1. Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 09.08.2018 zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
1.1 – BSG, Urteil v. 09.08.2018 – B 14 AS 32/17 R
BSG zu Sozialleistungen für EU-Ausländer Sozialhilfe auch ohne Aufenthaltsrecht
1. Wer in Deutschland kein Aufenthaltsrecht besitzt, soll auch keine Sozialleistungen erhalten – so will es der Gesetzgeber. Im Einzelfall kann aber trotzdem ein Anspruch auf Sozialhilfe bestehen, bestätigt nun nochmals das BSG.
2. Auch EU-Ausländern ohne Aufenthaltsrecht kann ein Anspruch auf Sozialhilfe zustehen. Das hat das Bundessozialgericht (BSG) auf die Revision eines arbeitslosen in Deutschland lebenden Italieners hin bestätigt (Urt. v. 09.08.2018, Az. B 14 AS 32/17 R).
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1.2 – BSG, Urteil v. 09.08.2018 – B 14 AS 1/18 R
Grundsicherung für Arbeitsuchende – vorrangige Sozialleistungen – Pflicht zur Beantragung vorzeitiger Altersrente mit Rentenabschlägen – Unbilligkeit bei bevorstehender abschlagsfreier Altersrente für besonders langjährig Versicherte in 4 Monaten
Orientierungssatz (Redakteur)
Bundessozialgericht: Rentenkürzung unzulässig
Die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente mit Abschlägen sei unbillig, weil der Kläger im Sinne von § 3 Unbilligkeitsverordnung „in nächster Zukunft“ eine abschlagsfreie Altersrente beziehen könne.
Kurzfassung:
Liegt zwischen der abschlagsbehafteten und der abschlagsfreien Altersrente ein Abstand von vier Monaten, ist der Verweis auf die Inanspruchnahme der geminderten Altersrente nach § 3 Unbilligkeitsverordnung unbillig, weil in diesem Sinne die Möglichkeit der abschlagsfreien Altersrente „in nächster Zukunft“ besteht.
Mit der Freistellung von der Verpflichtung zur Inanspruchnahme einer geminderten Altersrente im Hinblick auf eine „bevorstehende abschlagsfreie Altersrente“ hat der Verordnungsgeber nach seiner Regelungsintention auf das Missverhältnis zwischen der Höhe der bei vorzeitiger Inanspruchnahme hinzunehmenden Abschläge im Rentenbezug einerseits und der vergleichsweise kurzen restlichen Bezugszeit von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zum Beginn der abschlagsfreien Altersrente andererseits reagiert. Daran gemessen ist eine zusätzliche Inanspruchnahme von Grundsicherungsleistungen von vier Monaten bei einer durchschnittlichen Rentenbezugsdauer von gegenwärtig nahezu 20 Jahren so kurz, dass der Verweis auf eine dauerhaft geminderte Altersrente einem Leistungsberechtigten nicht zuzumuten ist.
Quelle: www.bsg.bund.de
Hinweis: Bundessozialgericht: Rentenkürzung unzulässig
weiter: www.ndr.de
1.3 – BSG, Urteil v. 09.08.2018 – B 14 AS 20/17 R
Orientierungssatz (Redakteur)
1. Zahlungen zum Ersatz von Wertgegenständen, die jemand vor Antragstellung bereits hatte, sind dem Vermögen und nicht dem Einkommen zuzurechnen.
2. Schon in der Rechtsprechung des BSG ua zur Arbeitslosenhilfe und des BVerwG zur Sozialhilfe war geklärt, dass bloße Vermögensumschichtungen keinen als Einkommen zu qualifizierenden Wertzuwachs begründen. Ebenso hat das BSG für das SGB II entschieden, dass ein Sparguthaben bei seiner Auszahlung Vermögen bleibt. Sind danach Geldzuflüsse aus der Umschichtung vorhandener Werte durch den Berechtigten nicht als Einkommen zum Lebensunterhalt einzusetzen, so verhält es sich bei dem Wertersatz für die Entziehung oder Beschädigung eines dem Vermögen zuzurechnenden Gegenstands nicht anders; auch durch ihn erhält der Empfänger keinen Wert hinzu, den er nicht vorher schon hatte.
Quelle: www.bsg.bund.de
Rechtstipp:
Eine Schadensersatzleistung, z. B. für die Beschädigung oder den Verlust einer Sache, die nur eine frühere Vermögenslage wiederherstellt, bewirkt keinen Zufluss. Der Ersatz ist keine Einnahme, sondern, wie das durch die Schadensersatzzahlung Ersetzte wiederum Vermögen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 7.5.2014, L 18 AS 3167/12).
Sozialgericht Karlsruhe Urteil vom 16.08.2011, – S 13 AS 1617/10 – Schadensersatz und andere Geldleistungen, die lediglich eine frühere Vermögenslage wiederherstellen (hier: Minderung wegen mangelhafter Auftragsausführung der Bauarbeiten am Eigenheim) sind auch nach der „Zuflusstheorie“ unabhängig vom Zeitpunkt des Zuflusses als Vermögen zu berücksichtigen (Anschluss an BVerwG, Urteil vom 18.02.1999, 5 C 14/98).
1.4 – BSG, Urteil v. 09.08.2018 – B 14 AS 38/17 R
Orientierungssatz (Redakteur)
1. Hat der Grundsicherungsträger auf Antrag des Leistungsberechtigten entschieden, dass der auf Unterkunft und Heizung entfallende Anteil an den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts direkt an den Vermieter auszuzahlen ist, begründet dies nach Wortlaut, Systematik und Regelungsintention ausschließlich eine von § 42 SGB II abweichende Empfangsberechtigung des Vermieters. Einen eigenständigen, selbständig einklagbaren Anspruch erwirbt ein Vermieter deshalb nur aus einer ausdrücklichen Schuldübernahmeerklärung, durch die sich das Jobcenter unabhängig von der Direktzahlungsentscheidung nach § 22 Abs 7 Satz 1 SGB II ihm gegenüber zur Zahlung der von den Leistungsberechtigten geschuldeten Miete verpflichtet.
2. Eine solche Erklärung hat der Beklagte nach dem Vorbringen auch des Klägers selbst allerdings nicht abgegeben.
Quelle: www.bsg.bund.de
2. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
2.1 – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 31.05.2018 – L 29 AS 1928/17 – Nichtzulassungsbeschwerde hiergegen ist eingelegt worden v. JC
Kostenerstattungsanspruch – Rechtsanwaltsgebühren
Orientierungssatz (Redakteur)
Ein Aufwendungsersatzanspruch kann bei einer weiter bestehenden Verbindlichkeit als Freistellungsanspruch geltend gemacht werden und dieser Freistellungsanspruch kann mangels Gleichartigkeit im Sinne von § 387 BGB mit einer Geldforderung nicht aufgerechnet werden.
Leitsatz (Redakteur)
1. Die Aufrechnung eines Sozialleistungsträgers kann auch durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung iSv § 387 BGB erfolgen.
2. Bei dem Kostenerstattungsanspruch aus § 63 SGB X handelt es sich um einen Freistellungsanspruch, nicht um einen Zahlungsanspruch.
3. Mangels Gleichartigkeit der Forderungen, kann der Leistungsträger gegen einen Kostenerstattungsanspruch des Leistungsempfängers nach § 63 SGB X nicht mit eigenen Forderungen aus Erstattungsbescheiden aufrechnen.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp:
Ebenso LSG Sachsen- Anhalt, Urt. v. 15.03.2018 – L 2 AS 496/17
2.2 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urt. v. 23.04.2018 -L 4 AS 609/14 – rechtskräftig
Orientierungssatz (Redakteur)
Zur Förderung aus dem Vermittlungsbudget zum Erwerb eines Kfz.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.3 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 28.06.2018 – L 4 AS 862/17 NZB – rechtskräftig
Orientierungssatz (Redakteur)
1. Eine Besuchsfahrt zur Familie bzw., um in einer Wohnung nach dem Rechten zu schauen, gehöre schon nicht zum zu sichernden Existenzminimum. Deshalb folge ein Anspruch auch nicht aus § 21 Abs. 6 SGB II.
2. Ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II komme nicht in Betracht, wenn die Kosten bereits beglichen seien. Die Kosten seien zudem nicht als Eingliederungsleistung zu erbringen (§ 16 SGB II) bzw. im Rahmen der Ausübung einer Erwerbstätigkeit entstanden (§ 11b SGB II).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.4 – Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 28.06.2018 – L 4 AS 885/17 NZB – rechtskräftig
Orientierungssatz (Redakteur)
1. Keine Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Erstattung der Anschaffungskosten für einen Computer.
2. Es obliegt der Budgetverantwortung der Leistungsberechtigten, ob und zu welchen Kosten sie sich einen Computer anschaffen (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 51).
3. Die Ersatzbeschaffung eines Computers begründet keinen Mehrbedarf iSv § 21 Abs 6 SGB II.
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
2.5 – Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 01.11.2017 – L 15 AS 215/17 B ER
Leitsatz (Juris)
1. Ein Arbeitsverhältnis mit „20 Stunden monatlich im Bereich der Reinigung“ bei fehlenden geeigneten Nachweisen dafür, dass die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt und Arbeitseinkommen erzielt wird, begründet nicht die erforderliche Arbeitnehmereigenschaft.
2. Eine Anwendung von § 7 Abs. 1 S. 3 AufenthG verbietet sich jedenfalls dann, wenn die Familiengründung bereits abgeschlossen ist und die Regelungen der §§ 27 ff. AufenthG unmittelbar eingreifen.
3. Einer EU-Bürgerin steht ein Aufenthaltsrecht zur Aufrechterhaltung der Familieneinheit auch in ergänzender Anwendung für sie günstigerer Vorschriften des AufenthG nicht zu, weil ein Anspruch auf Familiennachzug zum Lebenspartner nach § 29 AufenthG nicht besteht und ein Nachzug zu den minderjährigen Kindern nach § 36 Abs. 2 AufenthG i.V.m. § 27 Abs. 3 S. 1 AufenthG bei Inanspruchnahme unterhaltssichernder öffentlicher Leistungen wegen Fehlens der Grundvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhaltes) ausscheidet.
4. Der Entscheidung des BSG (B 4 AS 54/12 R) kann nicht entnommen werden, dass das Zusammenleben unverheirateter ausländischer Partner mit ihren gemeinsamen Kindern ohne Rücksicht auf die Sicherung des Unterhaltes zu einem durch Art. 6 GG verbürgten Aufenthaltsrecht führt.
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
2.6 – Holsteinischen Landessozialgericht, Beschluss vom 09.08.2018 – L 3 AS 144/18 B ER
Mietobergrenzen im Kreis Segeberg teilweise falsch berechnet und
Die Nähe zu Angehörigen bei Alleinerziehenden und die damit einhergehende Verbesserung der Eingliederungschancen auf dem Arbeitsmarkt sind geeignet, die Notwendigkeit der Umzugserforderlichkeit zu begründen, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt
1. Nach einer aktuellen Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts hat die Firma empirica und dem folgend auch das Jobcenter im Kreis Segeberg die Mietobergrenze im Vergleichsraum IV-Ost für einen 3-Personenaushalt (75 qm große Mietwohnungen) aufgrund eines Rundungsfehlers falsch bestimmt. Anstatt 490,00 € beträgt die Mietobergrenze für einen 3-Personenaushalt demnach 500,00 € inklusive kalter Betriebskosten. Eine abschließende Prüfung, ob das Berechnungskonzept des Kreises Segeberg den Anforderungen an ein sog. „schlüssiges Konzept“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts genügt, wird das Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht in einem Hauptsacheverfahren prüfen.
2. Weiter hat das Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht entschieden, dass ein Umzug nach § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II auch dann „notwendig“ ist, wenn alleinerziehende Leistungsberechtigte – hier aufgrund des unerwarteten Todes der Mutter, die zuvor Betreuungsaufgaben übernommen hatte – in die Nähe von Verwandten ziehen wollen. Denn die – hier glaubhafte gemachte – Möglichkeit und Bereitschaft der Schwester, sich mit um die Kinder zu kümmern, erhöht auch die Eingliederungschancen alleinerziehender Leistungsberechtigter in den Arbeitsmarkt.
Quelle: sozialberatung-kiel.de
Volltext: sozialberatungkiel.files.wordpress.com
3. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II)
3.1 – SG Karlsruhe, Urteil vom 22.01.2018 – S 6 AS 2575/16
Keine Übernahme von Entsorgungskosten für eingelagerte Möbel durch den Grundsicherungsträger.
Kurzfassung:
Nach Auffassung des Gerichts handle es sich bei den Entsorgungskosten weder um einen unabweisbaren Bedarf i.S.d. § 24 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) noch um angemessene Unterkunftskosten i.S.d. § 22 Abs. 1 S. 1, Abs. 6 S. 1 SGB II. Denn die Entsorgung der Einrichtungsgegenstände beruhe auf einer freien Willensentscheidung des Klägers, so dass es unbillig sei, die Solidargemeinschaft mit diesen in die private Sphäre des Klägers fallenden Kosten zu belasten. Der Kläger hätte ohne weiteres die eingelagerten Gegenstände bei der Speditionsfirma abholen und selbst entsorgen können, ohne dass ihm hierfür nennenswerte Kosten entstanden wären.
Quelle: sozialgericht-karlsruhe.de
Rechtstipp:
Sozialgericht Aurich, Urt. v. 08.03.2012 – S 35 AS 201/11 – rechtskräftig
1. Kosten für Sperrmüll gehören zu den Kosten der Unterkunft, wenn die Hilfebedürftigen die Sperrmüllkosten für den Betrieb oder die Erhaltung ihrer Wohnung aufwenden mussten.
2. Anspruch des Grundsicherungsberechtigten auf Übernahme der Kosten für die Abfuhr von Sperrmüll.
3.2 – Sozialgericht Duisburg, Urt. v. 29.06.2018 – S 49 AS 2087/17
Orientierungssatz (Redakteur)
Die Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II a.F. kommt nur solange in Betracht, wie der zukünftig mögliche Ein-zug des Leistungsberechtigten in die – neue – Wohnung noch aussteht (BSG, Urt. v. 06.04.2011 – B 4 AS 5/10 R).
Leitsatz (Redakteur)
1. Es besteht kein Bedürfnis für die – nachträgliche – Erteilung dieser Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II mehr, sobald ein zukünftiger Einzug in die Wohnung, für die im Einzelfall eine Zusicherung beantragt worden ist, tatsächlich nicht mehr in Betracht kommt. Denn mit einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 SGB II sollen lediglich Unsicherheiten im Vorfeld eines bevorstehenden Wohnungswechsels frühzeitig ausgeräumt werden (vgl. BSG, Urt. v. 30.08.2010 – B 4 AS 10/10 R, juris, Rn. 18; BSG, Urt. v. 17.12.2009 – B 4 AS 19/09 R, juris, Rn. 19; Boerner, in: Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Auflage 2011, § 22 SGB II, Rn. 82; Berlit, in: Münder, SGB II, 6. Auflage 2017, § 22 SGB II, Rn. 173 m.w.N.).
2. Gerade wenn § 22 Abs. 4 S. 2 SGB II n.F. allein auf die Kostenangemessenheit der neuen Wohnung abstellen sollte, kommt dieser konkreten Einzelwohnung zentrale Bedeutung für das Zusicherungsverfahren zu, da ihre Kosten die gesamte weitere Prüfung bestimmen. Mit dem Wegfall der Möglichkeit einer konkreten Anmietung dieser Wohnung in der Zukunft muss dann weiterhin – erst recht – auch die Möglichkeit einer Vorfeld-Zusicherung entfallen.
3. Ob aufgrund der Neufassung des § 22 Abs. 4 S. 2 SGB II n.F. durch das sog. Rechtsvereinfachungsgesetz zum 01.08.2016 (BGBl. I 2016, S. 1828) für das Zusicherungsverfahren – wie in § 22 Abs. 4 S. 2 SGB II a.F. – noch auf eine Umzugserforderlichkeit abzustellen ist, ist gegenwärtig nicht abschließend geklärt (gegen die weitere Prüfung einer Erforderlichkeit: SG Chemnitz, Beschl. v. 28.11.2017 – S 26 AS 3938/17 ER, juris, Rn. 11; Piepenstock, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 22, Rn. 188.1; wohl auch: Lauterbach, in: Gagel, SGB II / SGB III, 69. Ergänzungslieferung März 2018, § 22 SGB II, Rn. 105; gegen eine weitere Prüfung einer Erforderlichkeit aber für gesteigerte Beratungspflichten des Grundsicherungsträgers: Luik, in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 22 SGB II, Rn. 177; scheinbar für die weitere Prüfung einer Erforderlichkeit: Gei-ger, Unterkunfts- und Heizkosten nach dem SGB II, 4. Auflage 2017, S. 318; für eine Erforderlichkeitsprüfung – ohne Erläuterung der Problematik – auch: Berlit, in: Münder, SGB II, 6. Auflage 2017, § 22 SGB II, Rn. 171, 180; Breitkreuz, in: BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 48. Edition, Stand: 01.03.2018, § 22 SGB II, Rn. 21). Eine obergerichtliche Entscheidung zu dieser Frage steht bislang aus.
4. Sofern vereinzelt für den – hier nicht vorliegenden – Sonderfall, dass die Zusicherungserteilung sich gerade durch den Einzug des Leistungsberechtigten selbst in die streitige Wohnung erledigt, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bejaht worden ist (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 07.05.2009 – L 8 AS 48/08, juris, Rn. 39), ist diese Ausnahmesituation nicht auf den hier vorliegenden Fall einer anderweitigen Vermietung an einen Dritten nicht übertragbar. Denn lediglich bei einem Selbstbezug erscheint ein entsprechendes Fortwirken der Ablehnungsentscheidung in Form der wirtschaftlichen Folgen der Anmietung gerade derselben fraglichen Einzelwohnung denkbar (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
3.3 – SG Hannover 43. Kammer, Beschluss vom 02.07.2018 – S 43 AS 2003/18 ER
Eine Unterbrechung durch Arbeitslosigkeit von bis zu einem Monat ist für das Fortbestehen der Arbeitnehmereigenschaft nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU unschädlich, da dem Arbeits- bzw. Sozialrecht an verschiedenen Stellen der Rechtsgedanke entnommen werden kann, dass eine Unterbrechung von bis zu einem Monat unschädlich sein kann.
Leitsatz (Juris)
1. Das Fortbestehen der Arbeitnehmereigenschaft und mithin des Aufenthaltsrechtes nach § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 Freizügigkeitsgesetz/EU setzt keine ununterbrochene Tätigkeit voraus (Anschluss an BSG, Urteil vom 13. Juli 2017, Az.: B 4 AS 17/16 R).
2. Eine Unterbrechung durch Arbeitslosigkeit von bis zu einem Monat (vorliegend 26 Tage) ist für das Fortbestehen der Arbeitnehmereigenschaft unschädlich, da dem Arbeits- bzw. Sozialrecht an verschiedenen Stellen (z.B. § 141 Abs. 2 Nr. 1 SGB III; § 7 Abs. 3 S. 1 SGB IV; vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. August 2008, Az.: 2 AZR 101/07) der Rechtsgedanke entnommen werden kann, dass eine Unterbrechung von bis zu einem Monat unschädlich sein kann.
3. Es kommt nicht „zufällig zu einer Tätigkeit von mehr als einem Jahr“ im Sinne der Rechtsprechung des BSG (a.a.O.), wenn der Arbeitnehmer in den Beschäftigungen denselben Beruf ausübte, da er damit objektiv zu verstehen gab, dass eine Integration in den deutschen Arbeitsmarkt intendiert war.
Quelle: www.rechtsprechung.niedersachsen.de
3.4 – SG Stuttgart, Beschluss v. 20.09.2017 – S 12 AS 4934/17 ER
Ersatz der Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten nur nach schulrechtlichen Bestimmungen
Das SG Stuttgart hat entschieden, dass ein Schüleraustausch, bei dem mehrere Schüler einer Jahrgangsstufe für mehrere Tage oder Wochen ins Ausland reisen und der nicht von der Gesamtlehrerkonferenz mit Einverständnis der Schulkonferenz beschlossen worden ist, keine mehrtägige Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen darstellt mit der Folge, dass die den betroffenen Schülern entstehenden Aufwendungen nicht vom Jobcenter als Bedarf für Bildung und Teilhabe übernommen werden müssen.
Kurzfassung:
Nach Auffassung des Sozialgerichts werden im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Bedarfe für Bildung bei Schülerinnen und Schülern einer allgemein- oder berufsbildenden Schule, sofern sie keine Ausbildungsvergütung erhalten, neben dem Regelbedarf gesondert berücksichtigt (§ 28 Abs. 1 SGB II). Als ein solcher Bedarf für Bildung werden nach § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II die tatsächlichen Aufwendungen für mehrtägige Klassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen anerkannt. Die Aufwendungen seien vom Grundsicherungsträger danach nur dann zu übernehmen, wenn die Reise im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen des Landes Baden-Württemberg stattfinde. Grundsätzlich könne nach dem baden-württembergischen Schulrecht zwar ein Schüleraustausch mit dem Ausland als „außerunterrichtliche Veranstaltung der Schule“ und damit als Klassenfahrt durchgeführt werden. Die Entscheidung über die Durchführung des Schüleraustauschs obliege jedoch der Entscheidung bestimmter Gremien. Insbesondere habe die Gesamtlehrerkonferenz mit Einverständnis der Schulkonferenz über die Grundsätze der Durchführung der Klassenfahrten zu beraten, wobei in der Klassenpflegschaft über die konkrete Planung beraten werde. Schließlich seien die außerunterrichtlichen Veranstaltungen vom Schulleiter zu genehmigen. Da im vorliegenden Fall die Gesamtlehrerkonferenz und Schulkonferenz nicht einmal mit der Durchführung des Schüleraustauschs überhaupt, also dem „Ob“ der Chinareise befasst worden waren, habe das Sozialgericht nicht feststellen können, dass es sich um eine Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen handele.
Quelle: Pressemitteilung des SG Stuttgart v. 02.08.2018: www.juris.de
3.5 – SG Bremen, Urteil v. 15.06.2018 – S 28 AS 1213/16, n. v.
Normen: § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II – Schlagworte: Kosten der Unterkunft, Bremen, A+K-Gutachten
Leitsatz RA Fabian Rust:
1. Ein schlüssiges Konzept muss hinreichend Gewähr dafür bieten, dass die tatsächlichen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes realistisch wiedergegeben werden. Dafür müssen die zur Ermittlung zu Grunde gelegten Mietdaten repräsentativ sein. An der Repräsentativität fehlt es zumindest,
a) wenn überwiegend Mieten von Wohnungsgesellschaften erfasst sind und die Mieten kleinerer Vermieter nicht ausreichend repräsentiert werden (so auch Bayrisches LSG 28.03.2018 – L 11 AS 52/16) oder
b) wenn die erfassten Mieten keine Gewähr dafür bieten, dass Daten das tatsächliche Mietniveau im gesamten Vergleichsraum widerspiegeln, zum Beispiel weil die erhobenen Mieten sich auf wenige Stadtteile konzentrieren. Die erfassten Mieten bieten jedenfalls dann keine Gewähr mehr den gesamten Vergleichsraum widerzuspiegeln, wenn 80,55 % der erfassten Mietwerte sich auf 6 von 18 Stadtteilen im Stadtgebiet verteilen bzw. 41 % der Mieten einen Stadtteil betreffen und weitere 38 % aus fünf weiteren von insgesamt 18 Stadtteilen stammen.
2. Die erfassten Bestandsmieten müssen im Erhebungspunkt hinreichend aktuell sein. Hierfür muss auch erkennbar sein, ob und in welchem Umfang Mieten aus langjährigen Mietverhältnissen eingeflossen sind.
3. Fehlende Datenrepräsentativität kann nicht dadurch ausgeglichen werden, dass die Richtwerte anhand eines hohen Perzentils festgelegt werden (hier hatte der Beklagte ein 50%-Perzentil verwandt).
4. Eine fehlende Datenrepräsentativität kann auch dann nicht durch Fortschreibung beseitigt werden, wenn zur Fortschreibung weitere Mietdaten erhoben wurden.
5. Auch bei Anwendung der seit dem 01.01.2016 geltenden Wohngeldtabelle ist der dortigen Höchstgrenze für die Bruttokaltmiete ein Sicherheitszuschlag von 10% hinzuzusetzen.
3.6 – SG Dortmund, Urteil v. 23.07.2018 – S 31 AS 3328/15, n. v.
Orientierungssatz (Redakteur)
Obdachlose bekommen keine Waschmaschine als Erstausstattung erstattet trotz nachgewiesenem, kostenlosem Stellplatz.
4. Entscheidungen der Landessozialgerichte zur Arbeitsförderung (SGB III)
4.1 – LSG Baden-Württemberg Urteil vom 29.6.2018 – L 8 AL 27/18
Leitsatz (Juris)
Im Bemessungszeitraum nach § 150 Abs. 1 S. 1 SGB III werden lediglich die Entgelte berücksichtigt, die aufgrund einer Beschäftigung im leistungsrechtlichen Sinne gezahlt wurden, wozu Entgelte, die für Zeiträume nach einer erfolgten Freistellung von der Arbeit gezahlt wurden, nicht zählen (ebenso LSG Hamburg, Urteil vom 05.04.2017 – L 2 AL 84/16, juris RdNr. 18; Bayrisches LSG, Beschluss vom 18.07.2016 – L 10 AL 133/16 NZB, juris RdNr. 10; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen vom 23.02.2017 – L 9 AL 150/15 – juris).
Quelle: dejure.org
5. Entscheidungen der Sozialgerichte zur Sozialhilfe (SGB XII)
5.1 – SG Stuttgart Urteil vom 08.06.2018, S 11 SO 569/18
Leitsatz (Juris)
1. Mietnebenkostenerstattungen aus der Jahresabrechnung, die an einen Empfänger von Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung ausgezahlt werden, muss sich dieser als Einkommen anrechnen lassen. Dies gilt auch dann, wenn der Leistungsempfänger während des laufenden Betriebsjahres die Mietnebenkosten bewusst durch überdurchschnittlich sparsames Verbrauchsverhalten senkt, um mit der erwarteten Erstattung Aufwendungen, die er aus der laufenden Regelleistungen nicht finanzieren kann, tätigen zu können.
2. Selbst wenn die Beklagte in der Vergangenheit von einer Einkommensanrechnung abgesehen hat, begründet dies keinen dauerhaften Rechtsanspruch auf Anrechnungsverschonung.
Quelle: www.sg-stuttgart.de
5.2 – Sozialgericht Osnabrück, Beschluss v. 04.02.2016 – S 5 SO 226/15 ER
Leitsatz (Redakteur)
1. Kindergeld ist sozialhilferechtlich grundsätzlich eine Einnahme dessen, an den es (als Leistungs- oder Abzweigungsberechtigten) ausgezahlt wird. Das an ein Elternteil als Kindergeldberechtigten ausgezahlte Kindergeld ist nur als Einkommen des volljährigen, außerhalb des Haushaltes lebenden Kindes zu berücksichtigen, soweit es ihm zeitnah (innerhalb eines Monats nach Auszahlung bzw. Überweisung des Kindergeldes) zugewendet wird und ohne die „Weiterleitung“ des Kindergeldes die Voraussetzungen des § 74 EStG für eine Abzweigung des Kindergeldes vorliegen würden (BSG, Urteil vom 11. Dezember 2007 – B 8/9b SO 23/06 R). Eine Weiterleitung des Kindergeldes im Dezember 2015 an seine Tochter hat der Antragsteller bisher nicht glaubhaft gemacht.
2. Eine Verrechnung der einem Konto gutgeschriebenen Einnahmen seitens der Bank im Rahmen einer Kontokorrentabrede (Dispositionskredit) führt nicht zu einer Minderung der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens. Dabei handelt es sich lediglich um eine Einkommensverwendung, durch die der Zufluss des Geldbetrages nicht teilweise den Charakter als Einkommen verliert (BSG, Urt. v. om 29. April 2015 – B 14 AS 10/14 R).
Quelle: sozialgerichtsbarkeit.de
Rechtstipp:
Ebenso SG Osnabrück, Beschluss v. 21.03.2017 – S 5 SO 222/16 ER
6. Verschiedenes zu Hartz IV, zur Sozialhilfe, zum Asylrecht, Wohngeldrecht und anderen Gesetzesbüchern
6.1 – Asylrecht: Mitwirkungspflicht im Widerrufsverfahren muss unionsrechtskonform sein
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert die Forderung nach einer Verschärfung der asylrechtlichen Mitwirkungspflicht im Widerrufs- und Rücknahmeverfahren, da die Sanktionierung bei unterlassener Mitarbeit gegen Unionsrecht verstoße.
Das Bundeskabinett hat am 01.08.2018 einen Gesetzentwurf, der die Mitwirkungspflicht von international Schutzberechtigten im Widerrufs- und Rücknahmeverfahren regelt, inklusive entsprechender Sanktionen bei Verstößen. Die SPD-Fraktion fordert darüber hinaus, die Sanktionsmöglichkeiten dahingehend zu verschärfen, dass ein Unterlassen der Mitwirkung zur gesetzlichen Vermutung führt, dass der Asylantrag als zurückgenommen und der Schutzstatus als erloschen gilt.
„Diese Forderungen sind mit dem geltenden EU-Recht unvereinbar“, so Rechtsanwalt Thomas Oberhäuser, Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im DAV. „Der Widerruf des Status eines bestandskräftig anerkannten international Schutzberechtigten steht nicht im Belieben der Mitgliedstaaten.“
weiter: www.juris.de
6.2 – Leistungen für die Unterkunft für unter 25jährige auch ohne Zustimmung des Jobcenters, ein Beitrag von RA Helge Hildebrandt zu BSG, Urteil vom 25.04.2018, B 14 AS 21/17 R
Das Bundessozialgericht (BSG) hat nun entschieden, dass eine Ablehnung der Übernahme von Unterkunftskosten nach einem Umzug ohne vorherige Zusicherung durch das Jobcenter aufgrund von wichtigen Umzugsgründen voraussetzt, dass der unter 25jährige ALG II-Bezieher überhaupt einen Vertrag über eine neue Unterkunft abgeschlossen hat. Dies ist beispielsweise dann nicht der Fall, wenn ein junger Leistungsberechtigter in die Wohnung von Freunden, Bekannten oder etwa – wie in den, dem BSG zur Entscheidung vorliegenden Fall – zur Familie der Freundin zieht, ohne einen Mietvertrag abzuschließen. In diesen Fällen hat der unter 25jährige ALG II-Bezieher Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe des auf ihn entfallenden sog. Kopfteils der Gesamtmiete.
weiter: sozialberatung-kiel.de
6.3 – OVG Nordrhein-Westfalen, 07.03.2018 – 9 E 129/18
Zum barrierefreien Unterbringungsanspruch eines körperbehinderten Obdachlosen – Erforderlichkeit der einzelfallbezogenen Prüfung.
weiter: www.justiz.nrw.de
Verfasser des Rechtsprechungstickers: Redakteur von Tacheles Detlef Brock
Quelle: Tacheles-Rechtsprechungsticker