Sozialgericht Kassel – Beschluss vom 09.03.2020 – Az.: S 11 AY 1/20 ER

BESCHLUSS

In dem Rechtsstreit

xxx,

Antragsteller,

Prozessbevollm.: Rechtsanwalt Sven Adam
Lange Geismarstraße 55, 37073 Göttingen

gegen

Werra-Meißner-Kreis, vertreten durch den Kreisausschuss Fachdienst Recht 3.1
Schlossplatz 1, 37269 Eschwege

Antragsgegner,

hat die 11. Kammer des Sozialgerichts Kassel am 9. März 2020 durch die Richterin am Sozialgericht xxx als Vorsitzende beschlossen:

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu tragen.

GRÜNDE

Der zulässige Kostenantrag ist begründet. Nach § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat das Gericht durch Urteil darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Das Gericht hat auf Antrag im Beschlusswege zu entscheiden, wenn das Verfahren anders (wie vorliegend durch die Erledigungserklärung des Prozessbevollmächtigten) beendet wird (§ 193 Abs. 1 S. 3 SGG). Im SGG findet sich keine ausdrückliche Bestimmung, unter welchen Voraussetzungen Kosten zu erstatten sind. Daher sind die Rechtsgedanken der §§ 91 ff. Zivilprozessordung (ZPO) zu berücksichtigen (vgl. Meyer/Ladewig u. a., SGG mit Erläuterungen, 12. Aufl., § 193 Rn. 13 ff.). Bei Erledigung des Rechtsstreits durch Erledigungserklärung hat das Gericht den Rechtsgedanken des § 91a ZPO zugrunde zu legen, wonach unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kostenfrage zu entscheiden ist.

Auch in Ansehung der ablehnenden Haltung des Antragsgegners zur Kostenfrage, zuletzt im Schriftsatz vom 5.3.2020, hält es die erkennende Kammer angesichts des Verfahrensausgangs mit Abgabe eines Anerkenntnisses durch den Antragsgegner für sachgerecht, diesem die Kosten für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufzuerlegen.

Dem in Äthiopien geborenen Antragsteller, der zunächst nach Italien einreiste und anschließend nach Deutschland gelangte, hatte der Antragsgegner ab 23.1.2018 bis auf weiteres Leistungen nach § 3 AsylbLG i. H. v. 325,88 € bewilligt und dabei berücksichtigt, dass der Antragsteller in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnte. Für die Zeit ab 1.5.2019 kam es dann zu einer Leistungskürzung mit Bescheid vom 29.4.2019 auf Grundlage von § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG und Absenkung der Leistung auf monatlich 190,88 €. In dieser Höhe erfolgte die Weiterbewilligung der Leistung für den Zeitraum vom 1.11.2019 bis 30.4.2020 mit Bescheid vom 1.11.2019. Mit Bescheid vom 16.12.2019 wurde eine weitere Leistungskürzung auf Grundlage des ab 1.9.2019 geltenden Migrationspaktes 2019 mit einer Absenkung der Leistungen ab 1.1.2020 auf 167 € monatlich vorgenommen. Am 13.1.2020 legte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers beim Antragsgegner Widerspruch gegen die Leistungskürzungen ein und stellte zugleich einen Überprüfungsantrag im Hinblick auf die Bewilligungsentscheidung vom 29.4.2019. Zeitgleich am 13.1.2020 hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers beim Sozialgericht Kassel die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt. Im ER-Verfahren hat der Antragsgegner in Ansehung der hierzu ergangenen Rechtsprechung der erkennenden und der 12. Kammer des Sozialgerichts Kassel von der Leistungskürzung nach § 1a Abs. 4 AsylbLG Abstand genommen und mit Bescheid vom 17.2.2020 zudem die Voraussetzungen für Ansprüche des Antragstellers nach § 2 AsylbLG anerkannt und die monatliche Leistung ab 1.1.2020 mit 335,58 € bewilligt.

Zur Abgabe eines Kostenanerkenntnisses war der Antragsgegner nicht bereit und hat die Auffassung vertreten, ohne Akteneinsicht genommen zu haben, sei „ins Blaue hinein“ Widerspruch erhoben und zeitgleich der Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt worden. Dem Antragsteller wäre es zuzumuten gewesen, vor Stellung des Eilantrages zunächst Kontakt zur Behörde aufzunehmen und ihr die Möglichkeit zu geben, die Entscheidung noch einmal zu überdenken.

Unabhängig davon, dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers mit Widerspruch, Überprüfungsantrag und Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes am 13.1.2020 eine Leistungsgewährung nach § 2 AsylbLG nicht thematisiert hat, ist es aber nach dem Akteninhalt ersichtlich um die Leistungskürzung von zunächst 325,88 € monatlich über 190,88 € monatlich auf nur noch 167 € monatlich gegangen. Angesichts dieser ganz erheblichen Leistungskürzungen ist es dem Antragsteller nicht verwehrt, zeitgleich mit Widerspruchs- und Überprüfungsbegehren beim Antragsgegner um einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht nachzusuchen. Anders, als der Antragsgegner meint, ist der Antragsteller bei dieser Sachlage nicht zumutbar auf das Abwarten der Überprüfung durch den Antragsgegner zu verweisen. Dafür sind die monatlichen Leistungseinschnitte zu bedeutsam gewesen. Auch wenn die Überprüfung im ER-Verfahren vor dem Sozialgericht Kassel den Antragsgegner veranlasst hat, abweichend vom ursprünglichen Begehren sogar Leistungen nach § 2 AsylbLG ab 1.1.2020 zu bewilligen, ist die Einschaltung des Gerichts schon deswegen nicht voreilig und zur Unzeit gewesen, weil, jedenfalls nach Angaben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers, für die Leistungskürzung ab 1.11.2019 dem Antragsteller keine schriftliche Entscheidung des Antragsgegners vorgelegen hat. Angesichts der Halbierung der monatlichen Leistungen ist es legitim, gerichtlichen Eilrechtsschutz unmittelbar in Anspruch zu nehmen. Dass der Antragsgegner das Vorgehen des Antragstellers gegen die Leistungskürzung nicht nur zum Anlass nimmt, die Leistungskürzungen sondern darüber hinaus den Anspruch auf sogenannte Analogleistungen nach § 2 AsylbLG zu überprüfen, führt dazu, die als Anerkenntnis im ER-Verfahren zu wertende Bewilligungsentscheidung des Antragsgegners vom 17.2.2020 als Grundlage für die Kostentragungsverpflichtung des Antragsgegners zu sehen. Die massive Leistungskürzung legitimiert den Antragsteller nicht nur dazu, gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, die Anerkennung des Antragsbegehrens löst dann aber auch die Verpflichtung des Antragsgegners aus, die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu übernehmen.

Der Beschluss ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG unanfechtbar.