1.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 24.11.2010, – L 10 AS 2064/10 B PKH –
Hat der Hilfebedürftige aufgrund des harten Winters 2009 zusätzlich zu seiner bereits gewährten Brennstoffbeihilfe einen Ölradiator benutzt, ist die Stromkostennachforderung bei Fälligkeit als weiterer Heizkostenbedarf im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen.
Denn die Übernahme von Stromkosten für einen Ölradiator als (weitere) Aufwendungen für Unterkunft und Heizung iS des § 22 Abs 1 Satz1 bzw Satz 3 SGB II ist möglich, sofern sie für das Beheizen der Wohnung aufzubringen sind (vgl. BSG, Beschluss vom 26. Mai 2010 – B 4 AS 7/10 B, RdNr 8 mwN).
Erfasst werden nicht nur laufende Kosten, also etwa monatliche Stromkostenvorauszahlungen, sondern auch einmalige Kosten für Unterkunft und Heizung. Wird demnach eine Stromkostennachforderung – wie hier – in einer Summe fällig, handelt es sich im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit um einen tatsächlichen, aktuellen Bedarf iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II, wenn und soweit sie auf das Betreiben einer Heizungsanlage zurückzuführen ist. Ein gesonderter Antrag auf Deckung dieses Bedarfs ist nicht erforderlich (vgl BSG, Urteil vom 22. März 2010 – B 4 AS 62/09 R, RdNr 13f mwN).
In einem solchen Falle, in dem möglicherweise selbst die Einholung eines Sachverständigengutachtens keine eindeutige Klärung verspricht und zudem dessen Einholung – auch angesichts der Höhe des erhobenen Anspruchs – einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeuten könnte (Rechtsgedanke des § 287 Abs 2 ZPO; vgl BSG, Urteil vom 15. Dezember 2009 – B 1 AS 1/08 KL, RdNr 41ff), darf sich das Gericht – nicht – auf die Regeln der objektiven Beweislast berufen.
Vielmehr ist es – sofern es von der Einholung eines Gutachtens absehen will – jedenfalls verpflichtet, eine Schätzung nach § 287 Abs 1 ZPO iVm § 202 SGG vorzunehmen (vgl zur grds Anwendbarkeit des § 287 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren zB BSG, Urteil vom 28. Mai 2003 – B 3 P 6/02 R, RdNr 14 = SozR 4-3300 § 15 Nr 1 RdNr 12, jeweils mwN). Dies dürfte jedenfalls dann gelten, solange die Schätzung nicht über das "Ob", sondern nur über die Höhe der Leistung entscheidet.
++ Anmerkung: Vgl. dazu Sächsisches Landessozialgericht Beschluss vom 15.02.2010, – L 3 AS 598/09 B PKH -, veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 11/2010.
§ 22 SGB II spricht von Leistungen für Unterkunft und Heizung und legt bereits vom Wortlaut her keine Einschränkung auf bestimmte Heizanlagen nahe. Stromkosten für die elektrische Nutzung eines Heizstrahlers sind Heizkosten.
Der Stromverbrauch wird auf Grund einer Plausibilitätsprüfung der Angaben der Klägerin, der Stromrechnungen und der technischen Verbrauchsdaten des Heizstrahlers festgestellt oder gegebenenfalls geschätzt (§ 287 ZPO) werden müssen. Da diese Ermittlungen von Amts wegen (vgl. § 103 Abs. 1 Satz 1 SGG) anzustellen sind, ist im vorliegenden Fall – wie in der Regel – die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung im Sinne von § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO zu bejahen (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 23. Februar 2009 – L 3 B 740/08 AS-PKH – Rdnr. 10, m. w. N.).
++ Anmerkung zu BSG, Beschluss vom 26. Mai 2010 – B 4 AS 7/10 -, Vorinstanz Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.11.2009, – L 7 AS 92/07- , veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 06/2010.
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.11.2009, – L 7 AS 92/07-
Stromkosten, soweit sie den in der Regelleistung gemäß § 20 Abs. 1 SGB II enthaltenen Anteil überschreiten, sind vom Hilfebedürftigen selbst zu tragen.
BSG, Beschluss vom 26. Mai 2010 – B 4 AS 7/10 –
Zitat: Hinsichtlich der von dem Kläger aufgeworfenen Frage nach der Möglichkeit einer Berücksichtigung von Stromkosten für den Betrieb einer Heizungsanlage als (weitere) Aufwendungen für Unterkunft und Heizung iS des § 22 SGB II hat der Kläger eine Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dargetan.
Seit 1.8.2006 ergibt sich aus § 20 Abs 1 SGB II, dass die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts auch die Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile umfasst. Bereits für die Rechtslage vor dieser Klarstellung in § 20 Abs 1 SGB II durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) ist das BSG davon ausgegangen, dass die Übernahme der Stromkosten auf der Grundlage des § 22 SGB II voraussetzt, dass diese (zumindest teilweise) für das Beheizen der Wohnung aufzubringen sind (vgl BSG Urteil vom 19.2.2009 – B 4 AS 48/08 R – BSGE 102, 274 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 18; BSG Beschluss vom 16.7.2009 – B 14 AS 121/08 B – unter Hinweis auf BSG Urteil vom 27.2.2008 – B 14/11b AS 15/07 R – BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5 RdNr 21 ff).
++ Anmerkung: Vgl. dazu LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 6.5.2010,- L 7 AS 5876/09 B –
Kosten für den nicht zur Erzeugung von Heizenergie genutzten Haushaltsstrom sind aus der Regelleistung zu decken , sodass ein Anspruch auf Erhöhung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung um die Aufwendungen für Strom nicht besteht (vgl. BSGE 102, 274 (Rdnr. 27); ferner BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 5 (jeweils Rdnrn. 21 ff.); BSG, Beschlüsse vom 16. Juli 2009 – B 14 AS 121/08 B – und vom 28. August 2009 – B 8 SO 9/09 B – ).
Diesbezüglich anhängige Verfahren beim Bundessozialgericht:
LSG NSB Beschluss vom 27.04.2009 , – L 7 AS 354/06 – , Revision anhängig beim unter dem AZ.: – B 14 AS 51/10 R-
Zur Nichtberücksichtigung von Stromkosten für die Heizungspumpe, Außenbeleuchtung und Gartenpflege als Kosten der Unterkunft bei einem zum Schonvermögen selbst genutztem Hausgrundstück.
Bayerisches Landessozialgericht Urteil vom 10.06.2010,- L 7 AS 612/09 – , Revision anhängig beim unter dem AZ. : -B 14 AS 121/10 R –
Die Kosten für Warmwasser sind keine Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wenn sie auf Grundlage einer konkreten Erfassung des gesamten und des individuellen Warmwasserverbrauchs gemäß der Heizkostenverordnung (HeizKV) abgerechnet werden. Dies gilt auch für die Grundkosten und die Heiznebenkosten wie Betriebsstrom, Eichaustausch und Verbrauchsabrechnung.
1.2 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 24.11.2010, – L 10 AS 2195/10 B PKH –
Gemäß § 172 Abs 3 Nr 2 SGG ist die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe ausgeschlossen, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint.
Denn § 114 Satz 1 ZPO verlangt für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Erfüllung zweier Voraussetzungen, nämlich die Bedürftigkeit des Antragstellers nach dessen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen sowie die hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung. In diesem zweigeteilten System gehören die Regelungen zu den Formerfordernissen zu dem Teil, der die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse betrifft. Nach der Gesetzesbegründung zu § 172 Abs 3 Nr 2 SGG soll die Ablehnung von Prozesskostenhilfe jedoch nur mit der Beschwerde angefochten werden können, wenn die Erfolgsaussichten in der Hauptsache vom Gericht verneint wurden (vgl BT-Drucksache 16/7716 S 22 zu Nr 29). Demgemäß betrifft der Beschwerdeausschluss auch den Fall wegen einer fehlerhaften Erklärung die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht prüfen zu können, zumal sich anderenfalls ein Antragsteller durch Nichteinreichen oder Vorlage unvollständiger Unterlagen Zugang zur Beschwerdeinstanz eröffnen könnte (ebenso Landessozialgericht (LSG) Berlin Brandenburg, Beschluss vom 25. Februar 2010 – L 25 B 2170/08 AS PKH).
1.3 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Beschluss vom 08.10.2010, – L 29 AS 1420/10 B ER
Sanktionsbescheid ist nicht rechtswidrig, wenn der Leistungsträger nach dem SGB II in dem Bescheid nicht zugleich eine Regelung über die Bewilligung von ergänzenden Sachleistungen oder geldwerten Leistungen gemäß § 31 Abs. 3 S. 6 SGB II getroffen hat (anderer Auffassung Beschluss des Landessozialgerichtes Berlin-Brandenburg vom 16. Dezember 2008, Az. L 10 B 2154/08 AS ER).
Die als Ermessensleistung ausgestaltete Regelung des § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II gebietet die Betrachtung des Einzelfalls. Eine solche ist dem Antragsgegner aber nur möglich, wenn die Sanktion bereits angelaufen ist und der konkrete Sachverhalt offenbar wird. Im Rahmen einer von dem Leistungsträger durchzuführenden Ermessensentscheidung ist folglich die Reaktion des Hilfebedürftigen auf die vorherige Information über die ergänzenden Sachleistungen oder geldwerten Leistungen zu berücksichtigen.
Eine fehlende Reaktion des Hilfebedürftigen auf die Information über ergänzende Sachleistungen berechtigt doch zu Zweifeln an einem Bedarf für ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen. Insoweit ist es durchaus möglich, dass ein Hilfebedürftiger seinen Lebensunterhalt im Sanktionszeitraum möglicherweise auch auf andere Art und Weise decken kann, sei es durch Unterstützungsleistungen von Freunden oder Verwandten oder durch die Verwertung von gegebenenfalls vorhandenem liquidem Schonvermögen. Da es des Erlasses eines Verwaltungsaktes in derartigen Fällen nicht bedarf, ist auch schnelle Hilfe, z.B. durch Aushändigung eines Warengutscheins, möglich (vgl. Urteil des Landessozialgerichtes Mecklenburg-Vorpommern vom 3. August 2009, Az. L 8 B 216/09).
Mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Erbringung ergänzender Sachleistungen im (Sanktions-)Bescheid hat die Arge dem Gesetzeszweck von § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II ausreichend Rechnung getragen(gleicher Auffassung LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 10.12.2009 – L 9 B 51/09 AS ER -).
++ Anmerkung: Vgl. dazu Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschlüsse vom 01.12.2010, – L 19 AS 1862/10 B ER – und – L 19 AS 1863/10 B -, veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles KW 51/2010.
Ob ein Sanktionsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die Arge nicht zugleich eine ausreichende Entscheidung über die Bewilligung ergänzender Sachleistungen (§ 31 Abs. 3 S. 6 SGB II) getroffen hat, ist in der Rechtsprechung umstritten.
Denn ob und in welchem Umfang diese Entscheidung mit der Sanktionsentscheidung verknüpft werden muss, ist in der Rechtsprechung bisher nicht hinreichend geklärt (bejahend SG Berlin Beschl. v. 30.07.2010 – S 185 AS 19695/10 ER -; LSG NRW Beschl. v. 09.09.2009 – L 7 B 211/09 AS ER -; LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 16.12.2008 – L 10 B 2154/08 AS ER -; ablehnend LSG NRW Beschl. v. 13.08.2010 – L 6 AS 999/10 B ER – und Beschl. v. 10.12.2009 – L 9 B 51/09 AS ER -; LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschl. v. 03.08.2009 – L 8 B 260/09 -; vgl. auch LSG NRW Urt. v. 09.12.2009 – L 12 AS 18/09).
Dass die infolgedessen eintretende Minderung um 100 v.H. wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitgrundsatz mit Verfassungsrecht (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG) nicht in Einklang steht, ist insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeiten der Beschränkung der Absenkung auf 60 v.H., die nach dem Willen des Gesetzgebers dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen soll (BT-Drucks 16/1696 S. 25; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 31 Rn 108), sowie der Übernahme von Mietschulden durch den Leistungsträger gemäß § 22 Abs. 5 SGB II (vgl. dazu Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 31 Rn 95) ebenfalls nicht offensichtlich.
1.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 13.12.2010, – L 5 AS 149/10 –
Lebensversicherung ist grundsätzlich zur Finanzierung der Prozesskosten einzusetzen, eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Einsatz des Vermögens für den Hilfesuchenden eine Härte iSv § 90 Abs. 3 SGB XII bedeuten würde.
In Betracht kommt eine Beleihung der Versicherungspolice. Dadurch würde das nach den Angaben des Antragstellers der Altersvorsorge dienende Vermögen nicht aufgelöst, sondern lediglich verringert (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2010, Az. XII ZB 55/08, RN 19).
Allein die behauptete Zweckbestimmung der Alterssicherung vermag bei einer Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII keine allgemeine Härte iS des § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zu begründen (vgl. Hessisches LSG, Urteil v. 21. Mai 2010, Az. L 7 SO 78/06, RN 28).
LSG Hessen Urteil vom 21.05.2010, – L 7 SO 78/06 – , Revision anhängig beim BSG unter dem AZ. – B 8 SO 19/10 R –, veröffentlicht im Rechtsprechungsticker von Tacheles 25/2010.
Eine Lebensversicherung ist im Rahmen der Sozialhilfe als Vermögen einzusetzen. Eine Lebensversicherung ist nicht nach § 90 Abs. 2 Nr. 2 SGB 12 als Schonvermögen zur zusätzlichen Altersversorgung unberücksichtigt zu lassen, wenn es sich dabei nicht um Kapital iS des § 10a EStG oder des 11. Abschnitts EStG (sog. Riester-Rente) handelt
1.5 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Beschluss vom 24.11.2010, – L 2 AS 121/10 B –
Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die in der Literatur umstrittene Rechtsfrage, ob es sich bei der vorläufigen Leistungseinstellung bzw. der Mitteilung darüber um einen Verwaltungsakt handelt (dafür u. a. Winkler in LPK-SGB III, 1. Aufl, § 331 Rdnr. 15; dagegen Eicher im Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 2 Rdnr. 3 zu Abbildung 34).
1.6 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 06.05.2010, – L 12 AS 600/10 B ER –
Sanktion bei Verstößen gegen einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt ist – nicht – rechtswidrig
Die Eingliederungsvereinbarung, an die der Wortlaut der genannten Vorschrift anknüpft, ist in § 15 SGB II geregelt. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). In § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II wird der tragende Inhalt der Eingliederungsvereinbarung grob umrissen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II sollen die Regelungen der für die Eingliederung erforderlichen Maßnahmen durch Verwaltungsakt erfolgen, wenn eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande kommt. Hierzu hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 13/09 R – entschieden, dass es sich bei § 15 Abs. 1 SGB II um eine reine Verfahrensvorschrift handele, die das Verhalten und Vorgehen der Grundsicherungsträger – Arbeitsagentur und kommunaler Träger – steuern solle. Der Grundsicherungsträger treffe insoweit eine nicht justiziable Opportunitätsentscheidung darüber, welchen Verfahrensweg er zur Erfüllung des Ziels der Eingliederung des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen wähle, ohne dass dieser dadurch einen Rechtsverlust erleide. Hauptzweck des SGB II sei es, arbeitsfähige Arbeitslose wieder in das Erwerbsleben einzugliedern. Um dieses Ziel zu erreichen, sehe das SGB II in sachlicher Hinsicht vielfältige Instrumente und Förderleistungen vor, vor allem solche, die sich im Bereich der Arbeitsförderung nach dem SGB III bewährt hätten (BSG, a.a.O., Rdz. 14 m.w.N.).
Die Umsetzung der Konzepte obliege den Grundsicherungsträgern, wobei ihnen das Gesetz zwei Verfahrenswege hierfür an die Hand gebe. Nach Wortlaut, Gesetzesbegründung, systematischem Zusammenhang sowie Sinn und Zweck von § 15 Abs. 1 SGB II seien der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung sowie der Erlass eines eine Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakts zwei grundsätzlich gleichwertige Wege. Stelle man allein auf den Wortlaut des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II ab, lege dieser zwar nahe, dass der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung der Normalfall, der Erlass eines die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt die Ausnahme sein solle. § 15 Abs. 1 SGB II wende sich an die Arbeitsagentur und gebe ihr das Initiativrecht. Die Verwaltung könne vom Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung absehen und eine solche durch Verwaltungsakt schließen. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten werde, dass nur in atypischen und einzeln zu begründenden Fällen von dieser Grundregel abgewichen werden dürfe (Müller in Hauck-Nofz, SGB II, Stand VI/07, § 15 Rdz. 10; Berlit in LPK SGB III, 3. Auflage 209, § 15 Nr. 16) folge der Senat dem nicht. Aus Entstehungsgeschichte, systematischem Zusammenhang sowie Sinn und Zweck von § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergebe sich vielmehr, dass dem Grundsicherungsträger die Alternative des Erlasses eines Verwaltungsaktes schon dann zustehe, wenn ihm dies als der besser geeignete Weg erscheine. Danach treffe der jeweilige Sachbearbeiter die Entscheidung darüber, ob Verhandlungen mit dem Ziel des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung geführt werden oder die Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt ersetze bzw. von vornherein ein Verwaltungsakt über Eingliederungsleistungen erlassen werde, in der konkreten Situation unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls. Er könne aufgrund seiner Sach- und Personenkenntnis in der konkreten Situation am besten beurteilen, welcher Weg am ehesten einen raschen Eingliederungserfolg verspreche, ohne dass der Hilfebedürftige dadurch einen Rechtsverlust erleide. In der Sache habe die Entscheidung des Grundsicherungsträgers, welche Wege er gehe, keinen Einfluss auf den Anspruch des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auf die für ihn in Betracht kommenden Eingliederungsleistungen, denn deren Durchsetzung hänge nicht davon ab, ob diese in einer Eingliederungsvereinbarung oder in einem ersetzenden Verwaltungsakt festgelegt worden seien. Die Möglichkeit des gleichwertigen Handelns durch Erlass einer Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt werde auch durch die Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II gedeckt. Im Gesetzgebungsverfahren sei zwar ein partnerschaftlicher Umgang zwischen Träger und Hilfebedürftigen beim Zustandekommen der Eingliederungsvereinbarung gefordert worden, – der ursprünglich vorgesehene Begriff "Festlegen" sei letztlich durch das Wort "vereinbaren" ersetzt worden – jedoch sei die weitergehende Forderung, durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten, dass im Fall von Differenzen beim Abschluss und Einhalten der Eingliederungsvereinbarung die Interessen des Hilfebedürftigen gewahrt wurden, nicht umgesetzt worden. Die Einseitigkeit der Durchsetzungsmöglichkeit im Hinblick auf die Vorstellung des Grundsicherungsträgers sei damit im Gesetz nicht eingeschränkt worden (BSG, a.a.O., Rdz. 18 m.w.N.).
Auch unter systematischen Gesichtspunkten ergebe sich kein Vorrang der Eingliederungsvereinbarung gegenüber dem Verwaltungsakt. Verhandlungen über oder der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung seien auch nicht deshalb im rechtlichen Interesse des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, weil der Hilfebedürftige auch auf diese Weise in Gestalt eines darin geregelten Leistungsversprechens des Grundsicherungsträgers zu der seine Hilfebedürftigkeit überwindenden Eingliederungsleistung gelangen könnte. Einer Eingliederungsvereinbarung bedürfe es nicht, um einen Leistungsanspruch des Hilfebedürftigen zu begründen. Vielmehr könne jede der im SGB II für den Kreis der Leistungsberechtigten vorgesehenen Eingliederungsleistungen vom erwerbsfähigen Hilfebedürftigen beantragt werden. Über einen derartigen Antrag habe der Grundsicherungsträger alsdann durch überprüfbaren Verwaltungsakt zu entscheiden. Ähnliches gelte für den Fall, dass eine Eingliederungsvereinbarung ohne Zutun des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nicht zustande komme; der Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a SGB II greife hier nicht. Die Eingliederungsvereinbarung solle auch dann nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II durch Verwaltungsakt des Grundsicherungsträgers erfolgen. Soweit der erwerbsfähige Hilfebedürftige nicht mit den dortigen Regelungen einverstanden sei, könne er diesen Verwaltungsakt durch Anfechtung zur Überprüfung stellen (BSG, a.a.O. Rdz. 19 ff. m.w.N.).
Quelle: Tacheles Leser
++ Anmerkung: Vgl. dazu SG Düsseldorf Beschluss vom 18.06.2010,- S 20 AS 2234/10 ER –
Keine Sanktion bei Verstößen gegen einen die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt
Die Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b SGB II sanktioniert nach ihrem Wortlaut jedoch nur Verstöße gegen die Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung i. S. v. § 15 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts kann die Vorschrift nicht dahingehend erweitert ausgelegt werden, dass sie auch Verstöße gegen die Verpflichtung aus einem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt sanktioniert. § 31 SGB II ist als Sanktionsnorm, die für Hilfesuchende gravierende Folgen hat, eng am Wortlaut der Regelung orientiert auszulegen. Eine ungewollte Regelungslücke des Gesetzgebers ist nicht erkennbar, denn die Nichterfüllung von Pflichten aus einem Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II kann je nach Inhalt der Pflichten den Sanktionstatbestand des § 31 Ab. 1 Satz 1 Nr. 1c SGB II erfüllen (vgl. z.B. LSG NRW, Beschluss vom 08.07.2009, Az. L 19 B 140/09 ER mwN).
2. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Sozialgericht Gießen, Urteil vom 28.10.2010, – S 25 AS 775/10 –
Konzept des Landkreises Gießen zu Kosten der Unterkunft ist nicht schlüssig.
2.2 – Sozialgericht Düsseldorf Urteil vom 06.12.2010, – S 10 AS 2905/10 –
Zieht ein Hilfebedürftiger lange vor der Antragstellung auf ALG II bei einer Frau zur Untermiete ein, muss nicht zwangsläufig gleich eine eheähnliche Gemeinschaft vorliegen.
Denn gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II i.d.F. ab dem 01.08.2006 gehört zur Bedarfsgemeinschaft als Partner eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Nur wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist ihre Lage mit derjenigen "nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten" im Hinblick auf die verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar (BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/87; dass., Beschluss vom 2. September 2004 – 1 BvR 1962/04).
Dieser Wille wird nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II u.a. dann vermutet, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben. Auf diese Weise soll dem Leistungsmissbrauch durch falsche Angaben zu den häuslichen Verhältnisse entgegengewirkt werden (amtl. Begr. BT-Drs. 16/1410, S. 29). Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist anhand von Hilfstatsachen (Indizien) und einer Gesamtwürdigung festzustellen, ob eine Einstandsgemeinschaft im obengenannten Sinne vorliegt (LSG NRW, Beschluss vom 14.07.2006 – L 9 B 63/06 AS ER). Insoweit löst jedoch nicht jede Form des Zusammenlebens, sondern nur ein "qualifiziertes" Zusammenleben in einer Haushaltsgemeinschaft, die Vermutungsfolge des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II aus. Die Vorschrift ist insoweit verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der Vermutungstatbestand erst dann erfüllt ist, wenn die Personen als Partner zusammen wohnen und zusammen wirtschaften, was vom SGB II-Träger nachzuweisen ist (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 28.11.2007 – L 1 B 55/07 AS ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 10.09.2007 – L 9 AS 439/07 ER).
3. Fragen und Antworten zur Grundsicherung nach dem SGB II
Muss der Grundsicherungsträger nach dem SGB II Umzugskosten gewähren, wenn der Umzug durch den Leistungsträger nicht veranlasst wurde oder aus anderen Gründen notwendig war?
Gemäß § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II können Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II soll die Zusicherung erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Bei der nach § 22 Abs. 3 SGB II erforderlichen vorherigen Zusicherung handelt es sich um eine Anspruchsvoraussetzung (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7 b AS 10/06 R – ). Die Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers muss in der Regel vor dem Zeitpunkt erfolgen, zu dem die durch § 22 Abs. 3 SGB II ersetzbaren Kosten in rechtlich relevanter Weise begründet werden.
Der Hilfebedürftige hat keinen Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II, weil der konkrete Umzug nicht von der Behörde veranlasst wurde oder aus anderen Gründen notwendig war. § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II bestimmt, dass die Zusicherung erteilt werden soll, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Hieraus ergibt sich für den Regelfall eine Pflicht des Trägers, eine Zusicherung zu erteilen. Der Anspruch des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen geht dabei auf die angemessenen Kosten des Umzugs im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II (BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 14 AS 7/09 R –).
Handelt es sich nicht um einen vom Träger veranlassten oder aus anderen Gründen notwendigen Umzug im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II, greift zu Gunsten des Hilfebedürftigen die Auffangnorm des § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II ein, die grundsätzlich für den Fall des nicht notwendigen bzw. veranlassten Umzugs einschlägig ist (vgl. BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 14 AS 7/09 R – ). § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II räumt dem Leistungsträger bei der Übernahme der Umzugskosten Ermessen ein. Das Ermessen betrifft sowohl das Ob der Übernahme der Umzugskosten als auch die Höhe der Umzugskosten. Dies folgt aus der Verwendung des Wortes können, das sich nach dem Wortlaut der Norm sowohl auf das Ob als auch auf die Höhe der Bewilligung von Umzugskosten bezieht (BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 14 AS 7/09 R – ).
Hierbei wird zu berücksichtigen sein, dass nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen müssen. Die in § 2 SGB II zum Ausdruck gekommene Obliegenheit zur Eigenaktivität kann als Auslegungshilfe bei der Anwendung und Interpretation aller Regelungen, die Rechte und Pflichten der Leistungsberechtigten normieren, herangezogen werden. Hieraus ist abzuleiten, dass der Hilfebedürftige im Rahmen eines aus Steuermitteln finanzierten Fürsorgesystems gehalten ist, einen Umzug grundsätzlich selbst zu organisieren und durchzuführen. Als notwendige Umzugskosten können daher bei der Ermessensentscheidung gemäß § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II insbesondere die Aufwendungen für einen erforderlichen Mietwagen, die Anmietung von Umzugskartons, die Kosten für Verpackungsmaterial und Sperrmüllentsorgung und die üblichen Kosten für die Versorgung mithelfender Familienangehöriger und Bekannter zu übernehmen sein (BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 14 AS 7/09 R –).