekündigte Luftabschiebung nach Spanien am 10.04.2019 storniert werden müssen, da der ASt passiven Widerstand geleistet habe. Zum anderen sei der Ast mehrfach belehrt und zur Heimreiseschein- bzw. Passbeschaffung aufgefordert worden. Er habe bislang keinerlei Unterlagen vorgelegt. Dass er nicht in die Elfenbeinküste abgeschoben werden könne, liege nur an seinem Verhalten.

Bei einer Vorsprache bei der ZAB am 18.09.2023 ist der ASt über freiwillige Rückkehrmöglichkeiten beraten worden, hat aber erklärt, dies nicht in Anspruch nehmen zu wollen. Ferner hat er ein Foto eines Zivilregisterauszugs seiner Heimatstadt vom 03.02.2010 vorgelegt.

Bereits am 14.08.2023 hat der ASt gegen den Bescheid des Ag vom 28.07.2023 Widerspruch eingelegt und zugleich beim SG Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz sowie Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) mit Beiordnung gestellt. Die vorliegende Sanktion könne nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 05.11.2019 (1 BvL 7/16) zu den Sanktionen im Bereich des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) nicht verfassungsgemäß sein. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen habe angesichts dessen in einem Verfahren betreffend Leistungen nach dem AsylbLG ausgeführt, dass erneut die Frage nach der Vereinbarkeit der Anspruchseinschränkungen mit dem Grundgesetz (GG) aufgeworfen würde und fraglich sei, ob die Anspruchseinschränkung ein legitimes Ziel verfolge, die strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit wahre, das Konzept und die Ausgestaltung der Anspruchseinschränkung auf einer verfassungsrechtlich tragfähigen Einschätzung des Gesetzgebers beruhten, tragfähige Erkenntnisse zum Beleg der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Sanktionen vorlägen und weiteren rechtlichen Maßgaben, wie etwa dem Schutz von Ehe und Familie, Rechnung getragen werde. Zwar könne das Gericht die Norm aufgrund von Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit nicht verwerfen. Allerdings sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit Blick auf die aufgeworfenen Fragen eine gerichtliche Entscheidung im Rahmen der Folgenabwägung zu treffen. Diese könne hier nur dazu führen, dass die Leistungskürzung zunächst ausgesetzt werde. Das gelte erst recht, als vorliegend eine Kürzung des Regelbedarfs um mehr als 50% ohnehin nicht mit Art. 1 GG zu vereinbaren sei. Zudem erhalte er nunmehr die siebte Kürzung in Folge. Das Landessozialgericht Sachsen (Beschluss vom 22.02.2021 – L 8 AY 9/20 B ER) habe entschieden, dass Leistungseinschränkungen nur zeitlich begrenzt verhängt werden dürften, z.B. über drei Monate mit maximaler Verlängerung auf sechs Monate innerhalb eines Jahreszeitraums. Keinesfalls dürften sie durch eine starre Frist oder dauerhaft und auch nicht langjährig verhängt werden. Ferner widerspreche eine Leistungseinschränkung bezogen auf ihre Höhe verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn einem leistungsberechtigten Ausländer rund 50% seines monatlichen Regelbedarfs vorenthalten würden. Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass eine Leistungskürzung über diese Dauer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sei. Es liege außerdem kein Mitwirkungsverstoß vor, denn er habe mehrfach erklärt, dass die von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen nicht möglich seien. Die Kürzung werde zusätzlich diskriminierend erweitert, als rechtswidrig nur Leistungen in Form von Gutscheinen gewährt würden. Der Ag habe die Ausgabe von Gutscheinen nicht begründet und entscheide damit im Rahmen des Ermessensnichtgebrauchs. Bereits deswegen seien die Leistungen künftig in Form von Geldleistungen zu erbringen. Durch die Bewilligung in Form von Wertgutscheinen werde seine Menschenwürde verletzt. Bei alltäglichen Einkäufen finde nämlich eine Stigmatisierung statt. Auf Wochenmärkten mit frischer Ware sei ein Einkauf sogar praktisch unmöglich. Das gleiche gelte für Flohmärkte. Überdies liege ein Verstoß gegen den Datenschutz vor, indem mit den Gutscheinen das Sozialdatum „Bezieher von Leistungen nach dem AsylbLG“ offenbart werde. Dies sei noch weitaus entwürdigender, da er als Leistungsbezieher selbst gezwungen werde, sich immer wieder und gegenüber einem nicht eingrenzbaren Adressatenkreis, nämlich an jeder Supermarktkasse vor allen wartenden Kunden, als Bezieher von Leistungen zu offenbaren. Darüber hinaus sei die Migrationspolitik ein unzulässiges Entscheidungskriterium. Der Gewährung von Wertgutscheinen lägen aber ausschließlich migrationspolitische Erwägungen zugrunde. Dem erwachsenen Menschen müsse die Möglichkeit gelassen werden, im Rahmen der ihm zustehenden Mittel seine Bedarfsdeckung frei zu gestalten. Daher habe der einzelne grundsätzlich einen Anspruch darauf, laufende Leistungen für den Lebensunterhalt in Geld zu erhalten. Auch sei ihm das verfassungsrechtlich vorgesehene Mindestmaß an gesellschaftlicher, kultureller und politischer Teilhabe durch die Ausgabe von Sachleistungen oder Gutscheinen nicht möglich.

Der Ag hat erwidert, der Bescheid sei rechtmäßig. Das BVerfG habe die Sanktionsregelungen im SGB II dem Grund nach bestätigt. Mitwirkungspflichten könnten demnach auch mithilfe finanziellen Drucks durchgesetzt werden. Selbst ein vollständiger Leistungsentzug sei möglich, wenn und solange es Leistungsberechtigte selbst in der Hand hätten, ihre menschenwürdige Existenz tatsächlich und unmittelbar durch die Erzielung von Einkommen zu sichern. Übertrage man die Überlegungen auf das AsybLG, werde deutlich, dass die bestehende Sanktionsmöglichkeit keinen Anlass zu verfassungsrechtlichen Bedenken gebe. Auch die Leistungen nach dem AsylbLG dürften nicht bedarfslos oder voraussetzungslos erfolgen. Sinn und Zweck der Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG sei, die Leistungsgewährung für Personen zu begrenzen, die keinen Anspruch auf ein Bleiberecht hätten. Im Übrigen seien die Ausführungen des BVerfG auf die Sanktionen nach dem Asylbewerberleistungsrecht nicht zu übertragen. So erfolge im AsylbLG keine strikte prozentuale Kürzung und es würden weiterhin Leistungen für Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie für Körper- und Gesundheitspflege erbracht. Der Gesetzgeber habe also dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen. Zudem bestehe im Bereich des AsylbLG nicht die Gefahr der Wohnungslosigkeit. Der Ast wirke bei der Passbeschaffung nicht mit. Durch die Ausländerbehörde sei er wiederholt zur Mitwirkung aufgefordert worden. Es werde zudem verkannt, dass der Leistungsträger an das Sachleistungsprinzip gebunden sei. Eine Stigmatisierung finde nicht statt, denn der Ast erhalte zur freien Verfügung Leistungen für Ernährung sowie Körper- und Gesundheitspflege. Diese Warengruppen würden auf Flohmärkten nicht verkauft. Daneben sei der Verweis auf Wochenmärkte, die in aller Regel erheblich teurer seien, nicht schlüssig. Schließlich seien keine konkreten Gründe vorgebracht worden, weshalb der ASt nicht bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache warten könne. Seine Situation habe sich im Vergleich zu den bisher erfolgten Kürzungen nicht verändert.

Das SG hat mit Beschluss vom 12.09.2023 den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz (Ziffern I. und II.) sowie den Antrag auf Bewilligung von PKH und Beiordnung (Ziffer III.) abgelehnt. Der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Ein Anspruch auf Grundleistungen ohne Anspruchseinschränkung stehe dem ASt nicht zu. Er sei seit der Beendigung seines Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen könnten aus vom ASt zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden, da er nicht an der Beschaffung von Identitätspapieren mitwirke. Die Pflicht zur Mitwirkung bei der Beschaffung von Identitätspapieren verlange vom Ausländer nicht nur, die erforderlichen Unterlagen einzureichen und bei der Auslandsvertretung seines Heimatstaates vorzusprechen, sondern darüber hinaus weitere Angaben zu machen, die seine Identifikation ermöglichten. Dabei könne er sich nicht allein auf die von der Ausländerbehörde vorgegebenen Pflichten beschränken. Dem komme der ASt nicht nach. Trotz wiederholter Belehrungen und Aufforderungen durch den Ag und die Ausländerbehörde habe er bis heute keinen validen Nachweis über eine Botschaftsvorsprache oder Bemühungen einer Dokumentenbeschaffung im Heimatland erbracht. Auch die erforderliche Kausalität sei gegeben. Der Ast sei außerdem mit Setzung einer angemessenen Frist zur Beendigung des leistungsmissbräuchlichen Verhaltens angehört worden. Die sechsmonatige Dauer der Anspruchseinschränkung sei nicht als Obergrenze konzipiert worden, sondern es bedürfe der Überprüfung nach diesem Zeitraum. Die Anspruchseinschränkung sei fortzusetzen, wenn die Pflichtverletzung fortbestehe und die Voraussetzungen für die Einschränkung weiterhin vorlägen. Eine notfalls dauerhafte Anspruchseinschränkung könne geboten sein, wenn und weil die beabsichtigte Wirkung noch nicht erzielt worden sei. Gegenüber anderen Leistungsberechtigten erscheine es schwer verständlich, dass trotz Missachtung der ausländer- oder asylrechtlich vorgesehenen Pflichten nach relativ kurzer Dauer dennoch die vollen Leistungen bezogen werden könnten. Der ASt habe es selbst in der Hand, das missbilligte Verhalten abzustellen. Insoweit sei die vorgenommene Verlängerung um sechs Monate nicht zu beanstanden. Die Leistungseinschränkung knüpfe außerdem an ein ausländerrechtlich verlangtes Verhalten an, welches die leistungsberechtigte Person aus von ihr zu vertretenden Gründen nicht erfülle. Verfassungsrechtlich seien keine bedarfsunabhängigen, voraussetzungslosen Sozialleistungen geboten. Zu berücksichtigen sei, dass vorliegend der Aufenthalt im Inland allein wegen der Weigerung des ASt nicht beendet werden könne. Dieser könne sein Verhalten auch jederzeit ändern, selbst wenn dies dazu führen würde, dass er ausreisen müsse. Das sei aber nur die Folge der rechtskräftigen Entscheidung des BAMF und kein Grund, auf die verlangte Mitwirkungshandlung zu verzichten. PKH sei mangels Erfolgsaussichten nicht zu gewähren.

Hiergegen hat der ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und die Bewilligung von PKH unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragt (die Beschwerde gegen Ziffer III. der Entscheidung des SG wird unter dem Az. L 8 AY 38/23 B PKH geführt). Zur Begründung ist auf den erstinstanzlichen Vortrag verwiesen worden.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG) ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR überschreitet (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Nach dem Begehren des ASt (siehe unten) beläuft sich der Wert desjenigen, das er im Beschwerdeverfahren weiterverfolgt, auf monatlich mindestens 206,20 EUR. Dieser Betrag entspricht der Differenz zwischen den gewährten Leistungen nach § 1a Abs. 1 AsylbLG i.H.v. zusammen monatlich 203,80 EUR und dem Betrag von Grundleistungen nach § 3 AsylbLG von derzeit monatlich 410 EUR (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. der Bekanntmachung vom 21.12.2022, BGBl. I, 2601); zum Niveau der ebenfalls begehrten Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG fällt die Differenz noch höher aus. Bezogen auf den hier streitigen Zeitraum vom 14.08.2023 bis zum 31.01.2024 wird mithin die Schwelle von 750 EUR überschritten.

Die Beschwerde hat in der Sache zum größten Teil Erfolg.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist – das ergibt sich aus den mittels anwaltlicher Hilfe gestellten Anträgen sowie dem weiteren Vorbringen – das Begehren des ASt, höhere Leistungen nach dem AsylbLG zu erhalten. Da es sich hinsichtlich der Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG um einen einheitlichen Streitgegenstand handelt, unabhängig davon, auf welche Rechtgrundlage das Begehren nach weiteren Leistungen gestützt wird, ist – jedenfalls regelmäßig im Wege der Auslegung nach dem Meistbegünstigungsprinzip – die Leistungshöhe unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (vgl. BSG, Urteile vom 17.06.2008 – B 8/9b AY 1/07 R und vom 26.06.2013 – B 7 AY 6/11 R; Urteil des Senats vom 29.04.2021 – L 8 AY 122/20 – alle nach juris). Auch wenn dies nicht ausdrücklich beantragt und ebenso wenig thematisiert wurde, versteht der Senat die Formulierung des erstinstanzlich gestellten Antrages „Leistungen in gesetzlicher Höhe“ dahin, dass auch Leistungen im Umfang sog. Analogleistungen nach § 2 AsylbLG nicht ausgeschlossen wurden. Dieses Begehren verfolgt der ASt im Beschwerdeverfahren unverändert weiter, da keine Beschränkung erklärt worden ist. Zeitlich werden Leistungen ab Eingang des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG, dies war der 14.08.2023, geltend gemacht.

Ein weiteres Rechtsschutzziel des ASt dahin, dass er sich hilfsweise gegen die Gewährung der eingeschränkten Leistungen ab 14.08.2023 in Form von Warengutscheinen wendet, vermag der Senat nicht zu erkennen. Der ASt macht dazu zwar umfangreiche Ausführungen. Diese sind aber so zu verstehen, dass er damit sein Begehren nach höheren als eingeschränkten Leistungen argumentativ untermauern will. Dies wird deutlich daraus, dass – trotz anwaltlicher Vertretung – kein entsprechender (Hilfs-)Antrag gestellt worden ist und die Ausführungen zur Ausgabe von Gutscheinen nach der Gliederung der Antragsschrift (Schriftsatz vom 14.08.2023) im Rahmen der Argumentation, dass die Leistungseinschränkung als solche rechtswidrig sei, erfolgen.

Der so verstandene Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Teil zulässig, nämlich soweit Leistungen im Umfang von Grundleistungen begehrt werden.

Maßgebend für die Bestimmung, in welcher Weise vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren ist, ist der im Hauptsacheverfahren statthafte Rechtsbehelf (vgl. Beschluss des Senats vom 19.11.2018 – L 8 AY 23/18 B ER – juris). Dies wäre vorliegend eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG), so dass kein Fall des § 86b Abs. 1 SGG gegeben ist. Dem ASt wurden für den hier streitbefangenen Zeitraum vom 05.07.2023 bis zum 31.12.2023 mit Bescheid vom 28.07.2023 Leistungen im Umfang von § 1a Abs. 1 AsylbLG nach Bedarfsstufe 1 bewilligt. Es liegt keine darüber hinausgehende frühere Leistungsbewilligung vor, die aufgehoben oder zurückgenommen worden wäre. Die erste Leistungsbewilligung durch den Ag erfolgte zwar noch im Umfang von Grundleistungen (Bescheid vom 24.07.2020). Jedoch war diese Bewilligungsentscheidung ausdrücklich auf die Zeit bis 31.07.2020 begrenzt. Seitdem hat der Ag dem Ast durchgehend nur mehr eingeschränkte Leistungen gewährt (Bescheide vom 15.09.2020, 17.06.2021, 13.09.2021, 31.01.2022, 01.08.2022 und 19.01.2023). Mithin wäre mit einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch bzw. Klage gegen den Bescheid vom 28.07.2023, welcher die Leistungsbewilligung im hier streitigen Zeitraum regelt, das angestrebte höhere Leistungsniveau nicht zu erreichen. Einstweiliger Rechtsschutz kann folglich allein nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG gewährt werden, da der ASt eine Erweiterung seiner Rechtsposition anstrebt.

Der Zulässigkeit des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz steht nicht eine bestandskräftige Bewilligung entgegen. Der Bescheid des Ag vom 28.07.2023 ist infolge des Widerspruchs vom 14.08.2023, über den – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden ist, nicht bestandskräftig geworden.

Allerdings fehlt es in Bezug auf die ebenfalls angestrebte Leistungsbewilligung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG am Rechtsschutzbedürfnis. Dieses beinhaltet für den Fall einer einstweiligen Anordnung in der Regel, dass der jeweilige Antragsteller sich zuvor mit seinem Begehren an die zuständige Behörde gewandt hat (vgl. Beschluss des Senats vom 27.10.2020 – L 8 AY 105/20 B ER – juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl., § 86b Rn. 26b). Daran fehlt es hier. Der Ag hat, wie dargelegt, dem ASt seit der Zuweisung in seine aktuelle Unterkunft ab 18.03.2020 nur für wenige Monate Grundleistungen und seit August 2020 nur mehr eingeschränkte Leistungen bewilligt. Einen Anspruch auf Analogleistungen hat der ASt bisher jedoch nicht gegenüber dem Ag geltend gemacht, sondern erstmals mit dem vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bzw. dem zeitgleich eingelegten Widerspruch gegen den Bescheid vom 28.07.2023. Vor dem geschilderten zeitlichen Hintergrund ist auch ein ausnahmsweises Absehen von einer vorherigen Befassung der Ag nicht angezeigt gewesen.

Soweit demnach zulässig, hat der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz in der Sache Erfolg.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsanspruches – das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den der Antragsteller sein Begehren stützt und der dem Streitgegenstand eines Hauptsacheverfahrens entspricht – sowie eines Anordnungsgrundes – das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit – voraus. Die Angaben hierzu müssen glaubhaft gemacht werden (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO), wobei als Beweismittel auch eine eidesstattliche Versicherung (§ 294 Abs. 1 ZPO) möglich ist. Hinsichtlich des Beweismaßstabes genügt also die überwiegende Wahrscheinlichkeit (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – SGB X), verbleibende Zweifel sind unschädlich (vgl. Burkiczak in jurisPK-SGG, § 86b, Stand: 06.10.2023, § 86b Rn. 494).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage in dem vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – Breith 2005, 803) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind hierbei die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Im Beschwerdeverfahren trifft das Beschwerdegericht unter erneuter summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage eine neue Entscheidung, ohne auf die Überprüfung der Ausgangsentscheidung beschränkt zu sein (vgl. Karl in jurisPK-SGG, § 176, Stand: 28.04.2023, Rn. 12). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Regelungsanordnung wie bei der Anfechtungs- und Leistungsklage der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (vgl. Keller, a.a.O., § 86b Rn. 42).

Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen und deshalb eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in den Grundrechten, die durch eine der Klage stattgebende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann, droht, ist eine Versagung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nur dann möglich, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13); eine lediglich summarische Prüfung genügt nicht. Für eine Entscheidung aufgrund einer sorgfältigen und hinreichend substantiierten Folgenabwägung ist nur dann Raum, wenn eine – nach vorstehenden Maßstäben durchzuführende – Rechtmäßigkeitsprüfung auch unter Berücksichtigung der Kürze der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren regelmäßig zur Verfügung stehenden Zeit nicht verwirklicht werden kann, was vom zur Entscheidung berufenen Gericht erkennbar darzulegen ist (vgl. zum Ganzen auch: BVerfG, Beschluss vom 14.09.2016 – 1 BvR 1335/13; Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – Breith 2005, 803; weniger eindeutig: BVerfG, Beschluss vom 06.08.2014 – 1 BvR 1453/12).

Gemessen daran steht dem ASt ein Anordnungsanspruch im Umfang von Grundleistungen zu.

Für die hier im Streit stehenden Geldleistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bzw. nach den §§ 3 f. AsylbLG ist der Ag örtlich gemäß § 10a Abs. 1 AsylbLG zuständig, da der ASt in einer Gemeinschaftsunterkunft im Gebiet des Ag untergebracht ist und sich dort auch tatsächlich aufhält. Die sachliche Zuständigkeit des Ag als örtlicher Träger für die Leistungsgewährung ergibt sich vorliegend gemäß § 10 Satz 1 AsylbLG i.V.m. § 12 Abs. 2 Nr. 2 und § 18 Abs. 1 bzw. § 14 Abs. 2 der (bayer.) Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl ). Auch wenn der Ag dabei im übertragenen Wirkungskreis handelt (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 DVAsyl) und Kostenträger letztlich der Freistaat Bayern ist (§ 12 Abs. 1 DVAsyl), welcher den Landkreisen und kreisfreien Städten die aufgewandten Kosten erstattet (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 des Aufnahmegesetzes – AufnG), ist dennoch der Ag passiv legitimiert, denn er handelt auch im übertragenen Wirkungskreis nicht als staatliche Behörde (Art. 4 und 6 der bayer. Landkreisordnung).

Im hier interessierenden Zeitraum ab dem 14.08.2023 zählt der ASt zum leistungsberechtigten Personenkreis nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG, denn er ist vollziehbar ausreisepflichtig – die Klage gegen den Bescheid des BAMF vom 26.07.2019 ist rechtskräftig abgewiesen worden (Urteil des VG vom 04.03.2020 – W 2 K 19.31525) –, hält sich tatsächlich im Gebiet des Ag auf und besitzt seit 05.08.2020 lediglich eine Duldung nach § 60b des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) für Personen mit ungeklärter Identität, die nicht zur Anwendung des § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG führt (vgl. Beschluss des Senats vom 11.05.2022 – L 8 AY 27/22 B ER – juris). Da die Tochter des ASt nach der Auskunft der Ausländerbehörde des Landkreises Holzminden (E-Mail vom 19.08.2022) nur über eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens gemäß § 55 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) verfügt, erfüllt der ASt auch nicht die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 29 AufenthG. Bei der Kindsmutter handelt es sich nicht um die Ehefrau des ASt, da es hierfür keinen Nachweis gibt. Sie ist bzw. war allenfalls seine Lebensgefährtin. Auch insofern besteht kein Anspruch auf ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht.

Der ASt hat keinen Anspruch auf Analogleistungen. Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Vorliegend hat der ASt bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum die festgelegte Wartezeit (vgl. Oppermann/Filges in jurisPK-SGB XII, § 2 AsylbLG, Stand: 21.12.2022, Rn. 32) erfüllt. Er ist am 11.09.2018 nach Deutschland eingereist. Damit war die 18monatige Wartezeit im Laufe des Monats März 2020 erfüllt.

Der ASt hat aber die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich beeinflusst. Der Begriff des Rechtsmissbrauchs geht auf den Grundsatz von Treu und Glauben zurück, wonach sich niemand auf eine Rechtsposition berufen darf, die er selbst treuwidrig geschaffen hat. Dieser Grundsatz findet auch im öffentlichen Recht Anwendung (vgl. Oppermann/Filges, a.a.O., Rn. 70). Im Ausgangspunkt will das Merkmal der (fehlenden) rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung i.S.d. § 2 Abs. 1 AsylbLG somit verhindern, dass jemand von einer Rechtsposition profitieren darf, die er selbst treuwidrig geschaffen hat. Als vorwerfbares Fehlverhalten beinhaltet der Begriff des Rechtsmissbrauchs eine objektive Komponente – den Missbrauchstatbestand – und eine subjektive Komponente – das Verschulden. In objektiver Hinsicht setzt der Rechtsmissbrauch ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus, wobei angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten genügt. Das Verhalten muss generell geeignet sein, die Aufenthaltsdauer überhaupt beeinflussen zu können, und es muss vor allem unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes von solchem Gewicht sein, dass der Ausschluss privilegierter Leistungen gerechtfertigt ist. Art, Ausmaß und Folgen des Pflichtverstoßes müssen unter Berücksichtigung des Einzelfalles gewichtet und in ein Verhältnis gesetzt werden zu der strengen Sanktion des unbegrenzten Ausschlusses von Leistungen auf dem Sozialhilfeniveau. Nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), führt zum Ausschluss von Analogleistungen. Die Frage, welche Mitwirkungshandlungen Ausländern zumutbar sind, beurteilt sich nach ausländerrechtlichen Vorschriften unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls. Im Grundsatz sind sämtliche Handlungen zumutbar, die zur Beschaffung eines zur Ausreise oder zur Abschiebung notwendigen Dokuments erforderlich sind (z.B. Nationalpässe, Passersatzpapiere) und eben nur persönlich von den Ausländern vorgenommen werden können. Eine Mitwirkungshandlung, die von vornherein erkennbar aussichtslos ist, kann Ausländern nicht abverlangt werden. Um den Vorwurf der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Aufenthaltsdauer erheben zu können, bedarf es nachhaltiger – unter Umständen – jahrelanger Pflichtverletzungen. Das rechtlich missbilligte Verhalten muss mit der Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts in einem Zusammenhang stehen, wobei der Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Leistungsberechtigten und der gesamten Aufenthaltsdauer in der Bundesrepublik herzustellen ist. Ein „Kausalzusammenhang im eigentlichen Sinne“ muss dafür nicht vorliegen, sondern es genügt eine „typisierende, generell-abstrakte Betrachtungsweise“. Die subjektive Komponente der Rechtsmissbräuchlichkeit setzt einen doppelten Vorsatz voraus. Der Vorsatz muss sich auf alle objektiven Umstände des missbilligten Fehlverhaltens beziehen und auf den „typisierten“ Kausalzusammenhang gleichermaßen, d.h. die Leistungsberechtigten müssen in voller Kenntnis des ihnen vorgeworfenen Verhaltens handeln und dieses Fehlverhalten auch wollen; sie müssen sich auch über den aufenthaltsverlängernden typisierten Charakter ihres Fehlverhaltens bewusst sein und dieses ebenfalls wollen (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteile vom 17.06.2008 – B 8/9b AY 1/07 R und vom 24.06.2021 – B 7 AY 4/20 R, Urteil des Senats vom 05.08.2020 – L 8 AY 28/19 – alle nach juris; Oppermann/Filges, a.a.O., Rn. 73 ff.).

Nach diesen Maßstäben ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des ASt gegeben. Es ist zwar nicht nachgewiesen, dass er Identitätsdokumente vernichtet hat oder in seinem Besitz hat, ohne sie den zuständigen Behörden vorzulegen, oder dass er über seine Identität getäuscht hat. Ob der bei der Vorsprache am 18.09.2023 als Foto vorgezeigte Auszug aus dem Zivilregister der Heimatstadt des ASt vom 03.02.2010 überhaupt ein relevantes Dokument wäre, mag schon infrage gestellt werden. Zumindest aber ist nicht ersichtlich, dass diese Urkunde bzw. das Foto hiervon für den ASt schon früher verfügbar war. Ebenso sind bei der Befragung durch die ZAB am 27.09.2020 Zweifel an der Identität des ASt aufgekommen. Diese haben sich aber nach Aktenlage nicht weiter verdichtet. Daher kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass der ASt falsche Angaben gemacht hat.

Allerdings hat der ASt durch seine Widerstandshandlung die am 10.04.2019 versuchte Überstellung nach Spanien vereitelt. Für den 10.04.2019 war die Überstellung des ASt nach Spanien per Flug geplant, dem ASt angekündigt und er aufgefordert, sich zur Abholung bereit zu halten. Die Abschiebung wurde aber auf der Treppe zum Flugzeug abgebrochen, weil der ASt sich weigerte, in das Flugzeug einzusteigen, und aktiven Widerstand ankündigte (Abschlussmeldung der Bundespolizei vom 10.04.2019). Demgegenüber überzeugt die Darstellung des ASt nicht, er habe nur geäußert, nicht nach Spanien fliegen bzw. nicht ausreisen zu wollen. Der Senat kann sich nicht vorstellen, dass die Polizisten, die den ASt zum Flugzeug begleiteten, wegen einer bloßen Meinungsäußerung die Überstellung abgebrochen haben, zumal die Zeit bis zum Ablauf der Überstellungsfrist Ende Mai 2019 begrenzt war. Vielmehr ist der Abbruch erfolgt, weil der ASt aktiven Widerstand angekündigt hat und keine Begleitung während des Fluges vorgesehen war, so dass eine Gefährdung anderer Fluggäste befürchtet wurde. Nach Auffassung des Senats hindert es die Bewertung als rechtsmissbräuchlich nicht, dass mit der Verweigerung des Mitfliegens kein länger dauerndes Verhalten vorliegt. Angesichts der weitreichenden Konsequenzen und des deutlich zum Ausdruck kommenden Willens des ASt, quasi mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln eine Abschiebung trotz seiner vollziehbaren Ausreisepflicht zu verhindern, ist die Unredlichkeit des Verhaltens von solch großem Gewicht, dass ein dauerhafter Ausschluss des ASt von Leistungen auf dem Niveau des § 2 Abs. 1 AsylbLG gerechtfertigt erscheint.

Es versteht sich ohne Weiteres, dass das Verhalten des ASt auch bei generell-abstrakter Betrachtungsweise typischerweise geeignet war, die Dauer seines Aufenthalts in Deutschland zu verlängern. Ferner hat der Senat auch keinen Zweifel daran, dass der ASt sich dieser Wirkung bewusst war und sie bewusst und gewollt herbeigeführt hat. Die Situation, dass die Ausreisepflicht des ASt ohnehin durchgängig aus anderen Gründen nicht vollzogen werden konnte (vgl. BSG, Urteil vom 02.02.2010 – B 8 AY 1/08 R – juris), bestand nicht. Alleiniger Grund war vielmehr das Fehlen von Identitätsdokumenten bzw. einem Pass des ASt.

Dem ASt steht aber im hier streitgegenständlichen Zeitraum ein Anspruch auf Grundleistungen zu. Nach § 3 Abs. 1 AsylbLG erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung, Unterkunft, Heizung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgütern des Haushalts (notwendiger Bedarf). Zusätzlich werden ihnen Leistungen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens gewährt (notwendiger persönlicher Bedarf). Die Höhe des notwendigen und des notwendigen persönlichen Bedarfs legt § 3a AsylbLG (i.V.m. der Bekanntmachung vom 21.12.2022, BGBl. I, 2601) fest. Der ASt erfüllt die genannten Voraussetzungen. Er ist leistungsberechtigt, wie dargelegt, und verfügt über kein einzusetzendes Einkommen oder Vermögen (§ 7 AsylbLG).

Diesem Anspruch steht nicht die vom Ag vorgenommene Anspruchseinschränkung für die Zeit von August 2023 bis Januar 2024 entgegen. Diese wird auf § 1a Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AsylbLG (in der seit 01.09.2019 geltenden Fassung des Gesetzes vom 13.08.2019, BGBl. I, 1290, bzw. vom 15.08.2019, BGBl. I, 1294) gestützt. Danach erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 oder 5 AsylbLG, bei denen aus von ihnen selbst zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, ab dem auf die Vollziehbarkeit einer Abschiebungsandrohung oder einer Abschiebungsanordnung folgenden Tag keine Leistungen nach den §§ 2, 3 und 6 AsylbLG mehr, sondern grundsätzlich nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege.

§ 1a Abs. 3 AsylbLG fordert bereits nach seinem Wortlaut eine Kausalität zwischen dem Verhalten des Betroffenen und der Nichtvollziehbarkeit der Ausreise. Dieses Erfordernis ist nur erfüllt, wenn keine außerhalb des Verantwortungsbereichs des Leistungsberechtigten liegenden Sachverhalte mitursächlich für den Nichtvollzug der Abschiebung sind. Nur in den Fällen eines Fehlverhaltens des Leistungsberechtigten, das monokausal für seine Nichtabschiebung ist, ist die Anspruchseinschränkung verfassungsgemäß und verstößt im Einzelfall insbesondere nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2019 – B 7 AY 1/17 R; auch BSG, Urteil vom 12.05.2017 – B 7 AY 1/16 R; Urteil des Senats vom 26.09.2019 – L 8 AY 70/15 – alle nach juris). Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG kommt demnach auch nur so lange in Betracht, wie das rechtsmissbräuchliche Verhalten anhält. Daher wird eine Deckungsgleichheit (Kongruenz) von rechtsmissbräuchlichem Verhalten und Leistungszeitraum vorausgesetzt (vgl. Urteil des Senats vom 05.08.2020 – L 8 AY 28/19; BayLSG, Beschluss vom 26.08.2021 – L 19 AY 70/21 B ER – alle nach juris). Der Leistungsberechtigte muss das inkriminierte Verhalten jederzeit abstellen oder korrigieren können. Die Anspruchseinschränkung findet daher bei rechtskonformem Verhalten des Ausländers keine Rechtsgrundlage mehr (vgl. Oppermann in jurisPK-SGB XII, § 1a AsylbLG, Stand 27.02.2023, Rn. 88).

Der Senat kann offen lassen, ob die Beendigung des Aufenthalts des ASt in Deutschland im Zeitraum ab August 2023 tatsächlich ausschließlich daran scheitert, dass der ASt über keine Passpapiere verfügt und an der Beschaffung von Heimreisepapieren nicht (ausreichend) mitwirkt. Der ASt ist von der Ausländerbehörde mehrmals, zuletzt mit Schreiben vom 13.03.2023, über die Passpflichten und die Pflichten zur Mitwirkung an der Beschaffung von Heimreisedokumenten belehrt und zur Mitwirkung aufgefordert worden. Zudem hat ihn der Ag in der Anhörung vom 17.07.2023 darüber belehrt, dass das Fehlen der verlangten Mitwirkung zu leistungsrechtlichen Folgen in Form einer weiteren Anspruchseinschränkung führen würde.

Auch kommt eine weitere Verlängerung der Anspruchseinschränkung so nicht in Betracht. Nachdem im Fall des ASt die den streitgegenständlichen Zeitraum betreffende Anspruchseinschränkung an eine vorbestehende Einschränkung (Bescheid vom 19.01.2023) anschließt, sind auch die aus § 14 Abs. 2 AsylbLG sich ergebenden Anforderungen zu beachten. Diese Norm schreibt vor, dass die Anspruchseinschränkung bei fortbestehender Pflichtverletzung im Anschluss fortzusetzen ist, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiterhin erfüllt werden. Mit Blick auf das Grundrecht auf die Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wegen der verglichen mit anderen existenzsichernden Leistungssystemen deutlich reduzierten Leistungen des AsylbLG ist aber nicht nur eine restriktive Auslegung aller Tatbestände des § 1a AsylbLG geboten (vgl. Beschluss des Senats vom 28.10.2022 – L 8 AY 66/22 B ER – juris). Vielmehr ist dem auch bei der Anwendung des § 14 Abs. 2 AsylbLG Rechnung zu tragen. Die in § 14 Abs. 1 AsylbLG festgelegte Dauer der Anspruchseinschränkung von sechs Monaten ist zwar nicht als Obergrenze konzipiert. Nach Ablauf dieses Zeitraums bedarf es aber der Überprüfung von Amts wegen, ob die Anspruchseinschränkung aufrechtzuerhalten ist. Sie ist fortzusetzen, wenn die Pflichtverletzung fortbesteht und die gesetzlichen Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiterhin vorliegen. Die dann festzusetzende Frist hat sich an den Umständen des Einzelfalls zu orientieren (vgl. Beschluss des Senats vom 11.05.2022 – L 8 AY 27/22 B ER – juris). Der Senat hat zudem bereits in der Vergangenheit die Frage aufgeworfen, ob § 14 Abs. 2 AsylbLG unbefristete Kettenanspruchseinschränkungen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausschließt (vgl. Beschluss des Senats vom 21.11.2016 – L 8 AY 31/16 B ER – juris). Ein solcher Ausschluss wird teilweise angenommen (vgl. Oppermann in jurisPK-SGB XII, § 14 AsylbLG, Stand: 25.10.2021, Rn. 23). Andernorts wird eine Leistungseinschränkung nur bei zeitlicher Begrenzung (z.B. über drei Monate mit maximaler Verlängerung auf sechs Monate innerhalb eines Jahreszeitraums) und keinesfalls dauerhaft und auch nicht langjährig für zulässig erachtet (Sächs-LSG, Beschluss vom 11.01.2021 – L 8 AY 10/20 B ER – juris). Nach Auffassung des Senats entspricht es dem Konzept des § 14 Abs. 2 AsylbLG, die Fortwirkung einer Pflichtverletzung zeitlich zu beschränken, am besten und erlaubt es, dem Einzelfall ausreichend Rechnung zu tragen, wenn statt von einer stets gleich langen Verlängerungsmöglichkeit für die Anspruchseinschränkung von der Möglichkeit einer Befristung auf bis zu sechs Monate ausgegangen wird. Dies erfordert dann aber sowohl eine nicht nur oberflächliche und formale Prüfung des Einzelfalls, sondern eine Berücksichtigung aller relevanten, vor allem bedarfsbezogenen Umstände, die in einer nicht nur formelhaften Begründung zum Ausdruck kommen muss.

Daran fehlt es hier. Der Ag hat, wie gesehen, seit August 2020 dem ASt durchgängig nur mehr eingeschränkte Leistungen bewilligt und sich dabei stets auf § 1a Abs. 3 AsylbLG gestützt. Auch im Bescheid vom 28.07.2023 begründet er die nochmalige Verlängerung der Anspruchseinschränkung um sechs Monate mit einem Verstoß gegen ausländerrechtliche Mitwirkungspflichten. Wenn man nicht schon davon ausgeht, dass eine derart lange, hier über mehr als drei Jahre sich erstreckende Anspruchseinschränkung schon per se nicht mehr geeignet ist, so ergibt sich deren Unverhältnismäßigkeit zumindest im Einzelfall. Der Ag verweist zur Begründung seiner Entscheidung darauf, dass die Voraussetzungen der Anspruchseinschränkung weiterhin erfüllt seien. Der ASt sei seiner Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung nicht nachgekommen. Es hätten sich keine Änderung ergeben, die zu einer anderen Entscheidung führen könnten. Dieses Abstellen auf die ohnehin zu erfüllenden Voraussetzungen der fortgesetzten Anspruchseinschränkung berücksichtigt nicht mehr ausreichend den nicht unerheblichen Zeitraum, während dessen der ASt bereits mit deutlich reduzierten Leistungen auskommen musste. Hinzu kommt, dass der Ag außer Acht lässt, dass der ASt seit April 2022 eine Tochter hat, für die er auch die elterliche Sorge innehat. Wenngleich der ASt dazu nichts weiter vorgetragen hat, ist für den Senat auch nicht der Eindruck entstanden, dass der ASt das Sorgerecht tatsächlich nicht ausüben will. Vielmehr hat er bereits kurz nach bzw. zusammen mit der im Juni 2022 erfolgten Vaterschaftsanerkennung eine Umverteilung zu seinem Kind und der Kindsmutter beantragt. Dies zeigt sein Interesse, die elterliche Sorge auch auszuüben. Wenn er seitdem seine Tochter nicht regelmäßig besuchen konnte, ist dies primär auf nicht ausreichend vorhandene finanzielle Mittel des ASt zurückzuführen. Obgleich der ASt nicht vom nur gestatteten Aufenthalt seiner Tochter kein Aufenthaltsrecht ableiten kann, kommt dem Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG im Rahmen des § 14 Abs. 2 AsylbLG dennoch Gewicht zu. Eine Berücksichtigung hat aber nicht in erkennbarer Weise stattgefunden.

Damit bewertet der Senat die vorgenommene Anspruchseinschränkung als voraussichtlich rechtswidrig. Angesichts der dargelegten Umstände hält der Senat derzeit auch eine Anspruchseinschränkung mit kürzerem zeitlichen Umfang als sechs Monate nicht für gerechtfertigt. Vielmehr ist – zunächst – von einer weiteren Leistungskürzung gestützt auf § 1a Abs. 3 AsylbLG gänzlich abzusehen. Insofern kann der ASt auch nicht bloß darauf verwiesen werden, dass er konkrete Bedarf im Einzelfall geltend machen kann (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12.05.2021 – 1 BvR 2682/17; Beschluss des Senats vom 06.09.2022 – L 8 AY 73/22 B ER – alle nach juris).

Andere Tatbestände einer Anspruchseinschränkung sind ebenfalls schon nach ihren Voraussetzungen nicht gegeben. So hat sich der ASt nicht nach Deutschland begeben, um hier Leistungen nach dem AsylbLG zu erhalten (§ 1a Abs. 2 AsylbLG). Insofern muss der Wille, Sozialleistungen zu beziehen, im Zeitpunkt der Einreise vorhanden und prägend für den Einreiseentschluss gewesen sein; ein lediglich billigendes Inkaufnehmen genügt nicht (vgl. Urteil des Senats vom 09.03.2023 – L 8 AY 110/22 – juris, m.w.N.). Das ist aufgrund der Angabe des ASt gegenüber der ZAB bei der Befragung am 27.09.2019, das Ziel seiner Ausreise aus der Elfenbeinküste sei bereits 2015 Deutschland gewesen, nicht zu begründen. Dies sagt nicht aus, dass er hier Sozialleistungen beziehen wollte. Außerdem hat der ASt gegenüber dem BAMF im Asylverfahren vorgebracht, er habe sich in Spanien nicht sicher gefühlt und sei daher nach Deutschland weitergewandert. Überdies wäre auch bei einer auf einen anderen Tatbestand gestützt Anspruchseinschränkung zu berücksichtigen, dass ihr ein mehrjähriger Bezug von nur gekürzten Leistungen vorangeht. Auch mit Blick darauf dürfte sie zur Zeit ausscheiden.

Da somit keine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG zu rechtfertigen ist, stehen dem ASt bei summarischer Prüfung im streitgegenständlichen Zeitraum Grundleistungen zu.

Dabei besteht der Anspruch des ASt auf Grundleistungen im Umfang von § 3a Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AsylbLG, also nach Bedarfsstufe 1. Der Senat hat bereits zu der – inzwischen für verfassungswidrig erklärten (BVerfG, Beschluss vom 19.10.2022 – 1 BvL 3/ – juris) – vergleichbaren Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG entschieden (Urteil des Senats vom 29.04.2021 – L 8 AY 122/20 – juris), dass als ungeschriebene Voraussetzung zusätzlich zur Unterbringung in einer sog. Sammelunterkunft ein tatsächliches “Füreinandereinstehen” zu fordern ist. Dass dies im Fall des ASt gegeben ist, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit bekannt, lebt er derzeit nicht mit einer Partnerin bzw. einem Partner oder einer sonstigen Person, bei der ein wechselseitiges „Füreinandereinstehen“ anzunehmen sein könnte, zusammen.

Ein Anordnungsgrund ist wegen der existenzsichernden Funktion der Leistungen nach dem AsylbLG gegeben. Dass aus einer längerfristigen nicht gerechtfertigten Unterdeckung des vorhandenen lebensnotwendigen Bedarfs unzumutbare Folgen resultieren können, liegt auf der Hand. Daher kann der ASt entgegen der Ansicht des SG und des Ag nicht auf ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache verwiesen werden.

Bei der somit zu erlassenden einstweiligen Anordnung übt der Senat das ihm zukommende Ermessen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO) dahin aus, dass sie bis 31.01.2024 befristet wird. Dies ist ein ausreichend langer Zeitraum für eine einstweilige Anordnung über laufende existenzsichernde Leistungen. Der Zeitraum entspricht außerdem der Dauer der Leistungsbewilligung mit dem Bescheid vom 28.07.2023, so dass der Ag über Leistungen ab Februar 2024 ohnehin neu zu entscheiden hat und dabei die vorliegende Entscheidung berücksichtigen kann.

Der Senat belässt es in entsprechender Anwendung von § 130 Abs. 1 SGG bei der einstweiligen Verpflichtung zu Leistungen dem Grunde nach (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 24.06.2021 – B 7 AY 4/20 R – juris), da der zwischen den Beteiligten herrschende Streit zunächst und vor allem die Frage betrifft, ob die verfügte Anspruchseinschränkung rechtmäßig ist.

Nach alledem ist der Beschwerde zum größten Teil stattzugeben und wie tenoriert zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Sache.

Da somit hinreichenden Erfolgsaussichten bestanden und der ASt nicht über einzusetzendes Einkommen oder Vermögen verfügt, ist ihm für das Beschwerdeverfahren PKH ohne Ratenzahlung zu bewilligen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 ZPO) und sein Prozessbevollmächtigter beizuordnen (§ 121 Abs. 2 ZPO).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.