Tacheles Rechtsprechungsticker KW 35/2017

1.   Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum SGB II

1.1 – BVerfG vom 01.08.2017 – 1 BvR 1910/12

Hartz-Vier-Empfänger – Mehr Rechte bei Wohn- und Heizkosten
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Versagung vorläufiger Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung
Das BVerfG hat entschieden, dass die Sozialgerichte in Eilverfahren zu den Kosten der Unterkunft und Heizung prüfen müssen, welche negativen Folgen den Betroffenen im konkreten Einzelfall drohen und die Eilbedürftigkeit nicht nur pauschal darauf beziehen dürfen, ob schon eine Räumungsklage erhoben worden ist.

Quelle: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 72/2017 v. 22.08.2017: www.juris.de

Zum Volltext: harald-thome.de

Artikelhinweis:
Bundesverfassungsgericht zu Unterkunftskosten in Eilverfahren
Räumungsklage keine Voraussetzung für Anordnungsgrund, ein Beitrag von Herbert Masslau

weiter: www.herbertmasslau.de

2.   Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 24.08.2017 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

2.1 – BSG, Urteil v. 24.08.2017 – B 4 AS 9/16 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Einkommensberücksichtigung und -berechnung – Aufwandsentschädigung für die ehrenamtliche Tätigkeit als Betreuer – keine nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zweckbestimmte Einnahme – jährliche Auszahlung in Form eines Pauschalbetrags – Absetzung des monatlichen Freibetrages nur einmalig im Zufluss- bzw Folgemonat |

Ist bei der Zahlung von Aufwendungsersatz nach § 1835a BGB (jährlicher Pauschbetrag) ausnahmsweise eine Verteilung der einmaligen Einnahme auf mehrere Monate vorzunehmen?
Aufwandsentschädigungen aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit als Betreuer (§ 1835a BGB) sind anrechenbares Einkommen, welche monatlich zu berücksichtigen sind unter Berücksichtigung des Freibetrages nach 11b Abs 2 Satz 3 SGB II.

Leitsatz (Redakteur)
1. Aufwandsentschädigungen nach §§ 1908i, 1835a BGB gehören nicht zu den nach § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II nicht zu berücksichtigenden Einkommensarten, denn es handelt sich nicht um Einnahmen, die in ihrer Verwendung zweckbestimmt sind.

2. Der Freibetrag ist monatlich und nicht etwa als Jahresfreibetrag in Höhe von 12 x 200 Euro zu berücksichtigen. § 1835a Abs 2 BGB schreibt zwar zwingend eine jährliche Zahlung der Pauschale vor. Für den Freibetrag gilt aber das Monatsprinzip. Dies hat das BSG in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach herausgestellt.

Quelle: juris.bundessozialgericht.de

3.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

3.1 – Sächsisches Landessozialgericht, Urt. v. 18.05.2017 – L 3 AS 758/16 – Revision anhängig beim BSG unter dem Az. : B 14 AS 30/17 R

Zu der Frage, ob in Rückforderungssituationen ein fiktiver Vermögensverbrauch berücksichtigt werden kann (hier verneinend)

Leitsatz (Redakteur)
1. Wenn eine Leistung bewilligt wird, auf die wegen fehlender Hilfebedürftigkeit kein Anspruch besteht, ist diese Bewilligung insgesamt rechtswidrig. Bei der Beurteilung dieser Leistung kann nicht danach differenziert werden, ob ein Anspruch geltend gemacht wird oder ob die Bewilligung der Leistung aufgehoben werden soll. Überlegungen zur Differenzierung bei der Anrechnung verschwiegenen Vermögens im Falle der Leistungsgewährung einerseits und der Rückforderung dieser Leistungen andererseits können auch nicht im Rahmen des § 50 SGB X angestellt werden. Wenn eine Bewilligung aufgehoben worden ist, sieht § 50 SGB X vielmehr strikt vor, dass die aufgehobene Leistung vollständig zu erstatten ist. Damit kann eine Rückforderung auch nicht auf einen Zeitraum begrenzt werden, in dem die Hilfebedürftigkeit mit dem anrechenbaren Vermögen sicherzustellen gewesen wäre (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. März 2010 – L 5 AS 2340/08; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Juli 2011 – L 12 AS 4994/10 – info also 2011, 223 ff; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 3. April 2014 – L 7 AS 827/12 – ZfF 2015, 186 ff; Hess. LSG, Urteil vom 18. März 2016 – L 7 AS 730/14; a. A. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25. Juli 2012 – L 5 AS 56/10 –).

2. Maßgebend ist stets der aktuelle Bedarfszeitraum, so dass es auf das in diesem Zeitraum vorhandene Vermögen ankommt. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität ist der Hilfebedürftige solange auf sein Vermögen zu verweisen, bis es verbraucht ist. Entsprechend ist auch im Erstattungsfall die gesamte überzahlte Leistung zurückzufordern, ohne Beschränkung auf die Höhe des verwertbaren Vermögens. Eine Bilanzierung der Gestalt, dass der Wert des anzurechnenden Vermögens dem im Anspruchszeitraum entstandenen Bedarf gegenübergestellt wird und Leistungen insoweit zu gewähren sind, als ein Bedarfsüberhang verbleibt, sieht das Gesetz nicht vor.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

Rechtstipp:
Ebenso LSG NRW; Urt. v. 29.06.2017 – L 7 AS 395/16 – Revision zugelassen

3.2 – Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern 10. Senat, Urteil vom 11.07.2017 – L 10 AS 333/16

Leitsatz (Juris)
1. Bei der Bildung von Vergleichsräumen hat der Ersteller einer KdU-Richtlinie zu beachten, dass auch der Gesunde und vollkommen Ungebundene Leistungsempfänger einen Anspruch darauf hat, dass sein bisheriges Wohnumfeld erhalten bleibt, wenn er auf staatliche Leistungen angewiesen ist. Der Vergleichsraum ist danach so zu bilden, dass in dem betreffenden Gebiet abstrakt jeglicher Umzug zumutbar ist. In Rahmen der konkreten Zumutbarkeit sind ausschließlich subjektive Gesichtspunkte – soziales Umfeld, Gesundheit etc. – zu berücksichtigen.

2. Im Rahmen eines schlüssigen Konzeptes, dass auf einem häufigkeitsorientierten methodischen Ansatz basiert, ist eine sachgerechte Bestimmung der Mietobergrenze ausschließlich aufgrund von Neuvertragsmieten möglich. Eine reine Ergebniskontrolle anhand von Angebotsmieten, kann zumindest dann nicht genügen, wenn die Anzahl der erhobenen Angebotsmieten nur einen Bruchteil der in die Berechnungen eingeflossenen Anzahl der Bestandsmieten erreicht.

Quelle: www.landesrecht-mv.de

Rechtstipp:
a. A. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 15. Februar 2013 – L 7 AS 78/12 und Thüringer Landessozialgericht, Urteil vom 08. Juli 2015 – L 4 AS 718/14 – welche für Großkreise ihrer Zuständigkeitsbereiche die Festlegung eines das gesamte Kreisgebiet umfassenden Vergleichsraumes gebilligt haben.

3.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. vom 18.01.2017 – L 5 AS 141/16

Zur Anrechnung von Betriebs- und Heizkostenguthaben

Leitsatz (Juris)
1. Betriebskostenguthaben sind gemäß § 22 Abs 3 SB II aF mit ihrem vollen Betrag auf die KdU anzurechnen, auch wenn im Abrechnungszeitraum Teile der Unterkunftskosten aus der Regelleistung aufgebracht wurden.

2. Eine gleichmäßige Verteilung des Betriebskostenguthabens auf 6 Monate ist unzulässig, weil diese nur auf die KdU angerechnet werden und die Regelleistung verbleibt (aA: Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt im Schreiben vom 4. Februar 2013).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 31.01.2017 – L 4 AS 154/14

Zur Unaufklärbarkeit der Hilfebedürftigkeit bei Einnahmen aus entgeltlicher Personenbeförderung (“Schwarztaxifahrten” gegen “Aufwandsentschädigung”) und fehlenden Angaben zu deren Höhe

Leitsatz (Redakteur)
1. Im Ergebnis ist die Einkommenssituation des Klägers nicht aufklärbar. Allein deshalb ist von seiner fehlenden Hilfebedürftigkeit auszugehen. Zwar enthält weder das SGB II noch die Alg II-V eine dahingehende Vermutung, dies schließt gleichwohl nicht aus, dass die Nichtauf-klärbarkeit der Einkommenssituation ausnahmsweise nach den allgemeinen Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Leistungsberechtigten geht (vgl. BSG, Urteil vom 15. Juni 2016, Az.: B 4 AS 41/15).

2. Denn der fehlende Nachweis von erheblichen Tatsachen (hier: die Höhe des Einkommens) kann zu Lasten des Leistungsempfängers gehen, wenn die Beweislage maßgeblich auf dessen fehlender Mitwirkung beruht. Ist dem Leistungsempfänger die Beweislast für eine Tatsache aufzuerlegen, ist er bei Unaufklärbarkeit so zu behandeln, als ob das entsprechende Tatbestandsmerkmal durchgehend nicht vorgelegen hat, ohne dass für eine Überprüfung noch Raum bleibt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.5 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 02.08.2017 – L 5 AS 1357/17 B ER – rechtskräftig

Aufrechterhaltung Erwerbstätigeneigenschaft

Leitsatz (Juris)
1. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen gem. § 2 Abs. 3 S 1 Nr. 2 FreizügG/EU das Recht nach § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1 FreizügG/EU unberührt bleibt.

2. Zu der Frage, ob dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende gem. § 41a Abs. 7 S 1 Nr. 1 SGB II eingeräumte Ermessen aufgrund des existenzsichernden Charakters der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II auf Null reduziert ist.

3. Zum Verhältnis zwischen Anordnungsgrund und Arbeitsbemühungen.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.6 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 17.07.2017 – L 18 AS 1423/17 B ER – rechtskräftig

Antrag auf Zwangsvollstreckung – bezifferte Geldforderung – Zwangsgeld – zuständiges Vollstreckungsgericht

Leitsatz (Redakteur)
Die Vollstreckung von bezifferten Geldforderungen aus einer einstweiligen Anordnung des SG richtet sich nach § 198 Abs. 1 SGG iVm § 882a Zivilprozessordnung (ZPO), wobei es der Einhaltung einer Wartefrist nach § 882a Abs. 5 ZPO nicht bedarf. Zuständiges Vollstreckungsgericht ist nach §§ 198 Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 764, 828 Abs. 2 ZPO das Amtsgericht, bei dem der Schuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (vgl Beschluss des erkennenden Senats vom 24. Juli 2012 – L 18 AS 1772/12 B ER -).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.7 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.01.2017 – L 31 AS 1858/16

Herbeiführen der Hilfebedürftigkeit – Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten – Erstattungsumfang – Kausalität

Leitsatz (Redakteur)
Zum Ersatzanspruch des Hilfebedürftigen nach § 34 SGB II (hier bejahend).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.8 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.07.2017 – L 32 AS 1879/14

Eine nebenberufliche Honorartätigkeit, die nach § 3 Nr. 26 EStG privilegiert ist, ist auch nach § 11b Abs. 2 Satz 3 SGB II privilegiert.

Leitsatz (Redakteur)
Das Honorar für die Tätigkeit im Rahmen einer schulischen Arbeitsgemeinschaft – Hör-Werkstatt an einer Schule für ca 10 Kinder – ist nach § 3 Nr 26 EStG steuerprivilegiert und demnach mit dem höheren Freibetrag des § 11b Abs 2 Satz 3 SGB II auch grundsicherungsrechtlich privilegiert.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.9 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 13.07.2017 – L 18 AS 2695/16

Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung – Unbilligkeitsverordnung

Leitsatz (Redakteur)
Zur Rechtmäßigkeit einer Aufforderung des Beklagten an den Kläger, die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters zu beantragen (hier bejahend).

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

3.10 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 19.07.2017 – – rechtskräftig

EU-Ausländer – Beschäftigungsverhältnis – tatsächliche Arbeitsleistung

Rumänische Antragstellerin kann sich nicht auf einen (nachwirkenden) Status als Arbeitnehmerin nach § 2 Abs. 2 und 3 Freizügigkeitsgesetz/EU berufen, denn Nach den Beschlüssen des Senats vom 18. März 2016, L 31 AS 248/16 B ER, vom 17. Februar 2015, L 31 AS 3100/14 B ER, zitiert nach juris und vom 19. September 2016, L 31 AS 2058/16 B ER reicht ein Umfang einer Tätigkeit von etwa einer Stunde täglich, bzw. sieben Stunden wöchentlich oder 20 Stunden monatlich nicht aus, um die Arbeitnehmereigenschaft zu begründen.

Leitsatz (Juris)
1. § 2 Abs 2 und 3 FreizügG/EU schützt allein eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt, die tatsächlich bestanden hat und nicht eine nicht in Vollzug gesetzte Vereinbarung.

2. Ist reisefähigen Inhaberinnen eines sog. “Schengentitels” bei Schwangerschaft oder nach der Geburt die Rückreise in das Ausstellerland nach der Verwaltungspraxis der Ausländerbehörde zumutbar, ist nicht ersichtlich, warum nicht auch reisefähige Unionsbürgerinnen in ihr Heimatland zurückkehren könnten.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

4.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)

4.1 – SG Rostock, Urteil vom 22.06.2017 – S 13 AS 845/14

Leitsätze Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Kiel

1. Die Mietobergrenzen der Hansestadt Rostock beruhen auf einem „schlüssigen Konzept“ im Sinne der Rechtsprechung des BSG.

2. Ein Umzug ist erforderlich im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, wenn eine sozial untypisch kleine Wohnung bewohnt wird. Dies ist bei einer 60jährige Leistungsberechtigten bei einer Wohnfläche mit nur 29,60 qm zu bejahen.

3. Der Auszug aufgrund der Beengtheit der Wohnverhältnisse kann aus gesundheitlichen Gründen sowie zur Aufrechterhaltung der Erwerbsfähigkeit erforderlich sein (vorliegend bejaht).

4. Der Grundsatz “Keine Deckelung der Unterkunftskosten bei Neueintritt der Hilfebedürftigkeit” (BSG, Urteil vom 09.04.2014, B 14 AS 23/13 R) durch die Erzielung von bedarfsdeckendem Einkommen in mindestens einem Monat scheitert nicht daran, dass der Arbeitgeber das Monatseinkommen verteilt auf zwei Monate ausgezahlt hat; auch die Entgeltersatzleistung Krankengeld zählt zum Einkommen.

5. Die nicht vorhersehbare vorzeitige Beendigung eines Arbeitsverhältnisses lässt den plausiblen Grund für den Umzug auch nicht nachträglich wieder entfallen.

Volltext hier: sozialberatungkiel.files.wordpress.com

sozialberatung-kiel.de

Hinweis D. Brock:
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 18.04.2017 – L 4 AS 160/17 B – rechtskräftig

Wohnungsgrößen von 20 bis 30 m² für eine Einzelperson sind beengt, jedoch nicht unüblich oder per se unzumutbar.

Leitsatz
Eine Wohnfläche von 24 m² für einen Einpersonenhaushalt führt – für sich genommen – nicht zu unzumutbaren Wohnverhältnissen. Ohne das Hinzutreten besonderer Umstände im Einzelfall ist ein Umzug nicht erforderlich (hier verneinend – Kläger hat die derzeit bewohnte Wohnung aus eigenem Antrieb und Entschluss angemietet, ohne dass geltend gemacht worden wäre, dass der Bezug dieser Wohnung von vornherein nur eine vorübergehende Notlösung gewesen wäre).

4.2 – Sozialgericht Berlin, Urt. v. 04.05.2017 – S 102 AS 18536/14 – rechtskräftig

Erstattungsanspruch zwischen Leistungsträgern – Klageart im Gleichordnungsverhältnis – Erstattungsanspruch der Krankenkasse bei nachträglichem Entfallen des Anspruchs auf Krankengeld

Leitsatz (Juris)
1. Im Erstattungsstreit zwischen zwei Leistungsträgern ist die Klage als reine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG zulässig, da zwischen den Parteien des Erstattungsverlangens kein Subordinationsverhältnis besteht, die Leistungsträger sich vielmehr im Gleichordnungsverhältnis gegenübertreten.

2. Der Erstattungsanspruch der Krankenkasse bei nachträglichem Entfallen des Krankengeldanspruchs gem. § 50 Abs. 1 S. 1 SGB 5 richtet sich nach § 103 SGB 10 und gehört zur zweiten Rangklasse gemäß § 106 Abs. 1 Nr. 3 SGB 10. Er geht damit dem Erstattungsanspruch des Trägers der Grundsicherung für Arbeitssuchende gem. § 40a S. 2 1. Alt. SGB 2 vor, der wegen der Bezugnahme auf § 104 SGB 10 zur dritten Rangklasse gemäß § 106 Abs. 1 Nr. 4 SGB 10 gehört

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

5.   Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

5.1 – Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 22.06.2017 – L 9 SO 218/15

Zur Berücksichtigung von Kontoführungsgebühren gemäß § 82 Abs. 2 Nr. 4 des SGB XI) als vom Einkommen abzusetzende Ausgaben (hier verneinend).

Kontoführungsgebühren sind mit dem Regelsatz abgegolten.

Leitsatz (Redakteur)
1. Die Kontoführungsgebühren des Klägers können von seinem Renteneinkommen nicht mindernd abgezogen werden. Der Absetzungstatbestand des § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII folge sozialhilferechtlichen Zwecken und ist deshalb nicht mit dem Einkommensteuerrecht und dessen Regeln über Werbungskosten zu vergleichen.

2. Ausgaben können notwendig sein, wenn Ausgaben und Einnahmen einander bedingen und sich die Ausgaben im Rahmen vernünftiger Wirtschaftsführung halten (vgl. BSG, Urteil vom 19.06.2012 – B 4 AS 163/11 R; Schmidt in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB XII, 2. Auflage 2014, § 82 Rn. 81ff.). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

3. Die Kontoführungsgebühren sind nach § 5 Abs. 1 RBEG in Abteilung 12 berücksichtigt.

Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de

6.   Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)

6.1 – Sozialgericht Mannheim, Urteil vom 20. März 2017 (Az.: S 9 SO 1237/14):

Leitsatz Dr. Manfred Hammel
Für die Zuerkennung eines Mehrbedarfszuschlags gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII ist der tatsächliche Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 SGB VI) nicht Anspruchsvoraussetzung. Voraussetzung ist hier lediglich, dass eine dauerhafte, volle Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI vorliegt. Dies muss bejaht werden, wenn die sozialmedizinische Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für eine leichte körperliche Tätigkeit auf nicht absehbare Zeit nur noch weniger als drei Stunden täglich umfasst.
Es entspricht der Verantwortung eines Sozialhilfeträgers, bereits im Verwaltungsverfahren ein schlüssiges Konzept zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten (§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) zu entwickeln.
Dieser zentralen Anforderung wird nicht entsprochen, wenn der kommunale Träger hier lediglich stadtteilbezogen unterschiedliche Quadratmetermieten ermittelt und für angemessen hält. Dies steht mit der vom Bundessozialgericht vertretenen Vorgabe, dass sich in städtischen Gebieten der Vergleichsraum grundsätzlich auf das gesamte Stadtgebiet zu erstrecken hat, nicht in Übereinstimmung. Alles andere führt dazu, eine Gettoisierung von Sozialleistungsbeziehern in bestimmten Stadtteilen mit niedrigen Mieten zu fördern.
Entsprechendes gilt gerade dann, wenn Leistungsbezieher/innen die Möglichkeit, auch eine Wohnung in einem anderen (“höherwertigen”) Stadtteil unter Berücksichtigung der dort angemessenen Kosten der Unterkunft anmieten zu können, innerhalb der Kostensenkungsaufforderung nur auf Nachfrage, nicht aber von Amts wegen mitgeteilt wird.
Eine Bildung stadtteilbezogener Angemessenheitswerte unter Differenzierung nach Baujahresaltersklassen (hier: erst ab 1945) gewährleistet nicht, dass die auf diese Weise zustande gekommenen Höchstwerte für die angemessene Quadratmetermiete gerade für kleinere Wohnungen die realen Verhältnisse auf dem dortigen Wohnungsmarkt abbilden, wenn in die Berechnung der Richtwerte diejenigen Stadtteile mit einem hohen Anteil von Ein-Zimmer-Wohnungen nur mit einem sehr niedrigen Prozentsatz einfließen.
Es begegnet hier erheblichen Zweifeln, ob gerade für alleinstehende Leistungsempfänger/innen auf dem örtlichen Mietwohnungsmarkt kleinere (Ein-Zimmer-) Wohnungen problemlos zugänglich sind, die den vom Sozialhilfeträger gebildeten Angemessenheitsgrenzen (§ 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) genügen.
Wenn seitens des Sozialhilfeträgers hier kein schlüssiges Konzept vorgelegt wird bzw. auch nicht nachgebessert wird und auch vom Sozialgericht nicht mit vertretbarem Aufwand hergestellt werden kann, sind die anerkennungsfähigen Kosten der Unterkunft und Heizung in angemessener Höhe in Anlehnung an die Werte des Wohngeldgesetzes (WoGG) zu ermitteln. Hier sind die maßgeblichen Tabellenwerte noch um einen Sicherheitszuschlag von zehn v. H. zu erhöhen.
 
Artikelhinweis: Mietzuschüsse sind zu gering
Der Heidelberger Mietmarkt ist angespannt. Besonders betroffen sind Hartz-IV-Empfänger/innen, die kaum „angemessene“ Wohnungen finden – also Wohnungen, deren Warmmiete unter dem von der Stadt veranschlagten Maximalwert liegt. So mussten 2015 1200 Haushalte im Schnitt monatlich 80 € zur Miete zuzahlen – für die Betroffenen viel Geld.
2015 hatten wir daher gefordert, dass die Stadt ein neues schlüssiges Konzept zur Berechnung erstellen soll, das der tatsächlichen Lage Rechnung trägt. Nun hat das Sozialgericht Mannheim in einem ersten Urteil (Aktenzeichen S 9 So 1237/14) die aktuelle Berechnungsgrundlage der Stadt als nicht schlüssig verworfen. Dies gilt auch für Rentner/innen, die Leistungen nach SGB XII (Grundsicherung) erhalten.
Für die Stadt heißt es jetzt handeln!

dielinke-hd.de

7.   Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern

7.1 – Kein Geld bei Fristversäumnis

22.8.2017 – Ein Arbeitsloser, der es versäumt, rechtzeitig einen Folgeantrag auf die Bewilligung von Arbeitslosengeld II zu stellen, hat grundsätzlich keinen Anspruch auf rückwirkende Leistungen. Das gilt selbst dann, wenn er aus nachgewiesenen gesundheitlichen Gründen daran gehindert war, den Antrag rechtzeitig zu stellen, so das Sozialgericht Mainz in einem Urteil vom 1. Dezember 2016 (S 10 AS 816/15).

Hintertür offengelassen

Eine weitergehende Verpflichtung, wie etwa persönlich beim Kläger vorbeizuschauen oder den Sozialdienst auf Verdacht einzuschalten, bestehe nicht, zumal das Jobcenter keinerlei Anhaltspunkte für mögliche Probleme des Klägers gehabt habe. In der Vergangenheit habe die Antragstellung nämlich problemlos funktioniert.

Das Gericht ließ dem Kläger allerdings eine Hintertür offen. Denn sollte es ihm gelingen, dem Jobcenter eine allgemeine Verletzung seiner Fürsorgepflicht nachzuweisen, so könne er im Rahmen eines Zivilprozesses Schadenersatzansprüche einklagen.

Quelle: www.versicherungsjournal.de

7.2 – LSG Bayern: Keine Befristung der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII – Anm. von RA Prof. Dr. Hermann Plagemann

Zu: LSG Bayern, Urt. v. 28.04.2017 – L 8 SO 206/15 (dejure.org/2017,18192)

LSG Bayern: Keine Befristung der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII

SGG §§ 54, 55, 96, 99, 140; SGB I §§ 37, 39; SGB X §§ 32, 34, 39; SGB XII §§ 61, 64

1. Es ist dem Sozialhilfeträger nicht gestattet, im Grundlagebescheid auf Hilfe zur Pflege den Leistungsanspruch zu befristen.

2. Der Anspruch auf Pflegegeld ist in der Sozialhilfe eigenständig geregelt, so dass unter den Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X die Leistung befristet werden kann – vorausgesetzt, der Träger übt sein Ermessen pflichtgemäß aus. (Leitsätze des Verfassers)

LSG Bayern, Urteil vom 28.04.2017 – L 8 SO 206/15, BeckRS 2017, 112457

Anmerkung von Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Praxishinweis
1. Eine sehr ausführliche Entscheidung auch und gerade zur Frage, welche Klageart die richtige ist. Daneben wird auch erörtert in welcher Weise neue Bescheide, die während des Klageverfahrens ergangen sind, Gegenstand des Verfahrens wurden: Entweder nach § 96 SGG oder nach § 99 SGG.

2. Der Sozialhilfeträger hat – ebenso wie die Pflegeversicherung – das Recht, Nachuntersuchungen anzuordnen, um zu prüfen, ob der ursprünglich festgestellte Pflegegrad noch fortbesteht. Für eine Befristung des Pflegegeldes besteht also nur dann Anlass, wenn unabhängig von einer solchen Nachuntersuchung ein Wegfall der Leistung tatsächlich im Raum steht. Die theoretische Möglichkeit, dass der Leistungsempfänger umzieht oder andere Pflegekräfte beauftragt, rechtfertigt wohl die Befristung nicht.

3. Gem. Nr. 4.14 der Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit, Stand 15.04.2016, ist im Gutachten des MDK die voraussichtliche Entwicklung der gesundheitlich bedingten Beeinträchtigung abzuschätzen und zu dokumentieren. Wenn durch kurative pflegerische oder rehabilitative Maßnahmen eine relevante Änderung in Rede steht, ist dies mit anzugeben und ein angemessener Termin für eine Wiederholungsbegutachtung vorzuschlagen. Der im Einzelfall anzugebende Termin der Wiederholungsbegutachtung muss in Bezug zur angegebenen Prognose stehen. Ist keine Verbesserung zu erwarten, ist die Angabe eines Termins für eine Wiederholungsbegutachtung nicht erforderlich. Es kann auf einen Höherstufungsantrag hingewiesen werden.

Quelle: rsw.beck.de

7.3 – VG München: Bulgarischer Obdachloser klagt Recht auf Unterkunft ein

Ein bulgarischer Obdachloser hat mit Hilfe der Initiative Zivilcourage ein Recht auf Unterkunft eingeklagt. Dies berichtet die Süddeutsche Zeitung am 21.08.2017. Das Verwaltungsgericht München habe die Stadt verpflichtet, dem 57-Jährigen vorläufig einen Platz in einer Notunterkunft einzuräumen.

Obdachlosigkeit begründet “Gefahr für Leib und Leben”

weiter: rsw.beck.de

Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock

Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker, www.tacheles-sozialhilfe.de